Bruno Labbadia geht in seine erste volle Saison beim VfB und weiß um die Schwere der Aufgabe. "Wir sind uns im Verein alle einig, dass wir nach der vergangenen Saison mit Demut an die Aufgabe gehen sollten. Die schlechte Hinrunde kam nicht von ungefähr, wir müssen in fast allen Bereichen noch viel arbeiten. Vor allem dürfen wir nicht den Fehler machen, nach der relativ guten Rückrunde von unserem Weg abzukommen. Es darf keiner auch nur einen Millimeter nachlassen", erklärt Labbadia.
Noch so eine Vorrunde wie in der letzten Saison würde in Stuttgart nervlich niemand durchstehen. Man ist, wie heißt es so schön, vorsichtig optimistisch. Aber auch kämpferisch.
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"Wenn jeder mitzieht wie in der Rückrunde wird es für jeden Gegner schwer, uns zu schlagen", sagt Labbadia. Offen zugeben will es nach den Erfahrungen der letzten Saison niemand, aber insgeheim erwartet man sich in Stuttgart einiges.
Das ist neu
Neben dem Stadion, das endlich keine Baustelle mehr, sondern eine reine Fußballarena ist, zuerst einmal der Präsident. Gerd Mäuser hat Erwin Staudt an der Spitze des Vereins abgelöst. Klingt nach einem harmlosen Wechsel, war aber ganz und gar nicht harmlos. Auf der Mitgliederversammlung des VfB ging mächtig die Post ab. Der ehemalige Porsche-Manager Mäuser wurde mit vergleichsweise schwachen 58,7 Prozent der Stimmen zum Präsidenten gewählt.
Eine Zahl, die vor allem deshalb nicht höher ausfiel, weil Mäuser einen Teil des Zorns abbekam, den viele Mitglieder gegen den mächtigen Aufsichtsrats-Boss Dieter Hundt richteten. Immerhin stolze 50,7 Prozent votierten für eine Abwahl Hundts - das reichte bei einer erforderlichen Zwei-Drittel-Mehrheit zwar nicht, aber der Denkzettel kam trotzdem an.
Was die sportlichen Belange angeht, sorgte der Abgang von Nationalspieler Christian Träsch zum VfL Wolfsburg für die größte Änderung. Es war nur eine Frage der Zeit, ehe sich die Vereine einigen würden. Denn die Fakten waren klar: Träsch hatte eine Verlängerung seines Vertrags abgelehnt und war sich mit Wolfsburg einig - und der VfB konnte es sich nicht leisten, auf eine beträchtliche Ablösesumme zu verzichten.
Vor allem deshalb nicht, weil man den Etat von etwa 65 auf rund 50 Millionen Euro zurückfuhr und bereits ins Risiko gegangen war. So kam der dänische Nationalspieler William Kvist für eine Ablösesumme von 3,5 Millionen Euro vom FC Kopenhagen zu den Schwaben und unterschrieb einen Vierjahresvertrag.
Für den 26-Jährigen ist sofort eine Chefrolle im zentralen, defensiven Mittelfeld angedacht. "William Kvist bringt als Nationalspieler und Kapitän des FC Kopenhagen große internationale Erfahrung mit und strahlt enorme Ruhe am Ball aus. Er ist eine Bereicherung für den VfB", meinte Labbadia.
Vom PSV Eindhoven verpflichtete der VfB außerdem Francisco Javier Rodriguez Pinedo, kurz: Maza. Der mexikanische Nationalspieler, der bei den letzten beiden Weltmeisterschaften Stammspieler war, erhielt einen Vertrag bis 2014 und ist die dringend benötigte Verstärkung für die Innenverteidiger-Position.
Dringend benötigt, weil Matthieu Delpierre im schlimmsten Fall die komplette Vorrunde ausfallen wird. Der Franzose hatte sich im Mai einen Muskelabriss im linken Oberschenkelstrecker zugezogen und kann nach einer Operation frühestens im Oktober oder November zurückkommen.
Neben Maza und Kvist begrüßt der VfB noch zwei weitere Neuzugänge. Zum einen Julian Schieber. Der Stürmer ist nach seiner Ausleihe an den 1. FC Nürnberg zurückgekehrt. Und aus Augsburg wechselte Ibrahim Traore zum VfB. Den linken Mittelfeldspieler wollten die Stuttgarter schon vor einem Jahr gerne verpflichten, jetzt kam er ablösefrei und soll mit seiner Schnelligkeit das Flügelspiel beleben.
Johan Audel und Mamadou Bah gehören in die Kategorie Spieler, die man aufgrund ihres unglaublichen Verletzungspechs fast schon vergessen hat und die fast so was wie Neuzugänge sind, auch wenn sie in der vergangenen Saison schon da waren.
Eine ganze Reihe an Jugendspielern wurde mit Profiverträgen ausgestattet. Interessantester Name: Raphael Holzhäuser. Der 18-jährige Mittelfeldspieler aus Österreich gilt als Ausnahmetalent und hat das Potenzial zum Shooting-Star.
Die Taktik
Labbadia bevorzugt ein offensiv ausgerichtetes 4-2-3-1-System, das sich in der Rückrunde durchgesetzt hat. Daran wird sich zum Saisonstart auch erst einmal nichts ändern, wenngleich in der Vorbereitung auch andere Varianten trainiert wurden, um flexibel zu sein. Im Tor ist Sven Ulreich die klare Nummer eins, nachdem er sich nach seiner kurzen Verbannung auf die Bank in der Rückrunde exzellent präsentierte. Hinter Ulreich und dem erfahrenen Marc Ziegler wartet schon das 19-jährige Supertalent Bernd Leno.
In der Viererkette war Träsch für die rechte Außenverteidigerposition eingeplant, nach seinem Abgang wird Khalid Boulahrouz wieder zur ersten Option, mit einem Backup Stefano Celozzi. Auf der linken Seite kämpfen Cristian Molinaro und Arthur Boka um den Platz in der ersten Elf, in der Innenverteidigung schienen die Verhältnisse dagegen klar.
Georg Niedermeier und Serdar Tasci sollten weiterhin das Duo im Zentrum bilden - Neuzugang Maza, der erst später zur Mannschaft stieß und alleine deshalb noch Rückstand hat, hätte sich erst einmal hinten anstellen müssen. Die Verletzung Niedermeiers (Ermüdungsbruch im rechten Oberschenkel, 8 Wochen Pause) hat diesen Plan nun durchkreuzt und die Abwehrsorgen weiter verschlimmert.
Auf der Doppel-Sechs läuft alles auf eine Variante mit Zdravko Kuzmanovic und William Kvist hinaus, als Ersatz stünden Christian Gentner und Mamadou Bah bereit. Vor allem Gentner ist eine interessante Personalie. Vor der letzten Saison entschied er sich zu einer Rückkehr zum VfB. Damals war er noch Nationalspieler, jetzt ist er ein vergessener Mann, hat sich in der Vorbereitung aber extrem reingehauen und brennt darauf, zu alter Stärke zurückzufinden.
Im offensiven Mittelfeld sind von links nach rechts Shinji Okazaki, Tamas Hajnal und Martin Harnik erste Wahl. Okazaki zog sich im Trainingslager zwar einen Einriss des vorderen Kapselbandapparates im rechten Sprunggelenk zu, steht aber in Bälde schon wieder zur Verfügung. Zu einem Problem könnte es aber werden, dass es für Hajnal eigentlich keinen Backup gibt. Sollte der Ungar ausfallen, müsste ein hängender Stürmer (Harnik, Schieber) die Rolle übernehmen.
Im Sturm ist Cacau gesetzt, wenn nichts Außergewöhnliches passiert. Pawel Pogrebnjak stand Gerüchten zufolge schon mehrere Male dicht vor dem Abgang, jetzt bleibt der Russe doch in Stuttgart. Die eindeutig größeren Hoffnungen setzt der VfB aber ohne Zweifel in Julian Schieber.
Der Plan, den 22-Jährigen nach Nürnberg auszuleihen und ihn dort reifen zu lassen, ist für die Stuttgarter perfekt aufgegangen. Schieber hat beim Club gezeigt, was er drauf hat. Jetzt muss er den nächsten Schritt in seiner Entwicklung machen und sich auch beim VfB durchsetzen.
Schiebers Vorbereitung war zwar nicht optimal, weil er in Folge seines Muskelbündelrisses wichtige Einheiten verpasste, aber auf Sicht sollte er einer der Eckpfeiler der neuen VfB-Mannschaft werden. Wahrscheinlich wird Labbadia das System auch mal auf eine Variante mit zwei Stürmern umstellen, um Cacau und Schieber gemeinsam bringen zu können.
Der Spieler im Fokus
William Kvist. "Ich bin nicht Messi." Da hat ja schon mal jemand eine gesunde Selbsteinschätzung... "Ich bin auch nicht nur ein Kämpfer und nur ein Dribbler. Ich mag es, den Ball zu haben und den einfachen Pass zu spielen", führte der Däne weiter über sich aus.
Der VfB hat in der Vergangenheit schon genug Transferflops produziert, mit Kvist könnte ihnen jetzt mal ein guter Deal gelungen sein. Kvist hatte in der Vorbereitung zwar noch etwas mit der hohen Intensität zu kämpfen, die er aus Dänemark nicht in dem Maße gewohnt ist, dennoch sollte er den VfB verstärken. Und einen Abgang Träschs leichter verschmerzbar machen.
Denn Kvist ist nach sechs Jahren in Kopenhagen heiß darauf, sich in der Bundesliga zu beweisen. Er ist ein Leader. Und er ist ein Winner. Mit dem FC Kopenhagen wurde er zuletzt drei Mal in Folge Meister. Auf die neue Nummer 4 des VfB muss man auf jeden Fall achten.
Die Prognose
Hinrunde: 25 Punkte. Rückrunde: 39 Punkte. Hinrunde: 16 Punkte. Rückrunde: 39 Punkte. Hinrunde: 12 Punkte: Rückrunde: 30 Punkte. Was kommt jetzt? 8 Punkte in der Hinrunde? Es ist nicht zu fassen und höchst seltsam, was der VfB seit Jahren anstellt.
Und in jeder Saison ist es schlimmer geworden in der Hinrunde. Dann schmeißt man den Trainer raus, holt einen neuen und rollt das Feld von hinten auf. Das Motto für die neue Saison ist deshalb klar: Bitte nicht schon wieder!
Problem: Labbadia hat den VfB zwar stark aus der Abstiegszone geführt, aber die Geschichte spricht nicht dafür, dass man ausgerechnet unter Labbadia ausnahmsweise mal gut aus den Startlöchern kommt. Im Normalfall geht es unter Labbadia im zweiten Jahr bergab, da muss man nur in Leverkusen und Hamburg nachfragen.
Die Qualität, um die internationalen Plätze anzugreifen, ist im Kader vorhanden, aber dafür muss alles top laufen. Und zwar von Beginn an. Sonst droht eine Saison im Niemandsland.
Der Kader des VfB Stuttgart im Überblick