"Mastermind" verlässt Red Bull: Auf dem Weg zur reizvollsten Aufgabe der Formel-1-Geschichte?

Von Christian Guinin
Adrian Newey, Lewis Hamilton
© imago images

Chefdesigner Adrian Newey verlässt Red Bull. Mit dem 65-Jährigen verliert der amtierende Weltmeister in der Formel 1 das "Mastermind" seiner Aerodynamik-Abteilung. Nun steht nicht nur hinter der Zukunft von Max Verstappen ein großes Fragezeichen, auch im Hinblick auf die kommenden Jahre könnte die Dominanz der Bullen zu bröckeln beginnen.

Anzeige
Cookie-Einstellungen

"Es war mir eine große Ehre, fast zwei Jahrzehnte lang eine Schlüsselrolle bei der Entwicklung von Red Bull Racing zu spielen", erklärte Newey, der 2006 zum damals noch relativ jungen Team aus Österreich stieß, in einer vom Rennstall veröffentlichten Mitteilung.

Für ihn persönlich sei nach über 18 Jahren "der richtige Zeitpunkt gekommen, um den Staffelstab an andere zu übergeben und mich neuen Herausforderungen zu stellen." Er habe "einfach gespürt, dass jetzt ein guter Zeitpunkt ist, einen Schritt zurückzutreten, eine kleine Pause einzulegen, eine Bilanz des Lebens zu ziehen und ein wenig auf Reisen zu gehen". Schließlich sei der gesamte Formel-1-Kosmos "sehr aufzehrend".

Doch wie geht es nun weiter mit dem 65-jährigen Briten? Tritt er etwa ganz ab? Oder stellt er sich noch einmal einer neuen Aufgabe bei einem anderen Team? Und was bedeutet der Schritt überhaupt für Red Bull und Max Verstappen?

newey-1600-3
© getty

Was bedeutet der Abgang von Adrian Newey für Red Bull?

Wirft man den Blick nur wenige Monate in die Vergangenheit zurück, so hätten mit großer Sicherheit viele F1-Experten die Frage, ob Adrian Newey seine Karriere bei Red Bull beenden würde, mit "Ja" beantwortet. Schließlich hatte der Star-Designer seinen Vertrag beim österreichischen Rennstall erst 2023 um mehrere Jahre verlängert, mit seinen 65 Jahren gehört er - bei allem Respekt - auch nicht mehr unbedingt zu der Generation, die sich beruflich noch einmal neu ausleben möchte und auf der Suche nach frischen Herausforderungen ist. In den wenigen Interviews, die Newey gab, ließ er auch selbst ein ums andere Mal durchblicken, dass seine Laufbahn mit hoher Wahrscheinlichkeit in Diensten Red Bulls ein Ende finden werde.

Dann aber brachte die sogenannte "Horner-Affäre" um RB-Teamchef Christian Horner einen Stein ins Rollen, der mit dem Abgang Neweys den vorläufigen Höhepunkt erreicht. Schon vor den von einer Mitarbeiterin geäußerten Anschuldigungen galt das Verhältnis zwischen Newey und Horner als belastet. So soll der Teamchef nach dem Tod von RB-Gründer Dietrich Mateschitz zum Unverständnis Neweys gewisse Machtansprüche innerhalb des Teams gestellt haben. Auch die Wichtigkeit des Chefdesigners sei von Horners Seite im Laufe der Zeit immer weiter heruntergespielt worden, was zu Spannungen geführt habe. Dass Horner sich trotz der Schwere der Vorwürfe aber seit Monaten verbissen an seinen Job klammert, hat das Fass endgültig zum Überlaufen gebracht.

Aus sportlicher Sicht ist der Abgang Neweys in jedem Fall ein brutal harter Schlag für Red Bull. Der nicht von irgendwo her als "Mastermind" bezeichnete Brite war in den vergangenen 20 Jahren so etwas wie der Aerodynamik-Papst der Formel 1. Selbst in den weniger erfolgreichen Jahren bei Red Bull, also etwa während der Mercedes-Dominanz zwischen 2014 und 2020, waren die Österreicher das A und O in Sachen Chassis. Als Chefdesigner trug Newey diesbezüglich die Hauptverantwortung und war mit einer Vielzahl an innovativen Kniffen der Konkurrenz um Ferrari und Mercedes stets einen Schritt voraus.

Aus seiner Feder stammten die Weltmeister-Rennwagen von Nigel Mansell (1992), Alain Prost (1993), Damon Hill (1996), Jacques Villeneuve (1997/alle Williams), Mika Häkkinen (1998 und 1999/McLaren), Sebastian Vettel (2010 bis 2013) und Verstappen (2021 bis 2023/jeweils Red Bull) - und wohl auch der Bolide, der Verstappen in diesem Jahr zum Titel tragen wird.

Adrian Newey verlässt Red Bull: "Nicht ideal, ihn zu verlieren"

Sergio Pérez, Verstappens Teamkollege bei Red Bull, bedauerte den nahenden Abschied seines "guten Freundes" Newey. "Es ist nicht ideal, jemanden wie Adrian zu verlieren", betonte der Mexikaner: "Er ist viel mehr als ein Designer, er kann an Rennwochenenden enormen Einfluss nehmen auf Setup und Strategie. Er ist eine sehr starke Person, sehr schlau, ein harter Arbeiter."

Bitter ist der Abgang aus RB-Sicht auch deshalb, weil er zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt kommt. Schon in anderthalb Jahren steht in der Formel 1 die nächste große Regel-Revolution auf der Agenda - eine Herausforderung, bei der Neweys Expertise und Erfahrung mit Sicherheit von großem Wert gewesen wäre. Selbst wenn der Fokus 2026 hauptsächlich auf Änderungen bei den Antriebseinheiten liegt, so muss um einen Motor doch ein passendes Chassis gebaut werden, welches im besten Fall die Stärken hervorhebt und etwaige Schwächen kaschiert.

Neben des offensichtlich qualitativen Verlustes darf darüber hinaus auch der menschliche Aspekt nicht außer Acht gelassen werden. Im Teamgefüge, speziell in der Aerodynamik-Abteilung, spielte Newey eine entscheidende Rolle - viele Mitarbeiter wurden auf seinen Erlass verpflichtet oder wechselten gar nur wegen ihm zu Red Bull. Nicht wenige Experten gehen davon aus, dass der Abgang des Briten der entscheidende Dominostein gewesen sein könnte, der das Ende der RB-Dominanz einläutet.

"Ich denke, das, was dort vor sich geht, ist etwas destabilisierend", meinte etwa McLaren-Boss Zak Brown am Rande des Miami-GPs und fügte hinzu: "Aufgrund der Lebensläufe, die im Umlauf sind, vermute ich, dass er nicht der Letzte ist." Der US-Amerikaner geht davon aus, dass nach Newey noch zahlreiche weitere Spitzenkräfte gehen und die Österreicher damit schwächen könnten. Sein Team habe in jüngerer Vergangenheit "viel mehr Bewerbungen und Lebensläufe" erhalten, sagte er: "Die Leute möchten für jemanden wie Adrian Newey arbeiten. Ich denke, ihnen wird das fehlen, was er aus rein technischer Sicht mitbringt, und dann werden ihnen auch die Führung und die Begeisterung fehlen, die man durch die Zusammenarbeit mit ihm bekommt."

Adrian Newey, Lewis Hamilton
© imago images

Was bedeutet der Abgang von Adrian Newey bei Red Bull für die Konkurrenz?

Der ein oder andere Konkurrent Red Bulls wurde nach der Abschiedsverkündung Neweys mit Sicherheit hellhörig. Nicht nur verliert der alles dominierende Primus einen seiner wichtigsten Mitarbeiter. Es besteht sogar die Chance, diesen besagten Mitarbeiter abzuwerben und für die eigene Sache zu gewinnen.

Die heißeste Spur führte zuletzt zu Ferrari. Schon in der Vergangenheit hatte Newey angekündigt, dass ihn der "Mythos Scuderia" reizen würde, wenn er "noch 20 Jahre jünger wäre". Im gleichen Atemzug verwies er dann aber stets auf seinen gültigen Red-Bull-Vertrag sowie die Tatsache, dass er beim österreichischen Rennstall ja eigentlich rundum zufrieden sei. Zumindest ein Teil dieser "Ausrede" ist nun Geschichte und die Gerüchte um einen Wechsel zu den Roten sind vielleicht so heiß wie noch nie zuvor.

Erst am Mittwoch berichtete die Gazzetta dello Sport von einem Treffen Neweys mit Ferrari-Teamchef Fred Vasseur in London. Die Hoffnungen der Scuderia, Newey zu gewinnen und damit endlich wieder an alte Erfolge anzuknüpfen, sind riesig. Der Brite selbst soll einem Wechsel ebenfalls nicht abgeneigt sein. Vor allem die Konstellation aus Ferrari und Rekordweltmeister Lewis Hamilton, der im kommenden Jahr Mercedes den Rücken kehrt und zu den Italienern stößt, sei reizvoll für Newey, wie es heißt. Den geschichtsträchtigen, achten Weltmeistertitel von Hamilton im tosenden Jubel den Tifosi zu präsentieren ... in der Formel 1 gab es in der Vergangenheit nicht sonderlich viele attraktivere Herausforderungen.

Als "sehr, sehr aufregend" bezeichnete Hamilton in Miami die Vorstellung, seinen roten Boliden im kommenden Jahr von Newey designt zu bekommen. "Wenn ich eine Liste der Leute erstellen müsste, mit denen ich es lieben würde, zusammenzuarbeiten, dann wäre Adrian Newey absolut an der Spitze", sagte der siebenfache Champion: "Adrian ist bekannt, er hat eine tolle Geschichte, eine tolle Arbeit geleistet - ganz gleich, wo er war. Egal, für welches Team sich Adrian entscheidet, es wird enorm davon profitieren", betonte der Brite: "Er hat ein fantastisches Wissen, es wäre sehr spannend, mit ihm zu arbeiten."

Adrian Newey verlässt Red Bull: Ferrari, Aston Martin und Williams haben ihn auf der Liste

Neben Ferrari strebt dem Vernehmen nach vor allem Aston Martin den Coup an, Newey unter Vertrag zu nehmen. McLaren und Mercedes werden ebenfalls als mögliche Anlaufstellen genannt, haben wohl aber nur Außenseiterchancen. Ähnlich wie bei Ferrari/Hamilton wäre bei Aston Martin Fernando Alonso der große Trumpf in der Hinterhand - ein Fahrer, dem ebenfalls nachgesagt wird, auf Neweys Favoritenliste ganz oben zu stehen. "Ich wollte in meinem Leben schon immer einmal mit ihm arbeiten", erwiderte der Spanier bei einer Presserunde in Miami die Liebesgerüchte. Der Brite sei "eine Legende des Sports", der "immer ein Teil meiner Reise war, weil ich immer gegen seine Autos angetreten bin."

Zudem machte Williams-Boss James Vowles in Miami mit Aussagen zu Newey auf sich aufmerksam. "Ich kenne Adrian schon eine Zeit lang, und ich habe am Freitag mit ihm gesprochen. Ich bin mir sicher, dass wir bald wieder reden werden, schon in Kürze", meinte Vowles und führte weiter aus: "Unsere Gespräche mit ihm waren sehr oberflächlich. Aber dennoch, sind wir in Verhandlungen? Ja. In sehr oberflächlichen Verhandlungen." Beim britischen Traditionsteam stand Newey zwischen 1991 und 1997 schon einmal unter Vertrag. Die attraktivste Option scheint es auf den ersten Blick aber zumindest nicht zu sein.

Adrian Newey, Max Verstappen, Red Bull
© getty

Was bedeutet der Abgang von Adrian Newey bei Red Bull für Max Verstappen?

In Miami war Verstappen sichtlich bemüht, die Aufregung um den Abgang Neweys herunterzuspielen. Zwar gab der Niederländer zu, dass die Situation bei Red Bull von außen "sehr dramatisch" aussehe, kurzfristige, negative Auswirkungen erwarte er sich davon aber nicht. Neweys Rolle habe sich im Laufe der Jahre "ein wenig verändert", erklärte Verstappen. "Ich will damit nicht sagen, dass er nichts getan hat, aber seine Rolle hat sich weiterentwickelt. Es sind viele gute Leute ins Team gekommen, die die ganze Abteilung gestärkt haben."

Deshalb würde der Abgang des RB-Chefdesigners auch an seiner persönlichen Zukunft zunächst nichts ändern. "Im Moment" liege diese bei Red Bull. "Am Ende des Tages geht es für mich nicht um Geld. Solange das Umfeld stimmt und wir das schnellste Auto haben, ist es ganz einfach." Dem 26-Jährigen wäre es zwar "natürlich lieber gewesen", wenn Newey im Team bleiben würde. Doch Teamchef Horner habe "einen großartigen Job gemacht, indem er die nächste Generation von Red Bull vorbereitet hat".

Das klingt aus RB-Sicht zunächst einmal relativ beruhigend, an Verstappens Aussagen sind aber auf den zweiten Blick auch viele Bedingungen gebunden. Zum einen fordert er für einen Red-Bull-Verbleib ein konkurrenzfähiges Auto. Sollten die Österreicher ihm das auch nach Neweys Aus weiterhin bieten können, besteht diesbezüglich schon einmal kein Grund für einen Wechsel zu einem anderen Team.

Adrian Newey verlässt Red Bull: Christian Horner wird einen Widersacher los

Viel entscheidender könnte da die "Wohlfühl-Komponente" werden, die für Verstappen einen zentralen Punkt einnimmt. Mit Newey verlässt im Zuge der "Horner-Affäre" schließlich nun der erste aus dem Verstappen-Clan, zu dem neben Max auch Vater Jos und RB-Motorsport-Berater Dr. Helmut Marko gehören, den Rennstall.

Auch wenn der amtierende Weltmeister in Miami eher diplomatische Töne anstieß, so ist es kein Geheimnis, dass Newey zu einem der engsten Verstappen-Vertrauten im Team gehörte. Im Gegenzug wird Horner einen weiteren "Widersacher" los und könnte versuchen, seinen Machtbereich zu stärken. Hat dies Auswirkungen auf Marko oder gar Verstappen selbst und es kommt zum Bruch, wird es zwangsläufig zu einer Trennung kommen.

Einen Mangel an Alternativen gibt es derzeit zumindest nicht. Mit Mercedes sucht ein potentes Team ab der kommenden Saison einen neuen Piloten, für 2026 könnten dann auch Audi oder Ferrari für Verstappen interessant werden.

Formel 1: Stand in der Fahrerwertung und der Konstrukteurswertung nach 6 von 24 Rennen

Fahrerwertung:

Pos.FahrerPkt.
1.Max Verstappen (Red Bull)136
2.Sergio Pérez (Red Bull)101
3.Charles Leclerc (Ferrari)98
4.Carlos Sainz (Ferrari)85
5.Lando Norris (McLaren)83
6.Oscar Piastri (McLaren)41
7.George Russell (Mercedes)37
8-Fernando Alonso (Aston Martin)33
9.Lewis Hamilton (Mercedes)27
10.Yuki Tsunoda (Racing Bulls)14
11.Lance Stroll (Aston Martin)9
12.Oliver Bearman (Ferrari)6
13.Nico Hülkenberg (Haas)6
14.Daniel Ricciardo (Racing Bulls)5
15.Esteban Ocon (Alpine)1
16.Kevin Magnussen (Haas)1
17.Alexander Albon (Williams)0
18.Guanyu Zhou (Sauber)0
19.Pierre Gasly (Alpine)0
20.Logan Sargeant (Williams)0
21.Valtteri Bottas (Sauber)0

Konstrukteurswertung:

Pos.TeamPkt.
1.Red Bull Racing237
2.Scuderia Ferrari189
3.McLaren124
4.Mercedes-Benz64
5.Aston Martin42
6.Visa Cash App Racing Bulls19
7.Haas7
8.Alpine1
9.Williams0
10.Stake Sauber0