Borussia Dortmund hat das DFB-Pokalfinale gegen den FC Bayern München im Elfmeterschießen verloren und verpasste es damit, eine starke Saison mit einem Titelgewinn zu krönen. Trainer Thomas Tuchel zeigte sich in der Stunde der Niederlage sehr reflektiert und selbstkritisch. Es bleibt die Frage: Wählte Tuchel eine zu defensive Herangehensweise?
Als Douglas Costa am Samstagabend den entscheidenden Elfmeter zugunsten des FC Bayern im Dortmunder Tor unterbrachte, brachen die Tränen aus Pep Guardiola heraus. Vom Spanier fiel eine Menge Druck ab, seine Spieler rannten jubelnd über den Rasen.
Guardiolas Gegenüber Thomas Tuchel war nur kurz darauf der erste Gratulant vom Gegner. Tuchel lief in die Hälfte der Gewinner, nahm Guardiola in den Arm und sprach ihm Glückwünsche aus.
Als Tuchel nur Momente nach der offiziellen Sieger-Zeremonie im Bauch des Berliner Olympiastadions vor die Presse trat, bewies er nach seinem größten Spiel als Coach Größe und die von ihm so häufig zitierte Haltung.
Tuchel fühlt Niederlage "sehr inhaltlich"
Wie schon nach dem bitteren Europa-League-Aus in Liverpool lieferte Tuchel eine beeindruckend reflektierte, aber auch selbstkritische Vorstellung ab. Selbstkritisch deshalb, da er die Niederlage "gerade sehr inhaltlich" fühle, wie er bekannte.
Tuchel haderte zunächst sehr offen über die Art und Weise, wie die Zusammenstellung der Dortmunder Elfmeterschützen zustande gekommen war. Er kreide sich als Trainer an, dass er "in dieser kurzen Zeit" zwischen Abpfiff und Beginn des Elfmeterschießens auf seine Mannschaft "nicht so beruhigend einwirken konnte".
Die beiden Innenverteidiger Sven Bender und Sokratis, die zuvor 120 tadellose Minuten abgerissen hatten, verschossen ihre beiden Versuche. Tuchel hatte sich so kurz nach der Partie bereits entschieden: Dies hätte er nicht zulassen sollen.
"Kann das gerne auf mich nehmen"
"Sie haben nach dieser Defensivleistung direkt mit Abpfiff gesagt, dass sie schießen würden. Da habe ich eine Gelegenheit verpasst, einfach jemand anderen zu bestimmen. Deshalb kann ich das gerne auf mich nehmen. Das soll nicht vorwurfsvoll rüberkommen. Es war sehr schwer, Schützen zu finden und auf diese noch mehr beruhigend einzuwirken. Und es war auch bezeichnend für das Spiel, dass Sven Bender und Sokratis diejenigen waren, auf die das gewirkt hat und die gesagt haben, schießen zu wollen. Ich habe das Gefühl, dass es meine Aufgabe gewesen wäre, das zu verhindern und andere in die Verantwortung zu nehmen und zu zeigen, dass ich diese auch mittrage. Ich kann aber nicht sagen, ob wir dann gewonnen hätten", führte Tuchel aus.
Eine enorm lange, aber aus Dortmunder Sicht dennoch erfolgreiche Spielzeit fand somit ohne Happyend ihren Schluss. Der BVB spielte unter Tuchel eine Saison, deren qualitative Grenzen nach oben lange offen zu sein schienen. Tuchels Truppe ging über das Jahr gesehen schnell mehrere Entwicklungsschritte.
Doch keine Prozente mehr übrig
Die Borussia aus dem Mai 2016 spielte jedoch unterhalb des Niveaus, das man bereits erreicht hatte. Genau dies ärgerte Tuchel nun, er nimmt für sein Team immer die höchst mögliche Messlatte zum Maßstab.
Doch seine Mannschaft war in den letzten Wochen, nachdem die Entscheidungen in Europa und der Bundesliga gefallen waren, wohl auch körperlich nicht mehr in die Lage, noch einmal eine weitere kleine, aber höhere Stufe zu erreichen.
"Es sind noch ein paar Prozente übrig", prognostizierte Tuchel am Freitag vor der Partie. "Ich möchte, dass wir genauso auftreten, dass uns das durchdringt. Das ist eine schmale Stufe, die wir uns da erlauben dürfen und die macht auch den Unterschied aus."
Wählte Tuchel die richtige Marschroute?
Dieser Balanceakt gelang seinem Team aber nicht mehr. In weiten Teilen reagierte der BVB nur, anstatt selbst zu agieren. Dies ist gegen einen vor allem gruppentaktisch so exzellent aufeinander abgestimmten Gegner wie den FC Bayern natürlich auch von Haus aus knifflig.
Wählte Tuchel jedoch, der mit einer Fünferkette verteidigen ließ, auch die richtige Marschroute, um diesen Münchnern Paroli bieten zu können?
Will man gegen Guardiolas Bayern eine Chance haben, geht es verkürzt gesagt darum: Man muss Druck auf sie ausüben können, ohne dafür zu viele eigene Spieler zu gebrauchen und die Präsenz in anderen Zonen des Spielfelds zu vernachlässigen.
Tuchel sieht Luft nach oben
Wie schon beim Rückspiel in der Bundesliga (0:0 in Dortmund) entschied sich Tuchel für die Fünf-Mann-Kette in der letzten Linie. Er plante jedoch nicht, durch diese Strategie auf den eigenen (offensiven) Ballbesitz verzichten zu wollen - eben dies war damals noch das Problem.
"Mir würden teilweise Situationen einfallen, die wir qualitativ besser spielen können und wichtig gewesen wären, um den Gegner damit auch zu beeindrucken. Mit Ballbesitz, mit Zurückdrängen in die eigene Hälfte und ihnen Aufgaben zu geben, die sie nicht gewohnt sind. Da war die meiste Luft nach oben", sagte Tuchel.
Tuchels Ballbesitzmannschaft gelang es erneut nicht, Guardiolas Ballbesitzmannschaft den Ball lange genug wegzunehmen. Damit genau das eben nicht eintritt, hätte man Tuchel für das Finale auch die Wahl einer mutigeren Grundordnung zugetraut.
Das 1:5 als anschauliches Beispiel
Bei Dortmund klafften jedoch wieder zu große Löcher zwischen den Konterspielern Marco Reus, Henrikh Mkhitaryan und Pierre-Emerick Aubameyang und dem defensiven Mittelfeld. Bayerns Gegenpressing kappte diese Verbindungen häufig, das Aufbauspiel des BVB lahmte. Tuchel griff während des Spiels auch mehrfach ein, das Loch im Zentrum bei eigenem Ballbesitz und Umschaltspiel konnte er allerdings nicht dauerhaft schließen.
Und so mag nach drei Aufeinandertreffen zwischen Dortmund und Bayern in der nun abgelaufenen Saison schon beinahe die saftige 1:5-Hinspielpleite in München als anschauliches Beispiel dienen, um die spielerische Dominanz des Tuchelschen BVB gegen den Rivalen besser auf den Platz zu bekommen.
Damals stand Dortmund im in der Hinrunde häufig praktizierten 4-3-3 sehr hoch im Feld, kam zu größeren Ballbesitzanteilen und hatte kürzere Wege im Konterspiel. Das Verteidigen der Tiefe geriet in der Allianz Arena dann zur schwierigsten Angelegenheit, bisweilen begünstigten auch individuelle Fehler die hohe Niederlage. In dieser Partie kam Dortmunds Spiel Tuchels eigentlicher Philosophie allerdings am nächsten.
"Wir müssen handlungsschneller werden"
"Es gibt viel zu lernen und es ist sehr aufschlussreich. Hunger, Herz und Mentalität kann man uns nicht absprechen. Das soll die Basis unseres Spiels werden", ließ der BVB-Trainer wissen. "Es gibt für uns viele Rückschlüsse zu ziehen. Wir brauchen noch mehr Überzeugung bei eigenem Ballbesitz und müssen handlungsschneller werden."
Wie er mit Blick auf die Zeit vor dem Elfmeterschießen selbst bekannte, gilt der letzte Punkt auch für ihn. Borussia Dortmund und Tuchel werden weiter tüfteln und es im nächsten Jahr erneut versuchen. Die bisherige Entwicklung dieser Zusammenarbeit dürfte auch durch die vierte Endspielniederlage in Serie keinen wesentlichen Bruch erleiden.
FC Bayern München - Borussia Dortmund: Daten zum Spiel