Aus dem Abgrund des Weltfußballs

Haruka Gruber
23. November 201016:34
Manuel Ott (h.r.) vor seinem Debüt für die Philippinen gegen Taiwan in Manilaspox
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Der FC Barcelona verdankt dem Land eine Legende, der FC Bayern ein Supertalent. Dennoch gehören die Philippinen zum FIFA-Bodensatz. Der Bayer Alfons Schunk und ein einheimischer Multimillionär planen aber die radikale Kehrtwende.

Die Historiker sind sich noch immer uneins, wann Paulino Alcantara die beschwerliche Reise antrat. Er sei bereits als Zweijähriger mit der Familie aus den Philippinen geflohen, weil seine Eltern - die Mutter eine Einheimische, der Vater ein Soldat der spanischen Kolonialmacht - in Folge der philippinischen Revolution 1896 Repressalien befürchteten. So wird zumindest gemutmaßt.

Eine andere Theorie besagt, dass Alcantara erst mit 14 Jahren in das Heimatland seines Vaters zog, um dort eine bessere schulische Ausbildung zu genießen und auf einem höheren Niveau Fußball zu spielen.

Gesicherte Fakten über Alcantaras Jugendzeit sind rar - dabei entwickelte sich das einst schmächtige Mischlingskind zu einem der besten Fußballer aller Zeiten und den einzigen Superstar, den die Philippinen in diesem Sport je hervorbrachten.

Alcantara spielte mit einer zweijährigen Unterbrechung zwischen 1912 und 1927 für den FC Barcelona und kam bereits mit 15 Jahren in der ersten Mannschaft der Katalanen zum Einsatz und erzielte ein Tor, beides nach wie vor bestehende Klubrekorde. Ebenfalls ein unerreichter Bestwert: seine 357 Tore in 357 Spielen.

Schlechteste Fußball-Nation der Welt

Fast 100 Jahre sind seit den Glanzzeiten Alcantaras vergangen. Fast 100 Jahre fußballerische Bedeutungslosigkeit für die Philippinen, die zwischen dem 19. und 20. Jahrhundert noch die Pioniere Asiens waren und 1913 in der Hauptstadt Manila gegen China (2:1) das erste Länderspiel überhaupt auf dem Kontinent veranstalteten. 1917 gab es mit Alcantara in der Mannschaft sogar ein historisches 15:2 in Japan.

Davon abgesehen aber ist Philippinens Beitrag an der Geschichte des Weltfußballs erschreckend gering. Erfolge in den letzten Jahrzehnten sind praktisch nicht vorhanden, selbst die Teilnahme an den Asienmeisterschaften gelang noch nie.

Der Tiefpunkt folgte im September 2006, als die Filipinos auf Rang 195 der Weltrangliste abrutschten, lediglich platziert vor Zwergstaaten wie Anguilla und Cook-Inseln mit weniger als 500.000 Einwohnern. Die Philippinen verfügen hingegen mit 84,6 Millionen Menschen über mehr Einwohner als Deutschland und gelten von daher nicht grundlos als die schlechteste Fußball-Nation der Welt.

Selbst Singapur ist weit enteilt

Vor einigen Jahren jedoch leitete der philippinische Verband eine Kehrtwende ein. Um mittelfristig international drittklassige, aber dennoch weit enteilte Nationalmannschaften wie Singapur oder Indonesien einzuholen, wurden professionelle Strukturen eingeführt - und ein nordbayerischer Süßwaren-Repräsentant in Ruhestand um Hilfe gebeten.

Alfons Schunk liebt drei Dinge. Fußball, seine Ehefrau und das Heimatland seiner Gattin, die Philippinen. Vor über zwei Jahrzehnten reiste er erstmals dorthin und irgendwann begann er, Länderspiele zu besuchen, sich über den Ligabetrieb zu informieren und die Nachwuchstrainer mit Lehrbüchern aus Deutschland zu beliefern.

"Anfang 2000 habe ich dann gemerkt, dass die Fußball-Begeisterung in der Bevölkerung zunimmt, dennoch nichts voranging", erinnert sich Schunk.

Er nutzte die Kontakte über seinen Arbeitgeber "Mars", nahm Verbindung zum damaligen Verbandspräsidenten auf und unterbreitete ihm einen Plan: Die philippinische Nationalelf solle doch gezielt nach den zahlreichen Auswandererkindern in Westeuropa scouten und um sie herum eine neue Nationalelf aufbauen.

Stephan Schröck: "Auf ein Spiel in Turkmenistan werde ich verzichten"

"Dann haben alle Alarmglocken geklingelt"

Der Verbandspräsident zeigte sich begeistert und ernannte Schunk zu seinem offiziellen Berater. In den letzten drei Jahren intensivierte Schunk die Bemühungen und baute ein Netzwerk aus Informanten auf, die sich melden, wenn ihnen in Deutschland, Österreich und der Schweiz interessante Fußballer mit südostasiatischem Einschlag auffallen. Ein englischer Kollege geht für den britischen Raum ähnlich vor.

Seinen ersten Erfolg verdankt Schunk jedoch weniger der Akribie als dem Zufall. Bei einer Trainerfortbildung lernte er den damaligen Fürth-Coach Bruno Labbadia kennen, der ihm nebenbei erzählte, dass sein Spieler Stephan Schröck eine philippinische Mutter habe.

"Dann haben bei mir alle Alarmglocken geklingelt", sagt Schunk, der Schröck daraufhin anschrieb und vom ehemaligen deutschen Jugendnationalspieler nachdrücklich Bereitschaft signalisiert bekam.

Manuel Ott beim Foto-Shooting für die Plakat-Kampagne

Schröck wartet auf Debüt

Doch auch über zwei Jahre nach dem ersten Gespräch lässt Schröcks Debüt auf sich warten. Einerseits wegen bürokratischen Schwierigkeiten mit der philippinischen Botschaft bei der Ausstellung eines Zweitpasses.

Andererseits, weil Fürth in der Vergangenheit nur ungern seinen stellvertretenden Kapitän und einen der besten Spieler der 2. Liga über einen langen Zeitraum freistellte, damit dieser zu einem Länderspiel rund um den Globus fliegt.

Wesentlich unkomplizierter verlief es bei Manuel Ott, dem 18-jährigen Mittelfeldspieler des FC Ingolstadt. Schunk bekam einen Tipp, warb um Ott - und im Januar dieses Jahres bestritt der Mittelfeldspieler sein erstes Länderspiel gegen Taiwan (0:0), zusammen mit dem ebenfalls blutjungen Jason de Jong, einem Zweitliga-Profi in Belgien.

Weiterer Deutsche im Visier

"Bei mir ist es wie bei Stephan. Die Philippinen sind eine Herzensangelegenheit. Dafür nehme ich die Doppelbelastung gerne in Kauf", sagt Ott, der mittlerweile ein enger Freund von Schröck ist und ihn zum Beispiel auf dem Weg nach Berlin zur philippinischen Botschaft begleitet, um die Formalitäten zu klären. Die philippinischen Mütter der beiden telefonieren mittlerweile täglich miteinander.

Interesse besteht unter anderem auch an dem in Hannover ausgebildeten Denis Wolf, Flügelstürmer beim Regionalligsten Magdeburg, am Ex-Schalker Jeffrey Tumanan vom Fünfligisten Velbert und an Duisburgs dritten Torwart Roland Müller. Bereits eingesetzt wurde Neil Etheridge, Reservekeeper von Europa-League-Finalist Fulham und neben Schröck der wohl prominenteste Name.

"Das Potenzial ist vorhanden. Der Verband fahndet gezielt nach richtig jungen und entwicklungsfähigen Spieler. Wenn zukünftig acht, neun Spieler aus Europa in der Startelf stehen, werden wir in Asien zumindest den Anschluss herstellen", sagt Ott.

David Alaba wäre spielberechtigt gewesen

Unausgesprochen bleibt, welch Sprung der Nationalmannschaft bereits gelungen wäre, hätte der Verband früher reagiert und sich um Spieler mit philippinischen Wurzeln wie Bayerns David Alaba, die beiden Brüder Jonathan und Julian de Guzman oder den Ex-Hertha-Profi Dennis Cagara bemüht.

Schunk: "Da waren wir einfach zu spät dran. Ich habe vor zwei Jahren einen Tipp wegen Alaba bekommen, als ihn noch kaum einer kannte. Jetzt müssen wir es eben besser machen und das nächste Supertalent noch schneller finden."

Immerhin: Während Alaba (Österreich) und der ehemalige Hannoveraner Julian de Guzman (Kanada) nicht mehr für die Philippinen einsatzfähig sind, dürften Jonathan de Guzman und Cagara (jeweils nur Junioren-Einsätze für die Niederlande bzw. Dänemark) den Verband noch wechseln.

Eisenbahn-Multimillionär ist die Schlüsselfigur

Die entscheidende Rolle für den erhofften Aufschwung kommt jedoch keinem Europa-Legionär zu. Die neue Schlüsselfigur heißt Dan Palami. Ein millionenschwerer Eisenbahn-Unternehmer und Fußball-Fan, der sich als Generalmanager um die Belange der Nationalmannschaft kümmert.

Palami investiert offenbar einen Teil seines Vermögens in den Verband, der offiziell nur über einen Jahresetat von rund 250.000 Dollar verfügt und in der Vergangenheit seine Spieler auffordern musste, für Anfahrt oder Ausrüstung selbst zu zahlen.

Der geplante Bau eines neuen Verwaltungsgebäudes, die Akquirierung neuer Sponsoren und die Verpflichtung des Engländers Simon McMenemy als neuen Nationaltrainer gehen auch auf die Initiative Palamis zurück, der das Ziel verfolgt, den Fußball vom Basketball, die in den Philippinen übermächtige Sportart, zu emanzipieren.

Ingolstädter als Posterboy

Dabei helfen soll eine Anzeigen-Kampagne in Herbst, bei der Ott und die anderen Talente aus Europa auf übergroßen Plakaten Manilas Hochhäuser-Fassaden zieren und als kommende Sportstars inszeniert werden. "Der Gedanke ist amüsant", sagt Ott, der sonst nur von wenigen hundert Zuschauern mit Ingolstadts zweiter Mannschaft spielt.

Dass alles jedoch wird nur wenig bewirken, wenn die Nationalmannschaft in der Weltrangliste weiterhin jenseits von Platz 150 ein schmuckloses Dasein fristet. Eine entscheidende Bedeutung misst der Verband der Teilnahme am sogenannten ASEAN Cup, den südostasiatischen Meisterschaften, Ende des Jahres bei.

Zuvor muss die Mannschaft, die in den letzten Monaten mühsam auf Weltranglisten-Platz 165 krabbelte, jedoch bei einem Qualifikationsturnier Ende Oktober in Laos gegen den Gastgeber, Ost-Timor und Kambodscha antreten und mindestens Zweiter werden.

Für eine Nation mit 84 Millionen Einwohnern und 1,7 Millionen aktiven Fußballern sollte das kein Problem sein. Außer die Nation heißt Philippinen.

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