Hamza ist ein Prototyp. Ein Taxifahrer nach Istanbuler Art. Sein Taxi ist geschmückt wie das Zimmer eines Teenagers. Überall hängen Utensilien, auf dem Lenkrad klebt das Logo eines bayerischen Autoherstellers, obwohl sein Flitzer aus Italien kommt. Das blaue Licht innerhalb des Wagens gibt dem Fahrgast den Rest. Eigentlich fehlt nur noch der DJ.
Natürlich qualmt auch die Zigarette. Wen interessiert schon die vorschriftsmäßig am Armaturenbrett angebrachte Warnung, dass das Rauchen in diesem und allen anderen Taxen 69 Lira Strafe kostet? Hamza ist das egal. Er raucht und er redet. Viel. Und weil er eben ein Prototyp ist, redet er vor allem über Fußball.
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"Der läuft rauf und runter"
Auch wenn seine Wunschelf seines Lieblingsklubs Fenerbahce aus zwölf Spielern besteht, hat Hamza durchaus Ahnung und ist gut informiert. "Guck' dir mal Fener an. Alter, ich langweile mich jedes Mal. Da schaue ich lieber Besiktas. So wie die eingekauft haben, muss es sein. Guti, Quaresma, Almeida und der Dings...Simbrao...Simao."
Als Hamza erfährt, dass er SPOX zum Treffen mit Roberto Hilbert chauffiert, kommt er richtig in Fahrt. "Schau', auch so ein Transfer. Keine Kohle bezahlt, aber der Junge läuft in jedem Spiel rauf und runter. Unsere Jungs gucken nach einer Stunde auf die Uhr." Hamza hat die Meinung über Hilbert nicht exklusiv.
Im Schatten von Guti & Quaresma
"Ich werde von den Fans oft Alman Panzer (Deutscher Panzer, d. Red.) genannt. Oder einfach auch Zug, weil ich so viel unterwegs bin", erzählt Hilbert beim SPOX-Besuch in Istanbul. Der Deutsche, der vor der Saison ablösefrei vom VfB Stuttgart zu Besiktas wechselte, hat sich in das Herz der türkischen Fußball-Fans gespielt.
Die Entwicklung ist beachtlich, zumal es Hilbert anfangs nicht leicht hatte. "Meine Verpflichtung stand etwas im Schatten der Sommertransfers Guti und Quaresma", gibt Hilbert zu. Während das Duo seit Sommer quasi dauervergöttert wird und auf Anhieb gesetzt war, musste Hilbert um seinen Platz kämpfen.
Aufschwung als Rechtsverteidiger
Zwischendurch wurden sogar Gerüchte über Hilberts vorzeitiges Aus laut. "Die Gefahr bestand nicht, aber man hat sich natürlich Gedanken gemacht", verrät er. Doch schnell ging es bergauf, auch weil Ekrem Dag und Erhan Güven ausfielen und Hilbert als rechter Verteidiger aushelfen musste. Insbesondere in den Topspielen in der Süper Lig und in der Europa League war Hilbert oft Besiktas' Bester. "Das war sicher der Wendepunkt. Die Menschen haben mich anders wahrgenommen", sagt er über den Wandel seiner Rolle.
In Istanbul leben offiziell 15 Millionen Menschen - inoffiziell sind es weit mehr und es ist eine Besonderheit in dieser Stadt, in der man auch nachts um 3 Uhr regelmäßig im Stau steht, aufzufallen. Hilbert hat es geschafft. Als er im Herzen der Stadt, in Taksim, durch die Straßen läuft, erkennen ihn die Menschen. Ein Cafe-Besitzer versucht den Besiktas-Star sogar auf Deutsch zu begrüßen.
Durchblick im Verkehrschaos
Umgekehrt versucht Hilbert selbst viel auf Türkisch zu kommunizieren. In seiner neuen Heimat in Istanbul wird er von Tag zu Tag heimischer. Das gilt auch für die Familie - vor allem Hilberts fünfjähriger Sohn, der noch zur Vorschule geht, ist in Sachen türkisch beinahe verhandlungssicher. Ab dem Sommer soll der Nachwuchs dennoch auf die deutschsprachige Schule gehen.
Diese ist allerdings auf der europäischen Seite der Stadt, während die Hilberts im asiatischen Beykoz leben. Das chronische Verkehrschaos ist nicht zu unterschätzen, doch Hilbert hat sich daran gewöhnt, kennt Schleichwege und den schnellsten Weg zur Bosporusbrücke, wenn er mal schnell den Kontinent wechseln will.
Durch das Zeitfenster
Insbesondere zu Beginn des Abenteuers in Istanbul nahm die Familie die Stadt unter die Lupe. "Istanbul ist super. Die Stadt ist gigantisch groß, es leben hier unglaublich viele Menschen. Ehrlich gesagt, diese Dimensionen hatte ich mir nicht vorgestellt." Die schicken Orte Taksim, Ortaköy oder Bebek haben es ihm angetan. "Man kann direkt am Bosporus essen, das ist schon toll."
Doch es gibt auch die Kehrseiten der Stadt: "Es gibt Ecken, in denen man sich fragt, ob wir wirklich im 21. Jahrhundert leben. Man fährt auf einer Straße und denkt sich: Super! Zwei Straßen weiter und alles ist anders. Man fährt hier manchmal durch das Zeitfenster."
"Diesen Service gibt es in Deutschland nicht"
Glücklich ist er mit seiner Familie dennoch. Heimweh? "Nur im positiven Sinne." Gedanken an eine Rückkehr nach Deutschland hegt er nicht. "Die letzten Jahre in Stuttgart waren unbefriedigend. Besiktas ist ein Neuanfang. Ich habe nicht vor, den Verein zu verlassen." Zumal er mit Besiktas um Titel spielen darf, während Stuttgart gegen den Abstieg kämpft.
Auch in der Besiktas-Welt fühlt sich Hilbert wohl: "Den Service, den wir hier genießen, gibt es in Deutschland nicht. 24 Stunden ist jemand da, der sich um dich kümmert. Brauche ich den Dolmetscher, ist er da. Der Klub hat ein eigenes Restaurant. Wenn wir nachts um 2 Uhr von der Auswärtsfahrt kommen, wartet der Koch."
Wichtig war der Verein vor allem in der Anfangszeit, als viele Amtsbesuche anstanden. "Die Bürokratie ist sehr schwer und man muss sehr starke Nerven haben. Ich bin froh, dass viel über den Verein oder meinen Dolmetscher ging. Er weiß, wie die Bürokratie tickt und welche Tricks es gibt. Ohne Hilfe hat man keine Chance."
In der Mannschaft benötigt er keinen Dolmetscher. Mit Fabian Ernst, Ekrem Dag oder Trainer Bernd Schuster kann er ohnehin Deutsch sprechen. Aber auch mit den Türken Ibrahim Toraman und Ersan Gülüm oder dem Spanier Guti kommt er gut aus. "Guti ist ein super Typ, der nicht den großen Star raushängen lässt."
Der gleichen Meinung ist übrigens auch Taxifahrer Hamza. "Hilbert rennt, Guti macht das Spiel und Almeida schießt von überall", sagt er - und drückt sich die nächste Zigarette in den Mund.
Simao, Quaresma und Co.: Der Besiktas-Kader im Überblick