Ganz zum Schluss kam Jürgen Klopp noch die Treppe hoch. Eigentlich war schon alles gesagt zu diesem Abend. Den immer gleichen Fragen folgten die immer gleichen Antworten der Geschmacksrichtung "Wahnsinn", "unglaublich", "emotional" oder auch "unglaublich emotional".
Im Überschwang der totalen Erlösung konnte auch Klopp wieder feist lächeln - und dennoch erzählte sein Gesicht von den Strapazen der vorangegangenen zwei Stunden.
Die Saison beinahe weggeworfen
Als Stadionsprecher Norbert Dickel nach 90 Minuten die Nachspielzeit verlas und gefühlt eher aus Pflicht denn Überzeugung noch einmal an die Unterstützung der Dortmunder Zuschauer appellierte, durfte man sich Klopps Analyse der Partie als die reinste Enttäuschung ausmalen.
Wieder und wieder hatte Klopp die Fans im Vorfeld beschwichtigt, eine große Portion Nachsicht und Geduld für seine Mannschaft mitzubringen, das Rückspiel gegen den FC Malaga könnte trotz der vermeintlich guten Ausgangsposition eine zähe Angelegenheit werden. Also hielten sich die Fans auch an des Trainers Anweisung.
Und was machte Klopps Mannschaft? Spielte aufgeregt, hippelig, ungeduldig. Just so, wie man in einem Champions-League-Viertelfinalspiel tunlichst nicht auftreten sollte. Also war mit Anbruch der Nachspielzeit alles schon so gut wie vorbei. Die traumhaft schöne Champions-League-Saison mit einem Schlag weggewischt.
Hochachtung vor Malaga
"Es wäre brutal gewesen, so auszuscheiden", sagte Ilkay Gündogan.
Er war der Leidtragende einer imposant konsequenten Defensivleistung der Gäste aus Spanien, die sich wie eine Gummiwand um die gefährliche Zone vor dem eigenen Tor schmiegten und Dortmunds Maschinenraum lahmlegten. Gündogan wurde weder in Manndeckung genommen noch wurde er besonders aggressiv attackiert.
Gündogan wurde die Zufuhr an Zuspielen gekappt, alle Räume um ihn herum zugeparkt. Ohne den Spielmacher 1B Mats Hummels wurde Malagas Konzept schnell zu einem veritablen Problem für die Borussia, das sich im Grunde bis kurz vor Schluss auch nicht mehr beheben ließ.
"Wir hatten schon lange keine Mannschaft mehr hier, die so gut verteidigt hat", sagte Hummels selbst, der sich das Bemühen der Kollegen 86 Minuten lang von der Bank mit ansehen musste. "Das war eine perfekte taktische Leistung von Malaga. Aus dem Spiel heraus hatten wir so wenige Chancen herausgespielt wie schon seit sehr langer Zeit nicht mehr."
"Selten so wenig inspiriert gesehen"
So lieferte der BVB eine Reminiszenz an die vergessen geglaubte vergangene Champions-League-Saison. Mit stetem Bemühen, aber zu vielen kleinen und großen Fehler, kurz: die schlechteste Partie dieser Spielzeit.
Ob das nun der Tatsache geschuldet war, dass die Borussia erstmals als klarer Favorit in ein Spiel gegangen und mit dem Druck nicht klar gekommen war, bleibt Thema der Stammtische. Tatsache ist: "Ich habe uns ganz selten so wenig inspiriert spielen gesehen. Zu wenig Bewegung, die Jungs waren zu ungeduldig. Das hat das Spiel so entstehen lassen. Malaga verteidigt gut, aber wir waren auch leicht zu verteidigen in der ersten Halbzeit. Ganz ehrlich: Wenn wir heute rausgeflogen wären, wären wir rausgeflogen, weil wir nicht gut waren", gab Klopp unumwunden zu.
Schlussphase in Trance
Eine Mixtur aus Glück, krassen Fehlentscheidungen der Referees und Willen gepaart mit einer unerklärlichen Disziplinlosigkeit des Gegners in den letzten Sequenzen des Spiels hob Borussia Dortmund dann doch noch in die Runde der letzten Vier. "Wir haben sie in den letzten Minuten wild bekommen. So musste das sein, wenn man noch zwei Tore zu schießen hat", sagte Hummels. Die letzten Augenblicke nach dem Ausgleich durch Marco Reus habe er "wie in Trance erlebt".
Als die Dortmunder Spieler den Ball nach Reus' Treffer in der 91. Minute zurück zur Mittellinie trugen, wollte der kurz zuvor eingewechselte Nuri Sahin in Marcel Schmelzers Augen erkannt haben, dass hier gleich noch etwas Außergewöhnliches passieren wird. An seinem Blick habe er gesehen, "dass wir das Spiel jetzt auch noch gewinnen", sagte Sahin. 69 Sekunden später bebte im Dortmunder Süden die Erde.
"Wir waren schon tot. Und auf einmal sprangen mir glaube ich 20 Leute in den Rücken, das war unglaublich. Das war bis jetzt glaube ich der emotionalste Moment überhaupt. So etwas kann man gar nicht beschreiben. Heute genießen wir natürlich diesen Moment, weil es ein großer Moment für uns ist", ordnete BVB-Boss Hans-Joachim Watzke den wohl denkwürdigsten Abend seiner Amtszeit ein.
"Spielanlage" aus der Kreisklasse
Da hatte er schon eine Schlacht der Köpfe erlebt, dem von Klopp auf der einen und dem schlauen Manuel Pellegrini auf der anderen Seite. Der Chilene war die Tage vor dem Spiel nicht bei seiner Mannschaft, weil er seinen Vater daheim in Santiago zu Grabe tragen musste. Vor diesem persönlichen Schicksalsschlag hatte der in Spanien und seiner Heimat nur "der Ingenieur", genannte Pellegrini das Hinspiel seziert bis ins kleinste Detail und seiner Mannschaft die Schwach- und Ansatzpunkte des Gegners offengelegt.
Klopp reagierte darauf zweimal entscheidend, stellte erst seine Offensivformation um und brachte dann neben Gündogan in Sahin noch einen zweiten Spielgestalter. Pellegrinis Antwort hieß 30 Sekunden später Eliseu, und der Portugiese erzielte nur elf Minuten nach seiner Einwechslung das 1:2.
Der entscheidende Kniff um die Partie zweier hochprofessionell-moderner Mannschaften zu entscheiden aber war einer aus dem Repertoire der Kreisklasse. Mit der Hereinnahme von Hummels hatte der BVB de facto sechs Angreifer auf dem Feld. Hummels fütterte die nominellen Stürmer und die nach vorne aufgerückten Neven Subotic und Felipe Santana mit langen Zuspielen, in der Hoffnung auf jede Menge zweite Bälle in der gefährlichen Zone. Und dann war da Reus, dann war Santana...
Von nun an wieder Außenseiter
"Ich habe mich in meinem ganzen Leben noch nie so erleichtert gefühlt", sagte Subotic. "Wir haben heute einen Hollywood-Film erlebt." Seine Mannschaft habe noch keine schwierigen Momente erleben müssen in dieser Saison, hatte Klopp vor dem Spiel bekannt.
"Wer aber ins Halbfinale will, muss damit umgehen können und außergewöhnlich gut sein." Das hat seine Mannschaft nun bewiesen und das ausgegebene Ziel erreicht. Was nun noch kommt, wird zur Zugabe.
Und ab sofort, und das ist gewiss, wird Borussia Dortmund wieder Außenseiter sein. Das dürfte allen Beteiligten ziemlich recht kommen.
Borussia Dortmund - FC Malaga: Daten zum Spiel