Marcel Schmelzer soll die Dauerbaustelle links in der Viererkette schließen. Bundestrainer Joachim Löw stellt dafür extra nochmal um. Die jüngere Vergangenheit zeigt aber, dass auf den Dortmunder eine große Aufgabe wartet.
Man kann den Spaniern ihre vielen Titel neiden, die sie in den letzten Jahren als Seriensieger eingesackt haben. Und sicherlich auch ihre Spielkunst, die oft kopiert, aber bis heute nicht erreicht ist. Nun ist es ja nicht so, dass selbst so eine Jahrhundertmannschaft ab und an auch mal ein paar Probleme hat.
Eine vermeintliche Schwachstelle hatte die Konkurrenz bei den Iberern immer links in der Viererkette ausgemacht. Zwar ist Spanien auch mit - oder vielleicht trotz? - Joan Capdevila Europa- und Weltmeister geworden. So richtig glücklich waren sie in Spanien über die Besetzung in der Peripherie der Viererkette aber nicht.
Spanien entdeckt Alba
Die Position des Linksverteidigers ist womöglich die Mangelposition des Weltfußballs, selbst die größten und finanzstärksten Klubs Europas halten zumeist vergeblich Ausschau nach geeignetem Personal. Und was machen die Spanier?
Werfen bei der jüngst abgelaufenen EM einfach mal einen unerfahrenen Spieler ins Rennen. Von Jordi Alba war vor dessen erstem großen Turnier nur wenig bekannt, am ehesten noch die Transfersumme, die sein Klub FC Valencia vom FC Barcelona überwiesen bekommt (13 Millionen Euro).
Alba spielte ein ganz vorzügliches Turnier und Trainer Vicente del Bosque darf auf seiner Checkliste auch die letzte offene Frage für die nächsten Jahre als geklärt markieren. Alba ist 23 Jahre jung.
Löw benennt das Problem
Joachim Löw hat den Rivalen lange Zeit als jene Mannschaft definiert, an der sich sein Team orientieren solle. Davon ist er in den Monaten vor der EM etwas abgewichen. Insgeheim aber bleiben die Spanier schon so etwas wie das Vorbild für so ziemlich jede Mannschaft der Welt.
Der Bundestrainer kann sich durchaus glücklich schätzen, dass ihm die Nachwuchsleistungszentren da einen superb sortierten Fundus an Einzelkönnern gebastelt haben. Nur für zwei Positionen wird schon seit Jahren kein Nachschub mehr produziert. "Wir haben einige sehr gute Spieler. Aber es gibt auch einige Positionen, auf denen wir noch nicht Weltklasse sind. Das ist Fakt", sagt Löw.
Mario Gomez und Miroslav Klose harren im Angriff der Dinge, wer ihnen über kurz oder lang entweder Konkurrenz machen (Gomez) oder in zwei Jahren in Altersteilzeit schicken wird (Klose). Und dann sind da noch die Außenbahnen der Viererkette.
Zahlreiche Probanden
Seit Philipp Lahm sein erstes Länderspiel absolviert hat, im Februar 2004 war das, wird sein Äquivalent gesucht auf der anderen Seite. Dreimal hat Lahm schon seine Sachen gepackt und ist von einem Flügel auf den anderen umgezogen. Immer in der Hoffnung, dass nun für wahlweise rechts oder links endlich eine stabile, nachhaltige Lösung gefunden wurde.
Die Liste der Probanden ist ellenlang, fast ein kompletter Kader: Arne Friedrich, Andreas Hinkel, Thomas Hitzlsperger, Malik Fathi, Christian Pander, Christian Schulz, Clemens Fritz, Marcell Jansen, Marcel Schäfer, Andreas Beck, Gonzalo Castro, Dennis Aogo, Holger Badstuber, Lars Bender, Jerome Boateng haben sich versucht.
Kein einziger kann von sich behaupten, dauerhaft Stammspieler auf der Außenbahn gewesen zu sein. Am ehesten noch Friedrich, der sein stärkstes Turnier vor zwei Jahren aber als Innenverteidiger absolviert hat.
Löw setzt auf Schmelzer
Jetzt hat sich der Bundestrainer aber auf einen neuen Kandidaten versteift. Marcel Schmelzer soll nach ein paar Länderspielen Anlaufzeit endlich die Lücke links hinten dicht machen.
"Gegen die Färöer hat mit Holger Badstuber ein Innenverteidiger als linker Verteidiger gespielt. Oder im Sturm, wo ich mit Miroslav Klose nur einen Angreifer nominiert habe. Das sind Positionen, auf denen wir noch sehr viel machen müssen bis zur Weltmeisterschaft. Daran müssen wir arbeiten", sagt Löw.
Schmelzer bringt als Reputation sieben Länderspiele mit, von denen mehr verloren wurden (drei) als gewonnen (zwei). Dazu zwei Meisterschaften und einen Pokalsieg mit seinem Klub Borussia Dortmund, ein paar Einsätze auf internationalem Parkett - und die Erfahrungswerte, die er als Tourist bei der EM sammeln durfte.
Weiterbildung als EM-Tourist
Vor ein paar Wochen traute Löw ihm noch nicht zu, die linke Seite zu bearbeiten. Jetzt glaubt der Bundestrainer, "dass Schmelzer bei uns angekommen ist und angreifen wird." Der Dortmunder hat von seiner Beförderung vor ein paar Tagen erfahren. Schmelzer seien die Wochen im Kreis der Mannschaft unheimlich wichtig gewesen, wie er selbst sagt.
"Es reicht schon, allein mit diesen Spielern zusammen zu sein. Mesut Özil, Miroslav Klose. Oder auch Philipp Lahm. Man kann sich die eine oder andere Sache abgucken. Bei der Nationalmannschaft habe ich mich aber - auch durch die EM - immer besser eingefunden", so Schmelzer in einem Interview der "WAZ".
Zu viel Druck für Linksverteidiger
Dass in den letzten Jahren so viele an dem Versuch gescheitert sind, eine dauerhafte Lösung zu werden, ist Schmelzer durchaus bewusst. Der Dortmunder hat dafür auch einen eigenen Erklärungsansatz.
"Man muss sehen, dass die Linksverteidiger auch immer wahnsinnig unter Druck gesetzt wurden. Sogar, bevor sie überhaupt gespielt haben. Jedes Mal, wenn ein neuer Spieler auf dieser Position auftauchen sollte, hieß es sofort: Ah, das ist die Lösung für die nächsten fünf, sechs Jahre!"
Er selbst habe das auch schon erfahren müssen, seitdem er im November 2010 gegen Schweden seinen ersten Einsatz im DFB-Dress gefeiert hat. "Ich denke, der Druck war immer groß, auch der Druck, der auf mir lastete. Der Fokus war 90 Minuten lang auf unsere Leistungen gerichtet, auf das, was wir aus dieser Position gemacht haben. Aber ich sehe das nicht mehr ganz so dramatisch wie am Anfang."
Die große Bewährungschance
Er sei jetzt lockerer, lasse die Kritik von Außenstehenden nicht mehr so an sich ran. Sein letztes Länderspiel war sein bestes.
Beim 1:3 gegen Argentinien vor drei Wochen spielte Schmelzer solide in der Defensive und beherzt in der Offensive. So soll es weitergehen, gleich am Dienstag gegen Österreich (20.20 Uhr im LIVE-TICKER).
In Wien wird Schmelzer wieder in die Mannschaft rücken, nachdem ihn gegen die Färöer eine Prellung am linken Fuß außer Gefecht gesetzt hatte. Dann beginnt für ihn die Zeit der Bewährung. Zumindest bis zum letzten Spiel des Jahres gegen die Niederlande im November will Löw jetzt auf den Dortmunder setzen.
Bis dahin bleiben vier Chancen, dem Bundestrainer genügend Argumente für eine Weiterbeschäftigung zu liefern. Dann könnte Schmelzer für sehr lange Zeit gesetzt sein. Er ist ja auch erst 24 Jahre alt.