Zehn Jahre lang war Patrick Helmes in der Bundesliga aktiv, in 98 Partien erzielte der Stürmer 45 Tore. Am Ende der vergangenen Saison musste Helmes im Alter von 31 Jahren seine Karriere aufgrund eines Hüftschadens beenden. Mittlerweile arbeitet er als Co-Trainer bei der zweiten Mannschaft des 1. FC Köln. Im Interview spricht Helmes über seine zweite Karriere, die psychisch anstrengende Ungewissheit während der Reha, einen fatalen Kick unter Kumpels und das Fremdwort Rotation.
SPOX: Herr Helmes, nach Ihrem Karriereende haben Sie mit Saisonbeginn als Co-Trainer der Kölner U21 in der Regionalliga West angefangen. Sie sagten letztes Jahr, dass Sie 2016 den B- und A-Trainerschein in Angriff nehmen wollen. Wie ist der Stand?
Patrick Helmes: Den B-Schein habe ich bereits in der Tasche, im Laufe dieses Jahres folgt der A-Schein. Das wäre dann fürs Erste ein solides Fundament. Neben mir gibt es in Uwe Grauer einen weiteren Co-Trainer, so dass ich die Lehrgänge nebenher problemlos besuchen kann und trotzdem involviert bin.
SPOX: Wie groß war denn die Umstellung auf den neuen Alltag und den Platz an der Seitenlinie?
Helmes: Es ist etwas völlig anderes. Gerade, wenn man wie ich sehr gerne gekickt hat und zum Aufhören mehr oder weniger gezwungen wurde. Mir war nach dem Karriereende schnell klar, dass ich wieder auf den Rasen zurückkehren und Teil einer Mannschaft sein möchte. Die Sicht auf die Dinge ist nun natürlich eine andere. Als Spieler spult man sein Programm ab. Es ist interessant und vielseitig, diesen jungen Spielern strukturiert etwas beizubringen.
spoxSPOX: Wie sehen denn Ihre konkreten Aufgabengebiete unter Cheftrainer Martin Heck aus?
Helmes: Wir diskutieren so gut wie alle Dinge im Trainerteam, es ist ein täglicher Austausch. Das reicht von Trainingsschwerpunkten über Gruppenorganisation bis hin zur möglichen Aufstellung. Ich darf vieles schon eigenverantwortlich durchführen, so dass ich bislang doch recht schnell in den neuen Job hineingewachsen bin.
SPOX: Sie hatten auch die Chance, in die Marketingabteilung des FC zu wechseln. Patrick Helmes im Büro - schwer vorstellbar, oder?
Helmes: Ich war zunächst einmal heilfroh, als mir die Verantwortlichen beim FC signalisierten, mich im Verein halten zu wollen. Ich war nicht bereit, mit 31 aufzuhören und dann nicht zu wissen, wie es jetzt genau weitergeht. Ich hatte gleich Lust, eine zweite Karriere zu starten. Durch Businesstreffen mit Sponsoren konnte ich bereits erste Erfahrungen im Marketingbereich sammeln. Das hat auch Spaß gemacht, aber diese Sachen kann ich auch nebenbei noch machen. Das Hauptaugenmerk liegt auf dem Fußball.
SPOX: Wieso haben Sie sich so kurz nach Ihrem Karriereaus wieder ins Getümmel gestürzt und keine längere Auszeit vom Fußball genommen, der Sie in den letzten Jahren so hat leiden lassen?
Helmes: Bevor ich mein Karriereende verkünden musste, hatte ich ja bereits ein Jahr lang während der Reha die Zeit, mir Gedanken zu machen. Ich habe mich zu dieser Zeit schon mit dem Fall der Fälle beschäftigt. Dabei merkte ich, dass es mir unheimlich schwer fällt, so weit weg von der Mannschaft und dauernd zu Hause zu sein. Ich wollte den Abstand nicht unnötig verlängern, um in diesem schnelllebigen Geschäft weiter präsent zu sein. Dieses eine Jahr hat mir gereicht, mein Rhythmus ist der Fußball.
SPOX: Was wäre denn eigentlich gewesen, wenn es die Option, Co-Trainer in Köln zu werden, gar nicht gegeben hätte?
Helmes: Dann hätte ich die Trainerscheine wohl genauso gemacht, damit ich für mich eine gute Basis habe und bei einem Angebot direkt hätte einsteigen können. Vielleicht wäre auch ein Management-Studium in Frage gekommen.
SPOX: Sie waren als Spieler ein recht lockerer Typ, der sich aber auf den Punkt konzentrieren konnte. Fällt es Ihnen jetzt etwas schwer, Ihre kumpelhafte Seite zu unterdrücken und stattdessen andere Facetten Ihrer Persönlichkeit nach außen zu tragen?
Helmes: Das ist jedenfalls auch noch vollkommenes Neuland für mich. Mittlerweile stelle ich aber ehrlich gesagt überrascht fest, dass es in der neuen Rolle wirklich leichter ist, ernsthafter zu sein und schnell auf den Punkt zu kommen. Natürlich darf der Spaß nicht auf der Strecke bleiben und zählt auch zum Umgang mit einer Mannschaft. Man braucht sowohl eine gewisse Nähe zu den Spielern, als auch die Distanz, damit klare Ansagen unmissverständlich ankommen.
SPOX: Wie soll es in diesem Job für Sie langfristig weitergehen, wollen Sie jetzt erst einmal in diese ganze Sache hineinschnuppern?
Helmes: Nein. Ich will in nächster Zeit den Fußballlehrer machen, ich will irgendwann Cheftrainer werden und ich will so weit wie möglich nach oben kommen. Das gehe ich nun Stück für Stück an. Ich brauche diesen Ehrgeiz, da mache ich keinen Unterschied zwischen Spieler und Trainer. Ich finde diesen Beruf extrem interessant, da mir immer mehr bewusst wird, wie wenig ich als Spieler über die detaillierte Arbeit eines Trainers nachgedacht habe.
SPOX: Wie sehr genießen Sie es denn, nun nicht mehr so streng nach Plan leben zu müssen und ständig Verzicht zu üben?
Helmes: Ich kann jetzt essen, was ich will, werde nicht ständig gewogen oder muss Fettmessungen über mich ergehen lassen. Das ist durchaus angenehm. Man verbrennt jetzt natürlich auch ganz anders wie als aktiver Spieler. Ich habe schon ein paar Kilo angesetzt, das ging recht zügig - und wird auch länger dauern, das wieder wegzukriegen. (lacht)
SPOX: Wie problematisch war es denn sich einzugestehen, dass es nicht mehr für den Profifußball reichen wird?
Helmes: Das ist echt schwer zu beschreiben. Wissen Sie, meine Familie, meine Frau, meine Tochter, sie standen in der schweren Zeit alle wie eine Eins hinter mir. Die Entscheidung aufzuhören, muss man aber selbst treffen, das muss man ganz allein mit sich ausmachen. Da kann dir niemand helfen. Es gab Momente, in denen der Glaube da war, bald wieder mit der Mannschaft trainieren zu können. Dann gab es plötzliche Rückschläge, obwohl die Belastung sehr dosiert war. Es war unkalkulierbar und daher zeitlich auch längst nicht mehr absehbar. Letztlich wollte mein Körper einfach nicht mehr, er hat auf verschiedene Impulse völlig unterschiedlich reagiert.
SPOX: Wie groß war zwischendurch die Verunsicherung, nicht zu wissen, wie es weitergehen wird?
Helmes: Es war diffus. Ich wurde jeden Tag darauf angesprochen, so dass ich irgendwann einmal Klarheit haben wollte. Ich habe mir anfangs gesagt, dass ich auf jeden Fall bis zu einem Jahr Reha machen werde. Dann jedoch kam der Moment, als immer deutlicher wurde, dass es einfach nichts mehr bringen würde. Die Bekanntgabe des Karriereendes an sich war eine Erleichterung, doch in den Tagen zuvor bin ich etwas nervös geworden und habe mich gefragt, ob ich auch wirklich alles getan habe.
SPOX: Wie haben Sie das psychisch verkraftet?
Helmes: Es gab Tage, an denen ich mich damit abgefunden hatte. Aber auch welche, an denen mir die Tränen in den Augen standen und ich mich gefragt habe: war es das jetzt wirklich? Gerade bei Spielen, in denen es nicht so gut lief und ich dachte, die Mannschaft könnte mich jetzt womöglich gut gebrauchen. In diesen Momenten fiel es mir extrem schwer. Diese ganzen Emotionen an einem Spieltag werden einem erst bewusst, wenn man nicht mehr mittendrin steckt.
SPOX: Die Leidensgeschichte mit Ihrem Knorpelschaden in der Hüfte begann im Kölner Trainingslager in Österreich im Juli 2014 zu. Wie fing das überhaupt genau an?
Helmes: Ich hatte zuvor nie Probleme mit der Hüfte. Das ist ja das Wahnsinnige daran. Ich zog mir damals einen kleinen Muskelfaserriss zu. Danach trainierte ich wieder, doch nachts kamen die Schmerzen zurück. Eine genauere Untersuchung ergab dann, dass der Faserriss tatsächlich ausgeheilt war, aber auch ein Hüftschaden bestünde. Die Reha lief super an, sechs Wochen später stand ich wieder auf dem Platz. Doch ab dann begannen die erwähnten Schwankungen und hörten leider nicht mehr auf.
SPOX: Wie sehr hat Sie das im Alltag eingeschränkt?
Helmes: Enorm, es war kein normaler Gang möglich. Meine Tochter ist mir weggelaufen. (lacht) Ich bin pausenlos gehumpelt, gegen einen Ball treten war überhaupt nicht drin. Die ersten Monate hatte ich richtig schlimme Schmerzen. Es ging einigermaßen, wenn ich gesessen oder gelegen bin. Mit der Zeit schwankte aber auch das enorm: am einen Tag konnte ich kaum zehn Meter am Stück gehen, am anderen lief es total geschmeidig.
SPOX: Zuvor erlitten Sie bereits zwei Kreuzbandrisse. Den ersten zogen Sie sich als Spieler von Bayer Leverkusen im Juni 2009 in Ihrer Heimat Siegen beim Kicken mit Kumpels zu.
Helmes: Brutal gute Idee von mir, oder? (lacht)
SPOX: Wie ist das damals passiert?
Helmes: Der Kick war wirklich spontan. Ich bin nach dem Pokalfinale mit ein paar Leverkusener Jungs nach Ibiza geflogen. Dann rief ein ehemaliger Mitspieler aus Siegen an und meinte, er würde am Mittwoch heiraten und davor noch einen kleinen Kick unter Freunden organisieren. Ich bin aus alter Verbundenheit nach Hause geflogen, dort angetanzt und habe mir ohne Fremdeinwirkung das Kreuzband gerissen. Das war die dümmste Entscheidung meines Lebens. Meine Frau hat noch im Vorfeld gesagt, ich solle den Mist sein lassen und mich in der Sommerpause erholen. Hätte ich mal auf sie gehört...
SPOX: In Leverkusen haben Sie nach Ihrer Genesung nicht mehr häufig gespielt und sind im Winter 2011 zum VfL Wolfsburg gewechselt.
Helmes: Ich habe im ersten halben Jahr nach meiner Rückkehr regelmäßig getroffen, doch dann hat Jupp Heynckes damit begonnen, viel zu rotieren. Leider war ich nicht der geduldigste Spieler. Rotation kannte ich gar nicht. Ich war gewohnt, immer zu spielen und hatte damals keinerlei Verständnis für diese ständigen Wechsel. Deshalb habe ich zügig und im Grunde vom einen auf den anderen Tag entschieden, das Angebot aus Wolfsburg anzunehmen. Das war etwas vorschnell, aber ich habe damals anders als heute nicht eingesehen, dass Rotation ein probates Mittel ist.
SPOX: Wie war Wolfsburg?
Helmes: Die Stadt ist wirklich besser als ihr Ruf, man kann es dort gut aushalten. Ich wollte auch schon immer mal etwas anderes als nur das Rheinland erleben. Ursprünglich war der Plan, nach Berlin zu ziehen. Wir hatten auch schon eine Wohnung. Das Problem war, dass zehn Tage nach meiner Verpflichtung Trainer Steve McClaren und auch Manager Dieter Hoeneß gefeuert wurden. Dann kam Felix Magath als neuer Coach - und drei Wochen später haben wir entschieden, doch nicht nach Berlin zu ziehen. (lacht)
SPOX: Wegen Magath?
Helmes: Genau. Ich habe sofortige Ruhepausen gebraucht und wollte mich nicht noch täglich in den Zug nach Berlin setzen. Er hat extrem viel verlangt, mein Körper musste sich ein halbes Jahr an dieses Training gewöhnen. Das war eine gehörige Umstellung, doch dann lief es für mich unter ihm.
SPOX: Hat Sie das Ausland nie gereizt?
Helmes: Es gab jährlich Optionen. Für mich war aber die Bundesliga immer das Maß aller Dinge. Viele schwärmen vom englischen Fußball, aber was Leistungsdichte, Stadien oder Infrastrukturen angeht, ist es in Deutschland in meinen Augen am interessantesten. Weshalb also ins Ausland? Vielleicht war ich auch nicht reif genug, das kann schon auch sein.
SPOX: Im Seniorenbereich stehen für Sie in Ihrer Spielerkarriere 153 Tore in 298 Spielen zu Buche. Das ist eine stolze Marke. Glauben Sie, irgendwann mit dem vorzeitigen Karriereende abschließen zu können oder wird Sie das eher Ihr Leben lang begleiten?
Helmes: Nein. Man sollte das auch nicht zu sehr dramatisieren. Es gibt weitaus schlimmere Dinge im Leben als eine Verletzung. Ich bin weitestgehend gesund, mir geht es gut, ich habe eine tolle Familie - das ist doch genug. Ich bin dabei, alles zu verarbeiten und die Trainerkarriere hilft mir, das zu beschleunigen.