Robert Pires ist eine lebende Legende des FC Arsenal. Im Gespräch mit SPOX blickt der 40-jährige Franzose auf die "Invincibles" zurück, erklärt die Faszination Arsene Wenger und widmet sich seinen Erben Özil, Mertesacker und Co.
SPOX: Sie standen vor zwei Wochen wieder mal im Blick der großen Öffentlichkeit: Beim NBA-Spiel in London wurden Sie und Ihre Ehefrau auf der Tribüne sitzend von der "Kiss-Cam" eingefangen. Wie geht es Ihnen im Ruhestand?
Robert Pires: Ich genieße die Freizeit. Ich kann sehr viel mit meiner Frau und den Kindern unternehmen und meine Hobbys verfolgen wie den Basketball. Ich war 19 Jahre im Profi-Fußball. Eine perfekte Zeit mit vielen Höhepunkten. Seitdem hat sich mein Leben komplett verändert - wobei ich heute genauso glücklich bin wie damals. Es ist nur anders.
SPOX: Warum tauchen dennoch regelmäßig Bilder auf, die Sie als 40-Jährigen beim Mannschaftstraining des FC Arsenal zeigen?
Pires: Da wird zu viel hineinspekuliert. Ich arbeite nicht am Comeback, wie viele glauben. Es ist nur mein eigener Wunsch, in Form zu bleiben und nicht zu dick zu werden. Ich möchte mich ja nicht bei Events wie jetzt der Schneefußball-WM in Arosa blamieren. (lacht) Dank der guten Beziehung zu Arsenal und Arsene Wenger bietet es sich daher an, hin und wieder bei den Profis mitzutrainieren.
SPOXSPOX: Sie waren einer der Köpfe der "Invincibles": die legendäre Arsenal-Mannschaft, die in der Saison 2003/04 unbesiegt blieb. Wie gefällt Ihnen das aktuelle Team?
Pires: Ich bin ein ganz normaler Fan von Arsenal, wenn ich sie spielen sehe. Der Stil ist elegant, ästhetisch und ein Spiegelbild der Internationalität. Die harmonische Mischung gefällt mir sehr aus Engländern, Deutschen, Franzosen und Spaniern. Umso mehr freut es mich, dass Arsenal mit dieser Art des Fußballs die Premier League anführt. Die Rückrunde wird dennoch schwer, weil die anderen Teams die Jagd beginnen und sich teilweise mit Neuzugängen verstärken.
SPOX: Weswegen Arsenal wiederum eine Verpflichtung von Schalkes Julian Draxler erwägt. Was halten Sie von ihm?
Pires: Julian ist ein guter Spieler, jung und mit viel Entwicklungspotenzial. Wenn ich ihn spielen sehe, denke ich immer, dass er mit seiner Art des Fußballs perfekt zu Arsenal passt. Ich kann mir gut vorstellen, dass Draxler von der linken Seite, aber auch als Nummer 9 eingesetzt wird. Vor allem im Sturm könnte er die Mannschaft richtig verstärken.
SPOX: Per Mertesacker sprach sich bei SPOX ebenfalls für Draxler aus.
Pires: Ich mag Per sehr. Er ist mittlerweile unverzichtbar und sein Wort hat Gewicht. Ein sehr guter Leader, der als Typ und als Abwehrchef vorangeht. Natürlich ist er technisch nicht so brillant wie unsere Offensivspieler, doch er harmoniert exzellent mit Laurent Koscielny und stellt sicher, dass die Balance im Team vorhanden ist. Und wenn in einem Spiel echter Fighting Spirit gefragt ist, braucht Arsenal Männer wie ihn.
SPOX: Was halten Sie von Lukas Podolski?
Pires: Er ist ein anderer Spielertypus als die neue deutsche Generation. Dennoch bleibt er sehr wichtig, das bewies er zuletzt im FA-Cup mit den beiden Toren gegen Coventry. Sein linker Fuß ist eine Waffe, so etwas habe ich selten gesehen. Und für mich sehr wichtig: Lukas ist ein unglaublich lustiger Kerl. Wisst Ihr in Deutschland eigentlich, was für ein toller Kerl Lukas ist? Als ob er schon immer bei Arsenal spielen würde, reißt er in der Kabine in Englisch einen Witz nach dem anderen und hilft dabei, dass sich jeder wohlfühlt. Oh mein Gott, nur wenn ich an ihn denke, muss ich mich totlachen.
SPOX: Welche Rolle kommt dem erst 18-jährigen Serge Gnabry zu?
Pires: Serge ist die ganz klar die Entdeckung der Saison. Ich sehe in ihm einen internationalen Topspieler. Er ist technisch stark, er ist ohne und mit Ball extrem schnell und er dribbelt gut. Und er kann im offensiven Mittelfeld beide Flügel besetzen. Arsene mag solche vielseitigen Offensivspieler wie Draxler und Serge. In der Zukunft wird er Serge noch häufiger als jetzt schon spielen lassen.
SPOX: Ein weiterer Deutscher ist gar Ihr Nachfolger. Wenger sagt: "Mesut Özil erinnert mich an Robert."
Pires: Es ist eine riesige Ehre, dass ich in einem Atemzug mit Mesut genannt werde. Er spielt für die deutsche Nationalmannschaft, er spielte für Real Madrid - dass sich so ein großartiger Spieler für uns entschieden hat, gibt dem Verein großes Selbstvertrauen. Vor allem die jungen Spieler bekommen dank Mesut Sicherheit. Auf der Spielmacher-Position ist er der Beste auf der Welt.
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SPOX: Wenger sagt aber auch: "Mesut und Robert sind sich ebenfalls ähnlich darin, dass sie eine Zeit benötigen, um sich an den Fußball in England zu gewöhnen."
Pires: Es stimmt, so einfach fiel es mir nicht wie anfangs erwartet. Als ich aus Frankreich zu Arsenal kam, dachte ich, dass es eine komplett andere Sportart ist. Die Toughness, das Physische, das Tempo, das alles kannte ich nicht. Ich erinnere mich noch, als ob es gestern gewesen wäre: Im ersten Saisonspiel mussten wir in Sunderland antreten. Nicht die talentierteste, dafür eine sehr körperbetonte Mannschaft. Arsene kam vor dem Anpfiff zu mir und sagte: "Robert, Du beginnst auf der Bank. Nicht weil du schlecht trainiert hast, sondern weil du dir die Premier League erstmal ansehen sollst." Ich wusste nicht, ob das wirklich nötig war, aber nach 20, 25 Minuten dachte ich mir: "Verdammt, ich will sofort zurück nach Frankreich, so einen Fußball will ich nicht spielen." Nach sechs Monaten Adaption war ich allerdings voll drin.
SPOX: Als entscheidend dafür erwies sich Wenger?
Pires: Absolut. Arsene zeichnet eine extrem hohe Empathie aus. Er kann sich wie kaum ein anderer in die Lage eines Spielers hineinversetzen. Was ich ihm hoch anrechne: Wenn es schwierig wird, versucht er nicht, den Druck an die Spieler weiterzugeben und sich plötzlich autoritär zu geben. Er bleibt immer ein Gentleman, extrem relaxt und verbindlich. Für mich war er der ideale Trainer.
SPOX: Wenger sagt wiederum über Sie: "Robert war das Öl für unseren Motor."
Pires: Ein großes Kompliment. Der Arsenal-Fußball passte wie Wenger genau zu meinen Vorstellungen. Ich mochte es immer, wenn der Fußball klar und einfach gespielt wird, plain and simple. Viele glauben, dass das Spektakuläre das wesentliche Merkmal von Arsenal war, dabei war unser Geheimnis die Schlichtheit und Klarheit der Aktionen.
SPOX: Aber Sie selbst standen doch für die Komplexität von Arsenal: Sie schossen teilweise so viele Tore wie ein Stürmer, gaben Vorlagen wie ein Spielmacher und griffen über die Flügel an wie ein Winger.
Pires: Am Ende war es trotzdem mein wichtigster Job, die Bergkamps, Henrys und Kanus mit Vorlagen zu füttern. Es ging darum, die Maschinerie am Laufen zu halten mit den Mitteln, die mir zur Verfügung standen. Ich bekomme nach wie vor Gänsehaut, wenn ich an unseren Fußball denke.
SPOX: Sie sind derart mit Arsenal verwurzelt, dass Sie im Wohnkomplex, der auf der Stelle des abgerissenen Highbury-Stadions gebaut wurde, ein Appartement kauften. Und das nur aus Reminiszenzgründen. Stimmt es, dass Sie fast eine Träne vergossen haben, als das alte Highbury verschwand?
Pires: Nicht nur fast, ich habe bei dem Anblick des abgerissenen Highbury richtig geweint, so wie viele andere Spieler von Arsenal. Das Highbury war nicht modern, nicht state of the art. Dafür hatte es so viel Geschichte, so viel Charme und Nostalgie. Wenn wir ein Heimspiel hatten, fühlte man sich immer besonders. Die Atmosphäre, das Gefühl, die Connection zu den Fans, das alles war etwas ganz Besonderes. Das Highbury war DAS Stadion in England. Nicht falsch verstehen: Ich gehe heute gerne ins Emirates, eine tolle Arena. Das Highbury wird mir trotzdem immer im Herzen fehlen.
SPOX: Sie sind mit voller Leidenschaft ein Gunner - und wurden 2011 bei der Fan-Wahl zum größten Arsenal-Spieler aller Zeiten auf den sechsten Platz gewählt.
Pires: Es gab keine Trophäe dafür, aber die Wahl gehört zu meinen wertvollsten Erfolgen. Ich war nur sechs Jahre bei Arsenal und mich dennoch in einer Reihe mit echten Legenden wiederzufinden, erfüllt mich mit Stolz.
SPOX: Ähnlich groß ist die Identifikation von Ihrem Landsmann Franck Ribery mit dem FC Bayern. Sehen Sie gewisse Parallelen?
Pires: Auf jeden Fall. 2000 hatte ich einige Angebote, neben Arsenal unter anderem von Real Madrid. Ribery hatte ja auch Möglichkeiten, zu Real zu wechseln, dennoch bevorzugte er es, bei seinem Herzensklub zu bleiben. Er liebt München, er liebt Deutschland, er liebt die Bundesliga. Er hörte auf sein Gefühl und machte alles richtig.
SPOX: Hingegen wirkt das Verhältnis zwischen Ribery und der französischen Öffentlichkeit weiter distanziert. Oder ist nach dem 3:0 gegen die Ukraine und der dramatischen WM-Qualifikation eine Annährung zu spüren?
Pires: Die Situation hat sich grundlegend verändert. Ich glaube, der Druck auf Ribery in der Equipe war lange zu groß. Es wurde zu viel von ihm erwartet und dann wird das Nationalmannschaftstrikot unendlich schwer, so dass selbst der leichtfüßigste Spieler seine Lockerheit verliert. Ich glaube jedoch, dass mit dem 3:0 gegen Ukraine der Knoten gelöst wurde. Es ist eine Aufbruchsstimmung zu verspüren - mit Ribery als demjenigen, der aus einer guten Mannschaft heraussticht. Deutschland ist für mich der große WM-Favorit, dann Brasilien und Spanien. Frankreich sehe ich gleich hinter den großen Drei.
Robert Pires im Steckbrief