Ballack: Der Onkel mit den Tipps

Von Stefan Rommel
Anführer: Michael Ballack (M.) wird für Bayer Leverkusen immer wichtiger
© Getty

Michael Ballack hat kräftig ausgeteilt, seine zum Teil schroffe Kritik soll aber nur Mittel zum Zweck sein. Der 35-Jährige gefällt sich bei Bayer Leverkusen in einer neuen Rolle - und kurbelt nebenbei die Spekulationen um seine persönliche Zukunft geschickt an. Vor Champions-League-Gegner Chelsea (20.30 Uhr im LIVE-TICKER und bei Sky) warnt er.

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Es ist ja nicht so, dass Bayer Leverkusen völlig unvorbereitet wäre. Letztes Jahr hat sich der Klub den Zusatz "Vizekusen" patentrechtlich schützen lassen, damit "andere kein Schindluder treiben können", wie Bayer betonte.

Aber eben auch, weil selbst zweifelhaftes Image schließlich immer noch besser ist als gar keins, die Spur Selbstironie wird gratis dazu geliefert. Das Stigma des ewigen Zweiten wird seitdem vermarktet, das bringt ein paar Euro zusätzlich ein.

"Teilweise wie im Schlaraffenland"

Das Problem ist nur, dass das an der Mentalität des Klubs nichts ändert. Über die Maßen alimentiert von der Bayer AG, gilt Leverkusen seit Jahrzehnten als Ehrgeizling, der in allen Bereichen viel investiert, dafür aber unterm Strich deutlich zu wenig zurückbekommt.

"Teilweise wie im Schlaraffenland", hat Michael Ballack die Arbeitsbedingungen in Leverkusen vor ein paar Tagen genannt. Er hat in diesem Interview mit dem Pay-TV-Sender Sky auch noch ein paar andere Dinge gesagt, die nicht bei jedem Jubelstürme ausgelöst haben dürften.

Ballack, 35, hat jede Menge gesehen. In seiner Karriere ist er weit rumgekommen, hat in Kaiserslautern, München und London Meisterschaften gefeiert.

In der Komfortzone

In Leverkusen war er vor zehn Jahren auch schon, mal er kann die Veränderungen rund um den Klub deshalb kompetent beschreiben. Das runderneuerte Stadion, ein modernes Trainingsgelände, ein großer Stab an Betreuern, die Bayer04-Werkstatt, das bombastische Rehazentrum im Bauch der Arena. Sucht ein neuer Spieler eine Bleibe, hilft die Bayer 04 Immobilien GmbH gern.

Überall in der Bundesliga tummeln sich die Profi-Kicker in den viel zitierten Komfortzonen, in Leverkusen scheint dieses leichte Leben aber besonders ausgeprägt.

Vor der Saison sah sich Bayer gezwungen, einen tiefen Einschnitt vorzunehmen. Trainer Jupp Heynckes, der die Werkself zuerst auf Platz vier und dann zur Vizemeisterschaft geführt hatte, erlag ein drittes Mal den Verlockungen der Bayern, Robin Dutt war als Nachfolger erkoren.

Heynckes hatte es in großen Teilen geschafft, die Bayer eigene Mentalität zu unterdrücken - auch wenn es unter ihm auch nicht zum großen Wurf gereicht hat. Seit Beginn dieser Spielzeit sprießt die Kultur aber wieder: Sich zu schnell mit zu wenig zufrieden zu geben.

Reibung und Selbstkritik

Ballack spielt womöglich in seinem letzten Jahr als Profi, zumindest aber befindet er sich im Winter seiner Karriere. Er sieht, wie seine junge Mannschaft auch nach mehr als einem Drittel der Saison noch nach Konstanz sucht - also prescht er vor.

Sieben Punkte aus den letzten drei Spielen in der Bundesliga gegen Freiburg, Hamburg und Kaiserslautern sind in Ordnung. Den kommenden Gegner in der Champions League wird diese kleine Serie aber kaum beeindrucken, weshalb Ballack warnt. Auch wenn der FC Chelsea derzeit genug mit sich selbst zu tun hat.

"Es ist so, dass wir uns hier und da mehr reiben müssen. Wir müssen selbstkritischer miteinander umgehen. Es müssen sich nicht immer elf oder 15 Freunde in den Armen liegen und alles ist schön und toll. Am Wochenende verliert man und am Montag bist du wieder mein bester Freund", sagte er also vor dem Kaiserslautern-Spiel. "Wenn so eine Situation da ist, muss man sich auch mal reiben und sich die Wahrheit ins Gesicht sagen. Nur sind solche Worte immer unangenehm."

Allgemeinwohl oder Selbstbehalt?

Angesprochen durfte sich die komplette Mannschaft fühlen. Eine Reaktion seiner Kollegen steht aber bis heute aus. "Ich habe kein Feedback bekommen. Mir ist egal, wie es ankommt. Ich hoffe, dass es nicht gut ankam. Wir brauchen Diskussion, verschiedene Meinungen. Nur dann kannst du dich verbessern, dann geht es nach vorne. Wenn alle einer Meinung sind, gewinnst du nichts - außer du bist der FC Bayern München."

Die Frage ist, wie weit Ballack die Weiterentwicklung der Mannschaft im Sinn hat - oder ob seine ungewohnt scharfen Aussagen auch auf ein paar ganz persönliche Ziele hinarbeiten. Tatsache ist, dass sich Ballack das Recht auf ein paar härtere Töne durchaus erarbeitet hat.

Bayer fehlt die Konstanz

Nach fast anderthalb Jahren schlüpft er langsam in die Leaderrolle, die sich Bayer schon zu Beginn seiner zweiten Amtszeit versprochen hatte. Simon Rolfes hat er aus der Startelf gedrängt und der ist immerhin Kapitän. Da darf man auch mal wachrütteln und Dinge hinterfragen.

"Michael geht seit Wochen und Monaten voran, er bringt Topleistungen im Training und Topleistungen im Spiel, wurde von Woche zu Woche immer stärker und hat eine immer bessere Form abgerufen. Und wenn man mit Leistung vorausgeht, wird auch respektiert, wenn man etwas sagt. Er lebt den Erfolgswillen vor", findet Dutt, der unfreiwillig auch seinen Teil zu Ballacks neuer Machtfülle beigetragen hat.

Der Trainer und seine Mannschaft sind immer noch nicht im rechten Einklang unterwegs, auch wenn leichte Fortschritte zu erkennen sind. Dafür ist das Gebilde innerhalb des Teams noch zu wackelig. "Für die nötige Konstanz werden wir noch bis Weihnachten arbeiten müssen", hat er vor drei Wochen gesagt.

Da hatte ihm der Wind nach den beiden schmerzhaften Niederlagen gegen Köln (1:4) und bei den Bayern (0:3) schon rau ins Gesicht geblasen, das Profil des Trainers wirkte früh in der Saison angekratzt. Eine gefährliche Situation, wenn sich parallel dazu die Mannschaft noch in der Findungsphase befindet.

Ballack schlüpft in die Anführerrolle

Aber für einen wie Ballack ein besonders dankbares Terrain. Als eine der wenigen Konstanten hat er die letzten Wochen genutzt, um seinen Stellenwert auch Abseits von Toren und Vorlagen zu untermauern, seine Qualitäten als Anführer ins Spiel zu bringen. Und damit auch das Recht, Kritik zu äußern zurückzugewinnen.

Und das nutzt Ballack: "Die Mannschaft muss mehr Eigenverantwortung bringen. Vielleicht ist es der eine oder andere Spieler gewohnt, dass er mehr an der Hand genommen wird. Wir müssen weniger zufrieden sein. Du musst wissen, dass du auch etwas abliefern musst und gewinnen musst! Denn das kotzt einen an, wir sind ja etwas anderes gewohnt. Keiner spielt bei Bayer Leverkusen, weil er um den achten Platz spielen will..."

Trotz der teilweise drastischen Wortwahl wirkt er dabei aber so gar nicht aggressiv oder belehrend, sondern in sich ruhend und fast schon genussvoll. Wie der altersweise Onkel, der wertvolle Tipps erteilt.

Vorfühlen bei Klub und Mannschaft

Daneben, und das wird durch die Zeilen auch recht deutlich erkennbar, kokettiert er aber auch recht unverhohlen mit seiner ungewissen Vertragssituation. Der Kontrakt läuft im Juni nächsten Jahres aus. Also fühlt er schon mal vor und wartet die Reaktionen ab.

"Im Moment habe ich wenig Intention oder Überlegungen dahingehend, dass ich meinen Vertrag verlängern will", bekräftigte er seinen bereits im Sommer geäußerten Gedanken nochmal. Er wisse noch nicht, wie es im Sommer weitergehe.

"Er spricht nur eine offene Vertragssituation an und hat alles offen gelassen. Für mich ist wichtig, wie er sich momentan präsentiert und das tut er in einer ganz hervorragenden Form", blieb Dutt diplomatisch.

Vielmehr sind Ballacks Aussagen aber als Aufruf an seine Kollegen zu interpretieren. Der 35-Jährige hat vorgefühlt und seinen Standpunkt klar geäußert, jetzt beobachtet er die Entwicklung der Mannschaft in den kommenden Monaten.

Eine Woche - drei Statements

Ein Schuss Narzissmus schwingt dabei sicherlich auch noch mit. "Man hat mir im Alter meine fußballerische Klasse abgesprochen oder darüber diskutiert, ob ich in der Lage bin, den heutigen Fußball mitzuspielen oder zu prägen. Das hat mich schon ein bisschen getroffen", gab er zu.

Besonders sein Selbstverständnis haben die Diskussionen beschädigt, schließlich hat Ballack eine Dekade des deutschen Fußballs ganz entscheidend geprägt. Also macht er sich jetzt einen kleinen Spaß daraus und lässt den Spekulationen freien Lauf.

"Es ist normal, dass ich mir mit 35 Gedanken über die Zukunft mache. Aber es heißt nicht unbedingt, dass Schluss sein muss in der Bundesliga", sagte er unmittelbar nach dem Sieg in Kaiserslautern. "Zu einem Vertrag gehören immer zwei Seiten. Wenn ich gesund bleibe, hänge ich sicher ein Jahr dran."

Seinen Sportdirektor Rudi Völler dürfte das freuen, hat der mit Ballack doch jahrelang erfolgreich zusammengearbeitet. Zudem sind Völler und Ballack ohne Zweifel die beiden bedeutenden Aushängeschilder des Klubs.

"Ich habe immer gesagt: Lasst den Michael doch erst mal wieder regelmäßig spielen, dann sehen wir weiter", reagierte Völler auf Ballacks Umkehr von der Abkehr.

Der beendete eine abwechslungsreiche Woche dann aber mit dem goldenen Mittelweg: "Es gibt überhaupt keine Tendenz", so Ballack. "Ich habe schwere Monate hinter mir und will jetzt erst mal alles genießen."

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