Bayer Leverkusens Stefan Kießling ist mit acht Treffern nicht nur erfolgreichster Torschütze seines Teams, sondern auch der beste deutsche Bundesligastürmer 2012. Dennoch findet der bodenständige Profi unter Bundestrainer Joachim Löw im Nationalkader keine Berücksichtigung. Dabei täte dieser Spielertypus jeder Mannschaft gut.
Im Alter von 15 Jahren traf Stefan Kießling eine nachhaltige Entscheidung: Im Rahmen eines Schülerpraktikums arbeitete der Jugendspieler von Eintracht Bamberg zwei Wochen lang in einem Restaurant. Er fand sogar so großen Gefallen am Kochen, dass er sich vornahm, diesen Beruf zu erlernen.
Die Andeutung seines damaligen Küchenchefs, dass er dann wohl in Zukunft aufgrund der unregelmäßigen Arbeitszeiten öfter mal das Training schwänzen müsse, war für Kießling allerdings zu viel. Den Gedanken daran, den Fußball zu vernachlässigen, konnte er nicht ertragen: "Ich habe nur kurz in die Runde geschaut, habe ihm die Hand gegeben und bin gegangen", erklärt der 28-Jährige diesen Vorfall gegenüber "Spiegel Online".
EL ab 19 Uhr im LIVE-TICKER: Metalist Charkiw - Bayer Leverkusen
Erfolgreichster Stürmer der Liga
Im Nachhinein ein klassischer Fall von "alles richtig gemacht". Heute ist der bodenständige Fußballprofi einer der erfolgreichsten Stürmer der Bundesliga. Seit über sechs Jahren steht der gebürtige Oberfranke nun schon in den Diensten von Bayer Leverkusen und hat in dieser Zeit in 252 Spielen für die Werkself 95 Tore geschossen. Eine beachtliche Quote!
Mit momentan 21 Treffern im Kalenderjahr 2012 ist er gar der beste deutsche Angreifer - kein anderer Bundesliga-Spieler hat mehr erzielt. Um es auf den Punkt zu bringen:
"Kieß", wie er innerhalb der Mannschaft genannt wird, ist Leverkusens Erfolgsgarant. Seit Jahren eine Konstante. Wenn man so will, Bayers Lebensversicherung.
Doch nicht nur die Tore machen den Knipser so wertvoll. Zwar lässt der 1,91-Schlaks immer noch viele Chancen ungenutzt, mit seiner mannschaftsdienlichen Spielweise gilt er im Bayer-System aber längst als unverzichtbar. So schafft Kießling durch enorme Laufbereitschaft, Einsatz und Kampf große Räume in der gegnerischen Hälfte und glänzt dank seines Körpers inklusive guter Ballbehauptung stets als Anspielstation für seine Kollegen. "Das macht Kieß überragend, wie er die Bälle vorne hält", lobt auch Kapitän Simon Rolfes.
Bayer hat keine Alternativen
Über Kießling existieren in Leverkusen zweifellos keine zwei Meinungen. Auch, weil es keine Alternativen zum Publikumsliebling gibt. Eren Derdiyok ist im Sommer Richtung Hoffenheim abgewandert. Andre Schürrle ist im Gegensatz zu Kießling kein klassischer Mittelstürmer, sondern kommt fast ausschließlich über die Flügel. Und Junior Fernandes, der vor der Saison von Universidad de Chile zur Werkself wechselte, stellt noch keinen adäquaten Ersatz dar und erhält nur sporadisch Einsatzzeiten. Der Chilene stand bisher überhaupt erst neun Mal im Kader und wurde dabei lediglich vier Mal eingewechselt.
Es überrascht daher nicht, dass Bayers Verantwortliche planen, den Vertrag mit Kießling demnächst zu verlängern. Zwar läuft der Kontrakt des Angreifers noch bis 2015, trotzdem will Wolfgang Holzhäuser vorsorgen und das Arbeitsverhältnis nochmals ausdehnen: "Stefan Kießling wird seinen Vertrag bald verlängert bekommen, wenn er will", bestätigte der Geschäftsführer gegenüber der "Rheinischen Post".
Und Kießling will. Bereits in der Vergangenheit hat er einige lukrative Angebote von Bayern München, Juventus Turin oder Schalke 04 ausgeschlagen, nur um bei Bayer zu bleiben. Der Stürmer fühlt sich wohl in Leverkusen. Er hat dort seine Frau kennengelernt und auch seine beiden Kinder sind hier geboren.
Thema Nationalmannschaft "nervt"
Doch trotz des Familienglücks und seiner Top-Tor-Quote gibt es etwas, das die Freundlichkeit in Kießlings Gesicht schnell verschwinden lässt. Spricht man ihn auf die Nationalmannschaft an, reagiert der Torjäger gereizt: "Das nervt mich tierisch. Was soll ich noch sagen? Ich habe gelesen, dass mich Joachim Löw registriert hat. Alles andere kann ich nicht beeinflussen."
Tatsächlich hat Löw den Stürmer registriert. "Er ist nicht in Vergessenheit geraten", behauptete der Bundestrainer vor kurzem. Allerdings ist es auch Fakt, dass Kießling seine letzte Partie im Nationaltrikot als Einwechselspieler bei der Weltmeisterschaft 2010 im Kampf um Platz drei gegen Uruguay absolvierte. Seitdem hat sich Löw nicht mehr beim erfolgreichen Torschützen gemeldet.
Selbst nach den verletzungsbedingten Ausfällen von Miroslav Klose und Mario Gomez beim letzten Länderspiel gegen die Niederlande wurde Kieß trotz konstant guter Leistungen nicht nachnominiert. Stattdessen durfte sich Mittelfeldspieler Mario Götze als alleinige Sturmspitze versuchen.
Auch Holzhäuser kann die Nicht-Berücksichtigung seines Schützlings nur schwer nachvollziehen: "Als Chef von Stefan Kießling sage ich: Wenn man eine A-Nationalmannschaft zusammenstellt, kann man nicht an ihm vorbeigehen!" Allerdings weiß Holzhäuser aus einem persönlichen Gespräch mit Löw angeblich, dass Kießling nicht in dessen Spielsystem passen würde.
Kein Gedanke an DFB-Comeback
Durchaus nachvollziehbar, dass das Leverkusener Arbeitstier seine Nationalmannschaftskarriere deshalb schon beinahe abgeschrieben hat. "Eigentlich will ich mir über ein DFB-Comeback gar keine Gedanken machen. Meine ehrliche Meinung ist: Wenn ich nicht dabei bin, bin ich froh, wenn ich zu Hause Zeit mit meiner Familie verbringen kann. Ansonsten mache ich mir darüber keinen großen Kopf. Wenn ich noch einmal nominiert werden sollte, würde es mich natürlich freuen", sagte Kießling auf "fifa.com".
Dieses Statement verdeutlicht einmal mehr, welch positive Eigenschaften der Franke mit sich bringt. Während auf dem Platz das mannschaftsdienliche Arbeitstier mit eingebautem Tor-Instinkt zum Tragen kommt, gibt er sich privat ruhig, geerdet und zurückhaltend. Ein Star, frei von Allüren und ein Fußballprofi, wie er heutzutage kaum noch zu finden ist.
Sollte Joachim Löw auch in Zukunft auf diesen Spielertypus verzichten können, darf sich wenigstens Kießlings Familie über zusätzliche Stunden mit dem leidenschaftlichen Hobbykoch freuen. Dass er sich mit 15 Jahren für den Fußball entschieden hat, hat zumindest seinen kulinarischen Künsten nicht geschadet. Seine "Spaghetti al Stefano" sollen legendär sein.
Stefan Kießling im Steckbrief