Francisco Casal stolziert von dannen. Das Victory-Zeichen ist für jede Kamera, die ihr Objektiv auf den untersetzten Mann hält, deutlich erkennbar. Schwere Goldketten laben sich um Casals Oberkörper, die prunkvollen Armbänder und Ringe funkeln in der uruguayischen Nachmittagssonne.
Casal hat sich hübsch gemacht für seinen Gerichtstermin in Montevideo. Der Friseur hat dem Mann, dessen gewöhnlicher Haarschnitt dem von Adrian in Rocky I ähnelt, einen glatt gelegten Seitenscheitel verpasst. Was aber am meisten auffällt, ist dieses überheblich wirkende Grinsen in Casals Gesicht. Jener Anblick, den viele Uruguayer, die sich für Fußball interessieren oder wie Ricardo Gabito beruflich darüber schreiben, hassen.
Illegale Geschäfte im großen Stil
Paco, wie Casal genannt wird, hat es mal wieder geschafft. Im Juli 2009 ist eine Anhörung vor Gericht zum x-ten Mal gut ausgegangen für Casal. Wie häufig, wenn sich Paco vor der Justiz verantworten muss, ging es auch diesmal um den Verdacht der Steuerhinterziehung und der Geldwäsche."Der Mann hat so viel Dreck am Stecken wie Brasilien gute Fußballer", sagt Gabito, uruguayischer Journalist und Autor des Buches "Pacomafia vs. DFI" (Pacos Mafia im Kampf gegen die uruguayische Steuerbehörde). Diesmal kam Casal davon, weil seine Anwälte dem Gericht glaubhaft vermitteln konnten, dass ihr Klient sein Geschäftszentrum ins Ausland verlegt habe und - wenn überhaupt - dort Steuern nach dem jeweiligen Steuersatz an den Fiskus zu zahlen habe.
Paco Casal ist die zentrale Figur Südamerikas im lukrativen Geschäft mit Fußball-Profis. Seit über zwei Jahrzehnten kontrolliert der 55-Jährige den Transfermarkt in ganz Südamerika. 90 Prozent der Spieler(ver)käufe laufen über ihn oder seine Handlanger. "Er hat so viel Macht, dass die Vereinschefs vom Wechsel eines Spielers erst erfahren, wenn der bereits am Flughafen ist", sagt Rodolfo Sienra, Ex-Chef von Nacional de Montevideo.
Tete-a-Tete mit Moggi
Casals Einfluss reicht weit über die Grenzen Uruguays hinaus. 2004 wollte Luciano Moggi, damals Generaldirektor von Juventus Turin, Fabio Cannavaro von Inter Mailand verpflichten. Im Tausch sollte Torhüter Fabian Carini, ein Klient von Casal, nach Mailand wechseln.
Nachdem Moggi sich eine Absage von Inter eingehandelt hatte, griff Casal ein. Er veranlasste Moggi, Cannavaro weichzuklopfen. Der Spieler solle sich bei Inters Vizepräsident Rinaldo Ghelfi über seine schlechte persönliche Situation bei Inter ausweinen und seinen Wechsel zu Juve erbeten.
Aus einem abgehörten Telefonat zwischen Moggi und Casal sind Pacos Worte zu entnehmen: "Leite das in die Wege, Moggi. Heute noch. Ich beiße Ghelfi den Kopf ab." Eine Woche später wurde das Tauschgeschäft zwischen Cannavaro und Carini abgewickelt und Casal kassierte seine Provision.
Wie sein Landsmann Juan Figer, der Spieler wie Robinho, Ze Roberto oder Luis Figo unter seinen Fittichen hat und ehrfürchtig "Das Phantom" genannt wird, zeichnet Casal für den sogenannten "uruguayischen Dreieckshandel" verantwortlich. Spieler werden zunächst bei kleinen Klubs in Uruguay geparkt und später nach Europa weitergereicht. Die Transferrechte des Spielers liegen bei den kleinen Vereinen und die Berater kassieren Provision von der fälligen Ablösesumme.
"Ich kann mir auch zehn Ferraris kaufen"
Paco hat sich über die Jahre ein stattliches Imperium geschaffen. Er besitzt die Übertragungs- und Vermarktungsrechte für Spiele der uruguayischen Nationalmannschaft und der nationalen Ligen im Fußball und im Basketball. Wer Werbung während eines live übertragenen Karnevalszugs schalten will, muss sich mit Paco über den Preis einigen.
Zu seinem Unternehmen Tenfield gehört außerdem der Fernsehsender "Gol.TV", ein zweisprachiger 24-Stunden-Kanal, der den Fußball aus Südamerika nach Kanada und in die USA exportiert. Die Ex-Nationalspieler und WM-Teilnehmer Enzo Francescoli und Nelson Gutierrez arbeiten in leitenden Funktionen für Gol.TV.
"Früher bin ich einen schäbigen Fiat 600 gefahren. Heute fahre ich Ferrari. Wenn ich will, dann kaufe ich mir zehn Ferraris. Vielleicht auch einen goldenen. Das würde zu mir passen", sagt Casal, der sich selbst als "reichsten Mann Uruguays" bezeichnet.
Vorwurf der modernen Sklaverei
Faktisch kontrolliert Paco die Geldflüsse in Uruguays Fußball. Sein Geschäftsmodell gleicht einer Verwertungskette. Blutjunge Spieler, meist aus ärmlichen Verhältnissen stammend, werden von ihm unter Vertrag genommen und gewinnbringend verscherbelt. Die Spieler werden auf der Straße oder am Strand aufgegabelt. Überall, wo zwischen Müllcontainern Steine oder zerdrückte Blechdosen die Tore markieren, ist auch Paco oder Leute, die für ihn arbeiten.
"Sobald heute Kinder mit dem Ball umgehen können, kennen sie kein wichtigeres Ziel, als von Paco repräsentiert und verkauft zu werden", sagt Mario Bardanco, Autor des Buches "Yo, Paco!". "Die Eltern sehen in ihren Kindern die einzige Gelegenheit, ans rettende Ufer zu gelangen. Wenn opportunistische Unternehmer wie Casal diese Familien aufsuchen, beginnt die Kommerzialisierung der Kinder. Für ein Haushaltsgerät sichern sich Leute wie Paco die Rechte an den Kindern, die noch nicht mal die Schule beendet haben."
Die persönliche und sportliche Weiterentwicklung der Talente liegt Casal wenig am Herzen, für ihn zählt der schnelle Peso. "Was Paco macht, ist moderne Sklaverei", wettert Gabito. Nachdem Uruguay bei der U-17-WM 2005 sang- und klanglos in der Vorrunde gescheitert war, klagte der damalige Trainer: "Wie sollen wir etwas gewinnen, wenn ich meinen Spielern erst beibringen muss, wie man sich halbwegs vernünftig ernährt?"
Forlan entzieht sich Pacos Einfluss
Mitunter leitet Casal auch die Geschicke der celeste, der Nationalmannschaft. Der ehemalige Auswahltrainer Jorge Fossati galt bei der Presse als Marionette Casals. Die Mannschaft, so der Vorwurf, stelle der Pate selbst auf. Spieler, die nicht von ihm vertreten werden, werden erst gar nicht berücksichtigt.
Seiner Geltungssucht ist es zu verdanken, dass der derzeit beste Spieler des Landes, Diego Forlan, lange Zeit nicht für sein Land spielte. Der Stürmer von Atletico Madrid stammt aus einer Familie des gehobenen Mittelstandes, die nicht der Gier nach einem schöneren Leben erlag und das Wohl des talentierten Sohnes in die Hände von Casal legte. Erst als der Druck der Öffentlichkeit zu groß wurde, kehrte Forlan in die Nationalmannschaft zurück.
Casals Aufstieg begann Ende der 80er Jahre, als Großvereine aus Europa in Südamerika wilderten, um die besten Spieler zu bekommen. Der Fußball in Uruguay lag am Boden. Die Vereine waren überschuldet, die Stadien veraltet, der Zuschauerzuspruch katastrophal."
"Wir waren ein stolzes Fußballland. Wir waren zwei Mal Olympiasieger und 1930 der erste Weltmeister. Wir haben das Turnier sogar ausgerichet, weil das versnobbte England nicht wollte. Und wir hatten ein Stadion mit 100.000 Plätzen. Aber wer will denn schon vor acht Zuschauern in der ersten Liga spielen?", fragt der Journalist Oscar Manan.
Mauschelei und verschobene Spiele
In den letzten Jahren hat sich an diesem Zustand kaum etwas verändert. 13 von 16 Vereinen der ersten Liga kommen aus Montevideo. Vereine aus der Provinz wie Rocha teilen sich den Trainingsplatz mit einer Herde Rinder. Eine Kuh wurde das Maskottchen des Klubs und begleitete die Spieler fortan nach gewonnenen Spielen regelmäßig auf der Ehrenrunde.
Korruption, Mauschelei und verschobene Spiele sind an der Tagesordnung. 2005 trat Defensor Sporting nicht zum entscheidenden Meisterschaftsspiel gegen Nacional an. Defensor hätte gewinnen müssen, weil Nacional im Spiel zuvor durch einen höchst fragwürdigen Elfmeter in der 5. Minute der Nachspielzeit 3:2 gewann. Es kommt nicht selten vor, dass die Meisterschaft für mehrere Wochen unterbrochen wird, weil ein Verein wieder mal Verschwörung wittert.
Auch rund um die Nationalmannschaft gab es des Öfteren Korruptionsvorwürfe. Vor einem wichtigen Quali-Spiel für die WM 2002 gegen Chile soll der argentinische Schiedsrichter Sergio Pezzotta eine Prostituierte mit besten Empfehlungen des Urugayischen Fußballverbandes (AUF) in seinem Hotelzimmer empfangen haben.Die argentinische Zeitung "Ole" bekam Wind von der Sache und schickte einen Fotografen zum angeblichen Treffpunkt. "Diese Frau war so hässlich, dass sie nicht mal in den kühnsten Träumen eines Mannes als Prostituierte herhalten könnte", schrieb die Zeitung. Es stellte sich heraus, dass die Frau eine langjährige Freundin des Schiedsrichters war.
Anschlag auf Enthüllungs-Journalist
Wie kaputt Uruguays Fußball tatsächlich ist, beweist der Mordanschlag auf Ricardo Gabito im Dezember 2003. Als der Journalist kurz vor Weihnachten abends nach Hause kam, schoss ihm jemand ins Bein. Gabito recherchierte damals über die Nutzung von Transaktionen von Fußballern, um Drogengelder zu waschen. Er war kurz davor, Anzeige vor Gericht zu erstatten.
Eine Woche vor dem Anschlag wurde Gabito vom Leiter der Jugendauswahl des AUF, Nelson Spillman, verbal bedroht. Vor Gericht wurde bewiesen, dass das Auto, das der Schütze benutzte, Spillman gehörte. Der mutmaßliche Täter gestand, dass er für 500 US-Dollar "von einem Fußballtrainer, dem er einen Gefallen schuldete" engagiert wurde, um Gabito zu töten. Er habe aber kalte Füße bekommen und Gabito deshalb "nur" ins Bein geschossen.
Paco Casal konnte keine Verbindung zu Spillman nachgewiesen werden, obwohl ein später verhaftetes Mitglied des Basañez Fußballclub, der als Mittelsmann zwischen Spillman und dem Täter fungierte, angeblich zu seinen engen Freunden zählte.
Uruguay im Schwitzkasten
Seine korrupten Geschäfte in Uruguays Ligafußball sind dagegen ein offenes Geheimnis. Er installierte Leute bei aufstrebenden, aber verschuldeten Vereinen wie Bella Vista oder River Plate. Durch gezielte Spielerverkäufe wurden die Klubs saniert, bluteten aber sportlich aus.
Pacos Macht bekam auch der größte und erfolgreichste Klub des Landes, CA Penarol de Montevideo, zu spüren. Penarol wird seit knapp 20 Jahren von der Familie Damiani regiert. Als Präsident Jose Pedro Damiani 2007 starb, übernahm sein Sohn die Geschicke des Klubs. Hinter verschlossenen Türen soll es heftige Auseinandersetzungen zwischen Casal und Damiani jr. gegebenen haben, die nicht selten mit einer schallenden Ohrfeige für Damiani endeten.
Casal hat eine stolze Fußballnation im Schwitzkasten. Seine Verbindungen zu den höchsten Ebenen der Wirtschaft und der Politik sind exzellent."Casal sieht sich in einer Messiasrolle, schafft aber gefährliche Abhängigkeitsverhältnisse mit Spielern und Vereinen. Diese Phase des privaten Unternehmens im Fußball hat zu jener Art von inzestuösen Beziehungen geführt", sagt Oscar Mahan.
Einer engagierten Richterin ist es im November 2008 aber erfolgreich gelungen, dem Kartell Paco Casal die Stirn zu bieten. Loreley Opertti verordnete in einem von Steuerbehörden angestrengten Verfahren die Einfrierung der Casal-Konten in Höhe von 75 Millionen US-Dollar. Casal soll 25 Millionen Dollar Steuern hinterzogen haben. Mit Geldstrafen droht ihm eine Zahlung von insgesamt 104 Millionen Dollar.
Doch das grinsende Gesicht beim Verlassen von Gerichtssälen ist Paco bis heute geblieben.
Uruguays letzte Chance: WM-Quali-Playoff gegen Costa Rica