Wo ist das Bayern-Gen?

Von Für SPOX in der Allianz-Arena: Thomas Gaber
Der Verzweiflung nah: Luca Toni und die Bayern stehen vor dem Aus in der Champions League
© Getty

Durch das 0:2 gegen Bordeaux hat der FC Bayern fast alle Chancen in der Champions League verspielt. Die Mannschaft ist nicht in der Lage, über das Kollektiv die Ausfälle ihrer Kreativspieler zu kompensieren. Doch es gibt ein möglicherweise weitaus größeres Problem.

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Jahrelang wurde der FC Bayern München in Europa gehänselt. Die Mannschaft versprühe keinen Glanz und spiele Fußball mit Kalkül statt mit Lust. Nach einem Sieg in Madrid warf eine spanische Zeitung den Bayern vor, ihren Mannschaftsbus vor dem eigenen Tor geparkt zu haben.

Aber die Bayern wurden immer beneidet. Weil sie ihre Spiele (meistens) gewannen. Dreckig. Glücklich. Typisch deutsch eben.

Wer den Bayern nicht wohl gesonnen ist, hasst sie, bewundert sie aber insgeheim für ihre Fähigkeit, in den entscheidenden Momenten besser zu sein als der Gegner.

Auf das Wie kommt es dabei nicht an. Seit Anfang der 70er Jahre dominiert der FC Bayern die Bundesliga weitgehend und hat auch auf internationalem Terrain große Erfolge vorzuweisen. Doch die Fassade zeigt erste Risse.

Niederlagen in wichtigen Spielen

Es ist fast ein Jahr her, dass die Bayern zuletzt ein "Schlüsselspiel", eines von den wirklich wichtigen eben, gewonnen haben. Am 5. Dezember 2008 wurde die 1899 Hoffenheim durch ein Last-Minute-Tor von Luca Toni 2:1 bezwungen. Seitdem leckt der Boiler.

In der letzten Saison gingen die Spiele in Hamburg, Wolfsburg und gegen Schalke verloren. Dazu das Aus im DFB-Pokal in Leverkusen und das 0:4 in Barcelona.

In der laufenden Saison wurden die Spiele gegen Juventus, Hamburg, Bordeaux und Stuttgart nicht gewonnen. Immer dann, wenn man von den Bayern den einen, entscheidenden Schritt nach vorne erwartete, waren sie nicht präsent.

Das Champions-League-Heimspiel gegen Girondins Bordeaux wurde nicht zu Unrecht zum Schlüsselspiel schlechthin hochgejazzt. Die Konstellation in der Gruppe nach drei Spieltagen ließ eigentlich nichts anderes zu als einen Bayern-Sieg.

Kein Konzept, keine Gier

Das Ergebnis und die Art und Weise, wie es zustande kam, sind umso schwerer nachzuvollziehen. In der ersten Halbzeit stolperten die Münchner von einer Verlegenheit in die nächste. In der zweiten stimmte zwar die Einstellung, ein Konzept, Durchsetzungsvermögen und die unbedingte Gier nach Erfolg waren jedoch nicht erkennbar.

"In der Champions League muss man seine besten Spiele abliefern. Das haben wir nicht gemacht", resümierte Trainer Louis van Gaal. Es gibt einen plausiblen Grund, warum dem nicht so war: Van Gaal hatte nicht seine besten Spieler an Bord.

Eine lädierte Patellasehne verhindert seit Wochen einen Einsatz von Franck Ribery. Arjen Robben spielte zwar 45 Minuten, ist aber nach eigener Aussage "noch lange nicht bei 100 Prozent". Die Stammkräfte Thomas Müller und Daniel van Buyten waren gesperrt.

So diskutierten die SPOX-User während des Spiels

Bayern noch immer kein Kollektiv

"Wenn Ribery, Robben und auch Müller nicht dabei sind, fehlt es uns an Kreativität. Dann müssen wir über das Kollektiv kommen", sagte van Gaal nach dem Spiel. Doch dazu sind die Bayern (momentan) nicht in der Lage. Das Kollektiv funktioniert nicht.

Edson Braafheid und Danijel Pranjic waren gegen Bordeaux in erster Linie damit beschäftigt, ihre eigene Fehlerquote im Zaum zu halten. Die Stürmer warteten verzweifelt auf verwertbare Bälle und wenn sie mal einen bekamen, fehlten im Abschluss Ruhe und Präzision.

Schweinsteigers Positionswechsel fruchten nicht

Bastian Schweinsteiger war als einzig verbliebener Kreativspieler für Ideen im Spiel nach vorne zuständig, konnte einem wichtigen Spiel aber wieder einmal nicht seinen Stempel aufdrücken.

Seine auf van Gaals Anordnung permanenten Positionswechsel (erst defensiv als Sechser, dann offensiv als Zehner und später auf links), trugen ihr Übriges zur Verunsicherung bei. In der Bundesliga liegt die Quote der Pässe zum Mitspieler bei Schweinsteiger bei über 90 Prozent. Gegen Bordeaux waren es gerade mal 66 Prozent.

Hinzu kam ein Stellungsfehler von Mark van Bommel beim 0:1 ("Dieses Tor muss ich auf meine Kappe nehmen") und ein unnötiger Ausflug von Torhüter Jörg Butt beim 0:2.

User-Voting: Dreimal die Note 6!

Zweifelhafte Entscheidungen gegen Bayern

Es darf freilich nicht unerwähnt bleiben, dass den Bayern beim Stand von 0:0 ein klarer Elfmeter verweigert wurde und der Freistoß, der zum 0:1 führte, zweifelhaft war. Doch die Verunsicherung war bis unters Stadiondach zu spüren.

"Wenn du in der Liga Sechster bist und in der Champions League Dritter, hast du kein Selbstvertrauen. Das kriegt man nur durch Siege, und so oft haben wir ja noch nicht gewonnen. Letztendlich muss sich aber jeder an die eigene Nase packen", sagte Mario Gomez.

Philipp Lahm stellte fest, dass "wir uns zu wenige klare Torchancen herausspielen. Was wir im letzten Drittel vor dem gegnerischen Tor machen, ist einfach zu wenig."

Angewiesen auf Schützenhilfe aus Bordeaux

Noch ist der Einzug ins Achtelfinale möglich, doch nicht nur Lahm "fällt es schwer, daran zu glauben, wenn man 2:0 gegen Bordeaux verliert und auf Schützenhilfe angewiesen ist. Wir müssen weiter arbeiten, aber für die Champions League ist es wohl zu spät."

Die Bayern verlieren nicht nur den Glauben ans Weiterkommen, sondern auch ein bisschen an sich selbst. Auf die Frage eines Journalisten, warum der FC Bayern derzeit nicht in der Lage ist, Spiele mit dem Rücken zur Wand zu gewinnen, hatte Lahm keine Antwort parat.

Das Sieger-Gen, das sich die Bayern über Jahrzehnte erarbeitet haben, ist verschollen. Ein Stück Seele des Vereins macht sich auf und davon.

Nächste Chance gegen Schalke

Kommenden Samstag steht das nächste Schlüsselspiel an, wenn Schalke 04 in München aufschlägt. Louis van Gaal will versuchen, die Mannschaft bis dahin wieder aufzurichten.

Mit möglicherweise erschwerten Arbeitsbedingungen hat der Coach kein Problem. "Es ist immer unruhig bei Bayern München, wenn man verliert", sagte van Gaal.

Zu oft sollte er diese Erfahrung in nächster Zeit aber nicht mehr machen.

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