SPOX: Herr Kaymer, Ihr Bruder Martin steht auf Rang 14 der Weltrangliste. Vor wenigen Jahren war er noch auf der drittklassigen EPD Tour. Was schießt Ihnen durch den Kopf, wenn Sie an diese Entwicklung denken?
Philip Kaymer: Das ist natürlich Wahnsinn. Das kam ja alles völlig unvorhergesehen. Geplant war, dass er den normalen Weg geht, auf der EPD Tour anfängt, sich dann relativ zügig die Karte für die Challenge Tour erspielt, und nach einem weiteren Jahr der Akklimatisierung vielleicht den Sprung auf die European Tour schafft. Dass er jetzt da steht, wo er steht, ist ein Traum. Man muss sich nur anschauen, von welchen Namen er umgeben ist.
SPOX: Hat es sich nie angedeutet, dass es nach ganz oben gehen könnte?
Kaymer: Man konnte nicht damit rechnen, dass es so weit nach oben geht. Martin hat ja selbst schon gesagt, dass es im Nationalkader Leute gab, die mindestens gleich gut waren. Und Deutschland ist auch nicht das große Golfland. In Schweden zum Beispiel ist es relativ einfach, den Weg nachzugehen, den viele vorher gegangen sind. Aber wenn Martin etwas wollte, dann hat er das auch gemacht. Das war schon immer so. Nach dem Abitur hat er gesagt, pass mal auf, ich will Profi werden und da stecke ich jetzt alles rein. Wie es sich dann entwickelt hat, war optimal.
SPOX: Zielstrebig, ehrgeizig, diszipliniert: Martin Kaymer?
Kaymer: Das sind sicher seine prägendsten Eigenschaften. Wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hat, dann macht er das. Und er hat noch den Vorteil, dass er dabei nicht zu verbissen herangeht. Er bleibt immer noch locker und nimmt auch mal Rückschläge in Kauf. Er weiß, wo es hingehen soll und davon lässt er sich dann auch nicht abbringen. Er ist wirklich sehr zielstrebig und beharrlich.
SPOX: Und er ist bereit, Opfer zu bringen. Zum Beispiel Weihnachten alleine zu verbringen und sich den Golf Channel anzuschauen, statt mit der Familie Gans zu essen.
Kaymer: Als er die Entscheidung getroffen hat, Profi zu werden, war klar, dass er im Winter etwas machen muss, weil die Bedingungen in Deutschland sehr schlecht sind. Das kurze Spiel kann man gar nicht trainieren und bei null Grad auf der Range zu stehen und ohne Gefühl Technik zu trainieren, bringt auch nichts. Also musste eine Alternative her. In Arizona hat er die gefunden. Er sieht das aber nicht als großen Aufwand, sondern als Notwendigkeit, um in seinem Beruf weiter nach vorne zu kommen. Es ist sicher nicht angenehm, an Weihnachten und am Geburtstag alleine zu sein, aber er weiß, dass es ein notwendiges Übel ist und es sich später auszahlen wird. Das hat man jetzt ja auch schon gesehen.
SPOX: Ist er in allen Lebenslagen so zielorientiert. War das auch in der Schule so?
Kaymer: Wichtig ist, dass Martin etwas wirklich wollen muss. Das war auch beim Fußball früher so. Er wollte Tore schießen und mit der Mannschaft gewinnen. Es gab eigentlich nie ein Spiel, in dem er nicht getroffen hat. In einer Saison hat er auch mal 80 Tore geschossen. Bei der Schule war es so, dass er gewusst hat, dass er das machen muss, weil es eine wichtige Grundlage für später ist. Aber er hat sich nie als Börsenmakler oder Rechtsanwalt gesehen, er wollte immer in den Bereich Sport.
SPOX: Und Golf ist besser als Fußball, weil er eben alleine für sich und seinen Erfolg verantwortlich ist.
Kaymer: Richtig. Beim Golf hat er den Vorteil, dass ihm niemand reinredet und er von niemandem abhängig ist. Martin arbeitet etwas anders als viele andere, sehr intuitiv. Wenn sein kurzes Spiel zum Beispiel nicht klappt, dann trainiert er drei Wochen lang fast nur das kurze Spiel und den Rest nur sehr wenig. Wenn sein Fußballtrainer ihm jetzt sagen würde, er solle Pässe mit links trainieren, Martin denkt aber, er müsste viel eher Kopfbälle üben, dann wird es schwierig.
SPOX: Martin wirkt immer so unglaublich ruhig. Ist er wirklich immer so ruhig?
Kaymer: Ich behaupte, dass er wirklich so ruhig ist. Manche sagen vielleicht, er tut nur so, aber ich kenne ihn. Es ist nicht so, dass ihn das nicht sonderlich interessiert, was er da gerade macht. Aber wenn es in die entscheidende Phase geht bei einem Turnier, dann sieht er das als nichts Ungewohntes an, sondern als Belohnung für die Arbeit, die er gemacht hat. Um in solchen Situationen zu sein, dafür trainiert er. Da will er hin. Und dann ist er wirklich sehr sehr ruhig. Das kann man auch gar nicht oder nur sehr schwer erlernen, glaube ich. Ich kann Ihnen da eine Anekdote erzählen.
SPOX: Bitte.
Kaymer: Das war beim Länderpokal. Martin war 16 oder 17 Jahre alt und es ging ins Stechen gegen Berlin/Brandenburg. Nach drei oder vier Löchern des Stechens ist er zum Trainer gegangen und hat ihn gefragt, gegen wen sie gerade eigentlich spielen würden. Er hat das nicht gewusst. Er hat nur gewusst, dass er so gut als möglich Golf spielen soll und darauf hat er sich konzentriert. Alles andere war ihm egal. Er kann Sachen sehr gut ausblenden. Wenn er einen Putt hat, dann denkt er nicht daran, ob der jetzt 10.000 Euro, 50.000 Euro oder eine halbe Million wert ist. Er sagt sich, ich bin hier, um den Putt reinzumachen und den mache ich jetzt rein.
SPOX: Was muss denn passieren, damit er mal richtig ausrastet?
Kaymer: Ich glaube, das wird nie passieren. Manche würden ihm deshalb Langweiligkeit vorwerfen, aber er ist einfach so ein Typ. Er kennt keine großen Ausschläge, weder nach oben noch nach unten. Wenn er jetzt plötzlich nur für das Publikum Showeinlagen mache würde, in große Jubelposen ausbrechen oder sich aufregen würde, wäre das nicht Martin. Das passt nicht zu ihm. Er muss so bleiben, wie er ist.
SPOX: Diese Ruhe hilft ihm ja auch, wenn er mal vorne liegt. Er ist ein guter Frontrunner.
Kaymer: Er hat auf jeden Fall die wichtige Fähigkeit, wenn er nach drei Tagen in Führung ist, am Finaltag genauso weiterzumachen, wie an den ersten drei Tagen. Durch seine Turniersiege hat er eine große Sicherheit gefunden. Er weiß, was er kann und dass erstmal jemand kommen muss, der besser ist als er. Er macht sein Ding weiter und wird nicht besonders nervös.
SPOX: Der große Sonderfall war der Turniersieg in München.
Kaymer: Das war natürlich kein normaler Sieg. Wenn man einen Vorsprung von sechs Schlägen noch hergibt, dann kann das einen richtigen Knacks geben. In der Finalrunde lag er ja nach seinem Fehler an der 11 - den wird er nie wieder machen - sogar plötzlich hinten. Aber hat trotzdem nicht verkrampft und hat sich den Sieg geholt, den er unbedingt haben musste. Es gab keine andere Möglichkeit, als das Turnier zu gewinnen. Jeder kennt ja die Situation (Kaymers Mutter war schwer erkrankt und verstarb kurze Zeit später, Anm. d. Red.), das war alles sehr emotional.
Hier geht es zu Teil 2: Philip Kaymer über schwierige Wochen in Asien