Er war schon bei Olympia, pfiff beim Confed Cup, leitete Spiele bei der WM, und schafft nun bei der EM seinen "Grand Slam". Doch was den Schiedsrichter Felix Brych wirklich umtreibt, wurde am letzten Spieltag der abgelaufenen Bundesliga-Saison deutlich - natürlich in Sinsheim.
Vor dem Spiel zwischen 1899 Hoffenheim und Schalke 04 (1:4) warf der Münchner mit seinen Assistenten immer wieder Bälle ans Außennetz. Diesmal ging keiner rein - anders als an diesem unglückseligen 18. Oktober 2013.
Als Brych an jenem Freitagabend vor knapp drei Jahren den Kopfballtreffer von Stefan Kießling (Bayer Leverkusen) anerkannte, obwohl der Ball durch ein Loch im Netz von außen im Tor gelandet war, stand die Überschrift über seinem Werdegang trotz aller Karriere-Höhepunkte bei den Top-Turnieren fest: Phantomtor-Schiedsrichter.
Diesen Makel wird der mittlerweile 40-Jährige, der seit 2004 in der Bundesliga pfeift und schon drei Jahre später zum FIFA-Referee aufstieg, nicht mehr los. Da helfen weder die Ehrungen zum deutschen Schiedsrichter des Jahres (2013 und 2015) noch die Berufungen für Endspiele (Europa League 2014, DFB-Pokal 2015).
"Ein Final-Wunsch wäre Utopie"
Vielleicht sieht Brych, der mit seinen Assistenten Mark Borsch (Mönchengladbach) und Stefan Lupp (Zossen), den Torrichtern Marco Fritz (Korb) und Bastian Dankert (Rostock) sowie dem Ersatz-Assistenten Marco Achmüller (Bad Füssing) nach Frankreich reist, auch deshalb seiner ersten EURO mit großer Demut entgegen.
"Ein Final-Wunsch wäre Utopie. Dafür spielen zu viele Faktoren eine Rolle, die wir nicht beeinflussen können", sagt der Jurist, der neben der Schiedsrichterei als Abteilungsleiter für Talentförderung und Unparteiische beim Bayerischen Fußball-Verband (BFV) arbeitet: "Unser Ziel muss es sein, möglichst viele Partien zu bekommen und die möglichst sauber zu pfeifen. Und ich möchte mit meinem Team eine gute Zeit haben. Wenn wir das schaffen, haben wir schon viel erreicht."
Eine gute Zeit bei der EM zu haben, wird in der Tat nicht einfach - trotz der noblen Umgebung im Lager der 18 Schiedsrichter-Teams in Enghien-Les-Bains. Denn auch in den Kurort nördlich von Paris wird die obligatorische Kritik vordringen, die bei Fehlern der Unparteiischen immer aufkommt.
"Hätte niemand sehen können"
Und Fehler wird es geben - schließlich kann die erstmals bei einer EM-Endrunde eingesetzte Torlinientechnik nicht jeden Fauxpas verhindern. Und der Videobeweis ist noch Zukunftsmusik. Um die Fehlerquote so gering wie möglich zu halten, wird vor und während der EM unentwegt trainiert, geübt und geschult.
"Auch für die Schiedsrichter wird das eine anstrengende Geschichte", sagt Brych: "Wir sind eben auch eine Mannschaft die versucht, das Turnier ordentlich zu bestreiten." Dass pünktlich vor der EM-Endrunde 95 neue Regeln in Kraft getreten sind, darunter neue Richtlinien bei der sogenannten Dreifachbestrafung, macht die Sache für Brych und Co. nicht einfacher.
"Darauf muss ich mich einstellen, ich muss die Regeln verinnerlichen", sagt Brych, der sich anhand von Trainingsplänen der Europäischen Fußball-Union (UEFA) gezielt auf die EURO vorbereitet hat: "Ich muss fit sein, und ich muss das Regelwerk kennen."
Eben jenes Regelwerk, das auch wegen Brych revolutioniert wurde. Ohne das Phantomtor von Sinsheim hätte die Torlinientechnik wohl kaum Einzug gehalten. Und das kam am letzten Bundesliga-Spieltag auch Brych zugute. Dass er die acht Millimeter erkannt hätte, die den Hoffenheimern zu einem Tor gefehlt haben, glaubt der Referee selbst nicht: "Das hätte niemand mit dem Auge sehen können."