Mehmet Scholl muss zum Rapport

Haruka Gruber
06. Oktober 200916:31
Bayern-II-Trainer Mehmet Scholl ist parallel auch als TV-Experte für die "ARD" tätigGetty
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Was passiert mit den Bayern-Stars der Zukunft? Was passiert mit dem nächsten Philipp Lahm oder Bastian Schweinsteiger? Die zweite Mannschaft des FC Bayern blamiert sich in der 3. Liga bis auf die Knochen und rangiert auf dem vorletzen Platz. Werner Kern, als Leiter der Bayern-Jugendabteilung auch verantwortlich für Bayern II, schlägt Alarm und geht mit Trainer Mehmet Scholl hart ins Gericht. Denn ein Abstieg in die vierte Liga wäre "eine Katastrophe" für den gesamten Verein.

SPOX: Sie sagten Ende August nach der dritten Niederlage der Saison und dem Abrutschen auf den letzten Platz der 3. Liga, dass Sie von der Vorstellung der Bayern II geschockt seien. Hält der Schockzustand immer noch an?

Werner Kern: Das ist kein Schock mehr. Wir machen uns Gedanken, wie wir unsere Lage verändern können. Wir wissen zwar in etwa, warum wir verloren haben, aber wir müssen jetzt die Ergebnisse analysieren und mit Manager Uli Hoeneß reden.

SPOX: Warum hat Bayern II in zwölf Spielen bereits sieben Mal verloren und 30 Gegentore kassiert?

Werner Kern (l.), Leiter der Bayern-Jugendabteilung, und Hermann GerlandImago

Kern: Unser Problem: Es sind brutal viele individuelle Fehler dabei. Wir können unsere Fehler nicht abstellen.

SPOX: Woher kommen die Fehler?

Kern: Das ist eine Sache, worum sich Mehmet Scholl kümmern muss. In jedem Spiel gibt es Blackouts. So wie zuletzt in Erfurt bei Torwart Maximilian Riedmüller, der über den Ball tritt. Wir kassieren das 0:1, die Mannschaft ist geschockt und wir verlieren am Ende 0:2.

SPOX: Warum sind die Spieler derart verunsichert?

Kern: In der Aufstellung wird viel gewechselt. Wir brauchen Kontinuität. Das Wichtigste ist, dass Mehmet Scholl weiß, was seine beste Mannschaft ist, und diese auch spielen lässt - auch wenn es mal nicht so gut läuft.

SPOX: Scholl lässt zuviel rotieren?

Kern: Ja.

SPOX: Stimmt das Verhältnis zwischen Scholl und der Mannschaft?

Kern: Ich bin bei den Einzelgesprächen nicht dabei, daher kann ich nichts dazu sagen. Was ich aber sagen kann: Mehmet Scholl versteht sehr viel von Fußball und Mehmet Scholl hat eine sehr gute Ansprache an die Mannschaft. Die Jungs wissen, dass er ein klasse Spieler war und ihnen sehr viel von dem weitergibt, was er selbst erlebt hat. Aber keine Frage: Der Scholl muss jetzt gewinnen. So kann es nicht weitergehen. Wir dürfen nicht absteigen.

SPOX: Gibt es eine Krisensitzung?

Kern: Wir werden uns in den kommenden Tagen unterhalten. Dieses Wochenende ist spielfrei, und durch die Nationalmannschaftspause haben Uli Hoeneß und Christian Nerlinger etwas Zeit. Wir werden alles in vernünftiger Art und Weise besprechen und diskutieren.

SPOX: Scholl hat am Sonntag angedeutet zurückzutreten.

Kern: Das hat er relativiert. Ich habe ihn am Montag darauf angesprochen, was das Zitat zu bedeuten hatte. Er sagte mir, dass es nur eine ganz kleine Replik und nicht so gemeint war.

SPOX: Scholl wird in Kürze seine Trainerausbildung fortsetzen müssen. Wird das ein Problem?

Kern: Auf uns kommen schwere Zeiten zu. Mehmet muss Mitte November den A-Trainerschein nachholen und 2010 die Fußballlehrer-Ausbildung absolvieren. Das wird nicht einfach und wird alles in dem geplanten Gespräch mit Uli Hoeneß und Christian Nerlinger einfließen. Klar ist, dass es eine Belastung ist. Das war auch der Grund dafür, Rainer Ullrich als Co-Trainer zu verpflichten...

SPOX: ... mit dem Mehmet Scholl schon als Jugendspieler gearbeitet hat.

Kern: Rainer Ullrich hat das totale Vertrauen von Mehmet Scholl und kann ihn vertreten. Nichtsdestotrotz wird Mehmet aufgrund der Lehrgänge nicht so mit der Mannschaft kommunizieren können, wie er das normalerweise tut.

SPOX: Ist es ein denkbares Szenario, dass Hermann Gerland, Co-Trainer der ersten Mannschaft, als Cheftrainer der Bayern II zurückkehrt und Scholl ihm assistiert?

Kern: Ich bin nicht Uli Hoeneß, der für eine solch weitgreifende Entscheidung zuständig wäre, aber ich kann es mir nicht vorstellen. Louis van Gaal hat mit Sicherheit gemerkt, was für einen tollen Mann er mit Hermann Gerland hat. Daher wird er ihn auch nicht hergeben.

SPOX: Weiteres mögliches Szenario: Es kommt ein erfahrener Trainer, um den Abstieg zu verhindern.

Kern: Nein, um Gottes Willen, das ist bei uns überhaupt kein Thema im Moment. So wie der Verein strukturiert ist, kann ich mir das nicht vorstellen. Wir versuchen, intern reinen Tisch zu machen und die Dinge aufzuarbeiten. Wir denken überhaupt nicht extern.

SPOX: Mehmet Scholl fordert in der "tz" Verstärkungen für die Mannschaft, da einige Spieler "die Grundgesetze des Fußballs mit den Füßen treten" würden.

Kern: Mehmet Scholl sagt, dass er neue Spieler braucht. Aber es ist nicht so einfach, wie es sich alle vorstellen. Man kann nicht ankommen und wechselt fünf Spieler aus. Als U-23-Mannschaft können wir nur drei Spieler einsetzen, die älter sind als 23 Jahre. Mit Christian Saba und Danny Schwarz sind zwei Plätze aber bereits vergeben. Und wo sollen wir einen Spieler unter 23 finden, der uns weiterhilft? Den gibt es fast nicht in Deutschland. Daher müsste man im Ausland schauen, aber das kostet eine Menge Geld.

SPOX: Ist es eine Option, noch häufiger Spieler aus der ersten in der zweiten Mannschaft einzusetzen?

Kern: Wir haben bei Luca Toni und Alexander Baumjohann gesehen, dass es nicht so viel bringt, einen Spieler runterzuziehen, der bei den Profis integriert ist. Wir brauchen den normalen Weg aus der Jugend nach oben. Denn wenn du oben bist, ist es immer schwer, nach unten zu gehen.

SPOX: Heißt es, dass zukünftig keine Bundesliga-Profis mehr in der 3. Liga spielen sollten?

Kern: Das entscheidet ein Mann, und der heißt Louis van Gaal.

SPOX: Anders gefragt: Sind in die 3. Liga beorderte Profis eher kontraproduktiv für die zweite Mannschaft?

Kern: Das kommt immer darauf an. Mark van Bommel zum Beispiel würde sich auch in der zweiten Mannschaft bis zur letzten Sekunde zerreißen.

SPOX: Und ein Christian Lell?

Kern: Da brauchen wir gar nicht anzufangen. Er will nicht spielen, dann braucht er auch nicht spielen. Es soll nur spielen, wer spielen will. Mehmet Scholl hat es ja bewiesen. Er hat damals auch in der zweiten Mannschaft gespielt, weil er fit werden wollte. Und das hat er fantastisch gemacht. Er hat es kapiert. Es ist eben eine Frage der Mentalität. Der Weg nach unten ist für einige sehr schwierig.

SPOX: Neben unmotivierten Profis wie Lell prangerte Scholl die mangelnde Athletik der Mannschaft an und sagt: "Meine Spieler sind körperlich nicht gut ausgebildet." Gab es Fehler in der Jugendförderung? Gab es Fehler im Scouting?

Kern: Mehmet Scholl hat sich mit diesen Dingen überhaupt noch gar nicht befasst. Wir sind tagtäglich da. Zurzeit wird vieles an Mario Erb aufgehängt. Aber er war nicht umsonst Stammspieler bei der U-17-WM 2007, als Deutschland Dritter wurde. Die Spieler entsprechen den Anforderungen, da kann man nicht sagen, wir haben schlecht gescoutet oder ausgebildet.

SPOX: Fühlen Sie sich zu Unrecht an den Pranger gestellt?

Kern: Es gibt immer Spieler, die entwickeln sich gut. Und es gibt Spieler, die entwickeln sich nicht so gut. Aber wir haben sieben Mann im Kader der ersten Mannschaft und in der Champions League gegen Juventus Turin standen fünf Spieler von uns von Anfang an auf dem Platz. Da kann man doch nicht sagen, wir machen Fehler oder wir wüssten nicht, wie es geht mit der Ausbildung. Das lasse ich mir nicht anhängen.

SPOX: Sind die Aussagen von Scholl unbedacht?

Kern: Ich weiß es nicht und ich würde nicht jedes Wort von ihm auf die Goldwaage legen. Mir erzählt er auch manchmal das und manchmal das. Aber ich muss sagen: Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen.

SPOX: Was würde ein Abstieg für den Gesamtverein FC Bayern bedeuten?

Kern: Es wäre eine Katastrophe. Wir haben eine so gute Ausbildung und so gute Spieler, denen wir nicht zumuten können, in der Regionalliga zu spielen. Daher müssen wir den Abstieg mit allen Umständen verhindern.

SPOX: Hätten ein Badstuber oder Müller den Sprung aus der vierten in die Bundesliga nicht geschafft?

Kern: Genau das. In der 3. Liga haben sie fantastische Zuschauerzahlen, großen Druck, da müssen sie sich durchsetzen, da werden sie mental gestärkt. Das wollen wir, das ist den Anspruch, den wir an die jungen Spieler haben. Es ist kein Zufall, dass unsere Leute in der ersten Mannschaft alle mindestens ein Jahr in der 3. Liga gespielt haben, ob es nun Philipp Lahm, Bastian Schweinsteiger, Michael Rensing, Andreas Ottl, Christian Lell oder zuletzt Holger Badstuber oder Thomas Müller sind. Der Übergang ist entscheidend.

SPOX: Warum?

Kern: Badstuber und Müller kamen aus der A-Jugend in die zweite Mannschaft und nach einem Jahr haben sie sofort den Sprung in die Bundesliga geschafft. Das ist der richtige Weg. Toni Kroos hat dieses eine Jahr 3. Liga nicht gehabt. Das geht ihm noch heute ab. Wenn er das Jahr gehabt hätte und normal von Hermann Gerland weiter ausgebildet worden wäre, hätte er den Umweg zu Bayer Leverkusen nie nehmen müssen.

SPOX: Wenn Kroos nicht so früh hochgezogen worden wäre, hätte er in der Entwicklung weiter sein können?

Kern: Hundertprozentig. Dann hätte er die Dinge gelernt, die ihm fehlen und die er jetzt nachholen muss.

SPOX: Badstuber und Müller profitieren demnach von den Fehlern mit Kroos?

Kern: Wir haben den Weg über die 3. Liga immer vorgezeichnet. Aber jetzt haben wir einen anderen Cheftrainer. Damals hat Ottmar Hitzfeld Kroos nach oben beordert, da kann man als Trainer der zweiten Mannschaft nicht sagen: 'Nein, den gebe ich dir nicht.' Das war das Problem.

Die Tabelle der 3. Liga: Bayern in akuter Abstiegsgefahr