Harry Redknapp: Der Möwen-Flüsterer

Thomas Gaber
29. Februar 201209:30
In seiner Freizeit spielt Harry Redknapp gerne GolfGetty
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Er wurde nach einem Autounfall schon für tot erklärt. Er kann weder schreiben noch riechen. Er war Taxifahrer und wurde wegen Steuerhinterziehung angeklagt. Er bezeichnet die Rettung einer Möwe als größte Errungenschaft seines Lebens. Dieser Mann soll England zum EM-Titel führen. Harry Redknapp - geliebt, geschätzt, verehrt.

Eigentlich hat Harry Redknapp derzeit ein wundervolles Leben. Tottenham Hotspur liegt in der englischen Meisterschaft top im Rennen, die Champions-League-Teilnahme in der nächsten Saison ist so gut wie sicher. Der Trainer wird von den Spurs-Fans als Heiliger verehrt und seit dem plötzlichen Rücktritt von Fabio Capello liegt ihm ganz England zu Füßen.

Redknapp wird zugetraut, die stolze Fußball-Nation aus einer elend lang erscheinenden Depression zu holen. Er soll den begehrtesten, aber wohl undankbarsten Job des Landes übernehmen. England hatte viele Nationaltrainer, einige von ihnen dürfen sich auf der Insel nicht mehr blicken lassen.

Sven-Göran Eriksson etwa, der seit seiner Affäre mit einer Verbands-Sekretärin in England nur noch "der geile Sven" heißt, oder Steve McClaren, "der Trottel mit dem Regenschirm".

Die wenigsten haben es zu Ruhm und Ehre geschafft: Walter Winterbottom, Weltmeister-Coach Alf Ramsey und Bobby Robson - allesamt wurden zum Ritter geschlagen.

Doppelfunktion denkbar

So weit ist es bei Harry Redknapp noch nicht, doch der 64-Jährige genießt landesweit höchste Anerkennung, in London, in Liverpool, in Manchester, in Birmingham.

Redknapp fühlt sich geschmeichelt. Und er würde dem sehnlichen Wunsch des verzweifelten englischen Verbandes FA gerne entsprechen, allerdings nicht auf Kosten seiner Arbeit bei den Spurs.

"Einfach so davonzurennen, gerade jetzt, wo wir uns in einer solch guten Position befinden, wäre einfach nicht fair gegenüber Tottenham und ist nicht meine Art", sagte Redknapp dem arabischen TV-Sender "Abu Dhabi Sports". Sein Vorschlag: Jobsharing für ein paar Wochen.

"Kurzfristig ist eine Doppelfunktion im Hinblick auf die EM möglich. Auf lange Sicht ist es aber undenkbar, gleichzeitig Klub- und Nationaltrainer zu sein", so Redknapp.

Spieler, Taxifahrer, Trainer

Bislang hat die FA nicht auf Redknapps Vorschlag reagiert. Aber es ist nicht unwahrscheinlich, dass sich die Funktionärsriege in ihrer Ohnmacht auf den Deal einlässt. Der Verband will einen Engländer und zu Redknapp gibt es kaum Alternativen.

Als Spieler war Redknapp keine allzu große Nummer. Seine beste Zeit hatte er als junger Flügelspieler bei West Ham United. Mit 17 unterschrieb er seinen ersten Profivertrag bei den Hammers und blieb acht Jahre. Seine weiteren Stationen waren AFC Bournemouth, FC Brentford und Seattle Sounders. Ein Spiel im Nationaldress blieb ihm verwehrt.

"Ich kann mich nicht mehr an die etwa 82 Spieler erinnern, die mir während meiner Karriere vorgezogen wurden. England hatte Glück mit Alf Ramsey, ich hatte Pech. Ramsey sortierte sämtliche Flügelspieler aus. Das war's dann für mich", erinnert sich Redknapp, der nach seinem Karriereende eher zufällig Geschmack am Trainerjob fand.

"Ich war frustriert und wusste nicht, was ich mit meiner Zeit anfangen sollte. Da habe ich mir ein Taxi gekauft für 14.000 Pfund. Das Geld habe ich mir von einer Bank geliehen und, ja - ich war Taxifahrer. Dann bat mich Jimmy Gabriel, mit dem ich in Bournemouth zusammenspielte, um meine Hilfe. Er wurde Trainer in den USA, in Seattle, und ich sollte ihn unterstützen. Ich hab's gemacht und wusste nach kurzer Zeit: Trainer - das ist mein Ding!"

Vorbild Brian Clough

Ob Bournemouth, West Ham, Portsmouth, Southampton oder Tottenham - Redknapp hat überall etwas bewegt. Er setzte den Schwerpunkt stets in der Jugendarbeit, vor allem bei West Ham mit nachhaltigem Erfolg.

Rio Ferdinand, Joe Cole, Jermaine Defoe, Michael Carrick und Frank Lampard verdanken Redknapp den Durchbruch. Zu Lampard hat Redknapp zudem eine enge Bindung, da er mit dessen Tante verheiratet ist.

In Portsmouth wurde Redknapp nach der Saison 2005/06 als "Harry Houdini", einem im frühen 20. Jahrhundert berühmten Entfesselungskünstler, verehrt. Er hatte Portsmouth zum Klassenerhalt geführt, obwohl der Verein zwei Monate vor Saisonende acht Punkte Rückstand auf einen Nichtabstiegsplatz hatte. Und Tottenham qualifizierte sich unter Redknapp 2010 erstmals für die Champions League.

Redknapp bewundert die Arbeit von Alex Ferguson, sein großes Trainer-Vorbild ist aber Brian Clough, der 1979 und 1980 mit Nottingham Forest zwei Mal den Landesmeistercup holte.

"Diese Mannschaft hatte eigentlich keine Berechtigung, etwas zu gewinnen. Nottingham - das war doch ein unmodischer Klub, weit entfernt von Glamour. Und dann holt dieser Typ zwei Mal den wichtigsten Titel im Vereinsfußball. Mehr muss man über Brian nicht sagen. Abgesehen davon, dass er auch richtig saufen konnte."

Lieblingsspieler di Canio

Redknapp gilt als Trainer mit exzellentem Zugang zu seinen Spielern. Er reagiert allergisch auf Grüppchenbildung innerhalb seiner Mannschaft und wird als großer Taktiker geschätzt, der obendrein attraktiven Fußball spielen lässt. Viele aktuelle Nationalspieler wie Wayne Rooney oder Rio Ferdinand machten sich für ihn als Coach der Three Lions stark.

Dabei ist Redknapp abseits des Fußball-Business eine durchaus gewöhnungsbedürftige Person. In kritischer Anspielung auf die Millionen-Investitionen bei Manchester City sagte er: "Würde Saddam Hussein Millionen in einen Fußball-Klub stecken, würden auch alle jubeln. Und die Zuschauer würden singen: "'Es gibt nur einen Saddam Hussein.'"

Er bezeichnete Paolo di Canio, der öffentlich seine Zuneigung zum Faschismus kundtat, als seinen Lieblingsspieler.

Ein Konto namens Rosie

Erst vor kurzem wurde Redknapp vom Vorwurf der Steuerhinterziehung freigesprochen. Zwischen 2002 und 2007 soll er als Portsmouth-Trainer 223.000 Euro am englischen Fiskus vorbeigeschleust und auf ein Konto in Monaco, das auf den Namen seiner Bulldogge Rosie lief, eingezahlt haben.

Im Zusammenhang der Ermittlungen tauchte ein Tonband auf, das ein Verhör Redknapps durch die Londoner Polizei dokumentiert.

Redknapp sagte: "Ich bin komplett unorganisiert. Ich bin unfähig, am Computer zu arbeiten. Ich weiß nicht, was eine E-mail ist. Ich habe in meinem Leben weder ein Fax, noch eine SMS versendet. Das hat einen einfachen Grund: Ich kann nicht buchstabieren und schreibe wie ein Zweijähriger."

Schwerer Autounfall und Herz-OP

Diese Ehrlichkeit wird in England geschätzt. Sie erlaubt es Redknapp, öfter mal übers Ziel hinauszuschießen, ohne dass kritisch nachgefragt wird. Außerdem mögen die Engländer Redknapps fighting spirit.

1990 wurde er auf dem Weg zur WM in Italien in einen schweren Autounfall verwickelt, bei dem fünf Menschen starben.

Benzinüberströmt und bewusstlos wurde er aus dem Wrack gezogen, die Sanitäter hielten ihn für tot und legten eine Decke über ihn. Redknapp überlebte, büßte aber seinen Geruchssinn ein. Im November 2011 musste er sich einer schweren Herz-OP unterziehen, seinen Gesundheitszustand bezeichnet Redknapp seitdem als großartig.

Angst hat in seinem Leben ohnehin keinen Platz.

"Ich bin ein komplett furchtloser Mensch. Ich hatte nur einmal in meinem Leben Angst, als eine Möwe in meinen Garten plumpste. Sie konnte nicht mehr fliegen. In meinem Wohnzimmer standen meine zwei Hunde und blickten zähnefletschend auf das arme Ding. Ich musste ein Möwen-Leben retten! Die wichtigste Aufgabe meines Lebens. Ich habe sie dann einfach verscheucht, laufen konnte sie ja noch."

So kann ihm auch das Amt des englischen Nationaltrainers wenig anhaben. Im Gegenteil - es könnte ihm seinem Lebenswunsch ein Stück näherbringen. "Ich habe in meinem Leben noch ein Ziel: Die Leute sollen mich später Sir Harry Redknapp nennen. Ich möchte zum Ritter geschlagen werden!"

Die Queen wird diesem Wunsch sicherlich nachkommen. Er muss England "nur" zum EM-Titel führen.

Harry Redknapp im Steckbrief