SPOX: Die chinesische Liga wirbelt den Weltfußball durcheinander: Nach Nicolas Anelkas Wechsel zu Shanghai Shenhua stehen Didier Drogba, Frank Lampard und Rio Ferdinand auf der Wunschliste der dortigen Klubs. Angeblich soll Dortmunds Lucas Barrios bereits bei Meister Guangzhou Evergrande unterschrieben haben - für ein Jahresgehalt von 6,7 Millionen Euro. Verständlich?
Jörg Albertz: Zu meiner Zeit in Shanghai ist leider nicht ganz so viel Geld geflossen wie heute. Ich hätte nichts dagegen, wieder 32, 33 Jahre alt zu sein. (lacht) Es wirkt verrückt, was für Summen im Gespräch sind, entsprechend nachvollziehbar ist es, zum Ende der Karriere noch einmal ein Abenteuer einzugehen. Zumal man sich in China sicher sein kann, das versprochene Gehalt zu bekommen. Die Chinesen würden es niemals riskieren, vor dem Westen das Gesicht zu verlieren.
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SPOX: Sie wechselten 2003 als erster europäischer Fußball-Star überhaupt nach China und werden in Shanghai noch immer gefeiert, weil Sie in der ersten Saison mit Shenhua Meister und zum Fußballer des Jahres gewählt wurden. Allerdings waren Sie damals bereits 32 Jahre alt, Barrios hingegen ist erst 27.
Albertz: Für einen etwas jüngeren Spieler wie Barrios ist es riskanter, weil es danach schwieriger wird, in Europa wieder Fuß zu fassen, sollte China nichts für ihn sein. Andererseits ist die Zeitspanne eines Profis sehr kurz, um mit Fußball Geld zu verdienen. Daher würde ich Barrios nie verurteilen.
SPOX: Glauben Sie, dass das Konzept der chinesischen Liga aufgeht? Mit viel Geld viele bekannte Namen zu verpflichten ist das eine, den Fußball nachhaltig zu fördern das andere.
Albertz: Ich bin mir sicher, dass es der chinesische Fußball schaffen wird. Die Verantwortlichen verfolgen eine klare Idee: Um Fußball als Sportart anzuschieben, sind Stars nötig. Stars kommen jedoch nur, wenn die Verträge stimmen. Wenn die finanziellen Mittel verfügbar sind - warum sollte es dann nicht ausgegeben werden? China ist zu Großem fähig. Solange den Verantwortlichen bewusst ist, dass Geduld nötig sein wird, sehe ich keine Probleme auf dem Weg nach oben.
SPOX: Was erwartet Barrios, sollte er tatsächlich nach China wechseln?
Albertz: China ist ein tolles Land - aber die ersten Wochen werden hart, weil man sich anfangs so fremd vorkommt. Selbst für mich, obwohl ich mich eher als "easy going" bezeichnen würde. Als ich mit meiner damaligen Freundin und heutigen Frau in Shanghai ankam, wollte ich sofort umdrehen und zurückfliegen. Man kommt übermüdet an und sieht überall nur Skyscraper. Ein Hochhaus steht neben dem nächsten Hochhaus und man fragt sich, wo man mit den Hunden spazieren gehen soll. Nach zwei, drei Monaten, als wir uns an die neuen Umstände gewöhnt hatten, konnten wir jedoch anfangen, Shanghai zu genießen.
SPOX: Damals wurde darüber berichtet, dass Sie sich von Shanghai zusichern ließen, dass Ihre beiden Hunde, die Sie nach China mitnahmen, nicht auf der Straße aufgegriffen und verspeist werden.
Albertz: Ich hatte damals salopp gesagt, dass meine Hunde nicht in den Kochtopf kommen. Daraus wurde die nicht ernst gemeinte Story konstruiert. Ich wusste natürlich, dass in einigen Regionen von China Hunde gegessen werden, aber dass in Shanghai nicht wahllos Hunde entführt werden. Wegen den Hunden hatte ich damals nur eine Bedingung: Ich wollte nicht, dass sie nach der Ankunft zwei Wochen in Quarantäne müssen. Die Klubverantwortlichen einigten sich mit den Behörden so, dass statt der Quarantäne um unseren Garten ein Zaun errichtet wurde, in der sich die Hunde aufzuhalten hatten.
SPOX: Nach einer Eingewöhnungszeit lebten Sie sich in Shanghai hervorragend ein und wurden als der größte Star gefeiert, der jemals in China gespielt hat. Wie erinnern Sie sich an die Zeit?
Albertz: Das erste Jahr verlief brillant mit der Meisterschaft und meiner Auszeichnung zum Spieler des Jahres. Deswegen ließ ich mich davon überzeugen, für eine weitere Saison zu unterschreiben. Im Nachhinein ein Fehler. Kurz darauf kamen erste Gerüchte über verschobene Spiele auf und ich selbst bekam immer mehr das Gefühl, dass tatsächlich etwas nicht stimmt. Selbst im eigenen Team. Ich hatte keine Beweise, deswegen musste ich damals aufpassen, was ich sage. Dennoch war es schon auffällig, dass wir als Meister auf einmal gegen den Abstieg kämpften. Manchmal dachte ich mir: "Es ist unmöglich, so schlecht zu spielen wie wir. Es ist unmöglich, solche Chancen zu versemmeln oder solche Gegentore zu verschulden." Ich wollte mit alldem nicht assoziiert werden und verließ Shanghai nach zwei Jahren. Zuletzt hörte ich, dass die Verantwortlichen das Manipulationsproblem in den Griff bekommen haben.
SPOX: Während in China der Fußball boomt, erleben die vom Bankrott bedrohten Glasgow Rangers die dunkelsten Tage seit Bestehen. Sie gehörten in den 90ern zu den prägenden Gesichtern des Klubs. Wie verfolgen Sie die Entwicklung?
Albertz: Ich liebe den Verein vom ganzen Herzen. Die Geschichte der Rangers ist einzigartig und ich hoffe immer noch, dass sie gerettet werden. Wenn nicht, verliert der Weltfußball einen der wichtigsten Klubs. Das ist eigentlich undenkbar.
SPOX: Alte Weggefährten sind die Gesichter der Krise: David Murray, der damalige Chairman, muss sich verantworten, weil er mit den kostspieligen Transfers zu hohes Risiko gegangen sei. Und Ihr enger Vertrauter und ehemaliger Mitspieler Ally McCoist versucht als Trainer, den Verein trotz der Turbulenzen auf Kurs zu halten.
Albertz: Über David Murray kann ich nicht viel sagen, weil ich die Bilanzen nicht kenne. Ich habe ich immer als integren und weitsichtigen Chairman erlebt. Für Coisty tut es mir sehr leid. Er ist ein wundervoller Mensch. Er ist aber auch ein Fighting Boy, der sich durchbeißen wird.
SPOX: Sie prägten mit McCoist und den weiteren schottischen Nationalspielern die letzte Hochzeit der Rangers. Wie schwer fiel es Ihnen als deutscher Fremdling, akzeptiert zu werden?
Albertz: Mir kam es zugute, dass ich damals einen topdurchtrainierten Körper hatte und aussah wie ein Boxer. Coistys erster Kommentar war: "Was bist Du denn für ein Kerl?" Als er und die anderen sahen, dass ich außerdem ein bisschen kicken kann und immer Einsatz zeige, bekam ich ihren Respekt - und ihre Hilfe. Ich konnte ja nur Schulenglisch, das in Glasgow überhaupt nichts bringt, deswegen lernte ich in der Kabine den schottischen, sehr schnell gesprochenen Akzent. Irgendwann ging ich als Schotte durch. Den richtigen Vornamen hatte ich ohnehin schon: Vom ersten Tag an wurde ich nur George oder Georgie-Boy genannt. Eine herrliche Zeit.
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