Der Fußball bestimmt das Leben

Von Thomas Gaber
Fans von Galatasaray: Fußball ist eine Religion in der Türkei
© Getty

Roberto Carlos, Nicolas Anelka und jetzt Franck Rijkaard. Seit Jahren locken die Süper-Lig-Vereine große Namen in die Türkei, obwohl die internationalen Erfolge ausblieben. Was macht den Reiz der Süper-Lig aus und wer zieht die Fäden im türkischen Fußball? SPOX klärt auf.

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Popito wollte inkognito bleiben. Dunkle Designer-Sonnenbrille, goldener Blazer und ein tief ins Gesicht gezogenes Baseball-Cap, das er, der Farbenpracht nach zu urteilen, einem Kind geklaut haben muss. Popito ist mit seinen 27 Jahren selbst noch ein Kind - zumindest bezeichnet er sich als solches. "Ich spiele gerne mit Modellautos", gibt er zu.

Popito heißt mit bürgerlichem Namen Abdul Kader Keita und ist am Montag in Istanbul angekommen, um seine Fußballerkarriere bei Galatasaray fortzusetzen. Acht Millionen Euro hat der türkische Co-Rekordmeister (wie Fenerbahce 17 Titel) für den Nationalspieler der Elfenbeinküste an Olympique Lyon überwiesen.

Keitas Plan, den Flughafen Atatürk weitgehend unbemerkt zu verlassen, ging freilich nicht auf. Das geht in keinem Land, wo ein neuer Star die heimische Fußball-Liga verstärkt und erst recht nicht in der Türkei.

Rijkaard schwer beeindruckt

Rijkaard war nach seiner Ankunft überwältigt: "Es ist fantastisch, wie die Leute hier Fußball leben. Das gibt es nicht oft auf der Welt."

Auch Keitas Auftritt ist ein Großereignis in Istanbul. Die Reporter der Stadt sind gekommen und es dauert nur Bruchteile von Sekunden, bis Keita einen Gala-Schal um den Hals gelegt bekommt.

Keita war Wunschkandidat von Galas neuem Trainer Rijkaard, dem Star-Coach der Süper Lig. "Bevor ich gekommen bin, haben wir sehr lange miteinander gesprochen. Rijkaard hat mir erzählt, dass er mich für sein System benötigt. Man muss aber wissen, dass ich ihn mehr brauche als er mich", sagt Keita artig.

Mehr Geld und ein Job für die Freundin

Er hat sich für die Herausforderung Türkei entschieden, wie so viele andere namhafte Spieler im europäischen Fußball.

Darius Vassell, einer der zahlreichen überbezahlten Profis bei Manchester City, spielt künftig für Ankaragücü. Auch mit Portugals Maniche hat sich der Verein angeblich bereits geeinigt.

Matteo Ferrari wechselte nach einer glänzenden Saison beim FC Genua zu Besiktas. Als seine Freundin ein Veto einlegte, wurde Ferraris Gehalt kurzum auf 2,5 Millionen Euro netto erhöht. Und seine quängelnde Lebensgefährtin bekam einen Job als TV-Moderatorin.

Ex-Atletico-Torwart Leo Franco lehnte Angebote aus England und Deutschland ab und entschied sich für Galatasaray. Nationalspieler Nihat (Besiktas) kehrte nach neun erfolgreichen Jahren in Spanien in die Heimat zurück.

Aus der Bundesliga ist Michael Fink (Besiktas) gekommen, trotz eines gut dotierten Vertrages bei Eintracht Frankfurt und zahlreicher anderer Anfragen. Christoph Daum verließ seinen angeblich so heißgeliebten 1. FC Köln und heuert zum zweiten Mal bei Fenerbahce an.

Nicht nur Namen, auch Qualität

"Seit dem UEFA-Cup-Sieg von Galatasaray 2000 und dem WM-Halbfinaleinzug der Nationalmannschaft 2002 hat sich viel getan im türkischen Fußball. Verdiente Spieler und Trainer in Europa haben gemerkt, dass auch dort guter Fußball gespielt wird. Leute wie Rijkaard zu bekommen, gibt der Liga einen weiteren Schub", sagt Ümit Davala im Gespräch mit SPOX. Davala ist 44-maliger Nationalspieler der Türkei und war in der Bundesliga für Werder Bremen aktiv.

Die Erfolge auf Vereinsebene waren in den letzten Jahren allerdings überschaubar. Seit Galatasaray 2001 erreichte nur noch Fenerbahce 2008 das Viertelfinale der Champions League.

Die Stars kamen dennoch. Roberto Carlos, Pierre van Hooijdonk, Ariel Ortega. Teilweise ernteten die Klubs Kritik: zu viel Geld für verletzungsanfällige oder launische Altstars. Mittlerweile wird nicht nur der Name, sondern auch Qualität gekauft.

"In der Türkei Fußball zu spielen, ist auch für Ausländer ein großer Anreiz. Die Fans sind extrem heißblütig. Fußball bestimmt das ganze Leben. Alles ist auf den Fußball aufgebaut. Und dann stimmt die Bezahlung. In der Türkei kann man mehr verdienen als in der Bundesliga", sagt Davala.

Steuerparadies Türkei

Der Faktor Geld spielt im türkischen Fußball die wohl entscheidende Rolle. Ein so begehrter Trainer wie Frank Rijkaard wäre nie gekommen, wenn er sich neben einem fürstlichen Gehalt nicht auch eine Mannschaft nach seinen Vorstellungen zusammenstellen könnte.

Viele Spieler leben in der Türkei im Steuerparadies, weil die Klubs die Abgaben an den Staat übernehmen. Maximal acht Ausländer dürfen im Kader eines türkischen Vereins stehen, die Auserwählten werden bevorzugt behandelt.

Für die Nestwärme und die nötigen Gelder sorgen die Klubbosse. Milliardäre, die sich spaßeshalber bei einem Fußballklub einkaufen, gibt es in der Türkei nicht, wenngleich viele Vereine sehr reiche Vorstände haben.

Ohne Geld geht wenig

Bei Fenerbahce ist ein üppiges Vermögen Voraussetzung für einen Platz im Vorstand. Präsident Aziz Yildirim ist ein mächtiger Bauherr und erreichte sein für 2007 gesetztes Umsatzziel bereits zwei Jahre früher. Fener gehört mittlerweile zu den 20 umsatzstärksten Vereinen der Welt.

Soweit ist Besiktas noch nicht. Doch der aktuelle Meister holt auf - dank des schwerreichen Yildirim Demirören. Der Geschäftsmann investiert munter aus der Privatschatulle. Der Verein schuldet ihm knapp 80 Millionen Euro, was Demirören aber nicht weiter stört, schließlich sind Engagements im türkischen Fußball immer mit einer gehörigen Portion Eigenwerbung verbunden.

So hat man in einigen Provinzen der Türkei als Bürgermeister nur eine Chance, wenn man der ortsansässigen Fußballmannschaft finanziell unter die Arme greift. Viele reiche Gönner investieren hier und da mal ein paar Millionen in "ihren" Verein, um sich gute Karten für die nächste Präsidentenwahl zu verschaffen.

Beim dritten Istanbuler Groß-Klub Galatasaray reicht Geld nicht aus, um Spitzenämter einzunehmen. Wer Präsident werden will, muss an der renommierten Galatasaray-Universität studiert haben.

Gala hat horrende Bankschulden, ist aber aufgrund des immensen Grundstückbesitzes, das laut Studien unter den Top 5 der Welt liegt, stets kreditwürdig. Spieler wie Lincoln und Milan Baros wurden mit Geldern von Privatsponsoren verpflichtet, im Fall Rijkaard soll es ebenso gelaufen sein.

Vorherrschaft der großen Drei bröckelt

Die Vorherrschaft der drei Istanbuler Vereine, die in den 51 Jahren seit Einführung der Süper Lig als einzige Teams nie abgestiegen sind und dem türkischen Verband mitunter die Statuten diktierten, ist allerdings passe.

Der Verband untersagt mittlerweile Einmischungen seitens der Vereine in seine Politik, die Erfolge der Nationalmannschaft bei der WM 2002 und der EM 2008 (jeweils Halbfinale) haben dabei geholfen. Ein Verein wie Sivasspor spielt seit zwei Jahren um den Titel und Kayserispor hat ein Stadion bauen lassen, das den modernsten Anforderungen der UEFA entspricht.

Der gut ausgehandelte TV-Vertrag bringt auch den kleineren Vereinen Geld in die Kasse. TV-Partner Digiturk zahlt zwischen 160 und 180 Millionen Euro pro Jahr. Einige Vereine haben eigene Geschäftsketten, eigene TV-Sender und eigene monatlich erscheinende Zeitschriften.

Davala sieht den türkischen Fußball auf einem sehr guten Weg. "Die Stadien sind fast immer ausverkauft, die Stimmung ist aufgeladen, aber sehr friedlich. Was damals gegen die Schweiz in der WM-Quali passiert ist, wird es nie wieder geben. Da ging mit einigen das Temperament zu sehr durch. Es wird guter Fußball gespielt und die kleineren Klubs dringen in die Phalanx der großen Drei ein. So muss das sein."

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