SPOX: Herr Hrubesch, haben Sie nach der Bekanntgabe von Joachim Löws WM-Kader viele SMS bekommen?
Horst Hrubesch: Ich ahne, worauf Sie anspielen. Der Kontakt zu den Jungs ist nie abgerissen, und er wird auch über die Jahre bestehen bleiben. Ich bin froh, dass das eingetroffen ist, was ich den Spielern nach dem EM-Titel prophezeit habe: Dass dieser Triumph auf ihrem Weg nach ganz oben sehr hilfreich sein wird.
SPOX: Mit Neuer, Aogo, Jerome Boateng, Khedira, Özil und Marin stehen gleich sechs Ihrer ehemaligen Spieler in Löws Aufgebot. Was macht den U-21-Jahrgang von 2009 so besonders?
Hrubesch: Ich kenne die meisten schon aus den Jugendnationalmannschaften. Über ihre fußballerischen Qualitäten brauchen wir nicht zu reden. Dazu kommt, dass es alles starke Charaktere sind. Echte Typen, die eine eigene Meinung haben und Dinge auch mal hinterfragen. Als die Spieler zu mir gekommen sind, waren sie - mit Ausnahme von Manu (Neuer; d. Red) und Benedikt Höwedes - in ihren Mannschaften noch nicht die tragenden Figuren. Diese Spieler mussten erst in Führungsrollen hineinwachsen. Als Trainer habe ich versucht, sie auf dem Weg zu leiten und an diese Rollen heranzuführen. Sami Khedira war bei der U-21-EM unser Kapitän und ist inzwischen zum Beispiel ein klarer Leader.
SPOX: Welche Charaktereigenschaften sind Ihnen wichtig?
Hrubesch: Ich fordere immer wieder ein, dass die Spieler vor allem sich selbst gegenüber ehrlich sind. Ich erwarte, dass sie selbst realistisch beurteilen können, ob sie gut oder schlecht gespielt haben, ob sie wirklich alles für das Team gegeben haben. Und ich erwarte, dass sie sich Gedanken über ihre Position hinaus machen.
SPOX: War Kevin-Prince Boateng einer, der nicht in diese Philosophie gepasst hat?
Hrubesch: Kevin-Prince Boateng ist bei uns ausgeschieden, weil er angeschlagen war und wir nicht wussten, ob er 100 Prozent fit sein würde. Ich hatte ihn schon als 17-Jährigen in meiner Mannschaft und weiß natürlich, dass er kein einfacher Spieler ist. Er hat bei mir aber immer ordentlich gespielt, da habe ich ihm nichts vorzuwerfen.
SPOX: Bedauern Sie es, dass er sich gegen die deutsche Nationalmannschaft entschieden hat?
Hrubesch: Die Spieler müssen selber entscheiden, was sie machen. Wir können ihnen nur anbieten, für uns zu spielen. Wir werden keinen zwingen. Aber auch Kevin-Prince Boateng hätte mit seinem Talent die Möglichkeit gehabt, für Deutschland zu spielen. Sein Bruder macht es vor.
SPOX: Binden Sie Spieler in wichtige Entscheidungen ein?
Hrubesch: Absolut. Für mich ist es wichtig, dass wir einen Konsens finden. Was wollen wir machen, wie wollen wir spielen? Wenn man das gemeinsam angeht, dann ist man auch erfolgreich. Ich möchte, dass sich die Spieler hinterfragen: 'Kann ich diese Position spielen? Wie komme ich mit dieser Aufgabe klar?'
SPOX: Wie fördern Sie solche Dinge?
Hrubesch: Ich lasse zum Beispiel im Training auch mal den linken Außenverteidiger mit dem linken Mittelfeldspieler zusammen spielen. Da gibt es dann klare Absprachen, wie sie sich im Zusammenspiel verhalten sollen, wann der Wechsel kommt, solche Geschichten. Je mehr sie sich mit solchen Dingen auseinandersetzen, umso mehr profitieren sie davon und umso leichter wird es für sie. Es ist wichtig, dass beide Seiten offen und ehrlich miteinander umgehen.
SPOX: Das Konzept scheint aufzugehen.
Hrubesch: Wir haben jetzt hervorragende junge Spieler. Aber wir müssen weiterarbeiten und an dem eingeschlagenen Konzept festhalten, damit wir auch in Zukunft erfolgreich sind. Das kann alles nur der Anfang gewesen sein. Es wäre grundfalsch, sich jetzt zurückzulehnen.
SPOX: Was kann getan werden, um Talente noch besser zu fördern?
Hrubesch: Es wird immer davon abhängen, wie viel Spielpraxis die Klubs den jungen Spielern geben. Auch ein Spieler mit den besten Anlagen kann nur dann richtig gut werden, wenn er spielt. Deshalb ist es so wichtig, dass Talente den Sprung in die Profimannschaft schaffen und dort auch zum Einsatz kommen. Schauen Sie sich Neuer, Höwedes, Hummels, Kroos, Özil oder Khedira an, die sind alle über diese Schiene gekommen.
SPOX: Die oft gehörte Meinung, dass man junge Spieler zu schnell verheize, teilen Sie also nicht?
Hrubesch: Nein. Wir sind als Trainer dafür verantwortlich, dass wir da aufpassen. Das heißt aber nicht, dass wir Talente auf der Bank versauern lassen sollten.
SPOX: Werden die jungen Spieler in Südafrika dem Druck einer WM gewachsen sein?
Hrubesch: Auf jeden Fall. Es sind eigenständige Typen, die wissen, was sie tun müssen. Sie wissen, dass sie sich jetzt nicht ausruhen dürfen. Aber da sind auch keine Spieler dabei, die dazu neigen. Es kann nur über die Arbeit gehen.
SPOX: Welchem Ihrer U-21-Europameister trauen Sie in Südafrika den ganz großen Sprung zu?
Hrubesch: Naja, es wäre ja traurig, wenn ich da einen herausgreifen würde. Deshalb sage ich einfach mal: allen. Sie haben alle riesiges Potenzial.
SPOX: Sie sind ja bei Ihrer Arbeit auch auf viele internationale Shootingstars getroffen. Auf wen müssen wir da bei der WM besonders achten?
Hrubesch: Ich wurde in den vergangenen Jahren als U-19- oder U-21-Trainer vor Länderspielen so oft gefragt, was ich denn gegen die Wunderkinder der gegnerischen Mannschaften machen wolle, aus Spanien beispielsweise. Ich war aber viel gespannter darauf, was die denn gegen meine Wunderkinder machen. Wir neigen immer dazu, woanders hinzukucken. Ich habe es mir abgewöhnt, über die sogenannten Wunderkinder der anderen Länder zu reden. Wir haben selber welche. Schauen Sie sich mal Marin, Özil, Boateng und Neuer und die anderen an. Wer hat die sonst? Schauen Sie mal bei den Spaniern, ob die solche Spieler haben.SPOX: Und welche Ihrer aktuellen Spieler sind die aussichtsreichsten Kandidaten für die EM 2012?
Hrubesch: Peniel Mlapa, der von 1860 München zu Hoffenheim gewechselt ist, ist ein Spieler, der alle Voraussetzungen hat, um irgendwann mal da oben anzukommen.