Zwei kurze Sidesteps, der Rückschlag kommt wie erwartet: Er steht genau richtig, die Falle kann zuschnappen - eine blitzschnelle Ausholbewegung und er jagt den Ball mit einer krachenden Vorhand die Linie entlang. "Come on", man hört das leise Pushen, als er die Faust ballt.
Die Zuschauer steigen ein: Rhytmisches, peitschendes Klatschen, die Trommel gibt den Takt. Nun wieder Ruhe, Konzentration auf den Aufschlag.
Was an ein Fünf-Stunden-Australian-Open-Match erinnert, wenn der schweißgebadete Publikumsliebling Lleyton Hewitt seine Schläge mit einer One-man-show feiert, ist Tischtennis im Münchner Umland: in Gräfelfing.
An diesem Freitag-Abend konnte Lokalmatador Kamal Sharath Achanta seinem Gegenüber nur selten solche Schläge entgegensetzen.
Kein Geld für Profisport
Mit 0:3 verlor der Tabellenletzte gegen Werder Bremen, zwei Tage später mit 1:3 gegen Hanau. Sportlich fast bedeutungslos, denn schon vor diesen Partien stand fest, dass der Klub der 13.000-Einwohner-Gemeinde absteigen wird.
Trotz der Begeisterung der Fans: Es fehlt an Sponsorengeldern, der Weg geht sogar gen Bayernliga. Nach vielen Jahren in den höchsten Spielklassen könnten die zukünftigen Gegner aus Thalkirchen kommen und nicht mehr aus Düsseldorf. 30 Zuschauer statt 500.
In dieser Saison durfte man sich nochmal in der 1. Bundesliga beweisen: Sympathien sammeln, sogar den ersten Sieg einfahren und vor allem Erfahrungen anhäufen aus Matches gegen Altmeister Jan-Ove Waldner oder Nationalspieler Christian Süß.
Beim zweiten Aufenthalt der gesamten Vereinsgeschichte in der Deutschen Tischtennis Liga war Achanta die Schlüsselfigur - als einziger Profi beim Hobby-Projekt Bundesliga. Der bescheidene, höfliche Inder ist die Nummer 50 der Weltrangliste und war nicht nur sportlich ein großer Gewinn.
Achanta ins Herz geschlossen
Daniel Demleitner spricht gegenüber SPOX sogar von einem Freund, "den alle ins Herz geschlossen haben". Der 30-Jährige ist eine wichtige Konstante rund um das Schmettern an der Platte: Demleitner ist Trommler, Hallensprecher und Motivator zu gleich: "Ich spiele seit zehn Jahren in dieser Mannschaft und bin immer noch ein Teil davon."
Offensichtlich würde er während der Spiele lieber das blaue Trikot tragen, als im karierten Hemd untätig hinter der Bande zittern zu müssen. Doch für das Gräfelfinger Urgestein hat es nicht zur Berufung ins Bundesliga-Team gereicht.
"Wir haben hier das weitergelebt, was wir schon immer gut gemacht haben: Wir haben zusammen gehalten und sogar professionelle Erstliga-Strukturen aufgebaut", erklärt Demleitner, als sich die letzten Zuschauer von ihm verabschieden.
Beim Abteilungsleiter gewohnt
In der Turnhalle mit dem roten Bodenbelag und klapprigen Holzstühlen an der Hubert-Reißner-Straße kennt sich jeder, der TSV ist wie eine Familie. "Ich verstehe mich mit allen Leuten im Verein gut: mit meinen Teamkameraden, dem Manager, dem Fahrer", lacht Achanta im Gespräch mit SPOX zufrieden.
Der 28-Jährige kam vor der Saison aus der spanischen Liga, überzeugte mit seinem druckvollen Offensivspiel und einer beachtlichen Bilanz von 15:10.
Normalerweise setzt der Verein ausschließlich auf regionale Spieler, der Inder ist eine Ausnahme. Abteilungsleiter Thomas Hösl erklärt gegenüber SPOX: "Bei uns spielen nur Spieler, die ihren Lebensmittelpunkt hier haben."
Achanta kam nach Deutschland und baute sich ein neues Leben auf. Gemeinsam mit seiner Frau wohnte er sogar beim Abteilungsleiter. Am Abend kochte man gemeinsam.
Bundesliga als Hobbysport
Diese Zeiten sind vorbei, der Weltklassespieler wird den Verein verlassen und zu Werder Bremen wechseln. Verständlicherweise. "In Bremen kann er wahrscheinlich das Fünffache verdienen", so Hösl. In seiner Mannschaft war er der einzige Profi.
Mit einem Etat von weit unter 100.000 Euro habe man nur ein Drittel dessen zur Verfügung, was die Konkurrenz ausgeben kann. Außerdem arbeiten Gerichtsgutachter Hösl und seine Vereinskollegen nur in ihrer Freizeit an sportlichen Belangen, die anderen Klubs beschäftigen mindestens einen hauptamtlichen Manager.
Achantas Mitspieler betreiben den Sport nur in ihrer Freizeit, zwei- bis dreimal in der Woche können sie trainieren: Ansonsten promoviert Nico Christ an der Uni Karlsruhe, Stefan Frasch arbeitet für einen Automobilkonzern und Gabriel Stephan bei einem Sportartikelhersteller.
Stephan war es, der Achanta ins Münchner Umland lockte, als er beruflich bei der WM in Moskau zu tun hatte. Zu SPOX sagte er: "Ich habe mich mit ihm zu Verhandlungen getroffen und wusste sofort, der passt zu hundert Prozent sensationell bei uns rein mit seiner offenen und sympathischen Art."
Spätestens zum Oktoberfest
Auch wenn sich die sportlichen Wege von Achanta und Gräfelfing nun trennen, wird man versuchen, im Kontakt zu bleiben. Spätestens zum Oktoberfest will er wieder da sein, das hat ihn schwer beeindruckt im letzten Jahr: "Ich habe noch niemals in meinem Leben so große Biergläser gesehen."
Eine Maß schafft er, mehr wäre ihm zu viel und auch sicherlich nicht förderlich für seine sportliche Karriere. Schließlich will er nächste Saison mit Bremen die Playoffs errreichen. Im Würmtal vollzieht man nun einen Neuanfang in der Bayernliga. "Wenn ein Sponsor Geld gibt, sehe ich keine Probleme, in drei, vier Jahren zumindest wieder 2. Bundesliga zu spielen", gibt sich Hösl optmistisch. Die Strukturen seien ja vorhanden, nur am Geld mangele es eben.
Die Spieler der ersten Mannschaft werden diesen Weg nicht mitgehen. Dafür wird Daniel Demleitner wieder für die erste Mannschaft an der Platte stehen: "Wir wollen uns mit jungen Spielern in der Bayernliga etablieren. Das wird kein Thema."
Doch danach müsse man sehen, ob genug guter Nachwuchs kommt, um auch wieder in der 2. Liga zu spielen. Der TSV wird auf einigen Positionen noch Ersatz benötigen: einen Trommler, einen Hallensprecher und einen Motivator. Am besten in einer Person.