Im Drehbuch des Filmemachers

Von Benedikt Treuer
Vom Filmemacher zum Klubchef: Massimo Ferrero hat das Sampdoria-Drehbuch fest vor Augen
© getty

Nach trostlosen Jahren der Zweitklassigkeit und im Niemandsland der Serie A mischt Sampdoria Genua in dieser Saison überraschenderweise wieder in der italienischen Fußballspitze mit. Selbstverständnis und Anspruch sind in den letzten Monaten rasant gestiegen - und haben fast ausschließlich mit einem Namen zu tun: Massimo Ferrero.

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Die Frage nach der Nummer eins in einem Land, einer Region oder einer Stadt spaltet stets die Meinungen. Es gibt diejenigen, die den Status eines Vereins an dessen Tradition und Charisma festmachen und die anderen, die zur Beantwortung dieser Frage ausschließlich die jüngste Erfolgs- und Titelbilanz heranziehen. Auch wenn des Rätsels Lösung wohl in einer Mischung dieser beiden Komponenten liegt, steht man als junger Fußballfan in Genua vor der unwiderruflichen Wahl: Blau-Rot oder Blau-Weiß?

Da gibt es auf der einen Seite den CFC 1893, Italiens ältesten noch existierenden Fußballklub, bei dem Tradition über alles steht. Stolze neun Meistertitel kann der Verein aufweisen, allerdings datieren diese alle von der Zeit zwischen 1898 und 1924 und sind im Land des Catenaccios längst vergessen. In Europa deutlich bekannter ist heute der Stadtrivale - sehr zum Missfallen der Traditionsprediger vom FC, schließlich wurde la Sampdoria erst 1946 gegründet.

Doch Fußball ist ein Ergebnissport und Erfolg macht bekanntermaßen sexy: Einen Namen machten sich die Blucerchiati (zu Deutsch: Blauumrahmte) neben der Meisterschaft 1991 vor allem mit dem Gewinn des Europapokals der Pokalsieger 1989/90. Wenn fortan von Genua die Rede war, dachte kaum einer mehr an den CFC. Sampdoria war der neue Maßstab.

Zurück zum alten Selbstverständnis

Doch auch diese Zeiten sind längst überholt. Nichts ist im Fußball älter als die Erfolge von gestern und so entwickelten sich beide Vereine in den letzten Jahren zu Fahrstuhlmannschaften, die zwischen Serie A und B pendelten, weit entfernt vom Glanz vergangener Tage.

In der Hauptstadt der Region Ligurien ist man aber gewillt, das alte Selbstverständnis wiederherzustellen. Gerade Sampdoria hat sich seit dem Wiederaufstieg 2012 in der Serie A etabliert und ist in dieser Saison sogar ernsthafter Anwärter auf einen der internationalen Plätze - selbst die Champions League scheint mehr als nur ein Traum.

Gelebt wird dieser vor allem von einem Mann: Klub-Präsident Massimo Ferrero. Der 63-Jährige, der sich im Juni letzten Jahres aufmachte, den Granden des italienischen Fußballs die Show zu stehlen, versprach zum Amtsantritt "großartige Siege und Erfolge" und hat das zumindest bisher auch gehalten. 33 Zähler in der Hinrunde bedeuteten einen vereinsinternen Punkterekord, der auch die Konkurrenz nicht schlecht staunen ließ. Aktuell belegt Sampdoria Rang fünf.

Extravaganz an der Vereinsspitze

Ferrero ist das neue Gesicht bei Sampdoria - der starke Mann, der in seinem Leben offensichtlich reichlich Selbstbewusstsein gelöffelt hat. Er ist der Prototyp des extravaganten Italieners, wenngleich ihm nicht zuletzt nach der Pleite seiner Fluglinie "Livingston Energy Flight" mangelnde Führungskompetenz und Abhängigkeit von seiner vermögenden Frau nachgesagt wurden.

Doch was juckt den Bauern in ertragsreichen Zeiten die ausgebliebene Ernte vom Vorjahr? Ferrero jedenfalls kostet den Blick auf die Tabelle in vollen Zügen aus und wo manch anderer Newcomer erst einmal kleine Brötchen backen würde, tönt der Mann mit der grauen Mähne und dem wild wuchernden Vollbart in Richtung der Topklubs. "Ob wir Meister werden können? Das ist durchaus möglich! Die Spitze der Tabelle ist elegant, also passt sie zu Sampdoria. Ich glaube daran, dass wir den Scudetto gewinnen können - mit Sinisa Mihaijlovic als mein Vujadin Boskov", ließ Ferrero im Herbst verlauten.

Anspruch steigt rasant

Binnen weniger Monate ist der Anspruch bei den Blucerchiati rasant gestiegen. Wer in Genua den Namen Boskov in den Mund nimmt, erinnert immer an die Titeljahre Anfang der 90er unter dem serbischen Erfolgstrainer. Mittelfristig soll der aktuelle Coach Mihaijlovic das Team genau da wieder hinführen. Von der Klubführung um Ferrero genießt er nach der überraschend starken Hinrunde auch vollste Wertschätzung, wenngleich abzuwarten bleibt, wie schnell diese bei ausbleibendem Erfolg schon wieder schwinden könnte.

Einen Vorgeschmack, wie schnell es in die andere Richtung gehen könnte, erlebte la Samp in den letzten Ligaspielen. Aus den Partien gegen Palermo (1:1), Torino (1:5) und Sassuolo (1:1) holten die Genovesi nur zwei Punkte, was auch mit dem Winter-Abgang von Top-Stürmer Manolo Gabbiadini zu tun haben könnte. Der 23-Jährige, der in der Hinrunde sieben Treffer beisteuerte, wurde für etwa 13 Millionen Euro an die Konkurrenz aus Neapel verkauft.

Eto'o-Verpflichtung mit symbolischem Wert

Dass Sampdoria mittlerweile aber wieder über genügend Strahl- und Kaufkraft verfügt, selbst einen Hochkaräter zu verpflichten, bewies der darauf folgende Wechsel von Samuel Eto'o. Nach anfänglichen Unstimmigkeiten mit Mihajlovic - der Trainer nannte den Stürmer "respektlos", nachdem dieser ein Straftraining boykottierte - soll der ehemalige Weltstar Gabbiadini vergessen machen und neben Eder für Gefahr in der Offensive sorgen.

Mancini, Vialli, Eriksson oder Menotti - keiner schaffte es, Sampdoria in die italienische Spitze zu führen und dort zu etablieren. Mihaijlovic soll mit dem talentierten Kader das erreichen, was seine namhaften Vorgänger nicht zu vollbringen vermochten - gerne auch auf die "dreckige" Art und Weise. Schließlich ist Ferrero kein Kind von Traurigkeit: Der Klubchef handelte sich aufgrund seiner provokanten Art bereits den Spitznamen "Er Viperetta" ein, was so viel wie "die kleine Giftschlange" bedeutet.

Mit Provokanz vorneweg

Zuletzt schlug er mit seinen Äußerungen aber über die Stränge, als er Inters indonesischen Präsidenten Erick Thohir verächtlich als "Philippiner" bezeichnete. Der italienische Verband sperrte Ferrero zuerst für drei Monate, um dann doch dessen Berufung stattzugeben. Und auch Palermo-Boss Maurizio Zamparini bekam unlängst sein Fett weg: "Er marschiert zu seiner eigenen Trommel. Er trommelt und wenn er nicht mag, was er hört, ist er sauer auf den, der es aufnimmt", scherzte Ferrero.

So sehr der impulsive Chef aneckt, so sehr hat er dem trägen Sampdoria aber auch wieder Leben eingehaucht. Während der Spiele flucht, schreit, springt und lebt der Römer immer wieder enthusiastisch am Seitenrand. Freudentaumelnd rennt er nach Siegen über den Platz, in den Händen hält er dabei gelegentlich ein weißes Shirt - darauf zu sehen: ein Abbild seiner selbst.

Produzent des Sampdoria-Drehbuchs

Es würde der Sache nicht gerecht werden, ihn als Kasper zu bezeichnen, aber ein Entertainer ist er in jedem Fall. Darüber hinaus verfügt er über das Verständnis, Menschen zu beeindrucken: "Er hat Folgendes zu mir gesagt: 'Für mich bist du ein Mythos. Wir sind gleich, sind in den Straßen aufgewachsen, haben es alleine nach oben geschafft'", zitierte Coach Mihajlovic den Präsident bei der ersten Begegnung der beiden.

Der blau-weiße Teil Genuas denkt seit einiger Zeit also wieder in großen Dimensionen. Neben einem "Stadion am Meer, welches das größte in Europa sein muss" will sich der Manager in den kommenden Monaten auf das für ihn Wesentliche konzentrieren: "Spektakulären Fußball und das Geschäft", wie er sagt. Wie passend, dass Ferrero von Amts wegen Filmproduzent und Kinobesitzer ist. Das neue Drehbuch der Samp hat er nämlich schon geschrieben - und bisher erfüllen alle Akteure ihre Rolle in bestem Maße.

Sampdoria Genua im Überblick

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