Alles läuft nach Plan im Santiago Bernabeu. Auf der Tribüne verleiht kein Geringerer als König Juan Carlos I die Medaillen. Den geknickten Real-Stars gibt seine Majestät nach der Niederlage im Pokalfinale aufmunternde Worte mit. Handshake mit Sergio Ramos, eine Umarmung für Iker Casillas. Alles Routine.
Doch plötzlich stutzt Juan Carlos. In seiner Hand hält er eine silberne Platte, die als Trost-Pokal für den Verlierer herhalten muss. Bereit, sie zu überreichen, schaut er verdutzt in das Gesicht von Aitor Karanka, der ihm im Trainingsanzug gegenübersteht. "Dem gebe ich das?", fragt der König den Verbandschef neben ihm. Der nickt, zeigt mit dem Finger auf Karanka. Nun gut, scheint sich Juan Carlos zu denken und überreicht Madrids Co-Trainer die Trophäe. Ein Handshake bleibt aus.
Juan Carlos war davon ausgegangen, dass der Chefcoach persönlich den Pokal entgegennehmen würde. Vielleicht sogar im Anzug, nicht in Trainingskleidung. Doch Jose Mourinho hatte sich längst in den Katakomben verzogen und die Medaillenübergabe sausen lassen - beim spanischen König.
"Florentino Perez wurde totenbleich", schrieb "El Pais" über diesen peinlichen Moment. Jose Mourinho hatte einmal mehr seine eigene Entscheidung getroffen, einmal mehr Präsident Perez brüskiert. Ein letztes Mal. Drei Tage später wurde sein Ende als Trainer von Real Madrid verkündet.
Ancelotti als Kontrastprogramm
Mourinho war 2010 mit der Aufgabe angetreten, Madrid endlich den heiß ersehnten zehnten Champions-League-Sieg - La Decima - zu bescheren. Der, der sich selbst stets über Erfolg definiert, hat sein Ziel verfehlt. Doch nicht nur das. Mourinho hat in zwischenmenschlicher Hinsicht bei Real Madrid verbrannte Erde hinterlassen.
Durch sein autoritäres Auftreten und die knallharte Gangart brachte Mourinho sowohl Teile der Fans als auch der eigenen Mannschaft gegen sich auf. In den Jahren zuvor konnte er das mit Verweis auf gewonnene Titel rechtfertigen. Der Erfolg gab ihm Recht.
Doch nach der "schlechtesten Saison meiner Karriere" (Mourinho) war das schlagkräftigste Argument - der Erfolg - weggefallen. Mourinho rückte endgültig ins Zentrum der Kritik, er fühlte sich ungeliebt, unerwünscht. Spätestens nach dem verlorenen Pokalfinale war klar: Ein weiteres Jahr voller Gegenwind wird er sich nicht antun.
Ohnehin hätte Präsident Perez eine Weiterbeschäftigung Mourinhos weder vor den Fans noch vor der Mannschaft verantworten können. Dass er nun Carlo Ancelotti zum neuen Wunschtrainer auserkoren hat, beweist vor allem eins: Perez hat aus den Zerwürfnissen der Mourinho-Ära gelernt. Ancelotti repräsentiert in puncto Persönlichkeit das Kontrastprogramm zu Mourinho.
"Mehr Bruder als Trainer"
Mourinho verkörpert Unantastbarkeit, er ist die absolute und einzige Autorität. Gegenstimmen werden bestenfalls ignoriert, schlimmstenfalls abgestraft, wie schon so manch aufmüpfiger Spieler auf schmerzhafte Weise miterleben musste.
Ancelottis Philosophie hat damit wenig gemein. Sein Umgang mit Spielern ist liebevoll, beinahe kumpelhaft. Er sei "mehr Bruder als Trainer", schwärmte schon Fabio Cannavaro. "Er ist ein Freund", meinte PSG-Verteidiger Thiago Silva unlängst. Und Lucas Moura verriet: "Wir Spieler lieben ihn."
The Normal One
Im Gegensatz zu The Special One ist Ancelotti um ein möglichst natürliches Auftreten bemüht. Unverzerrt und authentisch, ohne besondere Inszenierung. Im Vergleich zu Mourinho, der besonders auf Pressekonferenzen gerne mal für Spektakel sorgt, wirkt Ancelotti unspektakulär, bisweilen langweilig.
Doch womöglich ist genau das sein wichtigster Charakterzug. "Das Erfolgsgeheimnis lag in seiner Normalität", bezeugte schon sein Schützling aus Milan-Zeiten, Paolo Maldini. "Wenn du gewinnen willst, bringt es nichts, The Special One, Special Two oder Special Three zu sein." Ancelotti ist The Normal One. Ancelotti ist der Anti-Mourinho.
Neben der menschlichen Komponente unterscheiden sich die beiden auch in einem zentralen beruflichen Aspekt. Im Gegensatz zu Mourinho hat Ancelotti auf höchstem Niveau Fußball gespielt. Er war Teil des legendären Milan-Mittelfeldes mit Donadoni, Costacurta und Rijkaard, gewann zweimal die Champions League.
Im Fall Mourinho waren Kurzeinsätze bei Belenenses Lissabon schon das Ende der Fahnenstange. Wasser auf die Mühlen derer, die ihm mangelndes Verständnis für seine Fußballprofis unterstellen. "Mourinho war nie ein Spieler, er versteht Spieler nicht", bemängelte Barcelonas Gerard Pique Ende letzten Jahres.
Paradigmenwechsel bei Real Madrid
Ancelotti hingegen kennt die Perspektive seiner Profis aus eigener Erfahrung. Er kann sich in sie hineinversetzen, ihnen glaubhaft Verständnis vermitteln. "Er versteht Fußballer wie kein anderer", schwärmt sein Schützling Thiago Silva. "Er hat selbst gespielt und weiß, wie wir denken, wie wir uns fühlen. Er kennt diesen Beruf in- und auswendig."
Ein entscheidender Vorzug, der Ancelotti für Real besonders wertvoll machen könnte. Für eine Mannschaft, in der sich zahlreiche Führungsspieler vom Trainer aufgrund dessen autoritärer Leitung abwandten, bis ein Umbruch unumgänglich wurde.
Mit einer Verpflichtung des aufgeschlossenen Spielerverstehers Ancelotti soll eine derartige Zwietracht zwischen Team und Trainer künftig verhindert werden. Was den Umgang mit Spielern betrifft, stünde dem Kader der Königlichen ein grundlegender Paradigmenwechsel ins Haus. Mourinho-Methoden sind unter Ancelottis Führung undenkbar, wie er auch selbst schon anno 2008 betonte: "Wenn ich so arbeiten würde wie Mourinho, hätte ich niemanden mehr im Training."
Carlo Ancelotti im Steckbrief