Beim Länderspiel gegen Italien überzeugte Mesut Özil auf ungewohnter Position im zentralen Mittelfeld. Im Interview spricht der 27-Jährige über seine Rolle in der Nationalmannschaft, seine Vorbilder Zinedine Zidane und Andrea Pirlo, sein besonderes Verhältnis zu Schalkes Nachwuchs-Guru Norbert Elgert und Arsenals Aufgaben im kommenden Transfer-Wahnsinn.
SPOX: Herr Özil, hinter Ihnen liegt die letzte Länderspielpause vor der EM. Wie vor den letzten großen Turnieren waren die Resultate der Testspiele wechselhaft. Heißt: Die Mannschaft wird zum Turnierstart wieder in Bestform sein?
Mesut Özil: Das hat uns in den vergangenen Jahren ausgezeichnet. Wir wissen, wann es zählt, und legen den Fokus voll auf dieses Ziel. Davor können und dürfen auch mal Fehler passieren. Hauptsache, wir sind auf einem Topniveau, wenn die EM startet.
SPOX: Sie selbst werden nach mäßigen Leistungen noch immer kritisch beäugt. Dabei wurden Sie im Vorfeld der England-Partie von den Fans zum vierten Mal in Folge zum Nationalspieler des Jahres gewählt. Was bedeutet Ihnen eine solche Auszeichnung?
Özil: Ich freue mich sehr darüber und fühle mich geehrt, vor allem weil unsere Fans die Wahl durchführen. Es war in der Vergangenheit oft so, dass viele mich mochten, andere aber nicht, da tut diese Auszeichnung wirklich gut. Es scheint anzukommen, dass ich durch meine Leistungen auf dem Platz der Mannschaft helfen möchte.
SPOX: Gegen England gab Mario Gomez nach langer Abwesenheit sein Comeback im DFB-Dress und traf sofort. Wie sehen Sie seine Rolle?
Özil: Wir alle haben uns sehr gefreut, dass er wieder da ist. Ich verfolge regelmäßig seine Spiele in der türkischen Liga, wo er viele Treffer erzielt und toll gespielt hat. Mario ist einfach eiskalt vor dem Tor und hat direkt gezeigt, dass er wieder voll da ist. Er ist ein enorm wichtiger Spieler für die Nationalmannschaft. Genau so einen Stürmer, der immer gefährlich und für einen Treffer gut ist, braucht man für ein großes Turnier.
SPOX: Nicht nur Gomez überzeugt in der Türkei: Sie selbst spielen in Ihrem dritten Jahr beim FC Arsenal die mit Abstand beste Saison in der Premier League. Worauf führen Sie Ihren Leistungssprung zurück?
Özil: In meinem ersten Jahr ist es mir anfangs nicht leicht gefallen, mich in der neuen Liga und dem neuen Umfeld einzugewöhnen. Der Wechsel zum FC Arsenal fand sehr spät statt, die Vorbereitung war bereits weit fortgeschritten. Im darauffolgenden Jahr war ich zum ersten Mal in meiner Karriere lange verletzt. Wobei das vielleicht auch wichtig für meine Entwicklung war. Nach der Verletzung habe ich entschieden, einige Dinge umzustellen und anders zu machen. Jetzt kommt alles Positive zusammen: Ich konnte erstmals die gesamte Vorbereitung mit der Mannschaft absolvieren und profitiere davon, dass ich einiges verändert habe. Seitdem läuft es viel besser und ich habe wieder richtig Spaß am Fußballspielen.
SPOX: Welche Veränderungen meinen Sie konkret?
Özil: Während meiner Verletzung habe ich gemerkt, wie sehr mir der Fußball fehlt und ich wollte auf jeden Fall vermeiden, noch einmal über so einen Zeitraum zuschauen zu müssen. Deshalb habe ich meine Ernährung umgestellt. Früher habe ich mir schon mal eine Cola gegönnt, heute trinke ich viel mehr Wasser. Ich esse heute deutlich weniger Brot als noch vor ein paar Jahren. Und ich bin viel mehr im Kraftraum, habe an Muskelmasse zugelegt und fühle mich topfit. Eine gute Fitness beugt auch Verletzungen vor.
SPOX: Trotz eines starken Mesut Özil stehen die Chancen schlecht, dass der FC Arsenal die erste Meisterschaft nach zwölf Jahren gewinnt. Oder glauben Sie angesichts der Konstanz von Leicester City noch an eine Aufholjagd?
Özil: Wenn man die Saison betrachtet, muss man ehrlich zugeben, dass wir es selbst verpatzt haben. Wir haben gegen die kleineren Mannschaften zuletzt nicht das rausgeholt, was wir eigentlich können. Das wird in der Premier League sofort bestraft. Trotzdem haben wir noch alle Möglichkeiten. Wir müssen auf Patzer von Leicester und Tottenham lauern und dann da sein.
SPOX: Welche Lehren ziehen Sie aus der aktuellen Saison?
Özil: Wegen des neuen TV-Vertrags werden zukünftig noch mehr sehr gute Spieler in die Premier League wechseln, die Teams werden besser und breiter aufgestellt sein. Auch Arsenal muss sich verstärken. Die aktuelle Saison zeigt, dass wir schwächeln, wenn viele Leistungsträger ausfallen. Das darf uns im kommenden Jahr nicht mehr passieren.
Özil im SPOX-Porträt: Mesut boomt
SPOX: Wie sehr würden Sie Ihrem Manager Arsene Wenger die Meisterschaft gönnen, damit bewiesen wird, dass er mit seiner Art des Coachings auch in der Neuzeit erfolgreich sein kann?
Özil: Für ihn würde ich mich besonders freuen. Arsene Wenger hat eine sehr große Rolle gespielt, dass ich mich überhaupt für den FC Arsenal entschieden habe. Er wollte mich unbedingt nach London holen. Jeder weiß, was für ein außergewöhnlicher Trainer er ist. Er ist immer erfolgshungrig, verfügt über einen riesigen Erfahrungsschatz und nimmt sich viel Zeit für die Spieler. Man spürt jederzeit, wie er einen weiterentwickelt und fördert.
SPOX: Sie und Wenger verbindet eine besondere Beziehung - doch Ihr Idol heißt Zinedine Zidane. Er ist nun Trainer von Real Madrid und steht vor seinem ersten Clasico (Sa., 20.30 Uhr im kostenlosen LIVESTREAM bei SPOX) als Chefcoach. Wäre eine Rückkehr nach Spanien unter ihm reizvoll?
Özil: Zidane war ein großartiger Spieler, der nicht nur Fußball gespielt, sondern diese Sportart gelebt hat. Ich habe ihn auch nach seiner aktiven Karriere als sehr bodenständigen und hilfsbereiten Menschen kennengelernt. Wobei das nichts sagen soll über meine Zukunft: Ich konzentriere mich aktuell nur auf den FC Arsenal.
SPOX: Wie viel Zidane steckt in Özil?
Özil: Ich habe mir viele Spiele von ihm angeguckt. Zidane war einer der cleversten Spieler der Welt, er hat ein Spiel gelesen und gelenkt, ohne dabei unnötig oft in die Trickkiste zu greifen. Das ist das Besondere an ihm. Fast genauso hoch steht bei mir aber Andrea Pirlo. Er war zwar etwas defensiver ausgerichtet, trotzdem hat er das Geschehen jederzeit bestimmt und gestaltet.
SPOX: Pirlo war wie Barcelonas Xavi ein gelernter Spielmacher, bevor sich beide im Laufe ihrer Karriere als Sechser oder Achter neu erfanden. Können Sie sich vorstellen, ebenfalls dauerhaft in eine etwas defensivere Rolle zu rücken, wie Sie sie im Länderspiel gegen Italien einnahmen?
Özil: Nein, ich sehe mich als ganz klassischer Zehner oder Spielmacher, der offensiver agiert und Torchancen kreiert. Das ist meine Lieblingsposition, auf der ich am besten spiele. Mich werden Sie nie als Sechser sehen. (lacht)
SPOX: Sie betonen Ihre Vorliebe, Torchancen zu kreieren. Worauf beruht die Grundeinstellung, bevorzugt Tore vorzubereiten als welche selbst zu erzielen?
Özil: Das hat ganz pragmatische Gründe. Das einzige, was im Fußball wirklich zählt, ist der Erfolg der Mannschaft. Ich kann noch so viele Tore erzielen - aber wenn ich es nicht gleichzeitig schaffe, erfolgreich mit meinem Team zu sein, stehe ich am Ende trotzdem ohne Titel da. Und ich bin eben am wertvollsten, wenn ich die Mitspieler einsetze.
SPOX: Die großen Auszeichnungen wie die des Weltfußballers gehen allerdings immer genau an die Torjäger - und nicht an die Torvorbereiter. Philipp Lahm sagte bei Goal.com, das diese Wahl gleich bei Facebook stattfinden könne, weil nur Stürmer eine Chance hätten. Stimmen Sie dem zu?
Özil: Einerseits ist es natürlich schade, dass es vorrangig um Tore geht und auf Vorlagen kein großer Wert gelegt wird. Die Wahl wäre vielleicht auch spannender, wenn es ein anderes Abstimmungsverfahren gäbe. Auf der anderen Seite mache ich mir aus solchen Auszeichnungen aber wie gesagt nicht viel.
SPOX: Gilt das auch für den ewigen Vorlagen-Rekord von Thierry Henry in der Premier League, den Sie in diesem Jahr brechen könnten? Dabei geht es schließlich um eine nackte Zahl, keine subjektive Wahl. Henry gelangen 2002/03 20 Assists, Sie stehen aktuell bei 18.
Özli: Darüber würde ich mich schon freuen, ja. Wenn es mir gelingt, den Rekord zu brechen, ist es ein Beleg für die gute Saison, die ich gespielt habe. Letztlich ist aber auch das nur ein schwacher Trost, wenn wir ohne Titel bleiben. Wir haben in den vergangenen beiden Jahren den FA Cup gewonnen, dieses Jahr wollten wir viel mehr erreichen, was uns leider nicht gelungen ist. Unser Ziel ist und bleibt die Meisterschaft in England.
SPOX: Ihr ehemaliger Jugendtrainer Norbert Elgert bezeichnete Sie im Interview mit SPOX auf absehbare Zeit trotzdem als einen Kandidaten für den Weltfußballer-Preis. Wie ist Ihr Verhältnis zueinander?
Özil: Norbert Elgert hat mich damals zum FC Schalke geholt und mich auf meine Profi-Karriere vorbereitet. Er hatte einen großen Einfluss auf diese frühe Phase meiner Karriere und dafür bin ich ihm überaus dankbar. Wir haben auch heute noch regelmäßig Kontakt und tauschen uns über viele Themen aus. Er hat eine Fußball-Kenntnis wie wenige andere und brachte wahnsinnig viele Spieler wie Julian Draxler, Manuel Neuer, Benedikt Höwedes, Leroy Sane und auch mich hervor.
SPOX: Kürzlich verkündete Elgert, seinen im Sommer 2018 auslaufenden Vertrag auf Schalke nicht zu verlängern und sich stattdessen etwas Neuem widmen zu wollen. Wir groß schätzen Sie den Verlust für Schalke ein?
Özil: Er wird dem Verein natürlich enorm fehlen und Schalke wird ohne ihn nicht das sein, was es war. Viele Spieler sind auch wegen ihm zu Schalke gekommen, er ist europaweit für seine ausgezeichnete Arbeit bekannt. Einen solchen Mann zu verlieren, wird Schalke sehr wehtun.
SPOX: Hartnäckig hält sich das Gerücht, der FC Bayern sei an Elgert interessiert. Können Sie sich den gebürtigen und waschechten Ruhrpottler Elgert in München vorstellen?
Özil: Norbert Elgert ist für jeden Verein und Verband interessant und wird sicher viele Angebote bekommen. Er wird die richtige Entscheidung treffen, davon bin ich überzeugt. Ich wünsche ihm auf jeden Fall alles Gute und vor allem Gesundheit. Er weiß, dass ich sofort da bin, wenn er mich mal braucht. Jeder Klub, natürlich auch der FC Bayern, könnte sich glücklich schätzen, wenn er für ihn arbeitet.
SPOX: Sie sind mit 27 Jahren einer der Erfahrenen im DFB-Team. Kommt ein Leroy Sane inzwischen auf Sie zu und fragt nach einem Rat - von Elgert-Schützling zu Elgert-Schützling? Sane steckt gerade in einer ähnlichen Situation wie Sie vor einigen Jahren und muss sich entscheiden, ob er jetzt schon den nächsten Schritt wagt.
Özil: Bisher haben wir uns noch gar nicht persönlich kennen gelernt. Generell tauscht man sich mit den ehemaligen Kollegen, die einen ähnlichen Weg gegangen sind, schon aus. Julian Draxler und ich sprechen regelmäßig miteinander, auch über unsere gemeinsame Zeit auf Schalke und das Arbeiten mit Norbert Elgert. Ich stehe für jeden immer für Ratschläge bereit.
SPOX: Exakt vor zehn Jahren dokumentierte der preisgekrönte Regisseur Aljoscha Pause in seinem Kurzfilm "Mesut 17" Ihren Karrierebeginn. Wie sehen Sie den 17-jährigen Mesut Özil heute?
Özil: Damals war alles neu und aufregend für mich. Ich war sehr unerfahren und stand zum ersten Mal in meinem Leben auf der großen Bühne. Manche Dinge, die ich damals auf und neben dem Platz getan habe, würden mir heute nicht mehr in den Sinn kommen. Aber das gehört dazu, man wird erwachsen, wird ein Mann. Ich bin immer noch derselbe Mesut Özil wie damals, der sein Leben genießt und immer Vollgas gibt. Aber definitiv alles etwas ruhiger. (lacht)
SPOX: Sie stehen mit 27 Jahren in der statistischen Mitte eines Fußball-Profis und gehen nun in die zweite Hälfte Ihrer Karriere. Welche persönlichen Ziele verfolgen Sie?
Özil: Ich habe ja schon viel erlebt und in Deutschland, Spanien und England gespielt. Trotzdem will ich auf jeden Fall noch einige Titel gewinnen, die mir noch fehlen, wie die englische Meisterschaft oder die Champions League. Während meiner Verletzung habe ich zudem gemerkt, wie wichtig die Gesundheit ist, und werde es zukünftig noch mehr zu schätzen wissen, fit zu sein.
SPOX: Können Sie sich auch eine Rückkehr nach Deutschland oder Spanien vorstellen?
Özil: Im Fußball darf man nie nie sagen. Derzeit konzentriere ich mich aber ausschließlich auf die laufende Premier-League-Saison und anschließend auf die Europameisterschaft. Was in der nächsten oder übernächsten Saison passiert, sehen wir dann.
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