SPOX: Herr Dommer, als Trainer einer Jugendmannschaft im Freizeitsport hat man oft mit übermotivierten Eltern zu tun. Gibt es diese im Nachwuchsbereich eines Profiklubs auch?
Dommer: Die gibt es definitiv auch, wobei ich glaube, dass die Elternarbeit beim FC ausgesprochen gut ist. Man entwickelt ein gutes Verständnis dafür, dass die Übermotivation keinem etwas bringt, am wenigsten den Kindern. Natürlich gibt es auch hin und wieder Situationen, in denen man mit den Eltern Gespräche führt, weil vielleicht das eine oder andere nicht so gelaufen ist, wie es wünschenswert wäre. Grundsätzlich sind die Eltern beim FC jedoch sehr gute Unterstützer ihrer Kinder und der Arbeit des Vereins.
SPOX: Wie oft kommt es vor, dass Eltern mit einem Berater im Schlepptau ankommen?
Dommer: Das hängt von der Altersstufe ab. Viele Berater werden allerdings auch immer dreister und fangen schon immer früher an. Wir hatten auch schon U-13-Spieler, die auf dem Parkplatz von Beratern angesprochen wurden. Es ist in der Regel so, dass die Spieler ab der U 15 von Beratern angesprochen werden und dann eben teilweise auch einen Berater haben. Wenn es letztlich wirklich gute und seriöse Beraterfirmen sind, wollen sie genau das gleiche wie wir - das Beste für das Kind.
SPOX: Wie sieht denn eigentlich eine übliche Woche eines FC-Scouts aus?
Dommer: Ich bin regelmäßig um 10 Uhr im Büro und oft bis abends dort, da ich mir auch die Trainingseinheiten unserer Jugend ansehe. Ich war zunächst mit der Weiterentwicklung der Abteilung beschäftigt. Wir haben strukturierte und verbindliche Arbeitsabläufe eingeführt, eine Kommunikationsstruktur festgelegt und zudem konzeptionell - insbesondere in Sachen "Talentkriterien" und "Verhaltenskodex" - einige Aspekte weiterentwickelt. Dazu fallen täglich etliche E-Mail-Anfragen von Beratern und Spielern an. Der Kontakt zu den Juniorentrainern muss ebenso gepflegt werden wie zu den Vereinen in unserem Sichtungsgebiet. Jeder von uns beobachtete Spieler erhält in unserer Datenbank einen eigenen ausführlichen Scoutingbericht, was ebenfalls zu einem hohen bürokratischen Arbeitsaufwand führt.
SPOX: Welche Voraussetzungen sollte man als Scout mitbringen?
Dommer: Seriosität, Verbindlichkeit, wertschätzendes und freundliches Auftreten - das sind die Grundvoraussetzungen. Ein Lizenzverein lebt davon, dass es ganz viele Vereine drum herum gibt, die Breitensport betreiben und ganz viele Fußballer bei Ihren ersten Schritten begleitet haben. Darüber sollte sich ein Scout bewusst sein. Natürlich sollten unsere Scouts neben der menschlichen Komponente auch ein sportliches Auge haben, um ein Talent zu erkennen.
SPOX: Im Westen gibt es eine hohe Dichte an Profivereinen. Was tut der FC, um gegenüber der Konkurrenz die Nase vorn zu haben?
Dommer: Das möglicherweise entstandene Image, dass wir zwar ziemlich nett, aber nicht ganz so gut sind, ist so nicht richtig. Dies spiegelt sich auch in der Zertifizierung durch die DFL wieder, in der wir bei der letzten Überprüfung deutschlandweit am besten abgeschnitten haben. Wir bieten eine sehr gute sportliche Ausbildung an, haben eine gute Infrastruktur und sind im Scouting auf einem sehr guten Weg. Zudem haben wir ein komplett neues Internat direkt am Stadion, das von der pädagogischen Betreuung her absolut überragend ist. Unser Schulprojekt - wir bieten derzeit alle Schulformen und einige Ausbildungsgänge an - ist deutschlandweit sicherlich einmalig.
SPOX: Hat man im Westen einen Standortvor- oder nachteil? Vereine wie Hertha BSC oder der FC Bayern sind in ihrer Umgebung mehr oder weniger die einzigen Bundesligastädte.
Dommer: Das muss man aus zwei Perspektiven sehen. Für die Talentgewinnung ist es ein Nachteil, denn wenn hier irgendwo ein Talent sichtbar wird, sind gleich mehrere Konkurrenzvereine zur Stelle. Wir snd zudem nicht der finanzstärkste Verein in unserer Umgebung und können Sachleistungen oder Fahrdienste nicht in der Fülle anbieten wie andere. Was die Ausbildung angeht, glaube ich jedoch, dass wir einen Vorteil haben. Ab der U 9 spielen wir den Reviercup, wo die Teams der Nachwuchsleistungszentren in einer eigenen Liga gegeneinander antreten und sich so auf höchstem Niveau fordern. Das ist in Stuttgart, Berlin oder München nicht so.
SPOX: Viele Profiklubs setzen auch in der Jugend auf das System der ersten Mannschaft. Spielt der FC-Nachwuchs im gleichen System wie die Profis?
Dommer: Das ist bei uns in der Vergangenheit nicht so gewesen und hat auch einen guten Grund. Wir sind nicht Ajax Amsterdam oder der FC Barcelona, wo die Leute nach der Philosophie ausgewählt wurden und es eine klare Vereinsspielweise von der Jugend bis zu den Profis gibt. Bei uns gab es in der Vergangenheit oft wechselnde Lizenz-Trainer und wechselnde Spielsysteme. Wir haben den Schluss daraus gezogen, dass ein vom FC ausgebildeter Spieler in der Lage sein muss, in mehreren Spielssystemen zu agieren. Wir wollen einen offensiven Fußball spielen, spielerisch vor das Tor kommen und in der Defensive ballorientiert verteidigen. Diese Elemente lassen sich in jedem Spielsystem umsetzen.
SPOX: Worauf achtet man als Scout bei einem jungen F- oder E-Jugendspieler? Welche Attribute sind da besonders wichtig?
Dommer: In diesen Altersstufen steht das Ganze unter der Überschrift "Bewegungstalent". Selbstverständlich verfügt ein F-Jugendlicher noch nicht über ausgeprägte taktische Fähigkeiten. Wir schauen, dass ein Spieler dieser Altersklasse eine gute Koordination hat, ein gutes Orientierungs- und Gleichgewichtsvermögen besitzt und schnell ist. Dazu achten wir auch auf Attribute wie Aktivität, Spielfreude. Im technischen Bereich sollten Fertigkeiten in Grobform erkennbar sein, sprich der Spieler sollte den Ball schon "als seinen Freund" bezeichnen können.
SPOX: Da die Konkurrenz ja nie schläft: Wie läuft ab dem Zeitpunkt der Entdeckung eine optimale "Transfer"-Entwicklung ab?
Dommer: Seitens des Scoutings sehen wir den Spieler nur ein oder zwei Mal, da wir mehrere hundert Vereine natürlich nicht mehrfach beobachten können. Nach der Eingangssichtung haben wir alle sechs Wochen zwei Wochen lang Probetrainingsphasen, zu denen die gesichteten Spieler eingeladen und von unseren Trainern bewertet werden. Dabei spielen in erster Linie die Einschätzung der Talentperspektive und der Vergleich mit den Spielern der eigenen Mannschaft eine Rolle. In vielen Fällen kommt es vor, dass der Spieler kein Thema für uns ist, weil er einfach noch nicht so weit ist und sich noch weiterentwickeln muss. Der häufigste Fall ist, dass wir ihn weiter beobachten und wiederholt zum Probetraining einladen. Ganz selten ist der Fall, dass der Trainer dem Spieler außerordentlich viel Talent bescheinigt und ihm direkt anbietet, zu uns zu wechseln.
SPOX: Der Druck ist bereits in den U-Mannschaften der Profiklubs hoch. Neben regelmäßigem Training muss auch die Schule gemeistert werden. Wie geht man am besten damit um?
Dommer: Druck ist definitiv vorhanden, das sollte man auch nicht wegreden. Im Leistungsfußball gibt es immer eine Selektion. Doch der Druck muss nicht immer negativ sein, er kann auch positiv genutzt werden. Das ist Aufgabe der Trainer, den Kindern und Jugendlichen beizubringen, den Druck als leistungsfördernden Antrieb zu nutzen - bei gleichzeitiger Entwicklung einer relativen Gelassenheit. Man muss jedem klar machen, dass es nicht das wichtigste im Leben ist, bei einem Lizenzverein Fußball zu spielen. Es muss ganz viel Persönlichkeitsentwicklung stattfinden. Deshalb sollte man als Trainer nicht nur ein Motorikcoach sein, sondern auch ein Pädagoge.
SPOX: Wie wichtig und unberechenbar ist die körperliche Komponente? Marco Reus wurde in Dortmund aufgrund seiner damaligen Schmächtigkeit aussortiert...
Dommer: Die körperliche Entwicklung ist ein wichtiger Aspekt der Talentbewertung, weswegen wir auch bei der Talenteinschätzung - soweit möglich - den körperlichen Entwicklungsstand berücksichtigen. Ich glaube, dass ein Marco Reus damals beim 1. FC Köln nicht aussortiert worden wäre. Wir achten auf Technik, Schnelligkeit und Persönlichkeit, die körperliche Robustheit wird erst am Ende in der U 17 oder U 19 mit einbezogen. Gerade in der Pubertät sind vergleichende Aussagen zu körperlichen Fähigkeiten nur sehr schwer zu treffen.
SPOX: Einst gab es bundesweit eine Vereinbarung, dass sich die Vereine keine Jugendspieler gegenseitig abwerben. Dies ist längst hinfällig. Stimmt es aber, dass es im Westen eine solche Abmachung unter den großen Klubs gibt?
Dommer: Wir haben dieses Abkommen mit Bayer Leverkusen, Borussia Dortmund, Schalke 04 und Borussia Mönchengladbach. Wenn aber ein guter Junge in Duisburg, Bochum oder Oberhausen spielt, versuchen wir ihn in einigen Fällen für uns zu gewinnen.
SPOX: Pflegt der 1. FC Köln Partnerschaften ins Ausland?
Dommer: Ja, wir haben eine Partnerschaft mit einem schwedischen Verein, wo auch ein regelmäßiger Austausch in Form von Besuchen der Jugendmannschaften stattfindet. Uns geht es da in erster Linie nicht ums Scouting, sondern darum, unsere Spieler in ihrer Persönlichkeitsentwicklung weiter zu fördern und ihnen Auslandserfahrungen zu vermitteln. Es findet darüber hinaus auch ein Austausch mit der Aspire-Academy in Katar statt, so dass FC-Jugendspieler im Rahmen ihrer Ausbildung auch mehrfach die Gelegenheit bekommen, andere Länder und Kulturen kennen zu lernen.
Der 1. FC Köln in der Übersicht