Da konnte sich selbst Jens Keller ein Lächeln nicht verkneifen. "Was macht denn der Trainer besonders gut", wollte eine Reporterin von Timo Hildebrand wissen.
Der Torhüter des FC Schalke 04 war um eine passende Antwort, die den Trainer, der im Presseraum der Istanbuler Türk-Telekom-Arena daneben saß, schmeichelt, aber nicht aufgesetzt wirkt, bemüht.
Ob der Tatsache, dass man zu diesem Zeitpunkt - es war Ende Februar, Schalke gewann nur eins von elf Pflichtspielen - öffentlich über eine vorzeitige Ablösung des Trainers auf Zeit sprach und Keller damals in der Tat nicht viel Zählbares vorweisen konnte, war die Frage eine echte Mammutaufgabe.
Keller setzt auf die Jugend
Keller lächelte immer noch, Hildebrand sprach derweil von guter Trainingsarbeit, ließ es dann aber auch sein. Würde die Frage heute wieder kommen, könnte man sie gehaltvoller ausschmücken. Eine Handschrift Kellers ist inzwischen zu erkennen, Schalke spielt phasenweise ansehnlichen und erfolgreichen Fußball und mit etwas Glück wäre Königsblau heute Champions-League-Viertelfinalist.
Aber es sind nicht nur die blanken Ergebnisse, die man auf die Habenseite des Jens Keller schreiben müsste. In einer schwierigen Phase, in der jede seiner Handlungen kritisch beäugt wurde, setzte der angezählte Coach auf junge Spieler wie Max Meyer (17), der beispielsweise beim 2:2 in Mainz ein Tor vorbereitete, aber vor allem auf Sead Kolasinac (19).
Dieser ist wenige Spiele später nicht nur eines der Aushängeschilder der Schalker Zukunft, sondern auch neuerdings Mitglied der deutschen U-21-Nationalmannschaft. Als einzigen Neuling nominierte Rainer Adrion den Youngster für das Länderspiel in Israel. Die dortige EM im Sommer winkt, auch wenn er wegen einer Zahn-OP zunächst noch auf sein Debüt warten muss.
Adrions Einladung geschah dabei sehr zum Missfallen des bosnischen Verbands, der Kolasinac gar eine Anstellung in der A-Nationalmannschaft angeboten hatte. Nationaltrainer Safet Susic resignierte aber schon früh genug, bevor man überhaupt mit Kolasinac sprechen konnte. "Was sollen wir tun?", fragte Susic die Medien, die eine sofortige Einladung einforderten.
"Ich muss mich kneifen"
Mit gerade mal acht Bundesliga-Spielen im Gepäck ist Kolasinac Hoffnungsfunke zweier Nationen und des FC Schalke. Der Aufstieg des Youngsters geschieht in einem Tempo, das nicht allzu überraschend kommt, aber dennoch bemerkenswert ist. "Ich muss mich manchmal noch kneifen", sagt er selbst.
Im Sommer nahm Schalkes Ex-Trainer Huub Stevens den Youngster mit ins Auftakt-Trainingslager, was erst einmal noch kein eindeutiger Hinweis für den Durchbruch war. Als der Niederländer Kolasinac aber auch für das zweite Camp nach Kärnten nominierte, bekam der Name ein Gesicht. Dort versammelten sich die Spieler, die für die Bundesliga vorgesehen waren.
"Ich brauche Zeit und versuche in jeder Trainingseinheit alles zu geben", sagte Kolasinac damals kleinlaut. Im Juni sagte Schalkes Nachwuchsleiter Oliver Ruhnert bei SPOX, dass "Sead irgendwann in der Bundesliga spielen wird". Nur drei Monate später wechselte Stevens den Youngster beim 2:0 in Fürth für ein paar Sekunden ein, ließ eine zweite Einwechslung wenige Wochen später folgen.
Körperliche und geistige Präsenz
Als Kolasinac in der Bundesliga wieder auftauchte, war Stevens längst weg und die Situation längst eine andere. Schalke war nicht mehr Titelkandidat, sondern der Krisenklub der Bundesliga. Dass Keller in diese Phase Kolasinac ob seiner körperlichen und geistigen Präsenz immer öfter brachte und irgendwann Routinier Christian Fuchs durch ihn ganz ersetzte, stellte sich als Glücksgriff heraus.
Wie groß das Vertrauen in Kolasinac, der schon in der Wintervorbereitung auf sich aufmerksam machte, war, zeigt die winterliche Verleihe von Sergio Escudero nach Getafe, war der Spanier doch eigentlich der etatmäßige Fuchs-Vertreter auf der Linksverteidiger-Position.
Der Auftritt in der Champions League bei Galatasaray (1:1) war ein Meilenstein. Kolasinac war unter schwierigen Bedingungen womöglich bester Schalker und am nächsten Tag sogar bei der türkischen Presse ein Gesprächsthema. "Das ist einfach ein klasse Bursche", sagt Schalkes Sportchef Horst Heldt, der Kolasinac einst von der U 19 des VfB Stuttgart nach Gelsenkirchen holte.
Der Wandel
Wer Kolasinac bis dahin nicht kannte, durfte beim Blick auf die Vita stutzig werden. Als A-Jugendlicher war er schon bei seinem vierten Verein, nachdem er zunächst beim Karlsruher SC begann, weiter zu 1899 Hoffenheim zog und über Stuttgart dann auf Schalke landete.
"Es gab Vorfälle bei seinen vorherigen Klubs. Wir haben ihm unmissverständlich klar gemacht, was wir von ihm erwarten", erinnert sich Nachwuchsleiter Ruhnert an die Verpflichtung Anfang 2011.
Kolasinac wechselte nicht nur Vereine, sondern auch seine Berater. Alles Vergangenheit. "Den Sead von damals würde man heute gar nicht mehr erkennen. Er hat sich absolut positiv entwickelt", sagt Ruhnert. In der Tat: Mit der Schalker U 19 wurde er deutscher Meister, gewann im Finale gegen Bayern München. Kolasinac war Leistungsträger und Führungsspieler, ging vorneweg.
Die Sache mit den Nachnamen
Der Weg zu den Profis war frei, wo er auf Brüder im Geiste traf. Jermaine Jones und Kyriakos Papadopoulos nennt Kolasinac Vorbilder. Mit dem Letzteren könnte er aufgrund seiner Physiognomie verbrüdert sein. "Ich habe schon von vielen gehört, dass wir uns ähneln", sagt Kolasinac. Verwandt sind sie aber nicht.
Nur zwei Fragen müssen noch beantwortet werden. Da ist zum einen seine Stammposition. Er selbst nennt die Innenverteidigung als seine Paraderolle, auch das defensive Mittelfeld. In der Jugend war er auch in der Offensive zu finden, in der Bundesliga bisher zumeist als Linksverteidiger.
"Wenn man flexibel einsetzbar ist, kann das nur von Vorteil sein", sagt Kolasinac. Die Vorteile daraus zieht er bisher. Ein polyvalenter Spieler eben, wie es im Lucien-Favre-Deutsch so schön heißt.
Aber da ist auch noch die Sache mit seinem Nachnamen. Wie spricht man ihn denn aus? Kolasinatsch? Kolasinaz? Alles falsch. "Kolasinak". Ah ja.
Sead Kolasinac im Steckbrief