Mit dem Charme von Köln-Kalk

Von Frank Oschwald
Das Team von Rayo Vallecano beim Einlauf ins Stadion. Im Hintergrund die Fans des Teams
© Imago

Rayo Vallecano ist der Gegenentwurf zur kalten Schickimicki-Atmosphäre Madrids. Der Klub aus dem Arbeiterviertel versprüht einen rauen Charme. Vor dem Duell mit Real Madrid (So., 21.50 Uhr im LIVE-TICKER) steht der Klub überraschend gut da - bis auf ein paar finanzielle Schwierigkeiten.

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Genüsslich zieht der Mann an seiner Zigarette, hält kurze Zeit inne, legt den Kopf in den Nacken und bläst den Rauch ganz langsam gen Himmel. Er trägt eine alte, löchrige Jeans und ein graues, ausgewaschenes T-Shirt, darüber eine grellgelbe Warnweste.

Und obwohl selbst der oberste Knopf geschlossen ist, ist die Weste mindestens drei Nummern zu klein. Der Mann wirkt tiefenentspannt, sein Job am Stadion von Rayo Vallecano scheint ihn weder sonderlich zu beanspruchen noch zu stören. Das ist jedoch nicht wirklich verwunderlich, denn auf ihn wartet ein ruhiger Abend. In der Hand hält der rund 60-jährige Mann vier Briefumschläge - genau einen für jeden Medienvertreter.

Anders als in der Schickimicki-Atmosphäre Madrids

Während die Presse bei Real Madrid von drei leichtbekleideten und bildhübschen Damen via Headset beraten wird, wird man beim Stadtnachbarn Rayo von einem ungepflegten Mann mit Drei-Tage-Bart begrüßt. Allerdings passt der Mann zum Charme des Klubs und zu seinem Umfeld.

Im Arbeiterviertel von Madrid rund um das Stadion Campo de Futbol de Vallecas sind viele unterschiedliche Charaktere unterwegs. Von der innerstädtischen und kalten Schickimicki-Atmosphäre Madrids ist hier so viel zu spüren wie in Köln-Kalk. Vielmehr herrscht ein freundliches und gleichweg ehrliches Klima.

Man merkt recht schnell, wenn man sich an Spieltagen im Dunstkreis des Stadions aufhält, dass bei Rayo alles ein wenig anders läuft als bei den großen Vereinen der Liga. Mit Kamera bewaffnete Touristen aus Übersee, Spektakel-Zuschauer und Botox-getunte Frauen sucht man hier vergebens. Man trifft auf lokalpatriotische Fans, die den Fußball so lieben, wie er ihnen Woche für Woche von ihrem Team geboten wird: nie wirklich schön, mit viel Kampf und wenig Spektakel.

Der kleinste Etat der Liga

Die Bukaneros, wie die Fans von Rayo genannt werden, wollen keine One-Man-Show eines Ronaldo sehen. Das würde zu den Fans aus dem sozialen Brennpunkt Madrids nicht passen. Was für sie zählt, ist das Kollektiv, das gemeinsame Erleben der Spiele und Anfeuern der Mannschaft.

Das machen die Anhänger meist so enthusiastisch und frenetisch, dass die gegnerische Mannschaften trotz des recht kleinen Stadions mit Respekt antreten. Real-Trainer Jose Mourinho hat nach dem letzten Aufritt der Königlichen in Vallecas mit zwei erhobenen Daumen den Platz verlassen. Die Geste galt den Bukaneros.

Rein sportlich spielt Rayo in einer Liga mit den Stadtrivalen. Finanziell liegen allerdings Welten zwischen den Teams. Rayo hat mit zwölf Millionen Euro den mit Abstand kleinsten Etat der Liga und somit nur rund zwei Prozent des Geldes des königlichen Nachbarn zur Verfügung. Die Spieler sind sogar dazu angehalten, die Trikots nach den Partien nicht zu tauschen, um Geld zu sparen.

Die Anfahrt zu Auswärtsspielen erfolgt fast ausschließlich mit dem Zug und auch bei den Spielergehältern scheint es immer wieder Probleme zu geben. Kapitän Javi Fuego sagte erst kürzlich in einem Interview, dass er lediglich zwei der zurückliegenden neun Monatsgehälter erhalten habe.

Finanziell am Abgrund

Grund für die finanzielle Misere ist wie bei vielen spanischen Klubs ein verheerendes Management des Klubs. Der ehemalige Besitzer Jose Ruiz-Mateos, der bereits drei Jahre wegen Steuerhinterziehung und Betrug im Gefängnis saß, stürzte den Klub zusammen mit Frau und Ex-Präsidentin Teresa Rivero in den finanziellen Ruin.

Seitdem sitzt der Verein auf einem riesigen Schuldenberg, von dem es unmöglich scheint herunterzukommen. 2011 übernahm Raul Martin Presa den Klub und versprach bei seinem Amtsantritt, den Klub aus der finanziellen Krise zu retten. Einen Beweis für eine Besserung blieb er den Fans bislang schuldig.

Einen Grundstein für eine finanziell bessere Zukunft legte Rayo in der Saison der Übernahme mit dem Aufstieg in die Primera Division. Nach acht Jahren der Erstliga-Abstinenz und gar einem vierjährigen Gastspiel in der dritten Liga startete man ohne große Ansprüche im Oberhaus.

Ziel war es, den Klassenerhalt so früh wie möglich in trockene Tücher zu bringen. Umso überraschender, dass Rayo sieben Spieltage vor Schluss mit einem 6:0-Sieg gegen Osasuna die magische 40-Punktemarke bereits geknackt hatte. Mit nur drei Punkten Rückstand auf Rang sechs schielte man mit einem Auge sogar auf die internationalen Plätze.

Umstrittenes Tor sichert den Klassenerhalt

Doch in den folgenden Spielen verlor das Team völlig den Faden, kassierte sechs eindeutige Pleiten und stand vor dem letzten Spieltag vor einem entscheidenden Match gegen den Abstieg. Sollte das Team gegen das ebenfalls abstiegsbedrohte Granada nicht gewinnen, müsste man erneut den Weg in Liga zwei antreten.

In den regulären 90 Minuten fielen keine Tore. Erst in der Nachspielzeit und somit der buchstäblich letzten Aktion der Saison schoss Stürmer Raul Tamudo Rayo von den Abstiegsplätzen. Während im Norden Madrids Real-Fans die Meisterschaft feierten, stieg zeitgleich im Süden die Nicht-Abstiegsfeier von Rayo. Dass das entscheidende Tor aus einer Abseitsposition fiel, ging zunächst im Freudentaumel und dem Platzsturm unter. Das Tor im Video

In den spanischen Medien wurde in den Tagen nach der Partie heiß diskutiert. Offenbar sollen sich Spieler beider Mannschaften auf dieses Ergebnis geeinigt haben, als die Zwischenstände aus den anderen Stadien bekannt wurden. Selbst dem Ligaverband wurde vorgeworfen, in die Partie eingegriffen zu haben. Statt dem kleinen Licht Rayo stieg der aufmüpfige FC Villarreal ab, der immer wieder die Verteilung der TV-Gelder kritisierte.

Der Umbruch nach dem Wunder

Nach dem Klassenerhalt in letzter Sekunde folgte in der Sommerpause der große Umbruch. Der Vertrag mit Trainer Jose Ramon Sandoval wurde nicht verlängert, fast der komplette Kader wurde ausgetauscht. Insgesamt 16 Spieler verließen den Verein, 19 Neue kamen hinzu.

Die Startelf liest sich im Vergleich zur letzten Saison wie eine komplett andere Mannschaft. Zusätzlich musste aufgrund der finanziellen Schwierigkeiten der einzige wirkliche Superstar Michu weit unter dem eigentlichen Marktwert für 2,5 Millionen an Swansea City verkauft werden. Dort zeigt der Mittelfeldspieler Qualitäten. In den ersten vier Spielen traf er vier Mal und führt derzeit die Torschützenliste der englischen Premier League an.

Mit vielen neuen Spielern und keinen namhaften Stars schaffte es der neue Coach Paco Jemez dennoch, eine gute Mannschaft auf die Beine zu stellen. Die Neuzugänge scheinen sich gut mit den übrig gebliebenen Stammspieler zu ergänzen. Hinzu kommen Spieler aus der eigenen Jugend wie beispielsweise Leo Carrilho, die den Durchbruch geschafft haben.

Vor dem Duell mit Real Madrid am Samstag steht Rayo überraschend auf Rang sechs der Liga. Auch wenn die Rayo-Fans in gewohnter Manier schon träumen, denken Trainer und Mannschaft rationaler. Ziel bleibt, mit diesem umgebauten Team und der katastrophalen finanziellen Lage weiterhin der Klassenerhalt. Und zwar möglichst nicht erst in letzter Sekunde.

Rayo Vallecano im Steckbrief

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