SPOX: Herr Anderbrügge, wie kommt man auf die Idee, ein Fußball-Internat zu gründen?
Ingo Anderbrügge: Mein Partner Thomas Eglinski und ich sind uns im vergangenen Jahr in Burghausen über den Weg gelaufen. Damit trafen zwei erfolgreiche Fußballschulen (siehe Faktenbox) aufeinander. Wir haben uns beschnuppert und sind dann recht schnell zu dem Entschluss gekommen, dass die Fußballschule in Marl-Sinsen der ideale Standort für ein Fußball-Internat in Deutschland wäre.
SPOX: Welche Philosophie steckt dahinter?
Anderbrügge: Das Prinzip der drei Säulen: Schule, Fußball, Persönlichkeit. Die Internatsschüler erhalten neben der schulischen Ausbildung eine gezielte individuelle Förderung im Sport und eine exzellente Persönlichkeitsbetreuung.
SPOX: In Deutschland hat ein Umdenken stattgefunden: Die Ausbildung der Fußballer beginnt nun schon im Kindesalter. Wann fängt man am besten damit an, Kinder gezielt zu fördern?
Anderbrügge: Je früher, umso besser. Vor 30 Jahren haben Kinder noch viel mehr Sport getrieben. Wir waren ja ständig draußen. Das ist heute nachweislich nicht mehr der Fall. Und wenn ich sie - wie bei uns - mit 12, 13 Jahren schon für den Fußball begeistere und sie nebenher am Internat als Ausgleich noch andere Sportarten ausüben, bewegen sie sich mehr und haben letztendlich die perfekte Basis für später.
SPOX: Bewegung und Training ist also das A und O.
Anderbrügge: Jeder erfolgreiche Sportler, ob das jetzt ein Leichtathlet, ein Schwimmer oder ein Boxer ist, muss jeden Tag an sich arbeiten, um erfolgreich zu sein. Das ist auch in der Schule so. Wenn ich jeden Tag trainiere oder lerne, werde ich auch besser.
SPOX: Das klingt ein wenig nach Jürgen Klinsmann.
Anderbrügge: Sicher, aber das hat ja nicht Klinsmann erfunden. Wenn ein Neunjähriger im Fernsehen Geige spielt, schreien alle: Wunderkind! Dabei hat dieses Kind davor bestimmt jeden Tag den Nachbarn was vorgejodelt. Tägliches Training ist notwendig. Im Jugendalter schafft man dafür die perfekte Grundlage.
SPOX: Das Internat wirbt mit dem Slogan: 'Hier wachsen Persönlichkeiten'. Ein ehrgeiziges Ziel.
Anderbrügge: Die Schüler sollen später mal wissen, wie sie sich darstellen. Wenn es einer in den Profi-Fußball schafft - und das Ziel haben alle - wird er unweigerlich mit den Medien konfrontiert und sollte dann der Welt nicht scheu gegenüber stehen. Es geht um eine gewisse emotionale Kontrolle und Routine im Umgang mit den Medien. Mein erstes Interview war auch schrecklich. Im Übrigen können unsere Schüler das Erlernte auch bei Bewerbungsgesprächen oder Berufstests anwenden.
SPOX: Der erste Jahrgang startet im August. Wer kommt eigentlich fürs Internat in Frage?
Anderbrügge: Jeder Junge von 12 bis 18 Jahren, der fußballbegeistert ist und dem es keinen Stress macht, jeden Tag zu trainieren, darf sich bei uns bewerben. Voraussichtlich wird es bei uns drei Leistungsklassen geben. Zum einen Jungs, die noch nicht so ganz fußballorientiert sind, aber gerne jeden Tag an sich arbeiten. Dann gibt es ein mittleres Niveau, wo man den Jungs zutraut, sich positiv zu entwickeln. Und dann gibt es Jungs, die spielen jetzt schon in ihrer Altersklasse im höchsten Bereich. Verbessern können sich natürlich alle noch.
SPOX: Den Traum Profi zu werden, muss also auch ein durchschnittlich begabter Junge mit 12 Jahren nicht aufgeben.
Anderbrügge: Absolut nicht. Bestimmt nicht jeder, der heute oben ist, war schon mit 13 in der höchsten Spielklasse zu finden. Per Mertesacker war vielleicht als Kind eher schlaksig, Gerald Asamoah schon früh sehr robust und technisch nicht ganz perfekt. Oder nehmen wir Yves Eigenrauch, mit dem ich früher zusammen gespielt habe. Die waren alle bestimmt keine Überflieger, haben sich aber mit unglaublichem Engagement und Fleiß nach oben gespielt. Ich bin mir fast sicher, dass sich auch bei uns Jungs mit harter Arbeit zu guten Spielern entwickeln werden.
SPOX: Wie werden die jungen Fußballer bei Ihnen gezielt gefördert?
Anderbrügge: Maßstab ist das wöchentliche Punktspiel in den Vereinen. Wir werden die Spieler dort beobachten und dann hier am Internat gezielt an Stärken und Schwächen arbeiten, und das an jedem Tag, an dem die Jungs kein Training im Verein haben. Eins ist dabei aber Grundvoraussetzung: Es darf kein Stress für sie sein.
SPOX: Was macht den Standort Marl dafür so perfekt?
Anderbrügge: Wir sind hier im Fußball-Mekka des Ruhrgebiets und haben kurze Wege zu zahlreichen Klubs auf verschiedenen Leistungsniveaus. Unsere Anlage liegt im Naherholungsgebiet Hart. Man denkt bei Ruhrgebiet immer gleich an Bergbau, ist hier bei uns aber mitten im Grünen und hat große Flächen zur Verfügung. Man kann hier super trainieren, aber auch gut abschalten.
SPOX: Ein kleines Paradies also - in dem hart gearbeitet wird.
Anderbrügge: Sicher, das ist der Preis. Die Internatsschüler haben hier einen geregelten Tagesablauf - da bleibt zwar auch viel Freizeit, aber wenig Zeit für Fernsehen oder PC-Spiele. Für A- und B-Jugendspieler wird es beispielsweise einmal pro Woche schon vor dem Frühstück an den Ball gehen, um an der Technik zu feilen.
SPOX: Und wie sieht sonst der Tagesablauf eines Internatsschülers aus?
Anderbrügge: Nach dem Frühstück geht's ganz normal zur Schule. Nachmittags betreuen wir die Jungs bei den Hausaufgaben. Gibt es keine, wird trotzdem eine Stunde für die Schule 'trainiert'. Danach steht das Vereinstraining oder das individuelle Training am Internat auf dem Programm und abends wird zweimal wöchentlich noch mit den Schülern im Bereich Persönlichkeitscoaching gearbeitet bzw. der Freizeitbereich - sei es Basketball- oder Schwimmhalle - genutzt.
SPOX: Bleibt wenig Zeit für andere Interessen oder Fernsehen.
Anderbrügge: Im Prinzip ist das schon straff, aber es steht ja auch immer der Spaß am Fußball und an der Bewegung im Vordergrund. Und was soll man im Fernsehen gucken? Vera am Mittag? Außerdem haben die Jungs zwölf Wochen im Jahr Ferien und wenn einer in der restlichen Zeit gut arbeitet, kann er in den Ferien von mir aus pausenlos fernsehen.
SPOX: Was genau ist Persönlichkeitscoaching?
Anderbrügge: Dabei geht es darum, Werte wie Respekt, Disziplin, Eigenverantwortung und Selbstbewusstsein zu vermitteln. Außerdem sollen die Schüler lernen, ihre Ziele genau zu kennen und zu formulieren. Als Fußballer muss man lernen, mit Siegen und Niederlagen umzugehen. Außerdem kann nicht jeder Profi werden. Auch darauf wollen wir die Jungs vorbereiten.
SPOX: Das Internat kostet die Eltern natürlich auch Geld. Schreckt das viele ab?
Anderbrügge: Nein. Eine ganztägige Betreuung oder ein klassisches Schulinternat sind auch nicht billig. Im Tennis etwa zahlt man für Camps viel Geld. Es ist eine Investition in die Zukunft des Kindes. Und fragen sie mal eine Mutter, deren Sohn bei einem Profiverein in der Jugend spielt, wie viele Kilometer sie runterrasselt, wenn sie den Filius ständig zum Training fährt. Bei uns ist auch der Fahrdienst inklusive.
SPOX: Gibt es Stipendien?
Anderbrügge: Wenn man sich das Internat nicht ganz leisten kann, kann man sich um ein Teilstipendium bewerben. Wenn der Junge die nötigen Noten und die fußballerische Klasse mitbringt, machen wir da durchaus Ausnahmen. Die Stipendien werden aus einem Sponsorentopf bezahlt.
SPOX: Bei welchen Vereinen kommen die Jungs unter?
Anderbrügge: Bei den Klubs hier in der Region, je nach Leistungsniveau. Der eine steigt bei Schalke ein, der andere bei Erkenschwick, der nächste vielleicht noch eine Liga tiefer. Wir arbeiten im ersten Schritt mit fünf Vereinen kollegial zusammen, man kennt sich. Unsere Jungs sind erstmal auf acht Mannschaften aufgeteilt. Wir haben darauf geachtet, dass jeder zu dem jeweiligen Team passt.
SPOX: Was sagt der DFB zu Ihrer Einrichtung?
Anderbrügge: Noch nichts. Wir haben unser Projekt eingereicht und uns damit vorgestellt, haben aber noch keine Rückmeldung bekommen. Wir wollen ja nicht in Konkurrenz mit den Leistungszentren des DFB stehen, sondern mithelfen, dass die Jugend in Deutschland im Fußball klasse ausgebildet wird. Ich lade den DFB gerne ein, sich unser Internat mal anzusehen.
SPOX: Schauen wir in die Zukunft - wie geht eine Internatskarriere zu Ende?
Anderbrügge: Zum einen ist es wichtig, dass die Jungs die Schule abschließen und dann wird man sehen, wo sie fußballerisch stehen. Wir haben natürlich noch keine Erfahrungswerte. Ich würde gerne den ein oder anderen neuen Philipp Lahm zu Bayern München bringen und weiterhin für ihn da sein. Das wäre natürlich dann auch ein prima Aushängeschild für unser junges Internat.
SPOX: Also wollen Sie die Schüler zu Bundesliga-Profis machen.
Anderbrügge: Das Ziel haben die Jungs ganz klar und wir auch. Aus der Region hier haben es schließlich schon einige zum Profi geschafft: Benedikt Höwedes, Sergio Pinto und Christoph Metzelder kommen aus der Gegend. Und Ingo Anderbrügge natürlich. (lacht) Wenn ein Olaf Thon noch mal jung wäre, wäre er mit Sicherheit auch hier am Internat.
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SPOX.com wird dem Deutschen Fußball Internat in Zukunft als Medienpartner zur Seite stehen und die Entwicklung der Schüler begleiten. Im Navigationsbereich Jugend finden Sie alle Themen zum Nachwuchsfußball und alle Storys rund um das DFI in Marl-Sinsen.