"Hakan Calhanoglu ist ein Übertalent"

Von Interview: Fabian Herbers
Martin Wacker ist seit 14 Jahren Stadionsprecher beim Zweitliga-Aufsteiger Karlsruher SC
© imago

Es sollten in Karlsruhe goldene Zeiten anbrechen, doch dann erfolgte der schleichende Abstieg - der KSC schien in die Bedeutungslosigkeit abzusteigen. Letzte Saison schafften die Badener aber den Wiederaufstieg in die 2. Liga. Im SPOX-Interview sprach KSC-Stadionsprecher Martin Wacker über den unglaublichen Niedergang des Vereins, treue Fans und unaussprechliche Fußballer-Namen.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

SPOX: Herr Wacker, 2007 war der KSC kurzzeitig Bundesligazweiter, fünf Jahre später am Tabellenende der 3. Liga, der Absturz in die Bedeutungslosigkeit drohte. Erklären Sie uns mal, wie ein Verein so den Bach runter gehen kann.

Martin Wacker: Im Fußball kann das alles ganz schnell gehen, da hängt vieles von Konstanten ab. Wie zum Beispiel ein Verein oder eine Mannschaft in sich geschlossen agiert. Der Bundesliga-Aufstieg 2007 wurde sensationell erreicht, dann ging die Phase mit dem Abstieg los. Es war ein Abstieg, der schleichend kam, da haben viele nicht gespürt, wann der Abwärtstrend wirklich begonnen hat. Und prompt war man wieder in der 2. Liga. Dann kam diese Katastrophe mit dem Abstieg in die 3. Liga, die nicht hätte sein müssen, weil sich viele zu sicher waren. Es ging weiter mit dem schlechten Start in Liga drei: Der war aber auch von Pech geprägt. Es gab beim KSC einfach keine Konstanten mehr.

SPOX: Sie sprechen die Konstanz an: Nach dem Abstieg kamen und gingen beim KSC viele Trainer und Verantwortliche. Sie haben quasi alle überlebt. Was ist das für ein Gefühl, wenn sich der ganze Verein austauscht, nur Sie bleiben?

Wacker: Es ist selbstverständlich, dass sich bei einem Fußball-Klub in 14 Jahren viele Gesichter austauschen. Seit 2009 waren es beim KSC natürlich ein bisschen zu viele Gesichter, an die ich mich gewöhnen musste. Aber es gibt im Verborgenen immer Konstanten. Burkhard Reich zum Beispiel. Ich fühle mich in Karlsruhe ein Stück weit auch als Identifikationsfigur, bin mit Leib und Seele dabei, mir macht es große Freude. Die Fans sagen: "Liebe kennt keine Liga." Für mich gilt das auch.

SPOX: Im Schnitt kamen letzte Saison mehr Zuschauer in den Wildpark als bei einigen Zweitligisten. In Wiesbaden waren sogar mehr Auswärtsfans aus Karlsruhe da als Anhänger des SV Wehen Wiesbaden. Was macht die KSC-Fans so besonders?

Wacker: Die unglaubliche Treue und Liebe zum Verein. Ich habe selten erlebt, wie Fans so euphorisch, positiv wie negativ, mit ihrem Verein leiden und mit ihm leben. Das trifft bei uns auf eine sehr große Fanzahl zu. Es sind Tausende von ganz treuen Fans, die mit diesem Verein leben. Das trifft bei mir auch zu. Ich gehe seit 1980 in den Wildpark. In 33 Jahren habe ich bisher drei Heimspiele verpasst.

SPOX: Kann man da überhaupt als Stadionsprecher gleichzeitig nicht Fan des Vereins sein?

Wacker: Glaube ich nicht. Ich komme aus der Region und identifiziere mich mit dem Verein. Die Leute merken einfach, wenn jemand mit dem Herzen dabei ist und spüren den Unterschied zu einem normalen Moderator. Ich verstehe mich aber nicht als Anfeuerer. Da haben wir eine gute Fankultur. In Deutschland haben die Fans die Stimmung im Griff.

SPOX: Der Start in die 3. Liga lief denkbar schlecht, der KSC war sogar auf einem Abstiegsplatz. Mal ganz ehrlich: Hatten Sie im September ernsthaft noch an den Wiederaufstieg geglaubt?

Wacker: Ja. Definitiv. Ich habe an diese Mannschaft immer geglaubt, weil man schnell merkte, was das für Typen sind. Das ist im Fußball ganz wichtig. Einen Typen wie Dominik Peitz, dem habe ich einfach zugetraut, dass er das Zeug hat, eine Mannschaft wieder rumzureißen. Was Hakan Calhanoglu für ein Übertalent ist, hat sich schon damals angedeutet. Auch Dennis Kempe ist so ein Typ.

SPOX: Letztendlich gelang mit Trainer Markus Kauczinski doch noch die Rückkehr in Liga 2. Warum kam mit ihm der Erfolg wieder?

Wacker: Kauczinski und Agi (Argirios Giannakis, Co-Trainer, Anm. d. Red.), das sind akribische Arbeiter. Sie sind nicht Trainer, um im Rampenlicht zu stehen und den Trainer zu spielen, sie sind Trainer aus Leidenschaft. Absolute Typen und erfolgshungrig. Für mich ist Kauczinski ein Idealtrainertyp.

SPOX: Nicht nur der KSC, auch anderen Traditionsvereinen geht es schlecht: Aachen, Offenbach und Duisburg stiegen aus Lizenzgründen ab. Haben Sie dafür eine Erklärung?

Wacker: Ich glaube, dass da viele finanzielle Entscheidungen unprofessionell getroffen worden sind. Da können wir beim KSC ganz froh sein. Bezogen auf das Präsidium und die Finanzen herrscht hier wieder eine wohltuende Ruhe. Davon hängt unglaublich viel ab: Wenn das Fundament nicht stimmt, können die noch so gut Fußball spielen. Das wirkt sich auch auf die Mannschaft aus. Der KSC ist jetzt wieder in einem ruhigen Fahrwasser und man kann wieder motiviert auf neue Ziele hinarbeiten.

SPOX: Der KSC ist ein Ausbildungsverein und bringt immer wieder große Talente heraus. Da bedienen sich die großen Vereine gerne. Wann wird der Spieß endlich mal umgedreht?

Wacker: Ich glaube, der Spieß wird bei 80 Prozent der Vereine nie umgedreht. Fast alle Vereine in der Bundesliga haben genau dieses Problem, die junge, talentierte Fußballer ausbilden. Auch Freiburg hat gerade damit zu kämpfen. Das ist unser Schicksal. Auf lange Sicht wird sich da nichts ändern. Außer, wenn der Verein finanziell besser aufgestellt ist oder international spielt.

SPOX: Beim KSC findet dieses Jahr ein 20-jähriges Jubiläum statt...

Wacker: Ja, da war ich Zuschauer auf der Gegengerade, Empore, dritte Reihe. Da hatte ich meine Dauerkarte früher. Ach es war großartig, das Valencia-Spiel. Unvergessen.

SPOX: ...Ich wollte Sie gerade fragen, wie Ihre Erinnerungen an das legendäre 7:0 gegen Valencia 1993 waren, aber es sprudelt ja förmlich aus Ihnen heraus. Der KSC hat zum Jubiläum ausgerechnet ein Testspiel gegen Valencia.

Wacker: Ich war den ganzen Tag unterwegs und kam ganz knapp zum Spiel. Das war dann unvergesslich. Es war so knapp am Anfang, die Spanier hatten drei richtig fette Chancen. Wäre da nicht ein bestimmter Torhüter (Oliver Kahn, Anm. d. Red.) im Tor gestanden, hätten wir keine Chance gehabt (lacht). Die Neuauflage zwanzig Jahre später ist eine sensationelle Idee. Ein Valencia-Spieler meinte sogar, man könne nun die "ewige Schande in der Vereinschronik" auslöschen.

SPOX: Sie als Stadionsprecher stimmen die Zuschauer auf das Spiel ein. Was sind Ihre Tricks, wenn sich ein paar Leute nicht ganz konform verhalten?

Wacker: Es gibt im Stadion immer wieder Leute, die denken, sie können tun, was nicht erlaubt ist. Da verallgemeinere ich nie. Ich versuche, genau die Richtigen anzusprechen, das kommt auch gut an. Ich selber habe das als Fan immer gehasst, wenn alle Fans als schuldig verurteilt wurden.

SPOX: Schauen Sie da auch auf Ihre Stadionsprecherkollegen?

Wacker: Natürlich tauscht man sich aus. Es gab jüngst mehrere Schulungsmaßnahmen für uns. Aber ich habe da kein Vorbild. Authentisch bleiben. Dann vertrauen auch einem die Fans und lassen so einen Quatsch sein. Aber alle haben ihren eigenen Stil und so soll es auch bleiben.

SPOX: Sind Sie eigentlich schon mal komplett an einem Spielernamen verzweifelt? Ich denke da an Henrikh Mkhitaryan oder auch Marc Gouiffe à Goufan.

Wacker: Das kann natürlich schon mal passieren. Da habe ich auch eine sehr witzige Anekdote dazu.

SPOX: Erzählen Sie.

Wacker: Es gab da einen Spieler, der hat vor dem KSC-Spiel eigenwillig die Aussprache seines Namens verändert. Damals spielte Grafite beim VfL Wolfsburg und kurz bevor ich die Aufstellung verlas, kam der Pressesprecher von Wolfsburg zu mir und meinte: "Der Grafite hat eben beschlossen, dass er ab jetzt Grafitsch ausgesprochen wird." Ich fragte nur: "Ist das ihr ernst?" Ich habe dann Grafitsch vorgelesen und das ganze Stadion hat geraunt. Die haben sich sicher gefragt, ob ich einen an der Waffel habe. Grafite hieß von da an Grafitsch.

SPOX: Der KSC spielt immer noch im maroden Wildpark. Was ist dem Stadionsprecher Martin Wacker lieber: eine neue Arena oder lieber doch der altehrwürdige Wildpark?

Wacker: Da schlagen zwei Herzen in meiner Brust. Ich liebe dieses Wildparkstadion in seiner Tradition. Aber es ist auch schön, die Emotionen in reinen Fußballarenen zu erleben. Darauf freue ich mich ungemein, ich bin sicher, dass das in Karlsruhe kommt. Ob nun im Wildpark oder als Neubau, das kann ich nicht sagen. Wo, ist mir wurscht.

SPOX: Sowohl Trainer Kauczinski als auch der neue Sportdirektor Jens Todt sagen, dass der KSC dieses Jahr das Bestmögliche in der 2. Liga erreichen soll. Von einem Tabellenplatz sprechen sie nicht. Ihre Meinung: Was ist dieses Jahr drin?

Wacker: Ein Tabellenplatz ist natürlich immer schwierig. Gut wäre natürlich, nicht in dem Bereich zu spielen, wo man zittern muss. Relegation oder sowas. Optimal ist es, wenn der Tabellenplatz nur eine Ziffer ist. Keine zwei (lacht).

SPOX: Und langfristig?

Wacker: Es sollte in den nächsten Jahren dringend wieder oben angeklopft werden.

Der Karlsruher SC im Steckbrief