Er floh vor dem Krieg in Kroatien und sieht Fußball als Kampf der Gladiatoren. Beim FC Bayern revolutioniert Mario Mandzukic das Stürmerspiel. Es gibt aber jemanden, der ihm die Doppel-Rolle in München streitig machen könnte.
Mato Mandzukic kommt nicht mehr oft nach Deutschland. Er hat Frieden geschlossen mit seinem Heimatland, es geht ja auch wieder aufwärts in Kroatien. 1992 war Mato mit seiner Familie aus Slavonski Brod geflohen, einer kleinen Stadt an der kroatisch-bosnischen Grenze.
Der Kroatien-Krieg hatte bereits den Tod vieler Zivilisten gefordert und Mato sah keine andere Alternative als zu gehen. Seine Fußballer-Karriere könne er ja vielleicht woanders fortsetzen.
"Für mich zählte nur, meine Familie in Sicherheit zu bringen. Menschen wurden vor unserer Haustür getötet, wir konnten nicht länger warten", erinnert sich Mato. Die Flucht gelingt, Familie Mandzukic landete im schwäbischen Ditzingen. Mato schließt sich der dort ansässigen TSF an und wird Mitspieler von Fredi Bobic und Sean Dundee. Sein Gehalt als Oberligaspieler reicht gerade aus, um seine Frau und die beiden Kinder durchzubringen.
Fußball war Marios großes Ding
"Wir hatten nicht viel Geld, aber wir konnten ohne die ständige Angst leben", sagt Mato. Sohn Mario spielt in dieser Saison ebenfalls Fußball, in der F-Jugend der TSF Ditzingen. Er entpuppt sich schnell als großes Talent, vor allem durch seinen Einsatz weiß Mario aufzufallen. "Ich habe früh gemerkt, dass Sport und vor allem Fußball sein Ding war", sagt Vater Mato.
1996 ist der Traum von einem besseren Leben aber vorerst vorbei. Die Familie muss nach Kroatien zurück, eine längere Aufenthaltsgenehmigung wird den Mandzukics verwehrt.
Mario schließt sich dem NK Marsonia an und begegnet dort Ivica Olic. Der sieben Jahre ältere Olic wird für Mandzukic zum Vorbild, vor allem nachdem dieser 1998 einen Vertrag bei Inter Mailand unterzeichnet hatte.
Das kleine, kriegsgebeutelte Kroatien war gerade WM-Dritter in Frankreich geworden dank des unnachahmlichen Davor Suker, der auch Torschützenkönig wurde.
"Unsere Landsleute vergötterten uns. Wir gaben ihnen zumindest für ein paar Wochen ein bisschen Lebensfreude zurück. Wir Spieler waren glücklich, in einem WM-Halbfinale zu stehen, aber noch viel glücklicher machte es uns, die Bilder von feiernden Menschen in Kroatien zu sehen", erinnert sich Suker.
Abstiegskampf mit Wolfsburg
Von da an waren kroatische Spieler en vogue und für Mario Mandzukic stand fest: es gibt nur eine Möglichkeit - den Profifußball. Über NK Zagreb kommt er 2007 zu Kroatiens Vorzeigeklub Dinamo Zagreb, schießt bis 2010 in 109 Ligaspielen 54 Tore, wird dreimal in Folge Meister und zweimal Pokalsieger.
Weil er aber mehrfach mit Dinamo in der Qualifikation zur Champions League scheitert, wechselt Mandzukic im Sommer 2010 zum VfL Wolfsburg.
Marios Schwester Ivana ist da schon längst wieder in Deutschland. Bereits 2007 kehrte sie nach Ditzingen zurück, heiratete und brachte einen Sohn zur Welt. Bruder Mario wird in der Wahlheimat nur bedingt glücklich.
Zwar kommt er beim VfL unter Trainer Steve McClaren regelmäßig zum Einsatz, meist allerdings nur als Einwechselspieler. Auch nach dem Verkauf von Edin Dzeko zu Manchester City im Januar 2011 ändert sich seine sportliche Situation zunächst nicht.
Wolfsburg schwebte im Frühjahr 2011 in akuter Abstiegsgefahr, sodass der Verein sich veranlasst sah, seinen einstigen Erfolgstrainer zurückzuholen: Felix Magath, Meister-Coach von 2009. Und Magath krempelt die Mannschaft um, Mandzukic ist ab sofort Stammspieler. Mit acht Toren in den letzten sieben Spielen hat der Stürmer maßgeblichen Anteil am Klassenerhalt.
Fußball ist Gladiatoren-Kampf
"Mario hatte eine vorbildliche Einstellung und war der beste Stürmer im Kader. Ich habe nicht verstanden, warum er vorher nicht gespielt hat", sagte Magath.
Hassan Salihamidzic, Mandzukics Mitspieler in Wolfsburg, schwärmt ebenfalls von dessen Einsatzbereitschaft. "Eigentlich hat es fast jede Woche im Training zwischen uns geknallt. Aber danach war wieder alles vergessen. So muss es sein. Das hat mir an ihm so gut gefallen."
Seine Leidenschaft ist Mandzukics größter Trumpf. Er liebt das persönliche Duell mit dem Gegenspieler; für ihn ist das "Stadion wie eine moderne Gladiatoren-Arena. Wenn ich da rausgehe, will ich kämpfen, in Duelle gehen und am Ende natürlich am liebsten gewinnen", sagt Mandzukic.
Mit Kroatien fährt er 2012 zur EM und schießt in den ersten beiden Spielen gegen Irland und Italien drei Tore. Bei seinem Treffer zum 1:1 gegen die Squadra Azzurra haben zwei Spieler das Nachsehen, die Mandzukic neun Monate später noch einmal im großen Stil ärgern sollte: Giorgio Chiellini und Gianluigi Buffon.
Rummenigge fragt bei Hoeneß nach
Der große Wurf bleibt Mandzukic mit Kroatien verwehrt; nach einem unglücklichen 0:1 gegen Spanien ist das Turnier nach der Vorrunde vorbei. Persönlich wird die EM für Mandzukic aber zum Triumph: Der FC Bayern München ist interessiert.
Präsident Uli Hoeneß erinnert sich: "Karl-Heinz Rummenigge rief mich nach einem Spiel der Kroaten an und fragte mich, was ich von Mandzukic halte und ob wir den nicht verpflichten sollten. Ich war sehr angetan von der Idee."
Ein paar Tage später einigten sich die Bayern mit Wolfsburg über den Transfer, die Ablösesumme betrug 13 Millionen Euro. Viel Geld für einen Spieler, der bei einem Mittelklasse-Bundesligaklub zwar ein paar Tore erzielt, vor allem aber international bis dato wenig vorzuweisen hatte.
Doch Mandzukic rechtfertigte die Summe mit einer sensationell guten ersten Saison im Bayern-Trikot. "Ich bin von mir nicht überrascht. Ich weiß aber, dass ich vielleicht andere Leute überrascht habe, die anfangs ein bisschen skeptisch waren", sagt der 26-Jährige.
"Ich weiß, dass ich alles schaffen kann"
Seine schwierige Kindheit hat ihn gelehrt, dass man mit Fleiß viel erreichen kann. "Ich bin locker, konzentriere mich auf meine Arbeit und lasse mich nicht von irgendwelchen Dingen negativ beeinflussen. Ich glaube an mich, was aber nicht heißt, dass ich mich für den Besten halte. Ich weiß einfach, dass ich alles schaffen kann, was ich mir vornehme. Das hält mich ruhig."
Diskussionen über den Konkurrenzkampf mit Mario Gomez lassen Mandzukic kalt, ein unüberlegtes Wort über Kollegen, geschweige denn eine Kampfansage würde ihm nie über die Lippen kommen.
"Nur weil die Journalisten das gerne hören würden, mach ich es noch lange nicht. Ich konzentriere mich auf meine Arbeit und das gelingt mir ganz gut", sagte er im Januar im Interview mit SPOX.
Mit 15 Bundesligatoren ist Mandzukic der beste Torschütze des FC Bayern, seinen Status als Stürmer Nummer eins hat er die gesamte Saison über gehalten. Mandzukic bringt neben dem Toreschießen eine Komponente ins Bayern-Spiel, die für den Erfolg im heutigen Fußball unabdingbar ist.
Experte im Solopressing
Mandzukic ist als Stürmer erster Verteidiger seiner Mannschaft. Was beim 2:0 gegen Juventus besonders auffiel, praktiziert Mandzukic bereits die gesamte Saison: das aggressive, geschickte, weil mitunter verzögerte Anlaufen der Verteidiger. Mandzukic ist kein Weg zu weit, er ist bei gegnerischem Ballbesitz Einzelkämpfer und ewiger Störenfried zwischen den Linien.
Sein Aktionsradius ist gewaltig, egal ob die Bayern den Ball haben oder dabei sind, im Gegenpressing den Ball führenden Gegenspieler zu jagen. Für die "Süddeutsche Zeitung" zelebrierte Mandzukic gegen Juventus die höchste "Kunstform moderner Defensive: das Solopressing".
Blog: Mandzukic - Ode an einen Unbesungenen
Auffallend dabei ist, dass Mandzukic nach einer eigenen Balleroberung gleich wieder als Anspielstelle im Umschaltspiel funktioniert. Dieser Stürmertyp ist keine bahnbrechende Neuigkeit im Fußball, für die Mannschaft des FC Bayern in seiner Radikalität dagegen schon.
"Wenn er 20 Meter vor uns ist und grätscht, könnte ich ihm einen Kuss geben. Seit Anfang der Saison agieren unsere Stürmer so, und das ist schön zu sehen. Das ist der Schlüssel zum Erfolg", sagte Daniel van Buyten nach dem Sieg gegen Juventus.
Konkurrenz aus Dortmund?
Trainer Jupp Heynckes sieht in Mandzukic einen "vorbildlichen Profi, der zu jeder Zeit Tipps annimmt, um sich weiter zu verbessern." Mandzukic gibt das Kompliment gerne zurück: "Ich habe unter Magath schon viel Taktik gelernt. Aber unser Trainer gibt viele Dinge vor, die ich versuche umzusetzen. In jeder Trainingseinheit lerne ich dazu."
Bislang hat Mandzukic seine Doppel-Rolle bei Bayern aus Toreschießen und Verteidigung in vorderster Front gewinnbringend ausgeführt. Allerdings führt der Spagat mitunter dazu, dass im Zentrum vor dem Tor ein Spieler fehlt, der die Anspiele von den Flügeln und der Mitte verwertet. Mandzukic malocht auch gerne in der eigenen Hälfte und agiert dann auf gleicher Höhe wie die defensiven Mittelfeldspieler.
Ein anderer Spieler in der Bundesliga kriegt die Doppel-Rolle noch ein klein wenig besser hin als Mandzukic: Robert Lewandowski. An dem sind die Bayern ja stark interessiert. Doch Mario Mandzukic lässt sich nicht einfach verdrängen: "Es ist mir egal, über welche Namen gesprochen wird. Ich spiele, weil ich hart arbeite und meine Leistung bringe. Genau wie jeder andere Spieler auch."
Mario Mandzukic im Steckbrief