"Ich würde mich wieder outen"

Von Interview: Haruka Gruber
2005: Michel Mazingu-Dinzey beim Krafttraining im Hamburger Boxkeller "Zur Ritze"
© Imago

Vor rund einem Jahr begann Ex-Bundesliga-Profi Michel Mazingu-Dinzey sein Abenteuer in Afrika. In seiner zweiten Heimat Demokratische Republik Kongo, dem Geburtsland seines Vaters, wurde er vom blutigen Bürgerkrieg verschont, nicht aber von Lügen und dem Thema Alkohol. Dennoch will er in Afrika weiter als Trainer arbeiten - und gegen die Umweltzerstörung in der dritten Welt kämpfen. Nach Neujahr nimmt er mit dem Projekt "FC Global United" an den Hallenturnieren in Riesa (2. Januar) und Zwickau (9. Januar) teil, um auf das Problem des Klimawandels aufmerksam zu machen.

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SPOX: Herr Mazingu-Dinzey, im Februar dieses Jahres haben Sie ein Abenteuer begonnen. Sie sind in die Demokratische Republik Kongo gezogen, um als Mitglied des Trainerstabs beim Spitzenklub FC Saint Eloi Lupopo zu arbeiten. Was ist seitdem passiert?

Mazingu-Dinzey: Sportlich war es eine sehr erfolgreiche Zeit. Im September sind wir hinter TP Mazembe, immerhin amtierender afrikanischer Champions-League-Sieger und zuletzt bei der Klub-WM dabei, Vizemeister geworden und haben uns so für die Champions League qualifiziert. Es gab aber auch etliche Schwierigkeiten, weswegen ich den am 31. Dezember auslaufenden Vertrag nicht verlängert habe.

SPOX: Weil in der Demokratischen Republik Kongo nach wie vor einer der weltweit blutigsten Bürgerkriege herrscht?

Mazingu-Dinzey: Darum ging es nicht. Lupopo spielt und trainiert in der Millionen-Stadt Lubumbashi, das mehrere Stunden weg von den gefährlichen Regionen liegt. Lubumbashi lebt vom Minenabbau, so dass etliche Ausländer dort leben und auch viele deutsche Unternehmen angesiedelt sind. Daher ist die Infrastruktur teilweise sehr ordentlich. Vom Bürgerkrieg bekam ich nur indirekt über die Medien oder meine Familienangehörigen mit.

SPOX: Warum wollten Sie dann weg?

Mazingu-Dinzey: Wegen den Arbeitsbedingungen und den dubiosen Machenschaften im Hintergrund. Das war eine absolute Katastrophe. Die Zusammenarbeit mit Lupopos Klub-Präsident Faustin Bokonda beispielsweise war gekennzeichnet von Lügen und Hinhaltetaktiken. Er lebt in einem unglaublichen Luxus - man kann sich das in Deutschland gar nicht vorstellen -, aber er hat nichts auf dem Kasten. Er weigerte sich grundsätzlich, zugesagte Zahlungen an die Spieler auszuzahlen.

SPOX: Hatten Sie nur ein Problem mit Ihrem Präsidenten?

Mazingu-Dinzey: Ich galt dort ja schon zu aktiver Zeit als deutscher General, weil mir Disziplin, Respekt und Ehrlichkeit ganz wichtig waren. Das Problem: Disziplin kann man sich erarbeiten, Respekt haben die meisten - aber an der Ehrlichkeit hapert es. Ich wurde von oben bis unten belogen - vom Präsidenten, aber auch von einigen Spielern. Ich wollte den Spielern eine Perspektive und eine Chance im Ausland bieten. Aber einige haben das ganze ausgenutzt.

SPOX: Sind Sie womöglich zu "deutsch" für Afrika?

Mazingu-Dinzey: Absolut nicht.  Ich bin natürlich deutsch aufgewachsen, wurde in Berlin geboren und habe erst mit 16 Jahren meine Wurzeln kennen gelernt, als meine Oma starb und mein Vater meinen Bruder und mich in einer Nacht-und-Nebel-Aktion in den Flieger setzte, um bei der Beerdigung dabei zu sein. Damals regierte noch Diktator Joseph Mobuto - worüber ich mir keinen Kopf machte. Aber heutzutage bin ich topinformiert. Mir liegt das Schicksal des Landes am Herzen.

SPOX: Haben Sie sich wegen Ihrer Wurzeln vor einigen Jahren von Michel Dinzey in Michel Mazingu-Dinzey umbenannt?

Mazingu-Dinzey: Nein. Es ging um mich persönlich. 2001 ist mein Vater gestorben und ich war weg von der Fußball-Bildfläche, weil ich wegen der Alkohol-Probleme arbeitslos war. Es war eine sehr, sehr harte Zeit. Als ich dann in Braunschweig meine zweite Chance im Profi-Fußball bekommen habe, wollte ich einen Schnitt machen. Der Name Mazingu, der ja schon immer in meinem Pass stand, sollte eine Art Symbol für den Neuanfang sein.

SPOX: Vor einem Jahr sorgten Sie mit Ihrem Geständnis, als Fußballer zeitweise eine Flasche Wodka getrunken zu haben, für Aufsehen. Warum haben Sie sich geoutet?

Mazingu-Dinzey: Ich wurde in der Fußball-Szene von vielen belächelt, weil ich aus deren Sicht unnötig zugab, wie viel Alkohol ich tatsächlich getrunken habe. Aber ich würde es immer wieder so machen. Ich bekam viel Zuspruch von aktuellen Bundesliga-Spielern, die ähnliche Probleme hatten oder haben. Das Thema ist alltäglich - und ich wollte das Bewusstsein dafür schärfen.

SPOX: Ist Ihre Vergangenheit als Alkoholiker womöglich ein Grund dafür, Trainer werden zu wollen, um junge Spieler vor dem gleichen Schicksal zu bewahren?

Mazingu-Dinzey: Ja. Bei Lupopo habe ich intensiv mit den Jungs über das Thema Alkohol-Missbrauch gesprochen. Es sprach sich natürlich rum, wenn ein Spieler nicht zum Training kommt, weil es einen Abend zuvor eine Feier gab und er zu viel getrunken hatte. Jeder hat das Recht, sein eigenes Ding zu machen. Aber ich will nur die Gefahren aufzeigen, wenn man sich in jungen Jahren zu schnell verleiten lässt. Dass habe ich von meinen ehemaligen Trainern wie Jürgen Röber oder Werner Lorant gelernt.

SPOX: Neben der Alkohol-Prävention engagieren Sie sich für den Umweltschutz und kämpfen gegen die Erderwärmung. Testfrage: Trennen Sie überhaupt Ihren Müll?

Mazingu-Dinzey: Ich würde lügen, wenn ich sage, dass ich das schon immer getan hätte. Aber seit einiger Zeit trenne ich natürlich den Müll nach Plastik, Restmüll oder Papier. In Afrika wird alles zusammen geschmissen und einfach verbrannt. Ob nun Auto-Reifen, Chemie oder Tierkadaver. Obwohl es Gift für die Ozon-Schicht ist, wird stur weitergemacht - so wie in allen anderen Drittwelt-Ländern. Das erschüttert mich und ich will etwas dagegen tun.

SPOX: Unter anderem unterstützen Sie das Projekt "FC Global United" von Lutz Pfannenstiel, das mit Promi-Charity-Spielen auf das Problem des Klimawandels aufmerksam machen will. Aber bringt das etwas?

Mazingu-Dinzey: Wenn bekannte Fußballer darüber referieren, bringt es definitiv mehr als so ein absolutes Flop-Event wie der Klima-Gipfel in Kopenhagen. Aber natürlich muss man vor allem in der dritten Welt die Bevölkerung zusätzlich aufklären. Fußball alleine reicht nicht. Aber Global United ist nicht nur kicken, sondern aktive Aufklärung in Entwicklungsländern. Spendengelder werden verantwortungsbewusst in Klimaprojekte investiert. Zurzeit ist die Mentalität in Schwarzafrika einfach so, dass es nur ums Geld geht. Die breite Bevölkerung will Geld sehen, wenn sie Müll trennt. Und auch die obere und vermeintlich gebildetere Schicht schert sich um nichts. Es gibt sehr viele dumme Menschen, die sehr viel Geld besitzen. Statt aber etwas zu bewirken, leben sie lieber in Saus und Braus.

SPOX: Klingt ziemlich desillusioniert.

Mazingu-Dinzey: Ich habe schon alles erlebt in Afrika. Und am Ende geht es nur ums Geld. Zum Teil wurde vor einem wichtigen Nationalmannschaftsspiel bis um vier Uhr früh darüber gefeilscht, wie viel Prämien gezahlt werden. Ich war bei drei Afrika-Cups dabei und jedes Mal waren die Prämienverhandlungen das Hauptproblem.

SPOX: Haben Sie mittlerweile ein distanziertes Verhältnis zu Ihrer zweiten Heimat?

Mazingu-Dinzey: Nein, meine Wurzeln sind die Demokratische Republik Kongo und darauf bin ich sehr stolz. Es war für mich immer eine Ehre, mein Land in der Nationalmannschaft repräsentieren zu dürfen. Allerdings habe ich mich daran gewöhnt, dass ich einfach der Typ aus Europa bin, der finanziell oder mit Kontakten helfen kann. Ich finde es halt nicht okay, ausgenutzt zu werden, aber ich liebe das Land genauso, wie ich Deutschland liebe.

SPOX: Sie wollen demnach trotz der Erlebnisse weiter in Afrika arbeiten?

Mazingu-Dinzey: Ich werde definitiv wieder in Afrika arbeiten. Außerdem sind deutsche Trainer in Afrika sehr gefragt und ich habe meine komplette Trainerausbildung beim DFB absolviert. Natürlich war bisher nicht jede Erfahrung schön, andererseits ist es ein tolles Gefühl, wenn ein junger Spieler zu dir kommt, dich mit großen Augen anschaut und einen Ratschlag möchte. Und dank der Erfolge mit Lupopo sind auch einige Klubs aus Simbabwe, Namibia oder Ghana auf mich aufmerksam geworden. Trotz all der positiven und leider auch negativen Erlebnisse möchte ich in Afrika weiter Aufbauarbeit leisten. Ich bin ein Trainer aus Leidenschaft.

Dreifacher Africa-Cup-Teilnehmer: Michel Mazingu-Dinzey im Steckbrief