Andreas Beck hat es nach dem Abstieg mit dem VfB Stuttgart nach Belgien gezogen. Sein neuer Verein ist die Königliche Allgemeine Sportvereinigung Eupen. Im Interview mit SPOX und Goal erklärt Beck die Hintergründe seines nur auf den ersten Blick etwas überraschenden Wechsels und verrät, warum er gerne leidet.
Außerdem spricht der 32-Jährige offen über die katastrophale Abstiegssaison mit dem VfB und die tiefer liegenden Probleme in Stuttgart.
Herr Beck, Sie starten mit der KAS Eupen am Wochenende in die belgische Liga, der VfB Stuttgart startet nach dem Abstieg gleichzeitig in die Zweitliga-Saison (VfB vs. Hannover, 20.30 Uhr im LIVETICKER). Wie haben Sie in den vergangenen Wochen aus der Ferne die Geschehnisse rund um den VfB erlebt?
Andreas Beck: Mit gemischten Gefühlen, wenn man zum Beispiel an die Mitgliederversammlung denkt. So etwas wünscht man sich natürlich nicht für seinen Heimatverein. Ich bin wirklich gespannt, wie es sich entwickelt. Ich kann nur hoffen, dass es der VfB schafft, mit guten und richtigen Entscheidungen eine sportliche Konstanz in den Verein zu bringen, die so dringend nötig ist. Der VfB muss sich den Erfolg Tag für Tag neu erarbeiten und Woche für Woche untermauern. Der VfB ist ein Verein mit einer gewaltigen Kraft, in beide Richtungen. In unserer so erfolgreichen Rückrunde, als wir beileibe auch nicht immer schön gespielt haben, wurden wir von dieser Power getragen und sind auf einer Welle geschwommen. In der vergangenen Saison ist es ins Gegenteil umgeschlagen und wir wurden vielleicht auch ein Stück weit von der Erwartungshaltung erdrückt. Es ist Fluch und Segen zugleich. Die Leidenschaft und Tradition muss man zu schätzen wissen. Aber wer zum VfB kommt, muss auch wissen, worauf er sich einlässt. Der VfB ist ein unglaublich komplizierter Verein.
Glauben Sie, dass jemand wie Jürgen Klinsmann, in welcher Funktion auch immer, jemand sein könnte, der die Kompliziertheit und vor allem die verkrusteten Strukturen aufbrechen könnte?
Beck: Jürgen Klinsmann ist mit Sicherheit jemand, der eine wahnsinnige Erfahrung im Profifußball hat und dem ich das zutraue. Unabhängig von seiner Person sehe ich aber einen wichtigen Punkt, der oft vernachlässigt wird: In erster Linie sollte die Qualifikation das entscheidende Kriterium sein. Nur weil jemand als Spieler beim VfB eine Historie hat, heißt das ja nicht automatisch, dass er das Rüstzeug hat, so ein großes Unternehmen zu führen. Nur deshalb sollte jemand nicht eingebunden werden, dafür geht es auch um zu viel Geld. Auf der anderen Seite heißt das Kerngeschäft aber Fußball. Nur Know-how in der Wirtschaft zu besitzen, reicht auch nicht aus. Ein Verein braucht Personen, die beides verbinden und zusammenführen können.
Warum sind Sie nicht mehr Teil des neuen VfB?
Beck: Während der ganzen Saison hat sich meine Situation nie konkretisiert. Es gab zwar lose Gespräche und positive Signale, aber es hat nie Form angenommen. Ehrlich gesagt bin ich nie fest davon ausgegangen, dass es beim VfB weitergeht. Dafür war das Jahr auch viel zu turbulent. Man kann ja fast gar nicht mehr zählen, wer in den vergangenen 24 Monaten alles beim VfB war und Verantwortung getragen hat. Ich bin zwar offengeblieben, aber ich wusste, dass sich beide Seiten vielleicht neu orientieren wollen, sollte es sportlich schiefgehen. Es ist aber auch absolut legitim. Der VfB hat einen neuen Trainer und geht seinen Weg, hoffentlich erfolgreich, und ich gehe meinen Weg und habe jetzt in Belgien eine spannende Aufgabe vor mir.
Andreas Beck: "Es tat einfach nur weh"
Für Sie persönlich war die Abstiegssaison auch besonders bitter, weil Sie sich am Ende verletzten, gerade in der Phase, als Sie von Nico Willig zum Signalspieler ausgerufen wurden und eine wichtige Rolle hatten.
Beck: Ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt musste ich mich zum ersten Mal in meiner Karriere operieren lassen. Das war schon sehr bitter. Es war insgesamt auch für mich ein wildes Jahr. Wir hatten verschiedene Trainer mit verschiedenen Philosophien. Es gab Phasen, in denen andere Spieler die Position eingenommen haben, auf der ich mich gesehen habe. Das war nicht einfach. Aber unter Nico Willig durfte ich mich dann noch einmal beweisen.
Und das in ungewohnter Rolle.
Beck: Richtig, die Position im Mittelfeld war ungewohnt, aber es hat Spaß gemacht, weil wir es in dieser Phase immerhin etwas schafften, der Mannschaft neues Leben einzuhauchen und ich daran beteiligt sein konnte. Dass ich am Ende von außen zuschauen musste, wie wir absteigen, tat einfach nur weh.
Wie lange haben Sie gebraucht, um den Abstieg zu verkraften?
Beck: Ich muss zugeben, dass es sich für mich insofern komisch und anders angefühlt hat, weil ich es in der letzten Phase der Saison eben als Außenstehender betrachten musste. Emotional ist das ganz anders, als wenn du dich die ganze Zeit in der Blase der Mannschaft aufhältst und wirklich erst nach dem Abstieg mit der Verarbeitung beginnen kannst. Ich dagegen war in der Reha, umgeben von ganz normalen Patienten. Ich hatte ein anderes Ventil und habe in der Zeit schon viel reflektiert. So gesehen konnte ich es relativ schnell verarbeiten.
Andreas Beck: "Als Spieler bist du nur ein kleines Rad"
Thomas Hitzlsperger hat nach dem Abstieg gesagt, dass er jeden Trainer der Welt hätte holen können, es hätte nichts gebracht. Es hat offensichtlich einfach nichts zusammengepasst in dieser Mannschaft. Wie haben Sie es als Spieler erlebt?
Beck: Es ist natürlich hypothetisch, aber ich denke schon, dass es einen Unterschied gemacht hätte, wenn gewisse Entscheidungen früher getroffen worden wären. Es hätten früher Kräfte freigesetzt werden können. Aber es ist müßig, darüber zu spekulieren. Fakt ist, dass wir es in der Relegation nicht geschafft haben, uns gegen einen Zweitligisten durchzusetzen. Ich muss jedem Kritiker recht geben, der sagt, dass die Mannschaft einfach nicht gut genug war, um die Liga zu halten. Wir sind absolut verdient abgestiegen, das ist die traurige Wahrheit. Viele Puzzleteile haben dazu beigetragen, aber wenn du als Siebter aus einer Saison kommst und dann im nächsten Jahr so absteigst, musst du schon enorm viel falsch gemacht haben. Keiner von uns war frei von Fehlern.
Wann wussten Sie persönlich denn, dass es in die völlig falsche Richtung läuft?
Beck: Als wir nach den ersten fünf Spieltagen nur zwei Punkte auf dem Konto hatten, war für uns erfahrene Spieler schon klar, dass es keine gute Saison mehr werden kann und wir bis zum Schluss werden kämpfen müssen. Zum einen, weil du diesem Rückstand die ganze Zeit hinterherlaufen wirst und zum anderen, weil die Worte von den Top 6, zu denen der VfB gehören soll, immer nachgehallt haben. Wir waren zwar Siebter, aber wir waren trotzdem nur zwei Jahre von der zweiten Liga entfernt. Dennoch ist diese immense Erwartungshaltung und sehr schnell dieser immense Druck aufgebaut worden. Und dann hatten wir junge Spieler, die für viel Geld aus dem Ausland gekommen sind und sich etwas ganz anderes vorgestellt hatten. Für die Jungs war es auch richtig schwer, das darf man nicht vergessen. Ich würde Nicolas Gonzalez gerne mal in einer erfolgreichen Mannschaft mit Selbstbewusstsein spielen sehen. Vielleicht wird es in dieser Saison möglich sein, dann muss er seine Qualitäten aber auch unter Beweis stellen, das ist auch klar.
Es war immer wieder zu hören, dass in der Mannschaft nicht jeder Spieler wirklich verstanden hatte, worum es eigentlich ging. Haben Sie als erfahrener Spieler, dem der VfB auch persönlich viel bedeutet, dort immer vergeblich versucht einzuwirken?
Beck: Natürlich hat dein Wort ein anderes Gewicht, wenn du 32 bist und schon vieles erlebt hast. Und natürlich versuchst du, in der Kabine die Jungs positiv mitzunehmen. Aber es gibt Dinge, die in einer Mannschaft passieren, die kannst du nicht verändern. Da kannst du nicht gegensteuern. Und dann gibt es strukturelle Dinge, da kannst du erst recht nichts verändern. Als Spieler bist du nur ein kleines Rad, die Einflussmöglichkeiten sind doch begrenzt.
Wenn wir zu Ihrem neuen Verein kommen: Der Wechsel nach Eupen kam überraschend, wie überrascht waren Sie von der Option KAS Eupen?
Beck: Als mein Bruder meinte, dass es eine spannende Geschichte aus Belgien gibt und ich dann zum ersten Mal Eupen gehört habe, war meine Reaktion auch: Okay, das habe ich so jetzt noch nicht gehört. (lacht) Ich hatte auch ein paar andere Angebote auf dem Tisch und habe den Gedanken an Belgien zusammen mit meiner Frau einige Tage gedeihen lassen, aber als die Gespräche dann forciert wurden, habe ich jeden Tag ein besseres Gefühl bekommen. Mir war recht schnell klar, dass es das ist, was ich gerne machen will.
Die Verbindung nach Katar durch die AspireFoundation hat Sie nicht abgeschreckt?
Beck: Mir ging es um eine neue Liga, eine neue Fußballkultur, persönliche Wertschätzung, ein Vertragsangebot über drei Jahre, es hat so viel gepasst. Dazu kommt eine junge dynamische Mannschaft mit einem spannenden Trainer und sehr spannendem Konzept, der mich aufgrund meiner Erfahrung als Stütze sieht. Das war mir wichtig. Natürlich weiß ich um den finanziellen Hintergrund, aber ich habe auch hier von Anfang an die positiven Seiten gesehen. Vielleicht liegt es an meiner Hoffenheim-Vergangenheit, ich habe da viele Parallelen und Gemeinsamkeiten entdeckt. Ich finde viele Inhalte der Aspire Academy spannend. Ich habe mir viel erzählen lassen, gerade was den Bereich Talentförderung und das Scoutingnetzwerk angeht. Im Hinblick auf die WM 2022 wurde einiges auf die Beine gestellt, was sich ja auch darin zeigt, dass Katar den Asien-Cup gewonnen hat. Mit einer Mannschaft, die auch von Spielern aus Eupen geprägt war.
Bei genauerer Betrachtung passt nochmal ein Wechsel nach Belgien auch besser zu Ihnen. Ihre Zeit in der Türkei war prägend, jetzt kommt ein neues völlig anders gelagertes Abenteuer.
Beck: Das stimmt. Ich hätte auch nochmal einen Vertrag in der Bundesliga unterschreiben können, aber die Frage war, was mir wichtig ist. Mir bedeutet es nicht so viel, ob ich jetzt 290 Bundesligaspiele habe oder 320. Ich wollte mal wieder aus der Komfortzone heraus und über den Tellerrand hinausschauen. Ich habe keine Ahnung, ob es sportlich erfolgreich wird, oder total schwer, beides kann passieren. Aber wer mich kennt, weiß, dass ich neue Herausforderungen immer mit offenen Armen annehme. Es prasselt zwar sehr viel auf mich ein, auch privat, weil ich in Bälde zum zweiten Mal Vater werde, aber es hält einen auch lebendig. Ich bin mir sicher, dass mich diese drei Jahre wieder weiterbringen werden. Ich lasse mich total drauf ein.
Andreas Beck: "Ich bin vom Niveau positiv überrascht"
Auch auf den neuen Modus?
Beck: Auch auf den neuen Modus. (lacht) Ich bin gespannt, wie es mit Meisterrunde und Playoffs so ist. Nach der Saison können wir dann ein Fazit ziehen.
Haben Sie es schon ausgenutzt, im Dreiländereck zu leben?
Beck: Ich lebe im Moment noch in Aachen im Hotel und es gab tatsächlich schon Tage, als ich morgens in Deutschland aufgewacht bin, dann in Belgien trainiert habe und später noch in Maastricht im äußersten Süden der Niederlande war. Das ist eine richtig schöne Stadt. Es hat schon seinen Charme, im Dreiländereck zu leben. Es ist alles sehr idyllisch. Klein, aber fein. Das Trainingszentrum ist top, aber es gibt auch noch einige Stufen, die wir erklimmen müssen als Verein. Das ist unsere Aufgabe.
Wie beurteilen Sie die Qualität, die in Ihrer neuen Mannschaft vorhanden ist?
Beck: Ich bin vom Niveau sehr positiv überrascht. Wir haben gute Jungs in der Truppe und einen Trainer, der Fußball spielen lassen will und schon Erfolge nachgewiesen hat.
Andreas Beck: "Ich muss dann zurück auf die Schulbank"
Benat San Jose ist erst 39 Jahre alt und in seiner Vita stehen als Stationen schon Saudi-Arabien, Chile, Bolivien und Dubai.
Beck: Er ist eine extrem spannende Persönlichkeit. Wenn du noch keine 40 bist, aber als Spanier mit der spanischen Fußballmentalität in diesen Ländern auf der Welt schon gearbeitet und Erfolge gefeiert hast, sagt das für mich einiges aus. Er ist sehr gut ausgebildet und weiß ganz genau, was er will. Er will Spieler mit Erfahrung auf dem Platz haben, mit der nötigen Abgezocktheit, er fördert aber auch ganz viel Kreativität. Teilweise hat das Spiel auch einen etwas wilden Charakter, was gut ist, solange wir es in die richtige Balance bringen. Testspielergebnisse sagen nicht unbedingt viel aus, aber wir haben zum Beispiel Leverkusen mit 4:3 geschlagen. Wir wollen die beste Saison in der Vereinshistorie spielen. Das bedeutet, dass wir die Top 10 knacken wollen. Das wird nicht einfach, ist aber machbar.
Sie haben für drei Jahre unterschrieben. Ist danach Schluss?
Beck: Ich weiß es nicht. Ich bin im Moment in einer Phase meiner Karriere, in der ich jedes einzelne Training und jedes einzelne Spiel genieße. Darauf liegt mein ganzer Fokus. Ich weiß nicht, wie lange der Motor noch läuft. Wie lange die Motivation noch da sein wird. Davon wird es abhängen. Aber es kann auch noch länger gehen. Ich weiß auch noch nicht, was ich nach der Karriere machen will. Ich denke schon, dass ich im Fußball bleiben werde, aber aktuell genieße ich noch total die Zeit als Spieler. Ich genieße auch die Leiden. Als Fußballprofi leidest du, weil du körperlich und mental an deine Grenzen stößt, aber das genieße ich tatsächlich auch. (lacht)
Der VfB hat Ihnen die Tür zur Rückkehr bereits aufgemacht.
Beck: Das ist eine schöne Geste. Aber bevor ich eines Tages in irgendeiner Position zum VfB zurückkehren könnte, müsste ich mir ohnehin erst einmal die nötigen Qualifikationen dafür erwerben. Nur weil ich vielleicht ein verdienter Spieler bin, will ich keinen Posten bekommen. Ich muss dann erstmal zurück auf die Schulbank, mir die nötigen Fachkenntnisse aneignen und mich über Jahre beweisen, egal ob es als Trainer, Manager oder in einer anderen Rolle ist.
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