Mit Blut, Schweiß und Schwethelm

Haruka Gruber
10. September 201112:57
Der Dank an den Matchwinner: Sven Schultze herzt Philipp SchwethelmGetty
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Der Beginn gegen die Türkei war grausig, doch eine rhetorische Meisterleistung von Bundestrainer Dirk Bauermann in der Kabine sorgte für die Wende und einen 73:67-Erfolg. Dirk Nowitzki fand Entlastung und die richtige Mischung aus Scoren und Passen. Jetzt kommt es zum Endspiel um den Viertelfinal-Einzug gegen Gastgeber Litauen (So., 19.45 Uhr im LIVE-TICKER).

Arbeitszeugnisse sind stets in einer Geheimsprache verfasst, deren Code jedoch den meisten geläufig sein müsste. "Solide" etwa heißt nichts anderes, als dass derjenige seine Aufgaben nicht besonders gut, sondern nur befriedigend erfüllt hat.

Für Dirk Nowitzki hingegen hat der Begriff eine gänzlich andere Bedeutung. Er hätte auch tadellos, grundanständig oder vorbildlich sagen können, als er nach einem denkwürdigen Abend und dem 73:67-Erfolg über die Türkei um eine Einschätzung seines Stellvertreters Jan Jagla gefragt wurde.

"Jan hat solide Minuten von der Bank gebracht, das war ganz wichtig für den Sieg", lobte Nowitzki.

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Jagla noch nicht er selbst - aber mit Einsatz

Jagla selbst wollte sich nicht allzu lange mit sich, seiner Leistung und seiner von den zahlreichen Rangeleien mit den Türken ramponierten und blutenden Nase beschäftigen. "Ich habe keine Ahnung, von wem ich was abbekommen habe. Ich habe nur das versucht, der Mannschaft zu geben, was sie gebraucht hat", sagte Jagla und schritt von dannen.

Es ist noch nicht der Jan Jagla, der bei der WM 2010 und der EM 2009 als Anführer vorweg ging. Statt mit Courage den offenen Wurf zu nehmen, gab er den Ball lieber brav weiter. Und wenn er sich in der Verteidigung einem türkischen Big Man nährte, war ihm anzumerken, dass ihm das rechte Maß zwischen Vorsicht und Härte abgeht.

Nach 10 Spielminuten sowie je 2 Punkten und Rebounds wurde er mit dem 5. Foul des Platzes verwiesen.

"Schwethelm traumwandlerisch sicher"

Jaglas Vorstellung war nicht außergewöhnlich, aber sie stand für die Beherztheit des gesamten Teams. Er biss sich durch, genau wie ein Philipp Schwethelm, dessen Zutrauen in die eigenen Fähigkeiten bei der EM von Spiel zu Spiel schwand. In der ersten Halbzeit wurden lediglich 2 Fehlwürfe und 2 Fouls für ihn notiert.

Doch statt zu verzagen, nahm er nach der Pause die sich ergebenden Würfe - und verwandelte sie plötzlich "traumwandlerisch sicher" (Heiko Schaffartzik).

"Ich hatte zuletzt an Selbstvertrauen verloren", sagte der zukünftige Bayern-Profi. "Aber ich weiß, dass bei uns mindestens ein Spieler hervortreten und Würfe treffen muss, damit die Gegenspieler nicht absinken und unsere beiden Großen doppeln können."

Die beiden Großen heißen Dirk Nowitzki und Chris Kaman, Letzterer bedankte sich mit den Worten: "Philipp machte den Unterschied aus. Er ist ein Teufelskerl." Schwethelm nahm in den letzten 5:30 Minuten vier Würfe, davon drei aus der Distanz - und verwandelte sie allesamt für 11 seiner insgesamt 14 Punkte.

Richtige Trainer-Ansprache

Für den 22-Jährigen wie auch für die restliche Mannschaft bedeutete die Halbzeit-Pause eine Art Zäsur. Bundestrainer Dirk Bauermann verriet später eine gewisse Ratlosigkeit ob der miserablen ersten Halbzeit mit lediglich 23 erzielten Zählern ("Das ist eigentlich unerklärlich"), dennoch fand er die richtigen rhetorischen Mittel.

Schaffartzik: "Der Coach hat es nicht nur gesagt, sondern seine Botschaft mit seiner Körpersprache, seiner Stimmlage, seinen Gesten unterstrichen: 'Ruhig, ruhig, bleibt einfach ruhig.' Das hat er sehr gut gemacht, so hat er die Spieler an der Leine gehalten und verhindert, dass das große Nervenflattern einsetzt."

Selbst als Nowitzki Ende des dritten Viertels mit seinem 4. Foul geschont wurde und auf die Bank musste, zeigte die deutsche Mannschaft jene Widerstandsfähigkeit und Abgeklärtheit, die ihr gegen Spanien oder in der Vorrunde gegen Serbien und Frankreich abgingen.

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"Niemand kann den weltbesten Spieler stoppen"

Besonders Kaman schritt ein und erwies sich als die vor der EM erhoffte Entlastung. Sein erstes Viertel ließ Schlimmes erahnen (1/6 Würfe, 2 Turnover), mit zunehmender Spieldauer aber fand er seinen Rhythmus, bestehend aus einem Wechsel an Würfen aus der Mitteldistanz und kraftvollen Aktionen am Brett. "Nach dem furchtbaren Anfang kämpfte ich mich hinein", sagte Kaman im Anschluss an seine 20 Punkte (9/16), 7 Rebounds und 3 Blocks.

Seinem Frontcourt-Partner Nowitzki erging es ähnlich. Im ersten Viertel wurde er kaum einbezogen (nur 2 Würfe), Anfang des zweiten Viertels versuchte er nach drei Fehlversuchen den Ball weiterzupassen in der vergeblichen Hoffnung, die Mitspieler einzubeziehen.

Erst in der zweiten Halbzeit fand er seine Mitte: Der patentierte Wurf kam hochprozentig, mitentscheidend waren aber genauso seine Assists für zwei Schwethelm-Dreier sowie die vier verwandelten Freiwürfe in den abschließenden 19 Sekunden. Schwethelm: "Wenn wir anderen es schaffen, mit unseren Würfen ein Doppeln gegen Dirk zu verhindern, kann kein Gegner den weltbesten Spieler stoppen."

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Deutschland muss gegen Litauen gewinnen

Angesichts des engagierten, jedoch punktlosen Auftritts von Robin Benzing und Johannes Herber fand das DBB-Team in Schaffartzik eine weitere Konstante. Der erstaunlich beständige Guard kam diesmal statt Herber von der Bank und brachte seine größte Qualität ein: das Scoring. Seine 10 Punkte bei guter Quote (4/7) zeugen genauso von seiner Klasse wie seine 5 Rebounds und 5 Assists.

Dass trotz all der positiven Anzeichen eine deutliche Steigerung vonnöten ist, um im abschließenden Zwischenrunden-Spiel gegen EM-Gastgeber Litauen und seinen 11.000 Fans zu bestehen, bestand Konsens bei allen. Alleine dass die Türken über die Hälfte der Freiwürfe (10/22) vergaben, zeigte nur zu gut, dass auch das Glück und nicht nur das deutsche Können verantwortlich war für den Sieg.

"Gegen Litauen erwartet uns die Hölle", sagte Bauermann, im Wissen darüber, dass Deutschland gewinnen muss, um eine Chance auf das Viertelfinale zu wahren.

Sollte die Türkei zuvor die Serben bezwingen, würde dem DBB-Team ein Sieg reichen, egal wie hoch. Im Falle eines serbischen Erfolgs wäre Deutschland zu einem Sieg mit 11 Punkten verdammt. "Egal, welche Konstellation eintrifft", sagte Schwethelm, "wir glauben an uns".

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