"Favre macht dich jeden Tag besser"

Jochen Rabe
16. November 201710:11
Alexander Ring spielt für NYCFCnycfc.com
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Alexander Ring ist bei Borussia Mönchengladbach als erster Torschütze im Kontext der Champions League in die Geschichtsbücher eingegangen. Im Interview spricht der finnische Nationalspieler über den Beginn seiner Karriere, seine Entwicklung unter Lucien Favre, den Schritt zum New York City FC und die Persönlichkeit von Andrea Pirlo und Patrick Vieira.

SPOX: Herr Ring, Sie haben in der Vergangenheit häufig betont, dass Sie nicht so gerne Interviews geben.

Alexander Ring: Das stimmt. Ich mag es nicht so sehr, viel über mich selbst zu reden.

SPOX: Na, das sind ja gute Voraussetzungen für unser Gespräch...

Ring: (lacht) Nein, das bekommen wir schon hin.

SPOX: Dann probieren wir es doch mal: Sie sind 91er Jahrgang und haben von 1994 bis 2008 in Deutschland gelebt. Wie war in dieser Zeit Ihre Bindung zur finnischen Heimat?

Ring: Die Bindung war sehr stark, ich habe mich immer als Finne gefühlt. Meine Familie hat dort gelebt und wir sind jedes Jahr im Urlaub nach Finnland gefahren. Meinen Eltern war es wichtig, dass ich den Kontakt zu meinen Wurzeln nicht verliere. Ich bin auch zweisprachig aufgewachsen. Zu Hause mit meinen Eltern habe ich finnisch gesprochen und in der Schule, mit Freunden oder im Fußballverein deutsch.

SPOX: Ihr Fußballverein in der Jugend war Bayer Leverkusen. Als Sie 17 Jahre alt waren, sind Sie in Ihre Heimat zurückgekehrt, laut Ihrer Aussage auch aus schulischen Gründen. Können Sie das erklären?

Ring: Ich war am Anfang auf der International School und bin in der fünften Klasse direkt aufs deutsche Gymnasium gekommen, ohne dass ich vorher wirklich deutsch geschrieben hatte. Ich habe bis zur zehnten Klasse gekämpft, aber dann wurde es ein bisschen eng. Mein damaliger Nationaltrainer fragte mich, ob ich nach Finnland auf die Sporthochschule wechseln möchte, wo ich neben der fußballerischen Ausbildung sehr individuell lernen konnte. Außerdem waren viele Nationalspieler dort, weswegen diese Option für mich sehr interessant war. Die Umstände haben auch für die Familie gepasst, denn zu dieser Zeit hatte mein Vater ein Jobangebot aus Finnland. Also haben wir uns gemeinsam dafür entschieden.

SPOX: War es eine komische Heimkehr? Immerhin hatten Sie beinahe Ihr komplettes Leben zuvor in Deutschland verbracht...

Ring: Nein, ich habe mich sofort heimisch gefühlt. Für mich war Finnland immer mein Zuhause. Zuhause ist da, wo deine Familie ist und herkommt.

SPOX: Sie sind zu HJK Helsinki gewechselt und haben dort über den Umweg einer Ausleihe den Durchbruch geschafft. Was haben Sie aus den ersten Schritten Ihrer Karriere mitgenommen?

Ring: Es war etwas Besonderes, als so junger Spieler für den größten Verein meiner Heimat zu spielen. Und wir waren sehr erfolgreich. In diesem Jahr (2011, Anm. d. Red.) haben wir alle Rekorde gebrochen, die es zu brechen gab: meiste Tore, meiste Punkte, schnellste Meisterschaft, 24 Punkte Vorsprung. Die Mannschaft war außergewöhnlich. Wir haben uns gegenseitig hochgepusht. Ich glaube, viel von meiner Siegermentalität hat sich in dieser Zeit entwickelt. Und es war ein Sprungbrett. Danach sind sechs Spieler ins Ausland gewechselt, unter anderem Teemu Puuki, Dawda Bah und ich nach Deutschland.

Alexander Ring (l.) hat gemeinsam mit Teemu Pukki bei HJK Helsinki gespieltgetty

SPOX: Bei der finnischen Nationalmannschaft waren Sie beinahe schicksalhaft der Zimmerkollege von Mikael Forssell, der Ihnen den Wechsel zu Borussia Mönchengladbach schmackhaft gemacht. Was hat er Ihnen erzählt, um Sie von der Borussia zu überzeugen?

Ring: Seine Zeit in Gladbach war sehr erfolgreich und er ist immer noch sehr beliebt dort. Er hat mir dazu geraten, weil noch viele Leute im Klub waren, die er noch kannte. Er hat von der Atmosphäre und den Fans geschwärmt, von der professionellen Arbeit und den Trainingsbedingungen. Das ist alles eine Stufe über Helsinki. Wenn man den Verein aus der Ferne nicht so gut kennt, weiß man gar nicht, wie groß er wirklich ist.

SPOX: Hatten Sie die Befürchtung, dass der Schritt nach Deutschland zu früh kommen könnte?

Ring: Nein, gar nicht. Nach der starken Saison wusste ich, dass ich wechseln muss, um den nächsten Schritt zu machen. Es hat sich richtig angefühlt.

SPOX: Als der Wechsel bekanntgegeben wurde, haben Sie betont, wie sehr Sie sich auf die Zusammenarbeit mit Lucien Favre freuen. Haben sich Ihre hohen Erwartungen bestätigt?

Ring: Auf jeden Fall. Er hat mich als Spieler enorm weiter gebracht. Er hat auf Kleinigkeiten geachtet, auf die andere Trainer nicht so achten.

SPOX: Worauf beispielsweise?

Ring: Zum Beispiel erklärt er haarklein, wie man sich beim Blocken einer Flanke drehen muss, wie man zum Pass stehen und ihn dem Mitspieler in den richtigen Fuß spielen muss. Er arbeitet noch genauer als andere und fordert sehr viel von dir. Wenn du mitziehst, macht dich Favre jeden Tag besser.

SPOX: Haben Sie sich auch spieltaktisch weiterentwickelt?

Ring: Ich war davor in Finnland, da brauchen wir uns nichts vorzumachen, dass das ein ganz anderes Niveau ist. In unserem Rekordjahr waren wir so überlegen, dass es eigentlich egal war, wie wir spielen, wir haben die Gegner sowieso weggeputzt. (lacht) Unter Favre habe ich in den Zehn-gegen-null-Spielformen im Training taktisch extrem viel dazugelernt. Er hat seine Spielidee und seine taktischen Kniffe sehr geduldig erklärt.

SPOX: Bei der Borussia haben Sie meist nicht auf Ihrer Paradeposition im zentralen Mittelfeld, sondern auf den offensiven Außen gespielt. Wie kam das?

Ring: Ich kann nicht sagen, warum. Das hatte sicherlich etwas damit zu tun, dass ich technisch nicht der Schlechteste und auch nicht langsam bin. Aber ich glaube, die abgelaufene Saison 2017 und 2011 in Finnland waren auch deswegen meine besten, weil ich konstant auf der Sechs gespielt habe, wo meine Stärken zum Tragen kommen. Es ist heutzutage wichtig, dass man mehrere Positionen spielen kann. Für mich ist aber klar, dass ich meine Leistung auf der Sechs am besten bringe.

SPOX: Mindestens einen besonderen Moment hat Ihnen die offensive Position bei der Borussia aber beschert.

Ring: Ich weiß, was jetzt kommt... (lacht)

SPOX: Ach?

Ring: Sie meinen das Tor in der Champions-League-Qualifikation gegen Dynamo Kiew, richtig?

SPOX: Durchschaut. Welche Erinnerungen haben Sie daran?

Ring: Ich hatte mich in der Vorbereitung direkt in der zweiten Trainingseinheit am Innenband verletzt und war erst seit einer Woche wieder im Training. Plötzlich sagte Favre im Training zu mir: 'Du wirst starten.' Ich war extrem überrascht und angespannt. Ich bekomme mittlerweile zwar keine Gänsehaut mehr, aber ich denke noch sehr gerne daran zurück: Ich war 21 Jahre alt, Gladbach war lange nicht mehr in Europa und dann schieße ich nach nicht einmal einer Viertelstunde dieses Tor im Heimspiel. Das Stadion ist explodiert, das werde ich nie vergessen. Das war vielleicht der schönste Moment meiner Karriere.

Alexander Ring traf für Gladbach in der Champions-League-Qualigetty

SPOX: Das klingt eigentlich wie die Origin Story eines Publikumslieblings. Trotzdem haben Sie den Durchbruch in den anderthalb Jahren bei Gladbach nicht zu 100 Prozent geschafft.

Ring: Naja, das waren besondere Umstände am Ende. Der Trainer hätte mich gerne behalten, Max Eberl hätte mich gerne behalten, doch manchmal passieren im Fußball Dinge, bei denen man nicht so viel Einfluss hat. Dennoch blicke ich sehr positiv auf die Zeit zurück, weil ich von Profis wie Dante und Reus so vieles lernen konnte, wie man trainieren muss, wie man leben muss. Die Borussia wird in meinem Herzen immer einen besonderen Stellenwert haben. Wenn ich die Leute, die dort arbeiten, heute treffen würde, wäre die Wertschätzung sicher beidseitig groß.

SPOX: Nach Ihrer Zeit in Gladbach sind Sie zum 1. FC Kaiserslautern gewechselt und haben in der 2. Liga einen ganz anderen Fußball kennen gelernt...

Ring: Die Umstellung ist riesig von der Bundesliga in die 2. Liga, in der vielleicht drei Teams richtig guten Fußball spielen und es beim Rest auch viel Kampf, Härte und lange Bälle gibt. Das ist nicht einfach. Da geht es natürlich darum, irgendwie Punkte zu bekommen, denn es geht noch viel mehr um Existenzen.

SPOX: Hatten Sie das Gefühl, dass die Erwartungen an Sie als Neuzugang aus der Bundesliga besonders hoch waren? Vielleicht sogar zu hoch?

Ring: Über Erwartungen von anderen mache ich mir nicht viele Gedanken. Ich bin sehr selbstkritisch und habe hohe Erwartungen an mich selbst. Mir ist wichtig, was der Trainer und die Mitspieler von mir denken. Aber darüber hinaus können die Leute sagen und schreiben, was sie wollen.

Alexander Ring spielte dreieinhalb Jahre lang für den 1. FC Kaiserslauterngetty

SPOX: Wie haben Sie den Absturz des FCK in den dreieinhalb Jahren, die Sie dort gespielt haben, erlebt?

Ring: Der FCK ist auch ein großer Verein. Ich drücke die Daumen, dass es bald wieder aufwärts geht am Betzenberg.

SPOX: Dann lassen Sie uns über Ihren Wechsel zum New York City FC sprechen. Aus der Pfalz in den Big Apple - wie kam das zustande?

Ring: Der Chefscout von New York City ist Schwede. Und zu dieser Zeit war mein Nationaltrainer Hans Backe, der auch Schwede ist. Darüber gab es erste Verbindungen und dann hat mich der Trainer Patrick Vieira auch einige Male beobachtet und mich sehr frühzeitig kontaktiert.

SPOX: Was hat er gesagt?

Ring: Dass er mich unbedingt haben will. Er hat nicht locker gelassen und sich häufiger gemeldet. Er hatte einen klaren Plan, wie und wo er mich einsetzen will. Er konnte mich charakterlich und sportlich sehr gut einschätzen und sagte, dass er mich auf ein neues Level bringen möchte. Und das hat er auch definitiv getan.

SPOX: Vieira wurde in den letzten Jahren immer wieder bei europäischen Klubs gehandelt. Wie ist er als Typ?

Ring: Man merkt direkt , warum er so lange bei Arsenal Kapitän war. Er weiß, wie er eine Mannschaft führen muss und ist eine starke Persönlichkeit. Er explodiert nie, schreit nie, bleibt immer sachlich und ruhig und versteht den Fußball sehr gut. Ich bin überzeugt, dass er eher früher als später ein sehr großer Trainer werden wird. Vieira kann Barca oder Real trainieren.

SPOX: Welche Überlegungen haben außer der Überzeugungskraft des Trainers noch eine Rolle gespielt?

Ring: Bei der Chance, mit Andrea Pirlo und David Villa in einer Mannschaft zu spielen, wird jeder schwach. Jeden Tag mit zwei Weltmeistern zu trainieren, ist ein Privileg, das nicht jeder bekommt. Für mich war das ein großer Faktor, das ist doch ganz klar.

SPOX: Vor allem ist Pirlo auf Ihrer Position eine Ikone. Wie sehr haben Sie von ihm profitiert?

Ring: Für mich war das Größte, wie Pirlo als Typ ist. Wie professionell er in seinem Alter noch gearbeitet hat, wie locker er aber trotzdem im Umgang mit Leuten ist - mit Medien, mit Fans, mit Mitspielern. Er war mir gegenüber sofort freundschaftlich, ist überhaupt nicht abgehoben. Das ist beeindruckend. Ich habe auch von ihm gelernt, wie wichtig Mentalität ist. Er steht nie unter Druck, egal wie wichtig das Spiel ist. Und sportlich brauchen wir ja nicht darüber reden. Pirlo ist von einem anderen Planeten.

SPOX: Fernab vom Sportlichen war der Wechsel auch privat ein riesiger Schritt. Sie haben eine junge Familie mit zwei kleinen Kindern und sind in die große Stadt New York gezogen. War es schwierig anzukommen?

Ring: Nein, wir haben die Stadt vom ersten Tag an geliebt. Man kann hier 24 Stunden am Tag alles machen, was man will. Natürlich war das auch ein Argument für den Wechsel. Kaiserslautern und New York ist schon ein kleiner Unterschied.

SPOX: Aber nach Hause sind es acht Stunden Flug.

Ring: Das stimmt. Mal eben kurz für ein Wochenende nach Hause zu fliegen, ist mit zwei kleinen Kindern fast unmöglich. Aber dafür ist mein Winterurlaub sehr lange. Deswegen genießen wir die Zeit hier und freuen uns auf den Winter in Finnland.

SPOX: Was vermissen Sie am meisten aus der Heimat?

Ring: Ich vermisse meine Familie, aber sonst fehlt mir in dieser Stadt nichts, neben und auf dem Platz.

SPOX: Sportlich haben Sie die beste Saison Ihrer Karriere gespielt, gelten in der MLS als Toptransfer und standen auf der Shortlist zum MVP. Das weckt Begehrlichkeiten. Welche Ambitionen haben Sie? Wie stellen Sie sich die nächsten Jahre vor?

Ring: Mein Traum ist es, eines Tages in England zu spielen. Das war einer der Gründe, warum ich hierhergekommen bin. Alle unsere Spiele werden in England übertragen und man kann sich so empfehlen. Ich glaube, dass mein Spielstil sehr gut zu der Liga passen würde. Aber ich habe keine Eile, ich bin glücklich hier. Die Liga ist stark, hier spielen viele Nationalspieler, die Liga wird zu Unrecht unterschätzt und hat ein großes Potenzial.