"Ein Stück Mainz 05 geht verloren"

Benedikt Treuer
11. März 201611:17
Sandro Schwarz ist seit 2015 Trainer der Mainzer U23getty
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Unter Sandro Schwarz ist die U23 des 1. FSV Mainz 05 zur besten zweiten Mannschaft Deutschlands gereift. Im Interview spricht der begehrte Nachwuchs-Coach über seinen Werdegang, einen Anruf bei Jürgen Klopp, das Interesse von RB Leipzig und Flausen, die manch einem Jugendspieler aus dem Kopf vertrieben werden müssen. Außerdem erklärt er, wie der Verein mit dem Abgang von Christian Heidel umgehen muss.

SPOX: Herr Schwarz, die Mainzer U23 trägt ihre Heimspiele im Bruchwegstadion aus. Kommt es dort oft vor, dass Sie noch an den Erstliga-Aufstieg von 2004 zurückdenken? Damals standen Sie selbst noch auf dem Platz.

Sandro Schwarz: Es passiert zwar nicht jede Woche, aber hin und wieder habe ich das Bild schon noch vor Augen. Der Bruchweg ist ein besonderer Ort für Mainz 05. Der erste Bundesliga-Aufstieg der Vereinsgeschichte war für mich persönlich auch der größte Erfolg meiner Karriere.

SPOX: Zuvor hatte Mainz den Aufstieg zweimal ganz knapp verpasst. War dieser Aufstieg das Emotionalste, was Sie bisher im Fußball erlebt haben?

Schwarz: Die Freude kann man nicht in Worte fassen, das geht sicherlich jedem Aufsteiger so. Bei uns war die Situation aber ganz speziell, da wir in den zwei Jahren zuvor nur an einem Punkt beziehungsweise einem Tor gescheitert waren. Dass wir diesen Weg im Heimspiel gegen Trier, als eigentlich gar keiner mehr mit dem Aufstieg rechnete, doch zu Ende gebracht haben, war unglaublich.

SPOX: Sind es diese drei Jahre, die den Verein besser charakterisieren als alles andere?

Schwarz: Ich glaube schon, dass man das so sagen kann. Mainz 05 ist nach jedem Rückschlag wieder aufgestanden. Vor dem Aufstiegsjahr hatte uns keiner so richtig auf dem Zettel. Wir hatten zwar zweimal sehr überraschend um den Aufstieg mitgespielt, letztlich sagten nach dem knappen Scheitern 2003 aber alle: 'Jetzt ist mal Schluss mit den Kameraden aus Mainz.' Dass wir es doch geschafft haben, spricht auf jeden Fall für den tollen Charakter dieses Vereins.

SPOX: War das der Hauptgrund, weshalb Sie 2013 wieder nach Mainz zurückkehrten, um die A-Jugend zu trainieren?

Schwarz: Ich bin hier geboren und aufgewachsen. Da musste ich nicht lange überlegen. Als Volker Kersting, der das Nachwuchsleistungszentrum leitet und auch mich damals schon betreut hat, auf mich zukam, stand die Entscheidung für mich quasi schon fest. Ich brauchte nicht noch irgendein Bauchgefühl abwarten. Wer sich hier nicht wohlfühlt, ...

SPOX: Der...?

Schwarz: Keine Ahnung, woran es dem noch fehlt. (lacht)

SPOX: Als Martin Schmidt im Februar 2015 Nachfolger von Kasper Hjulmand bei den Profis wurde, übernahmen Sie seinen Posten bei der U23. Es ist nicht das erste Mal, dass der FSV auf die interne Lösung setzt. Hatten Sie ein bisschen darauf spekuliert, irgendwann in den Profi-Bereich aufzurücken?

Schwarz: Nein, das war nie ein Thema. Ich hatte großen Spaß an der Arbeit im Jugendbereich und hätte dort gerne auch noch weitergearbeitet. Es gab keinen Plan, der mich nach zwei Jahren bei der U23 vorsah oder Ähnliches.

SPOX: Nachdem Sie 2009 Cheftrainer bei Wehen Wiesbaden wurden, riefen Sie direkt Jürgen Klopp an. Wie war das, als Sie überraschend die U23 übernahmen? Gab es wieder den obligatorischen Anruf?

Schwarz: Den brauchte es nicht mehr, nein. Wir haben uns damals am Telefon nur darüber kaputtgelacht, dass es uns ähnlich ergangen war. Mein Selbstverständnis des Trainerdaseins ist mittlerweile aber deutlich ausgeprägter als es beim Wechsel vom Spieler zum Trainer der Fall war. Das war damals sehr überraschend, zumal ich noch gar keine Lizenz hatte. Ich habe aber schon früh begonnen, mich mit den Dingen zu beschäftigen, die das Spiel ausmachen. Darüber bin ich auch ganz froh, denn in so vielen anderen Bereichen könnte ich mir mich selbst momentan gar nicht vorstellen. (lacht) Ich bin wirklich glücklich, meine Leidenschaft jeden Tag auch beruflich weiter voll ausleben zu können.

SPOX: Zu Ihrer aktiven Zeit spielten Sie einige Jahre unter Klopp. Hat er Sie in Ihrer heutigen Trainerarbeit geprägt?

Schwarz: Was uns beide geprägt hat, war die Zeit, als wir noch zusammen unter Wolfgang Frank gespielt haben. Wir hatten das Gefühl, mit weniger Talent mehr erreichen zu können als manch ein Gegner. Das hatte vor allem mit aggressivem Verteidigen und ballorientiertem Raumverhalten zu tun. Damals hat uns vor allem interessiert, wie wir den Gegner stören oder Räume belaufen. Mit der Zeit mussten wir uns aber auch verstärkt mit dem eigenen Ballbesitz beschäftigen. Ich habe bei all meinen Stationen neue Dinge mitgenommen oder selbst entwickelt. Natürlich hat mich Kloppo auch als Trainer inspiriert.

SPOX: Ist seine Art, Fußball spielen zu lassen, aber zu sehr vom Typ Jürgen Klopp abhängig, als dass man sie kopieren könnte?

Schwarz: Für diese Spielweise braucht man Emotionalität und maximale Bereitschaft. Das kann nicht jeder. Trotzdem gilt es jeden Spielstil immer weiter zu verfeinern. Ein System ist nie ausgereift. Nur Vollgas geht auch nicht - darauf stellen sich die Gegner irgendwann ein. Nach vier Wochen können die eigenen Spieler den Hokuspokus auch nicht mehr hören. Man kann nicht jede Woche irgendwelche Wunderdinge vollbringen, das nutzt sich schnell ab. Das fordert immer wieder neue Elemente im Umschalt- oder Positionsspiel.

SPOX: Ihre Mannschaft ist die jüngste im deutschen Profifußball. Sie haben sie vom Abstiegsaspiranten zum respektablen Drittligisten entwickelt. Philipp Klement sagte nach der letzten Saison aus, dass das Team einen klaren Plan vom Trainer bekommen habe und vor allem deshalb so erfolgreich spiele. Wie sieht dieser Plan denn aus?

Schwarz: Wichtig ist, dass man seinen Prinzipien treu bleibt. Die Arbeit gegen den Ball hat oberste Priorität. Das Vorwärtsverteidigen, der Schrittwechsel beim Anlaufverhalten: Das sind Dinge, die unabhängig von der Grundordnung sitzen müssen. Es ist uns wichtig, dass die Jungs wissen, wie sie nach Ballverlusten direkt wieder ins Gegenpressing reinkommen, ohne dabei Konter zu fressen. Sind wir wieder im Ballbesitz, wollen wir uns natürlich die Freiheit nehmen, direkt wieder umzuschalten und mit hohem Tempo in die Räume zu stoßen, in denen es für den Gegner gefährlich wird. Man soll uns gerne frech nennen. Wir geben dem Team Lösungen an die Hand, die nicht an bestimmte taktische Formationen gebunden sind.

SPOX: Ist es ohne diese große Flexibilität heute gar nicht mehr möglich, auf höchstem Niveau Erfolg zu haben?

Schwarz: Meine feste Überzeugung ist, dass nicht die Grundordnung, sondern die Verhaltensweise entscheidend ist. Es reicht nicht mehr, nur eine Idee konsequent durchzuziehen. Man muss sich breit auffächern, gerade bei den eigenen Mustern im Ballbesitz. Wenn man sich prinzipientreu bleibt, sind es nur Nuancen, die man mit der Grundordnung ergänzen muss - egal, ob man im 4-2-3-1, mit einer Mittelfeldraute oder einer defensiven Dreierkette spielt.

SPOX: Arno Michels, Co-Trainer von Thomas Tuchel, erklärte im vergangenen Jahr im SPOX-Interview, welch großen Stellenwert in ihrer Trainingslehre auch die geistigen Fähigkeiten der Spieler haben. Tuchel legt großen Wert darauf, auch das Gehirn zu schulen. Welche Rolle spielt das bei Ihnen?

Schwarz: Definitiv auch eine große. Die Kunst ist es, die Trainingsform so zu gestalten, dass die Jungs im Unterbewusstsein Lösungen für Spielsituationen am Wochenende entwickeln. Sie müssen mitdenken, haben durch den Stress sowie viele Richtungs- und Vorgaben-Änderungen aber nicht die Möglichkeit, sich lange bewusst damit auseinanderzusetzen. Das geht nur über viele Wiederholungen und Vertiefungen in schnellen, engen Übungen. Anhand von Bildern verdeutlichen wir den Spielern diese Wege noch einmal, was letztlich dazu führt, dass sie Schritt für Schritt gedankenschneller und besser werden. Auf dem größeren Spielfeld ist es für sie am Wochenende dann psychologisch einfacher, diese Dinge umzusetzen. Ich bin hochzufrieden, wie meine Jungs das machen.

SPOX: Hat sich seit Ihrem Wechsel aus dem Jugendbereich etwas im Umgang mit den Spielern geändert?

Schwarz: Ich bin selbst überrascht, festzustellen, dass ich weder an meiner Art noch an meiner Ansprache irgendetwas verändert habe. Offensichtlich kann ich mich auch gar nicht verstellen, das würde sich geschwollen anhören. (lacht) Ich bin einfach wie ich bin. Wir fordern Dinge knallhart ein. Wenn es funktioniert, sprechen wir natürlich Lob aus, wenn mal etwas nicht wie gewünscht läuft, geben wir den Spielern Verbesserungsmöglichkeiten an die Hand - zum Beispiel mittels Video-Analysen. Der Umgang im gesamten Team ist sensationell.

SPOX: Seit der letzten Saison sind die Profivereine nicht mehr verpflichtet, eine zweite Mannschaft zu melden. Wie bewerten Sie die Tatsache, dass einige Vereine von diesem Verzicht Gebrauch machen? SPOX

Schwarz: Wie sich das bei anderen Vereinen äußert, mag ich nicht beurteilen. Bei uns gibt es aber keine zwei Meinungen: Die U23 macht auf jeden Fall Sinn. Natürlich gibt es Top-Talente, die den Sprung aus der U19 direkt in die erste Mannschaft schaffen. Das ist aber nur ein ganz kleiner Teil. Philipp Klement, Alexander Hack oder Suat Serdar sind beste Beispiele, wie man sich auch über die zweite Mannschaft für das Bundesliga-Team empfehlen kann. Den Sprung traue ich hier in Mainz auch vielen anderen zu. Im letzten Jahr kamen acht 96er-Jahrgänge aus der A-Jugend hoch, die Durchlässigkeit ist super. Schafft es ein Spieler bei uns nicht ganz nach oben, kann die U23 trotzdem ein wichtiger Zwischenschritt für ihn sein, um seinen Weg vielleicht bei einem Zweitligisten fortzuführen. Darüber freuen wir uns doch auch, wir wollen die Spieler weiterbringen.

SPOX: Gerade die vielversprechendsten Talente wollen Sie natürlich aber in Mainz durchbringen. Wie schwer ist es, sich schon im Nachwuchsbereich gegen Abwerbeversuche anderer Vereine zu wehren?

Schwarz: Natürlich wird unsere Aufgabe durch den Ruf größerer Klubs erschwert. Die Spieler müssen mit Worten wie Vertrauen oder Wertschätzung aufpassen: Jeder Verein ist darum bemüht, einem neuen Spieler Wertschätzung entgegenzubringen, um ihn zu sich zu holen. Nach vier oder fünf Wochen kehrt aber auch dort wieder Normalität ein. Die Jungs dürfen nicht in Panik verfallen oder zu früh schon eine konkrete Karriereplanung haben. Der Zeitpunkt X kommt irgendwann von ganz alleine. Allerdings vermitteln wir nie eine Überzeugung gegen einen anderen Klub. Für uns gilt es, den Spielern zu zeigen, dass der Weg Mainz 05 inhaltlich der richtige ist und sie nicht zu voreilig etwas Anderes machen sollten. Außerdem können wir auf genügend Beispiele verweisen, die den Durchbruch bei uns im Verein geschafft haben. Konstant gute Leistung wird hier belohnt. Dieses Gefühl sollen alle morgens beim Aufwachen haben.

SPOX: Fühlten Sie persönlich auch genau das, als RB Leipzig bei Ihnen Interesse hinterlegte?

Schwarz: Ich musste nicht aufstehen und sagen: 'Mainz ist es.' Denn ich war nie in einem Entscheidungsprozess drin. Ich freue mich jeden Tag nach der Verabschiedung von meiner Tochter und meiner Frau auf das Training mit meiner Mannschaft. Das war an keinem Tag anders.

Bundesliga Spielplaner - Der Tabellenrechner von SPOX.comSPOX: Trotzdem regte sich Ihr Präsident Harald Strutz über Leipzigs "schlechten Stil" auf.

Schwarz: Ich habe das zwar mitbekommen, jedoch musste ich selbst nie eine Entscheidung treffen. Von daher hat mich das Thema gar nicht berührt.

SPOX: Ein anderer Abgang steht dagegen fest: Christian Heidel verlässt Mainz 05 nach 24 Jahren. Wie viel Identität verliert der Verein?

Schwarz: Es gibt keine Person, die sich so mit dem FSV identifiziert hat wie Christian. Was er hier mit seinen Vorstandskollegen aufgebaut hat, ist phänomenal. Er hat diesen Verein jeden Tag mit so viel Herzblut begleitet, da ist es doch klar, dass jetzt ein Stück Mainz 05 verloren geht. Wir müssen als Gesamtverein aber damit umgehen und werden das kompensieren können. Es geht aber nicht darum, Christian Heidel eins zu eins zu ersetzen. Man kann nichts kopieren, was nicht mehr da ist. Es wird in den nächsten Jahren auch neue Ideen und Ansätze geben, die den Verein noch mal weiterbringen.

SPOX: Sie selbst haben vorerst noch einen Vertrag bis 2017. Ihr ehemaliger Weggefährte Jürgen Kramny hat gezeigt, wie schnell es gehen kann...

Schwarz: An so etwas denke ich wirklich nicht. Ich bin da, um meine Jungs jeden Tag ein bisschen besser zu machen. Alles Weitere wird sich zeigen. Für Jürgen freut es mich aber ungemein. Ab und zu hören wir uns auch noch, wenn es die Zeit zulässt.

SPOX: Das heißt, die Heldentruppe von 2004 steht nach wie vor in Kontakt?

Schwarz: Na klar! Jürgen, Marco Rose, Dimo Wache, Kloppo... Wer so viel zusammen gefeiert hat, der hält auch den Kontakt. (lacht)

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