War es am Ende doch nur ein Gerücht? Eine Geschichte, wie sie für den heutigen Fußball beinahe zu romantisch wäre?
Nach einem mäßigen Jahr beim VfL Wolfsburg sollte Dante wieder zu seinem alten Förderer wechseln. Lucien Favre hatte den Brasilianer bei Borussia Mönchengladbach einst zum Star gemacht. Jetzt sollte es zu einer Wiedervereinigung beim OGC Nizza kommen. Wolfsburgs Geschäftsführer Klaus Allofs hatte das Interesse des ehemaligen Fohlen-Trainers am Innenverteidiger bestätigt.
Verschiedene französische Medien berichteten zu Beginn der vergangenen Woche übereinstimmend, Dante sei zum Medizincheck in Nizza. Befeuert wurden die Gerüchte durch ein Twitterfoto, das den Brasilianer mit seiner Familie in Monaco zeigte - 20 Kilometer von Nizza entfernt.
Dantes Berater dementierte gegenüber dem Kicker vehement, dass sein Klient bereits den Medizincheck absolviert habe. Auch der 32-Jährige selbst stellte klar: "Ich bleibe in Wolfsburg." Obgleich die Aussagen aller Beteiligten zwischen den Zeilen nicht danach klingen, als sei das letzte Wort gesprochen - momentan ist eine Wiedervereinigung von Dante und Favre vom Tisch.
Dabei könnte der Brasilianer zum zweiten Mal in seiner Karriere ein wichtiger Baustein in einem Wiederaufbau durch Favres Hand werden.
Keine Abstiegssorgen, trotzdem Neuanfang
Zwar ist die sportliche Situation bei der neuen Station des Schweizers lange nicht so prekär wie noch vor fünfeinhalb Jahren am Niederrhein. Damals übernahm Favre Gladbach als Tabellenletzter, der Abstieg in die zweite Liga war bereits einkalkuliert. Das Ende der Geschichte ist bekannt: Abstieg noch abgewendet, die Borussia wieder zu einem der Topklubs in der Bundesliga geformt.
Mit den Sorgen des Abstiegskampfes muss sich Favre in Nizza erst einmal nicht befassen. Immerhin übernimmt er den Vierten der letzten Ligue-1-Saison. Einen Neuanfang moderieren muss er nichtsdestotrotz.
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Chinesische Investoren
Der OGC Nizza steht vor der neuen Spielzeit auf allen Ebenen vor einer neuen Zeitrechnung. Vorneweg steht die organisatorische Neustrukturierung. Im Juni verkündte der Klub, eine Mehrheit seiner Anteile an eine Gruppe chinesischer und US-amerikanischer Investoren abgetreten zu haben. Alex Zheng, Präsident der Hotel-Gruppe Plateno, und Chien Lee, Gründer und CEO von NewCity Capitel, stehen am Kopf der Investorengruppe, die fortan 80 Prozent des Klubs hält.
Klubpräsident Jean-Pierre Rivere, der nur noch über 20 Prozent verfügt, zeigte sich erfreut über den Deal: "China ist aus kommerzieller Sicht ein extrem fruchtbarer Boden, vor allem da man dort langsam die Schönheit des Fußballs erkennt. Dieser Einstieg sichert die Zukunft des Klubs und gibt uns die nötigen zusätzlichen Ressourcen, um unsere Visionen weiterhin zu verwirklichen. Während wir unsere Identität und Ausrichtung beibehalten wollen, wird der OGC Nizza neue Höhen erreichen."
Wichtige Stützen gehen
Zu der organisatorischen Neuaufstellung des OGC kam ein massiver Aderlass im Spielerkader. Mit Hatem Ben Arfa (ablösefrei zu Paris Saint-Germain) und Valerie Germain (Leihende) verließen die Erfolgsgaranten der vergangenen Saison den Klub. Zusammen erzielte das Duo mehr als die Hälfte aller Ligue-1-Tore Nizzas (31 von 58).
Darüber hinaus verließ mit Nampalys Mendy das zentrale Herzstück im Mittelfeld den Verein. Für den 24-Jährigen überwies Leicester City 15,5 Millionen Euro an die Cote d'Azur.
Zusätzlich zu den Schlüsselspielern hat mit Claude Puel auch der Erfolgstrainer der letzten Jahre Reißaus genommen. Der 54-Jährige war seit vier Jahren im Amt und hatte die Mannschaft zuletzt nach dem Abstiegskampf (Platz 17 in der Saison 2013/2014) über das Mittelfeld (Platz 11 in 2014/2015) wieder in den europäischen Wettbewerb (Platz vier in der vergangenen Saison) geführt. Der Sog, der von der Entwicklung auf dem englischen Trainermarkt ausging, zog ihn schließlich zum FC Southampton.
"Nicht alles auf den Kopf stellen"
An Puels Stelle trat im Sommer Lucien Favre. Für den 58-Jährigen ist es das erste Engagement in Frankreich als Spieler oder Trainer - überraschend, kommt er doch schließlich aus Saint-Barthelemy in der franzsösisch-sprachigen Schweiz. Der akribische Arbeiter hat sich nach fast einem Jahr Pause von den Strapazen der letzten Jahre erholt. Mit neu aufgeladenen Energiespeichern soll er Nizza nun konsequent weiterentwickeln und unter den Topteams Frankreichs etablieren - wie er es einst bei Gladbach geschafft hat.
Eine Revolution plant der Eidgenosse dabei jedoch nicht: "Ich werde nicht alles auf den Kopf stellen. Nizza wird seinen Spielstil nicht über Nacht ändern, ich werde ihn eher konstruktiv weiterentwickeln. Aber natürlich mache ich mir Gedanken, inwiefern es Sinn macht, stur am 4-4-2 festzuhalten, da mit Ben Arfa die zentrale Figur dieser Ausrichtung nicht mehr da ist", sagte Favre im Interview mit Le Point.
Sowieso hält Favre nichts davon, ein System wie am Reißbrett zu interpretieren: "Unter dem Strich bin ich Pragmatiker. Ich mag es nicht, wenn meine Mannschaft in einem strikten Diagramm festgezurrt ist. Ich will, dass sich meine Spieler an unterschiedliche Situationen anpassen. Manchmal werden sie hoch pressen, in anderen Spielen tiefer stehen."
Junge Wilde
Wegen seiner Erfolge in der Vergangenheit ist Favre der große Hoffnungsträger des Neuaufbaus. Vor einer verfrüht überhöhten Erwartungshaltung warnt er jedoch nachdrücklich: "Man muss immer bedenken, dass das Rückgrat der vergangenen Saison weggebrochen ist. Wir stecken im Umbruch."
Allerdings habe die Mannschaft eine interessante Perspektive: "Unser Nachwuchsleistungszentrum hat enorm hohe Qualität. Vincent Koziello und Olivier Boscagli haben schon in der letzten Saison ihr Potenzial gezeigt. Malang Saar und Vincent Marcel werden wir dieses Jahr an die erste Mannschaft heranführen. Auch unsere Neuzugänge sind echte Gewinne für den Kader. Auf lange Sicht muss ich es schaffen, die Mannschaft auf den internationalen Plätzen zu stabilisieren, aber das dauert."
Tatsächlich suggeriert die Altersstruktur im Kader eher perspektivische Erfolge. Im ehemaligen Freiburger Torhüter Simon Pouplin (31) und Kapitän Mathieu Bodmer (33) hat Nizza nur zwei Spieler jenseits der 30-Jahre-Grenze im Kader. Mit 23,6 Jahren im Schnitt ist Favres Team das jüngste in der gesamten Ligue 1 - beinahe ein ganzes Jahr jünger als der Kader von Olympique Marseille.
Gezielt verstärkt
Die Verstärkungen des Kaders wirken dabei trotz der chinesischen Investorengelder nicht ziellos, sondern durchdacht und perspektivisch. Die insgesamt gut elf Millionen Euro investierte man in Spieler für alle Mannschaftsteile, die im Schnitt 21,9 Jahre alt sind.
Mit fünf Millionen der teuerste Neuzugang ist Wylan Cyprien. Der 21-Jährige wurde beim RC Lens ausgebildet und bringt es bislang auf 69 Ligue-2- und 33 Ligue-1-Spiele. Vor allem in der vergangenen Zweitligasaison deutete er sein großes Potenzial an und entwickelte seine Offensivqualitäten weiter.
Gemeinsam mit Vincenzo Koziello soll er die Schaltzentrale bilden. Der 20-Jährige ist ein Paradebeispiel für die starke Jugendarbeit beim OGC Nizza und schaffte im Vorjahr endgültig den Durchbruch zum Leistungsträger.
Mut zum Risiko
Zwei Youngster auf den wohl wichtigsten Positionen im modernen Fußball? Das spricht einerseits für den Mut und die Konsequenz der Ausrichtung für die neue Saison. Auf der anderen Seite birgt genau diese Kaderstruktur ein Risiko. Auch deshalb appelliert Favre an die Geduld: "Wir fangen ganz von vorne an."
Dass dem tatsächlich so ist, zeigten die bisherigen Testspielresultate der Südfranzosen. Aus den Spielen gegen Genf, Etoile du Sahel, Toulouse, Napoli und Sporting sprangen nur zwei Remis bei drei Niederlagen heraus.
In dieser Phase der Vorbereitung will Favre diesen Ergebnissen nicht zu viel Bedeutung beimessen: "Es ist noch zu früh, um wirkliche Erkenntnisse zu ziehen", sagte der Schweizer zu Le Point: "Viele Spieler sind neu dazugekommen, ich muss die ganze Mannschaft erst kennenlernen. Es fehlen noch die Automatismen. Aber die Vorbereitung ist nicht dafür da, die Spiele zu gewinnen, sondern sich als Mannschaft zu finden. Erst einmal müssen wir an der Spielidee, Schnelligkeit und Taktik arbeiten."
Favres Sprech zeigt: Beim OGC Nizza steht nicht nur alles auf Anfang, alles steht auch auf Mittel- bis Langfristigkeit. Vor diesem Hintergrund ist es vielleicht doch nicht unverständlich, dass der romantische Märchen-Transfer von Dante scheiterte. Oder kommt doch noch Bewegung in die Angelegenheit?
Der OGC Nizza im Überblick