Der Bolzplatz. Auf ihm beginnt und durchlebt jeder Junge seine imaginäre Fußballkarriere. Früher hielt man sich für Pele, Beckenbauer, Maradona. Oder Ende des letzten Jahrtausends für einen der goldenen Selecao-Ära. Romario, Ronaldo, Rivaldo und Konsorten. In den letzten Jahren galt es, sich zwischen Messi und Ronaldo zu entscheiden. Schwierig.
Was all diese kindlichen Auseinandersetzungen aber stets einte, war und ist die gemeinsame Bewunderung für den Fußball und die damit einhergehende Vision. Die Geschichte der Straßenkicker fand überall ihren festen Platz im Erfolg des Sports. Vor wenigen Jahren noch konnte jeder spätere Profi-Kicker seine persönliche Geschichte vom Bolzplatz erzählen.
In Deutschland tat das niemand so wie Lukas Podolski. "Ich bin auf der Straße aufgewachsen, bevor ich zum FC gegangen bin. Das hat mir vieles gegeben", sagte er einst: "Das Eins-gegen-eins, die Zweikämpfe. Da habe ich viel mitgenommen." Nach dem Umzug seiner polnischen Familie nach Bergheim setzte er sich in seiner Kindheit durch, auch gegen Ältere. Marokkaner, Albaner, Tunesier und Türken zumeist. Podolski war einer von ihnen. Einer dieser Straßenkicker.
China + Familie = inkompatibel?
Heute, 2017, gut 13 Jahre nach seinem Profi-Debüt beim 1. FC Köln, steht jener Straßenkicker vor dem vielleicht letzten Abenteuer seiner Weltkarriere. Nach Stationen in Köln, beim FC Bayern, bei Arsenal, Inter und nun Galatasaray wechselt Podolski zum 1. Juli nach Japan. In die in Deutschland nicht beachtete J-League. Zu Vissel Kobe. Was hat ihn bloß geritten?
Schließlich gab es auch Angebote aus China. Die waren für Podolski aber nie ernsthaft ein Thema. Er ist ein Spieler, der sich in seiner Umgebung wohlfühlen muss. Das hat ihn seine Karriere gelehrt. Nach SPOX-Informationen war seine Entscheidung pro Japan daher auch keine finanzielle, sondern hauptsächlich eine persönliche.
Podolskis Familie wird mit ihm nach Südjapan ziehen. Dieses Szenario konnte er sich in China nicht vorstellen - dort empfand er den kulturellen Unterschied als zu groß. Er hatte Zweifel am Lebensstil im Reich der Mitte. Die Standards in Japan sagten ihm mehr zu, zudem bemühte sich Kobe von Beginn an sehr hartnäckig um den Ex-Nationalspieler.
Die in den Medien kolportierten Gehälter, die Podolski in China gewunken hätten, wurden zudem nie geboten. Ein stattliches Gehalt bezieht Podolski dennoch - inklusive Prämien bis zu acht Millionen Euro netto pro Jahr, berichtet die Bild. Bei einem Vertrag über zweieinhalb Jahre.
Großartiges Standing in der Türkei
Podolski fühlte sich bis heute stets wohl in der Türkei. Glaubhaft identifiziert er sich mit Gala, seine Authentizität und Aufopferung haben ihn einmal mehr zum Publikumsliebling aufsteigen lassen. Sogar so sehr, dass die Fans nun auf die Barrikaden gehen. 2,6 Millionen Euro soll Vissel Kobe als Ablöse zahlen - viel zu wenig, finden Galas Anhänger.
Und Podolski bleibt seiner Sache treu, bis zum Sommer ist er loyal. Obwohl die Japaner ihn schon früher wollten, wird Podolski Gala nicht von heute auf morgen verlassen. Der erfolgreiche Abschluss in Istanbul steht an erster Stelle: "Im Moment liegt mein Fokus nur darauf, Galatasaray und unseren fantastischen Fans zu helfen", schrieb der 31-Jährige zu seinem Wechsel auf Instagram. Ohne Champions-League-Quali will er seine Zelte nur ungern abbrechen.
Rückkehr nach Deutschland keine Option
Dennoch: Bei Galatasaray geht es drunter und drüber. Der Druck ist riesig, auch die Erwartungshaltung an einzelne Spieler immens. Podolski sehnte sich mal wieder nach einer neuen Herausforderung. Wie schon häufig in seiner Karriere. "Es ist keine Entscheidung gegen Galatasaray, sondern eine für eine neue Herausforderung", erklärte er am Donnerstag, als der Transfer bekannt wurde.
Generell gefällt es Podolski im Ausland. Wie SPOX erfuhr, war eine Rückkehr nach Deutschland deshalb zuletzt auch gar kein Thema für ihn. Nicht einmal mit dem Comeback in Köln liebäugelte er. Das hat mehrere nachvollziehbare Gründe.
So hart es klingt, kann Podolski mit dem hohen Leistungsniveau der Bundesliga mittlerweile nicht mehr Schritt halten. Seine wohl eher raren Einsätze würden in der Folge mit reichlich Diskussionen einhergehen. "Warum spielt er nicht?", "Kommt er nicht mit Trainer Stöger klar?", "Hat sich der FC verpokert?", würde es schnell heißen. Zu viel Trubel für den FC, der mit Peter Stöger und Jörg Schmadtke endlich Ruhe und Konstanz in den Verein bekommen hat.
Das stärkste Argument gegen eine Rückkehr zum FC aber ist die Marke Podolski.
Weiterentwicklung der Marke
Denn betrachtet man Podolskis Äußerungen der letzten Monate genauer, ist der Wechsel nach Japan ein logischer Schritt. Marke werden, Marke werden, Marke werden. So lautete zuletzt immer stärker die Devise des Kölners.
Da gab es zu Jahresbeginn ein Interview mit Socrates, in dem Podolski sein Straßenkicker-Dasein doch recht transparent erklärte. Straßenkicker steht längst nicht mehr nur für sein Lebensmotto, Podolski hat darin eine Strategie gefunden, um nach der Karriere weiterhin vermarktbar zu sein.
"Die Frage ist doch, ob man automatisch eine Marke wird oder erst eine aufbauen muss?", formulierte Podolski ganz offen: "Natürlich steht der Fußball ganz oben, aber man hat eben auch andere Ziele, Wünsche, vielleicht sogar Träume. So wie die Sache mit den Klamotten, die ich mache. Da baut man etwas auf, aber wichtig ist auch das Auftreten. Eine Marke entsteht auch außerhalb des Platzes. Irgendwann entwickeln die Menschen ein Gefühl für dich und dann kommen Werbeverträge, du gewinnst eine Präsenz in den Medien und so entsteht dann etwas Größeres."
"Straßenkicker" als Produkt
Straßenkicker heißt Podolskis Label. In der Kölner Altstadt hat er schon seinen eigenen Shop, der auch online zu finden ist. Ein eigenes Jugendturnier hat die Marke auch schon auf die Beine gestellt. Dieses Projekt will Podolski nun größtmöglich ausbauen.
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"Es gibt ja auch ein Leben außerhalb des Fußballs. Man lernt neue Menschen kennen, knüpft neue Kontakte, lernt neue Städte und Kulturen kennen und das gibt einem sehr, sehr viel mit fürs Leben", beschrieb er in Bezug auf die Marke: "Das, was die Leute von mir kennen, bin ich selbst. Ich bin die Marke."
Authentisch - auch in Japan
Podolskis Schritt nach Japan dreht sich wenig verwunderlich also nicht nur ums Bolzen. "Schauen Sie, wo ich überall schon war", sagte er gegenüber Socrates: "Mailand, London, jetzt Istanbul. Mir stehen überall die Türen offen - und die Marke: So reift sie nun auch."
Podolski ist gerne diese Marke. In Fernost wird er einen sehr wichtigen Markt erobern, auch ohne die fußballerischen Glanzleistungen vergangener Tage. Was Podolski von vielen anderen Superstars aber unterscheidet, ist, dass er authentisch bleibt. Was er vermarktet, ist seine Überzeugung. Sein Lebensgefühl. Er ist nicht ausschließlich ein künstliches Produkt des Ausrüsters, sondern immer noch Lukas Podolski. Der Straßenkicker.
"Wichtig ist, dass man sich selbst treu bleibt und sich nicht verändert", sagte er vor wenigen Wochen: "Ich bin immer einer, der versucht, die Kulturen kennenzulernen und sich anzupassen. Ich gehe jetzt nicht in ein Land und sage: 'Die Leute sollen nach meiner Nase tanzen!' Nein, ich versuche, die Kultur anzunehmen." Der erste Schritt dahin: Was heißt Straßenkicker auf Japanisch?
Lukas Podolski im Steckbrief