Robin Dutt vom VfL Bochum im Interview: "Leipzigs System ist gefährlich für die Ausbildung"

Jochen Tittmar
31. Juli 201914:17
Robin Dutt ist seit Februar 2018 Trainer beim VfL Bochum.getty
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Robin Dutt ist mittlerweile seit 18 Monaten Chefcoach beim VfL Bochum in der 2. Liga. Damit hat er die mittlerweile branchenübliche Verweildauer eines Trainers im Profibereich bereits geknackt - und ist dennoch besorgt über die Entwicklungen rund um seinen Berufsstand.

Dutt setzte sich vor Saisonstart in der entspannten Atmosphäre des VfL-Trainingslagers in Weiler im Allgäu mit SPOX und Goal zusammen, um darüber zu sprechen, warum es Cheftrainer im Profibereich immer schwerer haben.

So entstand ein ausführliches, vielschichtiges Interview - über konditionierte Funktionäre, den zum Managerspiel verkommenden Fußball, die Funktion der Presse, den Trainer innerhalb eines Systems der Größenordnung FC Bayern und Dutts Fehler in Leverkusen.

Herzlichen Glückwunsch, Herr Dutt! 20 Trainer mussten während oder nach der vergangenen Zweitligasaison ihren Hut nehmen oder taten es freiwillig. In der Bundesliga waren es 16. Sie dagegen gehören zu den wenigen, die immer noch im Amt sind. Macht Sie diese Entwicklung dennoch traurig?

Robin Dutt: Ich halte vor allem die Konsequenz, die ich daraus ableite, für gravierend und verheerend.

Inwiefern?

Dutt: So lässt die Qualität im Fußball nach. Sie muss es zwangsläufig sogar. Man sollte sich wieder darauf besinnen, was ein Trainer überhaupt genau ist.

Was ist ein Trainer in Ihren Augen?

Dutt: Niemand, der kurzfristig eine Mannschaft aufstellt und sagt: Ihr elf spielt und das hier ist die Taktik. Ein Trainer ist jemand, der ein Team entwickelt, einen athletischen Plan mit den Spielern verfolgt und versucht, sie technisch-taktisch kontinuierlich weiterzubringen.

SPOX-Redakteur Jochen Tittmar unterhielt sich mit Robin Dutt im Bochumer Trainingslager in Weiler im Allgäu.spox

Hier kommt aber die Crux der Sache ins Spiel: Was Sie gerade beschrieben haben, braucht ja Zeit - und die bringen mittlerweile die wenigsten Vereine auf.

Dutt: Das stimmt. Es gibt Standorte, an denen die Trainer schneller kommen und gehen. Andere versuchen den Prozess, für den ein Trainer zuständig wäre, durch finanzielle Mittel auszugleichen. Das ist auch legitim, dann stellen sie dir eben einen fertigen Spieler hin. In der 2. Liga sind diese Mittel jedoch nicht da, manche Klubs zahlen parallel noch für zwei, drei Trainer Abfindungen. Das wären für einen Verein wie den VfL Bochum ein bis zwei Spieler, die man dann nicht verpflichten kann. All dies geht ganz klar zu Lasten der Qualität. Der Fußball wird einfach schlechter.

Gilt das Ihrer Ansicht nach exklusiv für die 2. Liga?

Dutt: Nein, das betrifft auch die Bundesliga. Gerade im internationalen Vergleich sehe ich Unterschiede in der Qualität und Attraktivität. Und es gilt auch für den Jugendbereich, wenn ich an die Europameisterschaften der U17 und U19 denke. Selbst in der A-Nationalmannschaft zeigte sich zuletzt, dass man nicht unendlich top ausgebildete Spieler nachschieben kann. Man sollte sich auch nicht vom EM-Finaleinzug der deutschen U21 blenden lassen. Denn in einem Land mit über 80 Millionen Einwohnern werden wir ja hoffentlich elf Spieler zusammenbringen, die in der Spitze mitspielen können.

Woran machen Sie es genau fest, dass der Fußball schlechter wird?

Dutt: Die technisch-taktische Qualität ist gesunken und wird weiter sinken, wenn man glaubt, dass Ballbesitzfußball out sein soll. Ballbesitzfußball kann nie out sein, denn es geht im Fußball immer um den Ball. Ich kann diskutieren, wie schnell der Ballbesitz sein muss, gerade wenn der Gegner ungeordnet ist oder wie schnell ich nach der Balleroberung umschalten soll. Nun aber zu denken, nur weil Frankreich mit wenig Ballbesitz Weltmeister geworden ist, das wäre es jetzt, ist genauso unsinnig, wie wenn man 2004 nach dem EM-Titel Griechenlands gesagt hätte, Manndeckung und Libero seien die Zukunft.

Heißt also?

Dutt: Die meisten europäischen Spitzenklubs, die den Ton vorgeben, haben eine hohe Qualität und Quantität an Ballbesitz. Was man dabei beherrschen muss, ist ein Positionsspiel, wenn der Gegner geordnet ist und ein vertikales Tempospiel, wenn der Gegner ungeordnet ist. Diese Unordnung besteht nicht nur bei der Balleroberung, sondern kann auch durch den eigenen Ballbesitz hergestellt werden. Einhergehend mit den ständig wechselnden Trainern kostet uns das viel Qualität, da man für diese komplexe Entwicklung keine Zeit hat. Man verbrennt somit viele Spieler, bläht Kader auf - und dadurch sinkt letztlich die Qualität.

Schon am Ende der letzten Saison, als 15 von 18 Zweitligatrainern entlassen waren, sagten Sie, die Fußballbranche würde nicht verstehen, "was es bedeutet, Trainer zu sein". Fehlt Ihnen in den entscheidenden Positionen die Fachkompetenz?

Dutt: Nein, jedenfalls nicht immer. Man muss nicht zwingend den Trainerjob an sich verstehen. Ich glaube, dass man einfach nicht mehr druckresistent ist und seine eigene Überzeugung schneller über Bord schmeißt. Wenn man Gefahr läuft, Ziele kurzfristig kippen zu müssen und der öffentliche Druck zu groß wird, gibt es mittlerweile deutlich weniger Menschen, die sich in den Wind stellen und sagen: Das hier ist unser Konzept und das ziehen wir auch durch. Das haben die großen Klub-Patriarchen, über die man auch immer etwas geschimpft hat, früher viel häufiger getan. Noch schlimmer finde ich, wenn viele junge Trainer verbrannt werden, die danach nicht mehr bereit sind, zurück in die Nachwuchsleistungszentren zu gehen. Dann fehlt auch dort die Qualität. Das sind in meinen Augen alles riesige Probleme, in der Summe wirkt vieles konzeptlos. Wenn man mehrere Trainer in einer Saison verschleißt und trotzdem absteigt, dann kann man dem zumindest nur schwer widersprechen.

Warum handeln Vereine in Krisenzeiten so selten azyklisch?

Dutt: Das ist ganz einfach: Die Funktionäre sind meist auch konditioniert. Wenn sie den Trainer oder einen Verantwortlichen entlassen, können sie ein paar Wochen durchatmen, weil dem öffentlichen Druck nachgegeben wurde. Eine kontinuierliche Entwicklung, die parallel zum nackten Ergebnis läuft, ist für sie häufig irgendwie fiktiv. Es geht aber nicht darum, dass man nach sechs Spielen wieder gewinnt, wenn man in einer Krise am Trainer festhält.

Sondern?

Dutt: Es geht darum, dass man die Fehler analysiert, die man im vorherigen Zyklus gemacht hat, um im nächsten Zyklus besser zu sein. Und der geht über mindestens zwei, drei Jahre. Diese Zyklen werden kaum noch irgendwo gelebt. Deshalb ist ein Verein wie der SC Freiburg so erfolgreich, da ist das gelebte Kultur. Wenn sie absteigen, bleibt alles genauso bestehen. Man setzt sich zusammen, analysiert die Fehler und packt es wieder an. Die Mehrzahl der Vereine setzt aber lieber den Trainer vor die Tür, es kommt der nächste und der macht dann halt andere Fehler.

Warum ist das so?

Dutt: Der Fußball ist zu einem Managerspiel geworden und der Beruf des Trainers hat in diesem Managerspiel weniger Wichtigkeit. Es ist mehr Geld drin, also meint man, man könne die Fehler durch Geld eher beheben. Doch das klappt bei einem Zweitligisten mit einem Etat zwischen zehn und 13 Millionen Euro im Leben nicht.

Also bei einem Klub wie dem VfL. Wie sähe ein fruchtbares Konzept für Vereine dieser Größenordnung Ihrer Ansicht nach aus?

Dutt: Die eigene Jugend, die eigene Entwicklung und die eigene Idee müssen im Vordergrund stehen. Dies, gepaart mit einem Sportdirektor und einem Cheftrainer, die das auf die Jugend ausgelegte Konzept mittragen und einen kontinuierlichen Weg gehen dürfen - alles andere ist bei Klubs dieser Größe in der Summe zum Scheitern verurteilt.

Den SC Freiburg nennen viele Vereine als Vorbild, doch warum schafft es kaum jemand, diesem Beispiel an Kontinuität und Ruhe zu folgen?

Dutt: Wenn andere Klubs lobend über Freiburg sprechen, dann wollen sie das Freiburger Ergebnis. Sie wollen aber nicht den Weg gehen, um dorthin zu gelangen. Dieses Ergebnis ist nämlich nicht vom Himmel gefallen, der Grundstein dafür wurde vor langer Zeit gelegt. Man hat eine Kultur aufgebaut, die auch die Fans mitnimmt, weil sie die Arbeit dort mittragen. Das an anderen Standorten nachzubauen, dieser Zug ist für die meisten Klubs abgefahren. Das ginge nur, wenn man Verantwortliche hat, die die Widerstände der Öffentlichkeit überwinden können - und zwar nicht über ein paar Spieltage hinweg, sondern über zwei, drei Jahre. An vielen Standorten kann der Druck von Fans und Öffentlichkeit jedoch so brutal werden, dass es beinahe einer Ausweglosigkeit gleichkommt.

Teilweise wurden schon Trainer entlassen, die bereits bewiesen haben, dass sie auch kurzfristig gute Arbeit machen und zum Verein zu passen scheinen.

Dutt: Klar. Ich kenne Fälle, da haben die Verantwortlichen mit trauriger Miene gesagt: Es tut uns wirklich leid, wir verstehen uns so gut, du arbeitest super mit der Jugend zusammen und stehst hinter unserem Konzept, aber die kurzfristigen Ergebnisse passen einfach nicht. Irritierend finde ich außerdem, dass es zuletzt einige Fälle gab, bei denen relativ kurzfristig der Vertrag eines Sportdirektors verlängert wurde. Der wollte dann azyklisch handeln und den Trainer nicht entlassen. Doch stattdessen wurde er nach kurzer Zeit ebenso entlassen wie der Trainer, obwohl man gerade noch mit ihm verlängert hatte. Das ist nicht zu fassen. Und da würde ich mir wünschen, dass die Presse in ihrer Funktion genauer hinschaut.

Wie meinen Sie das?

Dutt: Wir brauchen eine Instanz, die aufgrund ständig steigender Geldsummen genau hinschaut, dass damit kein Blödsinn gemacht wird. Die Presse kann auch mal hinter die Kulissen schauen und hinterfragen: Was macht ihr da eigentlich? Doch bei diesen Fragen rund um Themen wie 'Wer geht? Wer kommt? Wer behält seinen Job?' ist mir die Presse manchmal zu zurückhaltend. Manchmal habe ich den Eindruck, für sie ist das Kommen und Gehen nicht schlecht, da es Geschichten liefert, ohne dass man viel dafür tun muss. Dieses Geldverbrennen müsste für mich viel mehr hinterfragt werden. Ich würde sogar fast so weit gehen anzuregen, ob man nicht mit der DFL Regularien finden sollte, die besagen, dass man nicht mehr als einmal pro Saison seinen Trainer wechseln darf.

Markus Anfang wurde als Tabellenführer der 2. Liga beim 1. FC Köln entlassen. Wurde dadurch für Sie eine Art neue Ebene erreicht?

Dutt: Ich möchte zunächst nach allem, was ich bislang gesagt habe, betonen: Sie haben das Gespräch mit dem Thema eingeleitet, dass die 2. Liga 20 Trainer in einer Saison verschlissen hat. Ich glaube, mir kann keiner widersprechen, wenn ich behaupte, dass das in dieser Summe für eine gewisse Konzeptlosigkeit spricht. Ich kann allerdings nicht im Nachhinein den einzelnen Fall bewerten. Der kann immer auch seine Berechtigung haben - ganz egal, ob man sich einen Spieltag vor Schluss, nach zwei Monaten oder zehn Jahren trennt. Ich weiß nicht, was jeweils vorgefallen ist. Dass aber 20 Mal etwas Gravierendes vorgefallen ist, das kann schlicht nicht sein.

Theoretisch müssten Vereine ganz konsequent sein und ihren Trainern nur noch Einjahresverträge geben.

Dutt: Nicht nur theoretisch. Die letzte Konsequenz müsste sogar sein, bei der Vorstellung des Trainers nicht zu behaupten, er sei der richtige Mann für die nächsten Jahre. Stattdessen müsste man sich hinsetzen und sagen: "Die letzten zehn Jahre haben gezeigt, dass wir kein Modell über drei Jahre aufbauen können. Sollten die Ergebnisse nicht stimmen, werden wir den Trainer auch während seiner ersten Saison wechseln, deshalb hat er auch nur für ein Jahr unterschrieben." Das wäre offen und ehrlich und hätte meinen vollen Respekt. Damit könnten wir alle auch umgehen, denn wer als Trainer einen Job sucht, nimmt auch einen Einjahresvertrag an. (lacht) Mit Dreijahresverträgen jedoch Kontinuität vorgaukeln - da bedankt man sich doch als Trainer, weil man von Beginn an weiß, dass man nach der durchschnittlichen Verweildauer von 18 Monaten noch weiter bezahlt wird, ohne im Amt zu sein.

Glauben Sie, so könnte sich etwas verändern, weil dann auch das Umfeld ins Grübeln käme?

Dutt: Vielleicht, man müsste den Ist-Zustand einfach umdrehen. Ich würde mir erhoffen, dass irgendwann das Umfeld lauter und einsehen würde, dass es doch nicht ginge, wenn man ständig Einjahresverträge abschließen und immer wieder die Leute entlassen würde. Vielleicht käme so der Wunsch von außen auf, den Trainer nicht zu entlassen. Allein, ich glaube nicht daran, dass das jemals passieren wird, weil einfach zu viel Geld im Fußball steckt. Natürlich hat man den Wunsch in einer immer schnelllebigen Gesellschaft, dass es trotzdem Führungskräfte gibt, die eine Aura und das nötige Rückgrat haben, dieser Entwicklung entgegenzuwirken.

Karl-Heinz Rummenigge sagte kürzlich, dass sich ein Trainer der Spielkultur eines Klubs anpassen müsse. "Am Ende des Tages muss es ein Bayern-System geben, wie es ein Barcelona-System gibt", waren seine Worte.

Dutt: Das Barca- mit dem Bayern-System zu vergleichen, ist aber der Vergleich von Äpfeln mit Birnen.

Weshalb?

Dutt: Das Barca-System ist ein System mit einer Spielidee, die von der Jugend bis zu den Profis durchgezogen wird und wofür die Trainer entsprechend ausgesucht werden. Das Bayern-System ist ein Manager- und kein Trainer-System. Die Spielidee hat sich doch allein mit den letzten fünf Cheftrainern stets geändert. Dort scheint auch nicht jeder der vergangenen Trainer in der Transferpolitik gleichberechtigt gewesen zu sein. Das ist eher vergleichbar mit Real Madrid, das ist auch ein Manager-System. Allerdings sollte das auch jedem Bayern-Trainer vor Amtsantritt bewusst sein.

In der 2. Liga wäre es grundsätzlich einfacher, ein solches Trainer-System aufzusetzen, oder?

Dutt: Eindeutig. Es ist dort ja viel leichter, auf die Jugendarbeit zu setzen und eine konkrete Spielidee vorzugeben. In der 2. Liga ist auch das Umfeld meist nicht so aggressiv wie bei vielen Erstligisten. Es gibt für mich wie gesagt keine Alternative dazu. Für einen Bochumer U19-Spieler ist es deutlich einfacher, in die Erste Mannschaft zu kommen, als für einen U19-Spieler bei Bayern.

Wie sehen Sie in diesem Zusammenhang das Modell RB Leipzig? Die U19 spielt jetzt schon mehrere Jahre in der Bundesliga, bis zu den Profis schafft es aber keiner der Youngster.

Dutt: Es wird noch nicht mal einer eingewechselt. In diesem System gibt es eine Spielidee, die für die Profis gut, aber aus meiner Sicht gefährlich für die Ausbildung ist.

Weil Leipzig für seine Spielidee junge Spieler scouten und kaufen muss?

Dutt: Genau, das machen sie auch hervorragend. Doch ihr System greift bisher nicht im Jugendbereich. Ich halte es für gefährlich, wenn man in der Ausbildung Ballbesitz verteufelt und im Schwerpunkt auf Pressing-Systeme setzt. Denn was passiert dann: Es wird viel Pressing geübt, aber man vergisst Ballannahme, Passen, Dribbeln und Schießen. Dabei ist die Ballfertigkeit das Wichtigste. Sehen Sie sich eine Top-Mannschaft wie Liverpool an: Die kann Pressing und Tempo spielen, aber es gibt dort nicht einen Spieler, der am Ball nicht Extraklasse wäre. Und Leipzig braucht für seine Spielidee natürlich auch Spieler, die am Ball ein Top-Niveau haben - doch die bekommen sie bisher über ihr System nicht ausgebildet.

Manuel Baum hat im SPOX-Interview gesagt, er würde sich mehr Trainer wünschen, die nicht nach höheren Ligen und mehr Verdienst streben, sondern ihr Leben lang U17-Coach bleiben wollen. Was halten Sie davon?

Dutt: Das Paradebeispiel ist Norbert Elgert. Er sieht sich als U19-Trainer, es ist Kontinuität gegeben und er bringt seit Jahren Spieler heraus, die zum Besten vom Besten gehören. Andererseits darf ein junger Trainer natürlich auch das Ziel haben, höherklassig zu arbeiten. Ein Trainer, der mit Anfang 30 in einem NLZ startet, kann doch dort zehn Jahre arbeiten und mit Anfang 40 in eine der ersten drei Ligen wechseln. Dann ist er noch immer ein junger Trainer und wird ohnehin früh genug entlassen. (lacht) Doch er käme mit einer ganz anderen Erfahrung im Profibereich an, hätte Fußspuren im Nachwuchs hinterlassen - das hätte Hand und Fuß. Christian Streich war über zehn Jahre in der Freiburger Fußballschule, ging dann zu den Profis und war schnell ein gestandener Bundesligatrainer. Und warum?

Sagen Sie es mir.

Dutt: Weil das Fachliche nur ein Teil des Trainerjobs ist. Der weitaus wichtigere Teil wird immer die Mannschafts- und Menschenführung bleiben. Mit einer guten Taktik, aber einer schlechten Mannschaftsführung hast du als Trainer keine Chance. Mit einem durchschnittlichen oder gar schlechten Training, aber einer guten Mannschaftsführung kannst du trotzdem noch eine Chance haben. Doch woher soll der Mitte-30-jährige Trainer die Erfahrung in Sachen Mannschaftsführung haben? Ich habe das am eigenen Leib erfahren, als ich von Freiburg nach Leverkusen wechselte - und ich war beim SCF ja bereits Erstligatrainer. Das war 2011 und ich war schon 46 Jahre alt. Bei Bayer habe ich im Nachhinein gemerkt, wie groß der Sprung im Vergleich zu Freiburg ist, wenn du auf einmal Spieler der Kategorie Leverkusen im dortigen Umfeld trainierst.

Inwiefern ist Julian Nagelsmann mit seinen 31 Jahren hier eine Ausnahme?

Dutt: Er ist ein außergewöhnliches Trainertalent, aber er war über Jahre im Nachwuchsbereich tätig und bekam dann in einem kleinen Umfeld die Chance ganz oben.

Nagelsmann wäre also aktuell noch kein Trainer für einen ganz großen Klub wie den FC Bayern? So argumentierte ja auch Rummenigge.

Dutt: Da widerspreche ich ihm nicht. Er kann die Bayern in Zukunft sicherlich trainieren, aber jetzt ist es eventuell noch zu früh. Nicht, weil er ein schlechtes Training macht oder keine gute Taktik hat, ganz im Gegenteil, sondern weil er auf dem Gebiet der Mannschaftsführung noch weitere Erfahrung sammeln muss, um mit den Superstars dieser Welt umgehen zu können.

Wie sind Sie einst damit umgegangen, als Sie in Leverkusen Größen wie Michael Ballack trainiert haben?

Dutt: In Freiburg ging die Mannschaft für mich durchs Feuer, in Leverkusen war es genau das Gegenteil. Es war mir gegenüber eine Skepsis da. Ich hatte auch noch nicht die Erfahrung, dass es nichts bringt, wenn ich meine gesamte Fußballidee dort einfach hineinkippe. Im Nachhinein wäre die Fußballidee erst einmal nicht das Wichtigste gewesen. Ich hätte anfangs vielleicht zwei Monate mehr Wert darauf legen sollen, dass alle Spieler zueinanderfinden, sich wertgeschätzt fühlen und man ein für alle Beteiligten gutes Klima erzeugt. Die Spieler hatten ja alle Qualität und konnten kicken. Es hätte daher vermutlich gereicht, taktisch behutsamer vorzugehen.

Was passierte stattdessen?

Dutt: Am Anfang haben die Spieler kurz mitgemacht, doch dann fühlten sich die ersten auf den Schlips getreten. Darauf habe ich wie in Freiburg reagiert, denn dort bist du als Trainer der Chef. Nach und nach flog mir so aber das ganze Ding um die Ohren. Man muss als Trainer schlichtweg in der Lage sein, auch schwierige Personalien zu moderieren. Das kriegst du aber nicht hin, wenn du einen zu großen Teil der Mannschaft nicht im Griff hast.

In der 2. Liga sollen in der Vorsaison mit Hannes Wolf beim HSV und Anfang in Köln zwei junge Trainer auch an solchen Herausforderungen gescheitert sein.

Dutt: Schauen Sie sich die letzte Bundesligatabelle an: Hinter den Bayern kommen mit Favre und Rangnick zwei 61-Jährige, es kommen die über 50-jährigen Bosz, Hecking und Labbadia. Die Vereine, die vorne stehen, wurden alle von erfahrenen Trainer gecoacht. Die jungen Trainer machen tolle Arbeit, aber sie machen sie ab Platz sieben abwärts. Nur eine Handvoll setzt sich wirklich durch, so wie aktuell Nagelsmann oder Kohfeldt, der ebenfalls lange im NLZ arbeitete.

Sie sind als Trainer in der 2. Liga ziemlich weit weg vom sportlichen Glamour. Wie beobachten Sie daher Entwicklungen wie eine aufgeblähte WM, eine EM in mehreren Ländern, eine WM im Winter in Katar oder die diskutierte Reform der Champions League?

Dutt: Garantiert nicht wohlwollend. Diese Suche nach weiteren Einnahmequellen und mehr Macht ist eben die logische Konsequenz einer immer größer werdenden Gier. Wenn es geschlossene Wettbewerbe mit den zu Großteilen immer gleichen Teams geben soll, dann verschwindet letztlich der Leistungsgedanke. Mir als Fußballanhänger ist das schlicht zu viel. Da habe ich keinen großen Spaß mehr, weil ich mich immer seltener emotionalisieren kann. Ich hoffe nur, dass die Bundesliga-Macher so schlau sind und die Liga vor dem Kaputtgehen bewahren.

Wie meinen Sie das?

Dutt: Es könnte ja sein, dass irgendwann einmal ein Konkurrenzprodukt aufgeht und es wie beim Boxen verschiedene Verbände gibt. Dann gibt es vielleicht die Liga der Traditionsvereine, die alle meilenweit von den internationalen Wettbewerben entfernt sind, aber sich zusammenschließen und zwei Ligen - "Tradition Nord" und "Tradition Süd" - gründen. Wer weiß, vielleicht sind die Stadien dann auch dort voll, so dass es für die Sponsoren ebenfalls attraktiv ist, Investitionen zu tätigen. Möglicherweise ist das nur eine verrückte Vision. Ich bin aber überzeugt: Wenn der Bogen wie aktuell voll angespannt ist, findet die Richtigkeit schon ihren Weg.

Im letzten SPOX-Interview sagten Sie, dass Sie vielleicht mit dem operativen Geschäft abgeschlossen hätten, wenn das Angebot aus Bochum nicht gekommen wäre. Nun sind Sie seit 18 Monaten im Amt. Wie blicken Sie in Ihre berufliche Zukunft?

Dutt: Wenn es hier für mich enden sollte, fühle ich mich nicht abhängig vom operativen Geschäft. Mir kann in Bochum eigentlich nichts mehr passieren, denn ich habe die branchenübliche Verweildauer eines Trainers bereits geknackt. Bochum hat meine persönlichen Erwartungen schon erfüllt. Sollten wir uns trennen, muss es Stand jetzt für mich nicht im operativen Geschäft weitergehen - es kann aber sein. Ich wüsste nur: Würde sich aktuell ein Verein melden, der landläufig gesehen attraktiver erscheint als der VfL, wäre das nicht interessant für mich. Einfach weil ich inzwischen weiß, dass es mehr gibt als größere Namen und Geldbeutel, nämlich meine Jobzufriedenheit. Und die habe ich hier zu 100 Prozent.