Nach dem bitteren Abstieg aus der Bundesliga arbeitet der SC Freiburg mit Hochdruck an der Rückkehr ins Oberhaus. Mit Erfolg: Die Breisgauer stehen punktgleich mit Überraschungsteam Bochum an der Tabellenspitze. Großen Anteil daran hat Torjäger Nils Petersen. Der 26-Jährige erzählt von seinen Erfahrungen im Haifischbecken Bundesliga und erklärt, warum es zwischen Freiburg und ihm so gefunkt hat.
SPOX: Herr Petersen, nach Ihrem Traumeinstand in Freiburg zu Beginn des Jahres scherzten Sie, die drei Tore hätte auch eine Kiste Bier gemacht. Auch in dieser Saison haben Sie schon wieder neun Mal getroffen. Das liegt jetzt aber an Ihrer Qualität, oder hätte das die Kiste Bier auch geschafft?
Nils Petersen: Man müsste es mit der Kiste vielleicht mal probieren. Ich will meine Anzahl an Toren nicht an die große Glocke hängen. Wir pflegen einen Spielstil, der auf einen Mittelstürmer zugeschnitten ist und ich bin dabei der dankbare Abnehmer. Die offensive Flexibilität zeichnet uns aus. Und das auch in einer neu formierten Offensive ohne Schmid, ohne Mehmedi, ohne Darida. Wir haben wieder Jungs auf dem Platz, die mir das Leben im Strafraum leicht machen.
SPOX: Hatten Sie mit einem so runden Saisonauftakt gerechnet nach all den Abgängen?
Petersen: Absolut nicht. Wir wollten von Anfang an im oberen Drittel dabei sein. Aber dass wir nach zehn Spieltagen ganz oben mitmischen, ist fabelhaft. Das hatten wir uns nicht erträumt, da die Ergebnisse der Vorbereitung auch nicht rosig waren. Wir haben eine Konstanz und Stabilität entwickelt, die es dem Gegner schwer machen, gegen uns zu bestehen. Diese Situation genießen wir. Aber wir wissen auch, dass wir vermutlich noch durch ein Tal gehen müssen.
SPOX: Wie erklären Sie sich Ihre Trefferquote seit Ihrer Ankunft in Freiburg? Sie haben ja auch in der Bundesliga-Rückrunde neun Treffer in zwölf Spielen erzielt.
Petersen: Ich habe von Anfang an das Vertrauen gespürt und war ein wichtiger Bestandteil der Mannschaft. Allein schon, wie sich der Klub um mich bemüht hat, hat mir imponiert. Man sagt ja, Stürmer und Torhüter seien am sensibelsten. Und deshalb ist es gut für einen Stürmer, in eine funktionierende Mannschaft zu kommen. Es gibt nichts Schöneres als einen Verein, einen Trainer und eine Mannschaft zu haben, die mir vertrauen. Die Kollegen suchen mich im Strafraum und so konnte ich das Vertrauen, das mir entgegengebracht wurde, bisher zurückzahlen.
SPOX: Für Energie Cottbus haben Sie in Ihrer besten Zweitligasaison 25 Tore erzielt. Ist diese Marke in dieser Saison zu knacken?
Petersen: Das wird schwer. Mein damaliger Trainer Pele Wollitz hat damals gesagt, dass es die nächsten Jahre keiner schaffen wird, so viele Tore zu machen. Das hat sich auch bewahrheitet. Wenn ich die aktuelle Quote halten kann, könnte ich die Marke knacken. Aber ich bin vorsichtig, weil auch noch schlechtere Phasen kommen werden. Das Spiel hat sich auch dahin entwickelt, dass es für Stürmer immer schwerer wird.
SPOX: Sie bezeichnen sich selbst als klassischen Strafraumstürmer. Ist dieser Typ im Moment wieder mehr gefragt als in den Jahren zuvor?
Petersen: Ich denke schon. Die Bewegung hin zur falschen Neun war da. Die technisch starken Offensivkräfte, die eigentlich aus dem Mittelfeld oder von außen kommen, waren sehr gefragt auf dem Markt. Aber man unterhält sich auch in der Mannschaft immer wieder über Systeme, Funktionen und Positionen und kommt zu dem Schluss, dass es wichtig ist, einen Mittelstürmer vorne drin zu haben. Sei es als Anspielstation, als Abnehmer oder als ersten Verteidiger. Der Trend geht wieder dahin, dass die Vereine Keilstürmer ausbilden, verpflichten und diese Spielertypen auf dem Markt gern gesehen sind.
SPOX: In Deutschland gibt es aktuell wohl nur zwei Spieler, die einen ähnlichen Lauf haben wie Sie: Robert Lewandowski und Pierre-Emerick Aubameyang. Was sagt der Stürmer Petersen über die Stürmer Lewandowski und Aubameyang?
Petersen: Weltklasse! Lewandowskis Fünferpack war Wahnsinn. Es ging ja nicht gegen irgendeine Mannschaft, sondern Wolfsburg. Aber noch mehr imponiert mir, wie Spieler dieser Kategorie über Jahre hinweg konstant treffen. Lewandowski hat jetzt die 100-Tore-Marke geknackt und auch Aubameyang schießt in Dortmund regelmäßig seine Tore. Die Kunst eines Stürmers ist es, Woche für Woche Spiele zu entscheiden. Beide machen das auf höchstem Niveau in der Bundesliga.
SPOX: Wie kann sich ein Stürmer diesen Lauf erhalten?
Petersen: Auch bei mir wurde in den letzten Wochen viel über den Flow geredet. Erklären kann man ihn aber nicht. Das Selbstbewusstsein und das Selbstverständnis sind da, dazu kommt das nötige Glück. Außerdem spürt man nicht diesen Riesendruck und ist immer positiv. Und das genaue Gegenteil ist in einer schlechten Phase der Fall. Da gehen die einfachsten Bälle nicht rein. Deshalb sollte man im Lauf und auf dem Boden bleiben und die Woche über seriös arbeiten. Ich habe früh gelernt, dass man eine gute Trainingswoche braucht, um sich ein gutes Spiel zu erarbeiten.
SPOX: Nachdenken heißt es, ist ja eher das Falsche...
Petersen: Zu viel Nachdenken ist nicht gut. Den Moment nach dem Tor oder nach dem Sieg darf man genießen. Aber im Fußball interessiert keinen, was letzte Woche war, sondern es geht ums hier und jetzt.
SPOX: Haben Sie im Laufe Ihrer Karriere eine Methode entwickelt, um dieses Nachdenken so gut wie möglich zu vermeiden?
Petersen: Als Fußballer und als Mensch entwickelt man sich immer weiter und weiß mit Situationen umzugehen, weil man sie schon einmal erlebt hat. Ich habe einiges erlebt, das auf die Psyche ging. Bei mir wurden die torlosen Minuten bis in den vierstelligen Bereich gezählt. Dann kam ich nur noch zu Kurzeinsätzen und es hieß: Der hat schon wieder nicht getroffen. Da macht man sich selbst Druck. Genauso weiß ich mit Situationen umzugehen wie jetzt. Die Erwartungshaltung ist da, aber man darf das nicht zu hochschrauben.
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SPOX: Sie sagten zuletzt, Ihr Nachteil sei es, dass Sie zu nett seien. In welchen Situationen merken Sie das beziehungsweise wie wirkt sich das aus?
Petersen: Ich bin kein Egoist, für mich steht immer die Mannschaft im Vordergrund. Es gibt auch Situationen im Spiel, in denen man vielleicht zu lieb ist. In den letzten Spielen hätte ich zwei rote Karten und zwei Elfmeter herausholen können, aber darauf verzichtet, weil ich zu sehr Sportsmann bin. Das Wichtigste als Fußballer ist, dass man authentisch bleibt und sich nicht verändert. Ich habe es mit meiner Art zum Profi und in die Bundesliga beziehungsweise jetzt in die 2. Liga geschafft. Ich will mich nicht zu einem Arschloch entwickeln, nur weil jemand meint, dass ich damit noch mehr erreichen könnte. Das wäre der falsche Weg.
SPOX: War Ihre Bescheidenheit auch ein Grund, warum Ihnen im Haifischbecken Bayern München der Durchbruch nicht gelang? Braucht es in München mehr Egoismus?
Petersen: Ich wusste schon vorher, dass es in München schwer wird und ich nicht alle 34 Bundesligaspiele machen werde. Alles andere wäre Träumerei gewesen. Aber ich habe wettbewerbsübergreifend knapp 20 Spiele bestritten und eine positive Zeit erlebt, an die ich mich gerne erinnere. Es gab auch wichtige Spiele wie gegen Dortmund oder das Pokalhalbfinale gegen Gladbach, als ich Möglichkeiten hatte. Wenn ich da ein entscheidendes Tor mache, kann sich der Status schnell ändern und die Karriere in eine andere Richtung gehen. Dass dem nicht so war, hat aber nichts mit Nettigkeit oder Bescheidenheit zu tun, sondern eher mit Pech.
SPOX: War es trotzdem ein verlorenes Jahr?
Petersen: Nein, auf keinen Fall. Die Zeit bei Bayern war der Grundstein, dass ich ein gestandener Profistürmer geworden bin. Es war klar, dass ich danach vermutlich einen Schritt zurück machen muss, weil es viel höher als Bayern kaum geht.
SPOX: Wäre ein Zwischenschritt nach Cottbus besser gewesen?
Petersen: Im Nachhinein kann man sagen, dass ein Zwischenschritt vielleicht besser gewesen wäre, aber am Ende fehlt der Vergleich. Es gab auch Spieler, die ein Angebot der Bayern ausgeschlagen haben, und zu kleineren Klubs gewechselt sind. Wenn du dann dort aber nicht spielst oder triffst, hast du eher ein Problem in der Bundesliga zu bleiben, als wenn du von Bayern kommst. Bei Bayern habe ich ein Jahr auf Niveau erlebt und mich weiterentwickelt, ohne jedes Spiel gemacht zu haben.
SPOX: Hat die Erfahrung Ihrer vorherigen Vereinswechsel auch eine Rolle bei der Entscheidung für Freiburg gespielt?
Petersen: Absolut. Der SC ist ein sehr herzlicher, familiär geführter Verein. Hier kann man in Ruhe arbeiten. Das ist genau das, was ich auch brauche und möchte. Ich habe zwar auch hier letzte Saison den Abstiegskampf erlebt, aber aus meinen zweieinhalb Jahren in Bremen weiß ich, wie groß der Druck dort war. Und Abstiegskampf kostet viel Kraft. Auch wenn die Bundesliga das Höchste der Gefühle ist, ist es gut für den Kopf, oben mitzuspielen. Es ist schön, auf die Tabelle zu schauen. Außerdem kann ich ohne Druck ein Freitagsspiel schauen und muss nicht zittern, wie Stuttgart gegen Hamburg ausgeht.
SPOX: Nach dem Abstieg saßen Sie in der Kabine und weinten. Als der Transfer durch war, sprachen Sie von einer Herzensentscheidung pro Freiburg. Wie wurden Sie im Breisgau so schnell heimisch?
Petersen: Das habe ich mich auch gefragt. Ich will da gar nicht um den heißen Brei reden: Als ich im Januar nach Freiburg gekommen bin, war mein Ziel, Spielpraxis zu sammeln und mich wieder für Werder Bremen zu empfehlen. Aber das ganze Drumherum, die Arbeit mit den Leuten im Klub, die Identifikation der Leute in der Stadt mit dem Klub, waren Faktoren, die mir geholfen haben, mich so schnell mit dem Verein zu identifizieren. Dass wir absteigen und die Situation für mich emotional so hart wird, hätte ich zu Beginn auch nicht gedacht. Deshalb war ich umso glücklicher, dass ich weiter in Freiburg bleiben konnte.
SPOX: Wie würden Sie Ihren Abschied aus Bremen beschreiben?
Petersen: Die Situation wird immer negativer dargestellt, als sie in Wirklichkeit war. Ich bin mit allen im Reinen. Ich habe in meinen ersten zwei Jahren die meisten Tore für Werder erzielt. Elf Tore und fünf Assists in der Saison 2012/13 waren ein ordentlicher Auftakt für mein erstes richtiges Bundesligajahr, vorher war ich ja nur Einwechselspieler beim FC Bayern. Im zweiten Jahr haben wir unseren Spielstil etwas verändert, trotzdem war ich mit sieben Treffern in 28 Einsätzen noch bester Torschütze. Im dritten Jahr kam der Cut und Werder hat seine Philosophie Richtung junge Spieler aus der eigenen Jugend verändert. Davie Selke und Melvyn Lorenzen haben auch gute Arbeit abgeliefert und sich ihre Einsätze verdient. Dementsprechend war ich keinem böse. Aber nachdem der Stammplatz für mich weg war, wollte ich mit meinen Qualitäten einem anderen Verein helfen. Deshalb war es für mich sensationell, mit Freiburg einen Verein gefunden zu haben, der mich freudig strahlen lässt.
SPOX: Wurde Ihnen der Abschied in Bremen nahegelegt?
Petersen: Ich war dreimal in Folge nicht im Kader und saß davor zwei Mal 90 Minuten auf der Bank. Das war für mich ein klares Zeichen, dass ich - böse gesagt - nicht mehr erwünscht bin. Aber das war kein Problem und Bremen hat sich in dieser Zeit auch fair verhalten. Es war halt so, dass ein neuer Trainer kam, der nicht auf mich gesetzt hat. Das passiert jedes Jahr in jeder Mannschaft, dass zwei, drei Spieler auf der Strecke bleiben, die nicht mehr ins System passen. Damit muss man sich abfinden und nicht nachtreten. Wer weiß, vielleicht bin ich in zehn Jahren selbst Trainer und muss einem Spieler sagen, dass er aktuell nicht das Profil verkörpert, das ich mir vorstelle und dann blüht er woanders auf. Ich bin trotzdem noch Werder-Fan.
SPOX: Wie lange können Sie sich die 2. Liga vorstellen?
Petersen: Ich habe für vier Jahre in Freiburg unterschrieben und wusste im Sommer, dass dieses Jahr ein schwieriges werden könnte. Ich fühle mich hier sehr wohl und habe meine Erfahrungen gemacht, so dass ich mir vorstellen kann, langfristig in Freiburg zu bleiben, unabhängig davon, ob es dieses oder nächstes Jahr hochgeht. Aber ich hoffe natürlich, dass wir schnell in die Bundesliga zurückkehren.
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