Abdellaoue: Experte für Raum und Zeit

Stefan Moser
30. November 201114:50
Hannovers Mohammed Abdellaoue ist im Strafraum an Effektivität kaum zu überbietenImago
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Anatomisch einmalig, kulturell vielfältig und im Strafraum effektiver als Wayne Rooney: Bei Hannover 96 reifte Mohammed Abdellaoue zum wohl besten Konterstürmer der Bundesliga. Vor dem Europa-League-Spiel bei Standard Lüttich (20.50 Uhr im LIVE-TICKER) sprach der 26-Jährige mit SPOX über das Gefühl für Ort und Zeit im Strafraum und die Kontertaktik, von der er als Stürmer in Hannover profitiert.

"Ich bin zur richtigen Zeit am richtigen Ort." Unzählige Male musste Mohammed Abdellaoue diesen Satz in den letzten Wochen wiederholen. Denn immer wieder wurde der Norweger zu den Transferspekulationen befragt, die ausgerechnet sein Landsmann Jan Age Fjörtoft angestoßen hatte, als er über Twitter mit einer vermeintlichen Insider-Info prahlte.

"Aus üblicherweise guten Quellen höre ich, dass Bayern ein aufmerksames Auge auf Abdellaoue bei Hannover hat", ließ der frühere Bundesliga-Profi und heutige TV-Experte dort wissen.

Und eröffnete damit das übliche Frage- und Antwort-Spiel - das Abdellaoue bislang allerdings sehr abgeklärt meistert. Gegen Gerüchte könne man eben nichts machen, sagt der 26-Jährige stets geduldig und versichert, dass er sich bei Hannover 96 sehr gut aufgehoben fühle.

Einmalige Abschlussqualitäten

Und auch wenn sogar der selbstbewusste Vereinspräsident Martin Kind einräumt, dass irgendwann "der Markt" entscheiden werde, wo sein Topstürmer in Zukunft spielt, darf man Abdellaoues Einschätzung durchaus ernst nehmen.

Denn in der Kunst, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein, gibt es europaweit im Augenblick wohl tatsächlich keinen größeren Experten. Zumindest nicht in unmittelbarer Nähe eines Fußballtores.

"Für einen Stürmer geht es immer darum, sich gegenüber dem Verteidiger einen Vorteil zu verschaffen, um eher am Ball zu sein. Das funktioniert über Laufwege, Schnelligkeit Bewegungen und Finten. Es ist ein ständiges Duell: Wer kommt in die bessere Position?", erklärt Abdellaoue im Gespräch mit SPOX seinen Blick für Ort und Zeit im Strafraum.

Bessere Quote als Rooney, Ronaldo und Co.

Wie erfolgreich er damit ist, errechnete vor kurzem eine norwegische Zeitung: Statistisch gesehen ist Abdellaoue in der Tat der effektivste Stürmer in Europa.

Für acht Saisontreffer benötigte er gerade einmal 16 Torschüsse. Das ergibt die außergewöhnliche Quote von 50 Prozent, während Spieler wie Wayne Rooney, Zlatan Ibrahimovic oder Cristiano Ronaldo kaum auf 20 Prozent kommen.

Natürlich profitiert Abdellaoue dabei vom konsequenten Konterfußball, den Mirko Slomka in Hannover immer weiter perfektioniert hat. Die "Tormaschine", wie der Trainer ihn nennt, hat wenig Ballkontakte und Chancen in einem Spiel, dafür aber oft hochkarätige.

Die Bescheidenheit in Person

Das sieht der bescheidene Stürmer auch selbst so - und gibt das Lob an seine Kollegen weiter: "Die gute Arbeit der Mannschaft gegen den Ball mit aggressiver Balleroberung nutzen wir sehr häufig für schnelles Umkehrspiel. Ich kann dann sicherlich meine Schnelligkeit einbringen und versuche, auch im Strafraum entsprechend gefährlich aufzutauchen. Das ist einige Male sehr gut gelungen, weil wir auch von außen präzise geflankt haben."

Und dennoch: Neben der starken Ballbehauptung machen ihn sein Tempo, seine Energie, seine Ballfertigkeit und Präzision zum momentan wohl besten Konterstürmer der Bundesliga. Aus leidvoller Erfahrung im Training lobt 96-Torhüter Ron-Robert Zieler außerdem die ganz spezielle Schusstechnik mit seinem starken linken Fuß.

Ob sie wohl daher rührt, dass Abdellaoue mit nur vier Zehen zur Welt kam und sich den Fuß vor seiner Profikarriere operativ korrigieren ließ? Oder daher, dass er als Kind die "Gegenseite" kennenlernte, als er auf den Bolzplätzen in Oslo meistens selbst im Tor stand?

Zum Schnäppchenpreis nach Hannover

Abdellaoue weiß es selbst nicht. Norwegens Fußballer des Jahres von 2010 und 2011 bleibt seiner trockenen Linie treu: "Ich habe schon immer so geschossen. Als Stürmer muss man eben oft sehr schnell abschließen, manchmal auch instinktiv. Es ist nun mal mein Job, Tore zu schießen."

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Diese schnörkellose und unaufgeregte Art ist in Hannover längst auch abseits des Platzes ein Markenzeichen von "Moa" geworden. Manager Jörg Schmadtke, der ihn im Sommer 2010 zum Schnäppchenpreis für gut eine Million Euro aus Valerenga holte, findet ihn sogar "ein bisschen unterkühlt - typisch skandinavisch halt."

Dabei sieht er gar nicht skandinavisch aus. Und Mohammed Abdellaoue klingt auch nicht besonders norwegisch. Sein Großvater stammt aus Marokko, fand in Norwegen einen Job und holte später die Familie nach. Moa selbst ist in Oslo geboren, sieht sich auch als typisches "Stadtkind", hat die Bindung zu Nordafrika aber nie verloren.

"Wer die Natur dort gesehen hat, vergisst sie nicht"

Er schätzt die Prägungen beider Länder: "Ob es für mich als Fußballer eine Bedeutung hat, weiß ich nicht. Aber der Einfluss verschiedener Kulturen verbessert sicherlich das Verständnis und fördert auch die Toleranz. Insofern bin ich dankbar, dass ich sowohl die nordafrikanische, als auch die europäische Kultur kennen lernen durfte."

Seine eigentliche Heimat aber ist Norwegen: "Wer die Natur dort gesehen hat, vergisst sie nicht. Ich liebe das Land, fühle mich einfach gut dort." Trotzdem hat er sein Zuhause verlassen - um nach intensiven Gesprächen mit Schmadtke nach Hannover zu wechseln. Obwohl er wirtschaftlich wesentlich lukrativere Angebote hatte, damals unter anderem aus Salzburg und Kopenhagen.

Darüber sprechen will Abdellaoue nicht: "Was vor anderthalb Jahren war, hat für mich keine Bedeutung mehr. Für mich als Stürmer ist immer der nächste Angriff die wichtigste Szene, über die ich mir Gedanken mache."

Nur so viel: "Ich bin jetzt hier in Hannover und sehr glücklich. Es war die richtige Entscheidung. Ich habe eine fantastische Zeit. Ich bin im richtigen Moment am richtigen Ort."

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