SPOX: Die argentinischen Medien und einige ehemalige Nationalspieler fordern Diego Maradonas Ablösung. Sie auch?
Rodolfo Cardoso: Dass Diego unter Druck steht, ist klar. Die Ergebnisse beweisen eindeutig, dass einiges nicht richtig läuft. Aber die Art und Weise, alles am Trainer festzumachen, ist nicht richtig.
SPOX: Warum?
Cardoso: Ich habe das 1:3 gegen Brasilien gesehen - und ich muss sagen: Die Leistung war nicht so schlecht wie sie gemacht wurde. Im Zusammenschnitt mag es dramatischer rüberkommen, aber über lange Strecken war Argentinien ebenbürtig. Im Grunde gaben zwei blöde Szenen den Ausschlag. Beim 0:1, als Gabriel Heinze Luisao köpfen ließ. Und als zwei Minuten nach dem argentinischen Anschlusstor Luis Fabiano wieder auf 3:1 für Brasilien erhöht hat. Das war das Resultat von mehreren individuellen Fehlern in Serie - und kein Fehler des Trainers.
SPOX: Maradona wird aber vorgeworfen, die falschen Spieler aufzustellen.
Cardoso: Nehmen wir den Angriff: Da standen mit Lionel Messi, Carlos Tevez, Diego Milito und Kun Agüero vier sehr gute Stürmer zur Verfügung. Und vor dem Anpfiff hätte bestimmt keiner Maradona dafür kritisiert, sich eben für Messi und Tevez und gegen Milito und Agüero entschieden zu haben. Nach dem Spiel aber zu kommen und dies und das zu fordern, ist zu einfach.
SPOX: Dass beispielsweise Messi für Argentinien wesentlich schlechter spielt als für Barcelona, ist aber offensichtlich.
Cardoso: Aber dafür kann Diego doch nur bedingt etwas. In solchen Spielen ist auch ein Messi gefragt. Von ihm muss einfach mehr kommen.
SPOX: Wird Messi vielleicht falsch eingesetzt?
Cardoso: Nein, das Problem ist etwas anderes: In Barcelona ist er gewohnt, dass ihm gestandene Profis wie Carles Puyol oder Thierry Henry viel Druck abnehmen. Im Nationalteam konzentriert sich die gesamte Aufmerksamkeit aber auf ihn. Das ist natürlich eine schwere Bürde für einen 22-Jährigen. Dennoch muss er sich der Verantwortung stellen und in Paraguay den Unterschied machen. Maradona musste als Spieler mit dem gleichen Druck umgehen.
SPOX: Ist das ein Mentalitätsproblem?
Cardoso: Auf eine gewisse Art und Weise. Bei Agüero ist die Sachlage ähnlich. In Spanien trifft er wie er will. Aber im Nationaltrikot fehlt etwas. Genauso Tevez, der gerade zwar verletzt ist, aber vom Talent her sonst viel mehr für Argentinien bringen müsste. Es hat viel mit dem Charakter zu tun. In Paraguay müssen die Eier endlich auf den Tisch.
SPOX: Um die jungen Offensivspieler zu leiten, reaktivierte Maradona den 34-jährigen Juan Sebastian Veron. Ein Offenbarungseid?
Cardoso: Überhaupt nicht. Für mich ist das eine logische Entscheidung. Im zentralen Mittelfeld ist Veron noch immer der Beste Argentiniens, wenn nicht der Beste in Südamerika.
SPOX: Spricht da die alte Verbundenheit, weil sie zusammen in der Nationalmannschaft aufgelaufen sind?
Cardoso: Ich kenne ihn gut, aber das hat nichts mit meiner Bewertung zu tun. Er ist in einer überragenden Form und war gegen Brasilien besser als ihn viele sahen. Das Problem ist, dass sich viele noch an 2002 erinnern, als Argentinien bei der WM in der Vorrunde ausschied und dies an ihm festgemacht wurde. Gegen dieses Vorurteil hat er noch zu kämpfen.
SPOX: Stimmt der Eindruck, dass trotz des Veron-Comebacks Argentinien den Anschluss an Brasilien verloren hat?
Cardoso: Das kann man so unterschreiben. Es ist nicht so, dass Argentinien in Schönheit stirbt und nur Spektakel bieten will, aber Brasilien hat in den letzten Jahren eine neue Qualität dazu gewonnen: die Effektivität. Die Selecao spielt nüchtern, aber erfolgreich. Daher ist sie auch auf einem höheren Niveau.
SPOX: Sind die fast schon kurios anmutenden Nominierungen des 36-jährigen Rolando Schiavi und des 35-jährigen Martin Palermo eine Reaktion auf die fehlende Effektivität? Schiavi steht erstmals in der Nationalmannschaft, Palermo wurde nach fast zehn Jahren wieder berufen.
Cardoso: Könnte man so sehen. Beide Spieler sind sicherlich nicht mehr geeignet, um gegen Deutschland bei einer WM anzutreten, aber bei einem Länderspiel in Südamerika haben sie ihren Wert. Sie kennen die Mannschaften, die Gegenspieler und das ganze Drumherum. Ich kann mir beide gegen Paraguay in der Startelf vorstellen.
SPOX: Es gibt also nichts, was man Maradona vorwerfen kann?
Cardoso: Es bietet sich natürlich an, alles an ihm festzumachen. Was viele aber mittlerweile vergessen: Schon vor ihm gab es die gleichen Probleme, an denen viele gute Trainer gescheitert sind. Das einzige, was ich ändern würde, wäre die Außendarstellung.
SPOX: Zum Beispiel Maradonas Aussage, dass er angesichts der gezeigten Leistungen seiner Spieler am liebsten 20 Jahre jünger sein würde, um es besser zu machen.
Cardoso: Genau. Jeder Ex-Spieler, der als Trainer arbeitet, empfindet es genauso. Natürlich denkt man daran, dass man vieles hätte anders machen können. Aber so etwas zu sagen - und das auch noch in den Medien - ist unglücklich. So bietet er nur noch mehr Angriffsfläche. Manchmal ist Diego einfach zu ehrlich.
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