Mit Arminia Bielefeld steht Trainer-Urgestein Ewald Lienen auf dem letzten Tabellenplatz der zweiten Liga. Mit SPOX spricht der Coach allerdings weniger über die Ostwestfalen, sondern über Charaktereigenschaften junger Spieler im Wandel der Zeit. Lienen über veränderte Werte, Ideale sowie das Söldnertum im Profifußball.
SPOX: Sie haben im Winter viele neue Spieler verpflichtet, der Erfolg hat sich aber noch nicht eingestellt. Wie bewerten Sie die Neuen?
Ewald Lienen: Es gibt positive Ansätze, aber es ist natürlich so, dass fünf, sechs neue Spieler nicht so leicht integrierbar sind. Wir haben es eine Hinrunde lang mit dem Personal probiert, das wir hatten und haben damit gerade einmal sieben Punkte geholt. Es gab keine Alternative zum Schritt, den Kader mit Neuverpflichtungen zu verstärken. Denn mit welchem Ansatzpunkt hätte man sagen können, dass die Spieler, die 17 Partien lang - selbst bei guten Spielen - ihre Torchancen nicht genutzt haben und hinten zu viele Fehler gemacht haben, uns plötzlich aus der Misere holen? Es gab keine Alternative. Trotzdem ist klar: Winter-Neuzugänge sind meist Spieler, die anderswo auch nur selten zum Einsatz gekommen sind und denen der Spielrhythmus fehlt. Wir haben die Qualität verbessert, dennoch braucht es Zeit, bis diese Spieler stabil sind und Woche für Woche eine Topleistung abrufen können.
SPOX: Durch die aktuelle finanzielle Situation arbeiten Sie auch notgedrungen mit vielen jungen Spielern zusammen. Ist es so, dass sich Einstellung und charakterliche Eigenschaften der heutigen Generation im Vergleich zu früher verändert haben?
Lienen: Wir haben eine ganz andere Gesellschaft bekommen. Die jungen Menschen wachsen heute unter ganz anderen Bedingungen auf. Viele Ideale und Werte spielen nicht mehr so die Rolle, wie es damals der Fall war. Die ganze Kommunikationsgesellschaft mit Privatfernsehen, Internet und so weiter: Das sind alles Dinge, die die Entwicklung junger Menschen beeinflusst haben. Daher kann man das nicht zwangsläufig mit früher vergleichen. Es gab auch damals junge Spieler, die sich nicht so verhalten haben, wie man es sich gewünscht hätte.
SPOX: Was hat sich also konkret geändert?
Lienen: Das Fehlverhalten einzelner hat damals nicht jeder mitbekommen. Heutzutage ist das mit dieser Medienvielfalt nicht mehr geheim zu halten, wenn jemand über die Stränge schlägt. Was sich aber ganz klar verändert hat ist, dass früher klarere Hierarchien und Strukturen in Mannschaften existierten. Wenn junge Spieler irgendwelche Verhaltensweisen zeigten, die nicht genehm und angesagt waren, dann hat es sofort entsprechende Reaktionen von älteren und erfahrenen Spielern aus der Mannschaft gegeben, die diese Sache unter Kontrolle gebracht haben. Der Faktor an Frechheit und leichter Überheblichkeit hat heute sicherlich zugenommen. Was abgenommen hat, ist die prompte Reaktion aus dem Kader von Spielern, die die ganze Sache früher unter Kontrolle gehalten hätten. Auch da hat es sich im Laufe der Zeit bemerkbar gemacht, was sich in unserer Gesellschaft verändert hat. Ich denke, dass gerade die älteren Spieler nicht mehr diese Richtlinienkompetenz an den Tag legen, wie es früher der Fall war.
SPOX: Müssen Sie dann als Trainer eingreifen und diese Strukturen schaffen? Oder denken Sie, dass man diese Entwicklung nun einmal so hinnehmen muss?
Lienen: Nein, das müssen wir überhaupt nicht hinnehmen. Da greife ich ein, da greifen wir alle im Team ein und da fordern wir von unseren älteren, erfahrenen sogenannten Führungsspielern natürlich auch entsprechende Verhaltensweisen ein.
SPOX: Manchmal hat man das Gefühl, dass den jungen Spielern Aussehen und Außenwirkung wichtiger erscheint, als ein gutes Spiel abzuliefern. Inwieweit tolerieren Sie so etwas als Trainer?
Lienen: Wir beobachten solche Dinge natürlich. Man muss sich das im Einzelfall anschauen und dementsprechend bewerten. Wie ich schon gesagt habe, die Werte verändern sich. Früher, in den 60er, 70er Jahren, war Fußball für uns extrem wichtig, da gab es nichts außer Fußball. Heutzutage musst du mit dem Fernsehen, Internet und zigtausend anderen Dingen konkurrieren, die auf die Jugendlichen einprasseln. Dieser Hunger nach Erfolg und diese brutale Ausrichtung auf den Fußball sowie die Verinnerlichung der Bedeutung dieses Spiels, das gibt es heute nicht mehr so, wie es früher einmal der Fall war. Das wird alles mehr zu einem Job. Und die Spieler, die total hungrig sind - oft sind sie aus anderen Ländern oder aus Deutschland mit einem entsprechenden Migrationshintergrund - und für die der Fußball vielleicht noch die einzige Möglichkeit ist, sich gesellschaftlich gut zu positionieren, bei denen merkt man, dass sie Vorteile und einen Vorsprung gegenüber denjenigen haben, die nur ein bisschen mitspielen wollen.
SPOX: Und wie sieht es beim deutschen Nachwuchs aus?
Lienen: Wir haben durch unsere Nachwuchsarbeit mittlerweile ein ungeheures Reservoir an Talenten bekommen, was zwischenzeitlich ja so nicht der Fall war. Das lag sicher nicht daran, dass alle auf den Bolzplätzen spielen, sondern weil in den Vereinen - angeregt vom DFB, von Stützpunkten etc. - eine unglaubliche Nachwuchsarbeit initiiert worden ist, die so langsam die ersten Früchte trägt. Bei diesen Spielern wird auch darauf geachtet, dass eine entsprechende charakterliche Funktion da ist und Werte eingehalten werden. Aber wir bewegen uns trotzdem nicht im luftleeren Raum und es wird immer wieder Spieler geben, die aus Verhältnissen kommen, bei denen diese Werte nicht stimmen und die zwar Talent haben, die sich aber mit ihrem Verhalten im Weg stehen werden. Da sind wir gefordert, dem entgegenzusteuern.
SPOX: Jefferson Farfan und Demba Ba haben in den vergangenen Wochen mit ihrem Verhalten Schlagzeilen geschrieben. Wie würden Sie als Trainer mit solchen Spielern umgehen?
Lienen: Ich kenne den Fall Jefferson Farfan nicht ganz genau. Ich weiß nur, dass Demba Ba gesagt haben soll, dass er weg will, sonst wird er nicht mehr spielen. Wenn sich jemand so verhält, dann musst du ihm mit der ganzen Härte der gesetzlichen Möglichkeit entgegentreten. Das sind natürlich Leute, die nicht mehr tragbar sind und da ist es besser, man sucht sich jemand anderen. Wenn jemand wie Ba aus Afrika kommt und plötzlich das Doppelte verdienen kann, obwohl er schon sehr gut verdient, dann sagt er sich anscheinend, dass das für ihn wichtiger ist. Wie schon gesagt, das hat es früher so nicht gegeben, da wurde auf Werte geachtet und es gab auch diese riesigen Geldmengen nicht, die heute im Umlauf sind. Geld verdirbt manchmal den Charakter.
SPOX: Haben Sie einen ähnlich Fall auch schon einmal erlebt?
Lienen: 1994 habe ich mal beim MSV Duisburg einen Spieler verpflichten wollen: Emmanuel Amunike, ein nigerianischer Nationalspieler. Ich hatte ihn schon unter Vertrag genommen und er wäre für uns ein Traumspieler gewesen. Der ist dann nach der WM aber gar nicht mehr gekommen. Er hat mich angerufen und erzählt, der liebe Gott hätte ihm gesagt, lieber zu Sporting Lissabon zu gehen - die würden ihm viel mehr Geld geben. Am Ende hat die FIFA entschieden, dass ich ihn abgeben muss und dann haben wir lediglich eine Transferentschädigung bekommen. Es gab also damals auch schon solche Leute, die machen konnten, was sie wollten. Mit solchen Leuten kann man natürlich nicht zusammenarbeiten.
SPOX: Welche Möglichkeiten bleiben dem Verein denn dann noch, sich vor so einem Verhalten zu schützen? Sitzen die Spieler nicht immer am längeren Hebel?
Lienen: Nein, überhaupt nicht. Das Problem ist: Wenn der nächste Verein sofort Schlange steht, um so einem charakterlosen Gesellen einen dicken Vertrag vor die Nase zu halten, dann ist man natürlich der Angeschmierte. Ich würde solchen Leuten mit allem entgegentreten, was möglich ist. Man muss natürlich bei einer fristlosen Kündigung aufpassen, da man unter Umständen auch die Transferrechte verlieren kann. Aber ich glaube, dass die rechtlichen Möglichkeiten ausreichen, solchen Leuten das Handwerk zu legen.
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