Das Empfangskomitee war überschaubar. Ein Chauffeur und ein Schild mit der Aufschrift "Mr. Beinlich & Mr. Breitkreutz" warteten in der Empfangshalle, als Stefan Beinlich und Matthias Breitkreutz nebst Freundinnen am Flughafen von Birmingham ankamen.
"Es war dennoch wie im Märchen. Unser Fahrer kam mit dem Rolls Royce und hat uns erstmal in einen noblen Vorort kutschiert, wo wir zukünftig leben sollten. Danach ging es weiter ins Hyatt-Hotel, dort wurden wir erstmal untergebracht. Einfach der Wahnsinn", erinnert sich Beinlich im SPOX-Interview an den Herbsttag 1991, der sein Leben für immer verändern sollte.
Beinlich war ein 19-Jähriger wie so viele auch in Ost-Deutschland kurz nach der Wiedervereinigung. "Vokuhila-Frisur, eine Ein-Zimmer-Wohnung mit der Freundin in Berlin, Bilderbuch-Ossi eben", sagt Beinlich schmunzelnd.
Kaum ein Verein außerhalb Berlins nahm Notiz vom Mittefeldspieler, der in der Hauptstadt für den Amateur-Oberligisten Bergmann-Borsig in einem Team mit Breitkreutz groß aufspielte, gemeinhin aber als zu langsam für den Spitzenfußball galt.
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Beinlich und Breitkreutz die Pioniere
Der Zufall jedoch wollte es, dass Beinlich bei einem Turnier in den Niederlanden im Sommer 1991 von einem Scout des englischen Erstligisten Aston Villa entdeckt wurde. Zusammen mit dem damals 20-jährigen Breitkreutz erhielt er daraufhin die erwähnte Einladung nach Birmingham - und leitete damit den Trend ein, dass deutsche Talente in die Premier League wechseln.
In den letzten zehn Jahren verließen fast 30 Spieler unter 21 Jahren Deutschland und versuchten ihr Glück in England. Vor wenigen Wochen wurde zuletzt der 15-jährige Torwart Loris Karius von Manchester City abgeworben, was Karius' abgebenden Verein VfB Stuttgart höchst erzürnte.
Neben Karius stehen aktuell mehr als eine Handvoll weiterer deutscher Talente in England unter Vertrag.
Allesamt bei Spitzenteams und ambitionierten Mittelstands- oder Zweitligaklubs, allesamt Juniorennationalspieler, allesamt sprechen die Jungspunde davon, dass es "eine tolle Erfahrung" sei.
"Die Strahlkraft der stärksten Liga"
Nur: Sie sind auch allesamt meilenweit vom Durchbruch in der Premier League entfernt.
Ron-Robert Zieler (20) etwa ist einer von sieben (!) Torhütern im 43-köpfigen Profi-Kader von Manchester United, Semih Aydilek (20) wurde jüngst von Birmingham City nach Schottland zum FC Motherwell ausgeliehen, Keeper Niclas Heimann (18) und der deutsch-türkische Stürmer Gökhan Töre (17) verdienen sich erst ihre ersten Sporen im Jugendteam.
"Die Stahlkraft der stärksten Liga der Welt, die finanziellen Bedingungen, die Auslandserfahrung und die Verlockung, direkt einen Profivertrag zu bekommen, sind die häufigsten Argumente für einen Transfer. Für viele erscheint das Gras auf der anderen Seite des Hügels immer grüner", sagt Hamburgs Nachwuchschef Jens Todt zu SPOX.
Karriereknick in der Fremde
Dass das ein Trugschluss ist, weiß Todt aus erster Hand. Torwart Nick Hamann (21) war viereinhalb Jahre beim FC Chelsea, Mittelfeldspieler Mamadi Keita (19) zweieinhalb Jahre in Blackburn, beide brachen ihre Zelte ab und wechselten vor einem Jahr zur zweiten Mannschaft des HSV.
Während sich Keita immerhin als Stammspieler etabliert hat und in die Nationalmannschaft Guineas berufen wurde, sitzt Hamann selbst bei der Reserve nur auf der Bank.
Der England-Aufenthalt als Karriereknick. Hamann hat es erlebt, viele andere auch. Sebastian Kneißl gab als 17-Jähriger Real Madrid und dem FC Bayern einen Korb und ging zum FC Chelsea. Mit 24 hatte er seine Karriere beendet, mit heute 26 spielt er in Schweinfurt, beim Letzten der Bayernliga.
Ähnlich der Werdegang von Markus Neumayr, den es nach seiner Zeit bei Manchester United nach Duisburg, ins belgischen Zulte Waregem und mittlerweile in die Regionalliga nach Essen verschlagen hat. Neumayr ist 23 Jahre alt.
Dritte türkische Liga statt Premier League
Mit am tiefsten ist das ehemalige Nottingham-Forest-Trio Eugen Bopp (25), Pascal Formann (26) und Arif Karaoglan (23) abgestürzt: Ex-Bayern-Youngster Bopp kickt nun in der dritten englischen Liga (Crewe Alexandra), Formann ist in der Regionalliga nur der Ersatzkeeper von Cloppenburg, Karaoglan tauchte in die dritte türkische Liga bei Eyüpspor ab.
"Ich habe selbst erlebt, wie schwer es in England ist. Die Konkurrenz ist gewaltig, man ist nur einer von vielen und beim Chef-Trainer häufig nur die Nummer 40, 41, 42", sagt Beinlich, dessen dreijähriger Aufenthalt bei Aston Villa trotz überschaubarer 16 Premier-League-Einsätze trotzdem eine Erfolgsstory war.
Beinlich bestritt 288 Bundesliga-Partien für Rostock, Leverkusen, Berlin und Hamburg, spielte in der Nationalmannschaft und im UEFA-Cup, dennoch war Aston Villa seine wichtigste Station. "Ich habe in England gelernt, dass ich Fußball arbeiten muss. Dass es meine Lehrzeit ist, nicht schön, aber nötig."
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Der Durchbruch als Ausnahme
Ähnlich äußerte sich Thomas Hitzlsperger, neben Beinlich und mit Abstrichen Robert Huth, Moritz Volz und Breitkreutz einer der wenigen Deutschen, denen dank eines frühen Wechsels nach England der große Durchbruch im Profifußball gelang.
Mit 17 nahm Hitzlsperger zur Verärgerung seines damaligen Vereins FC Bayern heimlich an einem Probetraining von Aston Villa teil und bestritt daraufhin fast 100 Spiele in der Premier League. Neun Jahre später ist er Kapitän in Stuttgart, Stammspieler der Nationalmannschaft und mit seiner reifen, überlegten Art das Sinnbild des modernen "Lernfußballers" ("Der Spiegel").
"Wahrscheinlich hilft es einem, wenn die Karriere in jungen Jahren nicht schnurstracks nach oben ging", mutmaßt Beinlich. "Auch ich musste mir schon immer alles hart erarbeiten, deswegen war ich an schwierige Situationen wie in England schon gewöhnt."
Der 37-Jährige weiter: "Wenn aber andersherum jemand sein Leben lang hochgejubelt wurde, ist es schwierig, in einem fremden Land den Schalter umzulegen und plötzlich kämpfen zu müssen."
Umdenkprozess im Gang
Die Liste der in England Gescheiterten ist lang. Doch so langsam ist ein Umdenken erkennbar. Deutsche Talente gehen zwar weiterhin mit Vorliebe in die Premier League, immer häufiger wird jedoch der Aufenthalt vorzeitig beendet, sollte sich in der Heimat eine bessere Perspektive ergeben.
In dieser Saison kehrte Kevin Wolze (19) aus Bolton nach Wolfsburg zurück und gilt beim Bundesliga-Tabellenführer als Mann der Zukunft, Neu-Schalker Marvin Pourie (18) stieß sich in Liverpool seine Hörner ab ("Ich wollte die Akademie im Schnelldurchlauf absolvieren") und soll als Leihgabe beim Zweitligisten 1860 München Spielpraxis bekommen.
Pezzonis Märchen
Am erfolgreichsten verlief die Rückkehr von Kölns Kevin Pezzoni.
Nach einer fünfjährigen Ausbildung in Blackburn entschloss er sich zum Wechsel nach Deutschland - und ist mit 20 Jahren bereits eine feste Größe beim FC, auch wenn er zuletzt nicht in der Startelf stand.
Unter anderem gehört Juventus Turin zu Pezzonis Verehrern. "2008 war Kevin noch irgendwo im Nirgendwo in England. Das ist ein Märchen", sagt Kölns Trainer Christoph Daum.
So wie damals bei Stefan Beinlich. An einem Herbsttag vor 18 Jahren am Flughafen von Birmingham.
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