"Ich war nie ein Streichkandidat!"

Von Interview: Fatih Demireli
Roberto Hilbert hat sich zuletzt in die Stammelf von Besiktas gespielt
© Imago

Roberto Hilbert wechselt zu Saisonbeginn ablösefrei vom VfB Stuttgart zum türkischen Spitzenklub Besiktas. Im SPOX-Interview spricht der Ex-Nationalspieler über seine ersten Erfahrungen am Bosporus. Der 26 Jahre alte Mittelfeldspieler antwortet auf die Spekulationen, wonach er bei Besiktas schon früh vor dem Aus stand. Groß ist die Freude auf das erste Istanbuler Derby gegen Fenerbahce.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

SPOX: Sie müssen sich als Basketball-Fan gefreut haben, dass die WM in Ihrer neuen Heimat stattfand. Haben Sie ein Spiel live gesehen?

Roberto Hilbert: Das hat leider zeitlich und organisatorisch nicht hingehauen. Die Spiele waren aber fast alle live im Fernsehen und ich habe viel gesehen. Auch das Finale der Türken gegen die USA.

SPOX: Das nächste Event für die Türken steht schon bevor. Am 8. Oktober trifft Deutschland auf die türkische Nationalmannschaft. Sie sind jetzt schon ein Weilchen hier. Was erwartet Joachim Löw und Co.?

Hilbert: So wie ich die türkische Mannschaft kennengelernt habe, darf man sie absolut nicht unterschätzen. Ich habe sie im August gegen Rumänien auch live im Stadion gesehen. Das Team hat eine sehr gute Qualität. Hinzu kommt, dass das Spiel in Berlin ist und ich kenne ja mittlerweile die türkischen Fans: Das wird auch dort ein Hexenkessel.

SPOX: Gutes Stichwort: Sie spielen Woche für Woche im Hexenkessel Inönüstadion. Jedes Mal ein neues Highlight?

Hilbert: Absolut. Wenn man die Möglichkeit hat, sich ein Spiel in Istanbul anzuschauen, sollte man das machen. Gerade bei uns im Inönüstadion ist es ein einmaliges Erlebnis. Die Fans sind sehr enthusiastisch.  Sie sind mit Leib und Seele für den Verein da.

SPOX: Sie wurden nach Ihrem Wechsel zu Besiktas von hunderten Fans am Flughafen empfangen. Erwartet haben Sie das nicht, oder?

Hilbert: Unglaublich, das war einfach unglaublich. Das spiegelt die Mentalität in diesem Land wider. Die Fans sind fanatisch, sie lieben Ihren Verein und sind rund um die Uhr für ihn da.

SPOX: Das Highlight für Fans aber auch für Spieler steigt am Sonntag in Istanbul: Sie treffen im Istanbuler Derby auf Fenerbahce. Spüren Sie einen besonderen Druck vor diesem Spiel?

Hilbert: Das ist ein brisantes Derby, aber ich verspüre eher Freude als Druck. Ich freue mich wahnsinnig darauf, endlich mal ein Derby nicht vor dem Fernseher oder vom Hörensagen, sondern mittendrin zu erleben. Das ist eines der besten Derbys in Europa.

SPOX: Besiktas startete mit drei Siegen und einer Niederlage in die Saison. Fenerbahce schwächelt dagegen, ist auch aus der Europa League ausgeschieden. Fener hat aber ein Heimspiel. Wer ist Favorit?

Hilbert: Aufgrund der Ausgangssituation beider Mannschaften sind wir der Favorit. Aber Fener hat eine starke Mannschaft, die wir ganz sicher nicht unterschätzen werden.

SPOX: Sie haben bisher ein Ligaspiel gemacht, in der Europa League gab es drei Einsätze. Bei Ihnen ist noch Luft nach oben, was die Einsatzzeiten angeht.

Hilbert: Es ist so, dass Bernd Schuster immer versucht, jedem Spieler Einsatzmöglichkeiten zu geben. Wir haben mit Spielern wie Guti, Ricardo Quaresma, Nihat, Mehmet Aurelio, Fabian Ernst und vielen anderen Namen eine sehr gute Mannschaft. Wir rotieren viel, deswegen ist es völlig normal, dass man nicht immer spielt.

SPOX: Die Erwartungen an Sie sind dennoch groß.

Hilbert: Klar ist es mein Anspruch immer zu spielen. Wir haben mit der Liga, dem Pokal und der Europa League aber viele Spiele, in denen ich zum Zuge kommen kann. Ich darf mein Ego nicht in den Vordergrund stellen. Wenn ich gebraucht werde, gebe ich Gas.

Zwitschern auf Deutsch und Türkisch: Der Türkei-Twitter von SPOX

SPOX: Besiktas hatte zu Saisonbeginn ein Ausländerproblem. Zehn Legionäre dürfen unter Vertrag stehen, zwölf waren es. Zwei mussten gehen. Auch Sie wurden lange Zeit als Streichkandidat gehandelt. Wie brenzlig war es wirklich?

Hilbert: Leider wird  im Fußball immer sehr viel spekuliert und auch bei diesem Thema war das nicht anders. Es wurde viel über mich geschrieben, aber ich habe mich nicht aus der Ruhe bringen lassen.

SPOX: Die Gefahr war aber schon da, dass Sie gestrichen werden?

Hilbert: Nein, das war nie ein Thema. Es wurde viel spekuliert, aber gesprochen wurde bei Besiktas nie darüber.

SPOX: Michael Fink hatte es dagegen vorübergehend erwischt. Sein Vertrag wurde auf Eis gelegt und erst als Matias Delgado ging, wurde er wieder gemeldet. Haben Sie mit Fink über seine Situation gesprochen?

Hilbert: Selbstverständlich. Wenn man schon einen deutschen Kollegen hat, dann spricht man auch darüber. Er hat letztes Jahr mit die meisten Spiele gemacht und plötzlich durfte er nicht mehr spielen. Das war für ihn nicht einfach. Fabian Ernst und ich haben versucht, ihn immer wieder aufzubauen.

SPOX: Mit Schuster, Ernst und Fink sind drei weitere Deutsche bei Besiktas. Hat das Ihre Eingewöhnung in der Türkei erleichtert?

Hilbert: Jein. Natürlich ist man froh, dass in einer neuen Umgebung Menschen da sind, die die gleiche Sprache sprechen. Das vereinfacht vieles, aber ich habe mich auch so ganz gut einbringen können und habe mich schnell angepasst.

SPOX: Ihre alte Heimat Stuttgart ist wahrlich keine Kleinstadt, aber Sie leben jetzt in einer Metropole mit mehr als 15 Millionen Einwohnern. Haben Sie sich schon an Istanbul gewöhnen können?

Hilbert: Es ist nicht nur die Stadt, sondern die Mentalität, an die man sich gewöhnen muss. Das ist wie im Urlaub, wo auch erst einmal alles anders ist. Meine Familie und ich sind aber sehr anpassungsfähig und da gibt es keine Probleme.

SPOX: Was hat Sie an Istanbul am meisten überrascht?

Hilbert: (lacht) Dass hier so viele Menschen sind. Istanbul ist wirklich sehr, sehr schön. Es gibt super Ecken hier, aber es ist auch alles sehr groß und der Verkehr ist extrem.

SPOX: Wie reifte die Entscheidung Stuttgart und auch Deutschland zu verlassen?

Hilbert: Es ist nie einfach, das eigene Land zu verlassen. Ich habe mich aber bereit gefühlt, diesen Schritt ins Ausland zu machen. Es ging mir darum, mich sportlich und menschlich weiterzuentwickeln. Für meine Familie und mich, ist es eine wichtige Erfahrung, in ein anderes Land zu gehen und eine andere Lebensweise kennenzulernen. Und Besiktas ist ein absoluter Topklub, das sieht man schon am Kader.

SPOX: Sie wurden mit dem VfB Stuttgart 2007 Meister, sind zum Nationalspieler aufgestiegen. Am Ende wurde es ruhig um Sie. Warum hat es nicht mehr geklappt beim VfB?

Hilbert: Wenn ich das wüsste... Ich bin selbstkritisch genug und ich weiß, dass es am Ende nicht mehr so lief, wie ich mir das vorgestellt habe. Wenn ich die Gründe wüsste, hätte ich es sicher schon damals anders gemacht. Es kamen viele Faktoren zusammen, aber einen genauen Grund kann ich nicht nennen. Ich kann es jetzt eh nicht mehr ändern.

SPOX: Der VfB Stuttgart ist sehr schwach in die neue Saison gestartet. War der Substanzverlust nach den Abgängen von Lehmann, Khedira, Hleb und eben Hilbert zu groß?

Hilbert: Schwer zu sagen. Der VfB hat immer den Anspruch, oben mitzuspielen. Die Mannschaft hat trotz der Abgänge ein gutes Potenzial. Mit Cacau, Ciprian Marica, Christian Träsch oder Matthieu Delpierre hat Stuttgart super Spieler im Kader. Ich denke, der VfB kommt da unten auch wieder raus.

SPOX: Sie sind erst neu in die Türkei gewechselt, aber würden Sie über eine Rückkehr in die Bundesliga nachdenken?

Hilbert: Ich bin jetzt in Istanbul und spiele bei Besiktas und nur das zählt. Ich will mit dem Verein vieles erreichen und gebe dafür meine ganze Energie. Ich habe bei Besikas nicht für drei Jahre unterschrieben, um gleich wieder zu gehen.

Ribery und Co.! Die 10 größten Transferflops der Türkei