SPOX: Mitte Mai wurden Sie von Mesut Özil persönlich nach Madrid eingeladen, um das spanische Pokalfinale zwischen Real und Atletico zu besuchen. Wie kam es dazu?
Norbert Elgert: Es war einfach eine tolle Geste von Mesut, seinem Vater Mustafa und der gesamten Özil-Familie. Obwohl schon so viele Jahre vergangen sind, erinnern sie sich noch an die Wurzeln und bescherten meiner Frau und mir zwei wundervolle Tage in Madrid. Die Özils bemühten sich sehr um uns. Es zeigt die sehr, sehr positiven Charaktereigenschaften der gesamten Familie.
SPOX: Sie haben Özil als 15-Jährigen entdeckt und ihn gefördert, bis er mit 19 Jahren nach Bremen ging. Erkennen Sie noch den kleinen Mesut im mittlerweile 24-jährigen Weltstar?
Elgert: Menschlich ist er wesentlich selbstbewusster geworden, sehr charismatisch und einnehmend. Zugleich ist er noch der höfliche Mesut von früher. Wie er sich in Madrid gibt, ist absolut beispielhaft. Ich konnte hautnah erleben, wie er mit den Fans umgeht und wie bescheiden er ist. Das macht mich genauso stolz wie seine fußballerische Entwicklung. Er arbeitet immens an sich, verbessert sich von Jahr zu Jahr und ist auf einem großartigen Weg, der noch lange nicht zu Ende ist. Da wird noch gewaltig etwas kommen. Er ist extrem weit und wird in absehbarer Zeit ein heißer Kandidat für den Weltfußballer-Preis. Er gehört jetzt schon in die Kategorie der Messis, Iniestas und Xavis.
SPOX: Özils Verkauf 2008 an Bremen wird noch immer als Beleg für die lange vernachlässigte Nachwuchsarbeit der Schalker angeführt. Zu Recht?
Elgert: Selbst mit dem großen zeitlichen Abstand steht mir ein Urteil nicht zu. Das einzige, was ich sehe, ohne Schalke oder die damaligen Verantwortlichen kritisieren zu wollen: Mesut und Mustafa machten alles richtig. Alleine, dass Mesut jetzt bei Real Madrid spielt, zeigt, dass die Familie sehr große Weitsicht besaß.
SPOX: Sie mussten sich in den letzten Jahren von Özil und anderen Toptalenten verabschieden, sei es zu den Schalker Profis oder zu einem anderen Verein. Können Sie gut loslassen?
Elgert: Das ist das Schicksal eines Ausbilders. Es fällt einem immer schwer, loszulassen. Es ist wie mit eigenen Kindern. Als guter Vater muss man Kinder darauf vorbereiten, dass sie so schnell wie möglich alleine zurechtkommen. Das versuche ich vorzuleben: Ich lasse komplett los, aber die Jungs wissen, dass ich immer für sie da bin. Umso mehr freut es mich, wenn von Zeit zu Zeit einige, die es in den Profi-Bereich geschafft haben, das Angebot in Anspruch nehmen. So wie Mesut jetzt. Das soll nicht heißen, dass ich die Jungs, die es nicht ganz schafften, weniger wertschätze. Im Gegenteil: Ich bin genauso stolz, wenn einer von ihnen zu einem anständigen Kerl wird, einen tollen Job findet, eine Familie gründet und ein guter Vater ist. Am Ende sind nur diese Werte von Belang.
SPOX: Wie würden Sie Ihren Beruf beschreiben?
Elgert: Ich bin Ausbilder, Lehrer, Pädagoge, Psychologe, Förderer, Coach, Partner, Wertevermittler. Und Gärtner. Ich sehe mich als Gärtner, der die Pflanzen trimmt, pflegt und ihnen zum Wachstum verhilft.
SPOX: Was ist mit dem ewigen Widerspruch im Jugendfußball? Nachhaltigkeit und Wachstum mag gut klingen - doch in der Eliteförderung zählen die Ergebnisse.
Elgert: Ich verfahre nach dem Motto: Ohne Spaß kein Erfolg, andererseits ohne Erfolg kein Spaß. Alle Fußballer fingen mit der Sportart an, weil das Spiel so unglaublich viel Freude bringt. Das Teamerlebnis, gemeinsam der Kugel hinterherzulaufen, ist einzigartig. Deswegen erinnere ich die Jungs daran, dass sie dieses Gefühl niemals, wirklich niemals verlieren dürfen. Je höher das Niveau wird, desto größer wird der Druck. Nur: Selbst in einem Champions-League-Finale wird man keine gute Leistung erbringen können, wenn man keinen Spaß empfindet an dem wunderbaren Spiel. Wenn ein Junge keinen Spaß verspürt, sollte er sofort aufhören. Es ist alles verloren, wenn man den Fußball nur betreibt, um Geld zu verdienen, Anerkennung zu bekommen oder in der Öffentlichkeit zu stehen.
SPOX: Was ist mit dem harten Wettbewerb? Dem Druck? Wo liegt die goldene Mitte zwischen Spaß und Erwartung?
Elgert: Wir agieren im Hochleistungssport und das Empfinden von Druck ist individuell verschieden. Der durchschnittliche vom guten Fußballer, der gute vom sehr guten Fußballer und der sehr gute vom außergewöhnlichen Fußballer unterscheiden sich in einer entscheidenden Frage: Wie stressresistent ist man mental? Das sind Dinge, die genetisch oder soziologisch angelegt sind. Allerdings ist es etwas, das wir in der Ausbildung noch mehr unterstützen können. Man muss stressresistent sein und gleichzeitig darf man den Spaß nicht verlieren. Ob es dabei eine goldene Mitte gibt? Nein, und wenn, will ich das Patentrezept nicht hören. Wer glaubt, alles zu wissen, ist schon auf der Verliererstraße. Ich sehe mich als Ewiglernenden.
SPOX: Sie fingen vor 17 Jahren als Schalker U-19-Trainer an und bekleiden das Amt von einer kurzen Phase abgesehen, als Sie bei den Profis assistierten, durchgängig. Aber: Würde 2013 der Norbert Elgert von 1996 funktionieren?
Elgert: Der Norbert Elgert von 1996 hätte heute wohl noch eine Existenzberechtigung. (lacht) Wobei es schlimm wäre, wenn ich mich seitdem nicht in allen Bereichen weiterentwickelt hätte, fachlich wie menschlich.
SPOX: Können Sie es konkretisieren?
Elgert: Ich bin gelassener und nehme eine andere Perspektive ein, vor allem in Bezug auf die Wichtigkeit des Fußballs in unserem Universum. Ohne zu spirituell werden zu wollen: Alles ist vergänglich und diese Sichtweise beruhigt einen. Es heißt nicht, dass ich plötzlich kein leidenschaftlicher Wettkämpfer mehr wäre oder den Job nicht ernst nehmen würde. Dennoch bewegt es sich auf einem ganz anderen Niveau. Ich sehe es nicht mehr ganz so verbissen wie früher. Das tut meiner Arbeit als Trainer gut, glaube ich.
SPOX: Sie gehören seit Jahren zu den führenden Jugendtrainern des Landes. Aber erst mit dem Wechsel an der sportlichen Führung von Felix Magath zu Horst Heldt 2010 scheint die Nachwuchs-Abteilung eine Aufwertung zu erfahren.
Elgert: Ich kann hundertprozentig bejahen, dass Horst Heldt die Ankündigung, dass ihm die Nachwuchsarbeit wichtig ist, mit Leben ausfüllt. Ich will nicht sagen, dass es eine Aufwertung ist, weil unserer Abteilung schon immer eine relativ große Rolle zukam. Was vergessen wird: Wir haben nicht nur jetzt, sondern in der Vergangenheit viele Spieler in die Bundesliga gebracht: Christian Pander, Mike Hanke, Sergio Pinto, Tamas Hajnal, Christian Wetklo, Christofer Heimeroth, nur um einige zu nennen. Aber klar ist auch: Wir spüren heute eine sehr starke Unterstützung von Horst Heldt.
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