"Als ob Messi zu Real Madrid wechselt"

Haruka Gruber
23. Juni 201315:57
Bambergs Wolfgang Heyder (l.) und Bayern-Boss Uli Hoeneß (r.) waren nicht immer einer Meinungimago
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Der Kampf um Stars und die Vorherrschaft: Bambergs Wolfgang Heyder bietet Bayern die Stirn und bildet nebenbei NBA-Spieler aus. Nötig dafür: ein unglaubliches Arbeitspensum. Das Interview mit Deutschlands erfolgreichstem Basketball-Manager über Alltagsstress, den Wettstreit um Anton Gavel und das verlockende Angebot aus München.

SPOX: Vor einer Woche gewann Bamberg den vierten Meistertitel in Folge. Was überwiegt: Das Gefühl der Zufriedenheit oder der Müdigkeit?

Wolfgang Heyder: Nach den Feierlichkeiten am Sonntag saß ich am Montag um 7 Uhr früh wieder am Schreibtisch. Daher kann ich nicht sagen, dass ich ausgeruht bin. Es war eine emotionale, vermutlich die emotionalste Meisterschaft. Von den Außenstehenden hatte kaum einer damit gerechnet, umso glücklicher macht es uns. Doch nach der Saison ist vor der Saison und wir mussten ab Montag wieder konkret planen, Spieler verabschieden, Sponsorentermine wahrnehmen und mit Trainer Chris Fleming alle Personalien durchsprechen, bevor er in den Heimaturlaub in die USA fliegt. Zeit, um das Erreichte zu genießen, bleibt nicht wirklich.

SPOX: Sie zeigten sich genervt von den kritischen Stimmen, die Bamberg das Jahr über begleiteten. Waren diese nicht verständlich nach den vielen Niederlagen in den Euroleague-Top-16, dem Aus im Pokal-Viertelfinale und den ungewohnten Querelen im Team?

Heyder: Es war wie jede Saison ein Kraftakt, das nötige Budget zusammenzuführen und den Weggang von gleich fünf Topspielern zu verkraften. Wir mussten im letzten Sommer kämpfen, überhaupt das nötige Personal zusammenzubekommen. Dennoch ist es so, dass wir Entscheidungen getroffen haben, die nicht funktionierten.

SPOX: Wie im Fall von Jeremiah Massey und Teddy Gipson, deren Verträge vorzeitig aufgelöst wurden.

Heyder: Was allerdings nicht heißen soll, dass die beiden schlechte Spieler wären. Wir unternahmen alles, um sie zu integrieren, nur zu dem Zeitpunkt hatte es einfach nicht gepasst. Solche Entscheidungen tun immer weh, im Nachhinein erwiesen sie sich trotzdem als richtig. Anfang April spürte ich deutlich, dass etwas Positives entsteht. Wir verfügten zwar nach wie vor nicht über die individuelle Qualität des Vorjahres, aber wir traten wieder als Team auf. Als Anton Gavel in der Bayern-Serie ausfiel, stand die Mannschaft als Gruppe zusammen. Das war der Schlüssel für die Meisterschaft.

SPOX: Nun steht der nächste Umbruch an: A.J. Ogilvy und Alex Renfroe verlassen Bamberg definitiv, es werden viele weitere folgen. Als Neuzugang steht bislang nur Shooting Guard Jamar Smith fest. Wie attraktiv ist Bamberg, nachdem im letzten Jahr mit Boki Nachbar eine der spektakulärsten Verpflichtungen der BBL-Historie gelungen war?

Heyder: Früher noch undenkbar, ist es heute möglich, europäische Qualitätsspieler zu verpflichten. Wir besitzen in Europa einen guten Namen. Wegen Freak City, wegen der sechsten Teilnahme an der Euroleague, wegen Chris Fleming. Der Coach hat bewiesen, dass er Spieler weiterentwickelt. P.J. Tucker und Brian Roberts setzten sich sogar in der NBA durch, Marcus Slaughter und Tibor Pleiß bekamen bei spanischen Topklubs viele Minuten. Das wird in Europa wahrgenommen.

SPOX: Tucker war eine der Feelgood-Storys der NBA-Saison. In Bamberg auf den großen Positionen eingesetzt, wurde er in Phoenix zum wichtigen Rotationsspieler - und das teilweise als Shooting Guard. Ein Beleg, wie gut das Programm in Bamberg ist?

Heyder: Vorweg: Es ist ein Beleg für die großartige Einstellung von P.J. Ich habe noch nie einen Spieler kennengelernt, der sich im Basketball so gut auskennt und fokussiert ist. Er weiß jeden Namen, jede Stärke, jede Schwäche. Er ist ein Basketball-Freak, unheimlich gut vernetzt in der Szene und vollkommen informiert. Daher traute ich ihm die NBA absolut zu. Geholfen hatte sicherlich, dass er von Chris Fleming trainiert wurde, der es so gut wie kein anderer versteht, die Spieler zu verbessern.

SPOX: Die von Ihnen angesprochene Fokussierung fehlte Maik Zirbes. Sie kritisierten ihn während der Saison sehr deutlich: "Ich sehe einen gefährlichen Hang zur Selbstgefälligkeit." Waren Sie überrascht, wie oft Ihre Aussage zitiert wurde und welche Wellen es auslöste?

Heyder: Grundsätzlich: Ich finde es für den Basketball nicht schädlich, wenn Themen boulevardesk aufgemacht werden. Es ist wichtig, dass über die Sportart diskutiert wird - auch wegen solcher Aussagen. Daher habe ich mir nichts vorzuwerfen. Ohnehin ging es mir vor allem darum, die Einstellung deutscher Spieler generell anzusprechen. Ich wünsche mir mehr Biss, mehr Fokussierung, mehr den Basketball im Mittelpunkt. Speziell mit Maik führte ich danach zwei, drei Gespräche, die sich lohnten. Im zweiten Halbjahr gab er Gas, wurde zum Leistungsträger, verbesserte sich erheblich in der Verteidigung und eignete sich vor allem eine sehr viel positivere Ausstrahlung an. Daher werde ich es mir erlauben, weiter den Finger in die Wunde zu legen. Genau das gleiche machte ich danach in der Bayern-Serie bei Karsten Tadda.

SPOX: Mangelnder Einsatz ist Philipp Neumann nicht vorzuwerfen. Im Gegenteil: Bei ihm, so heißt es, sei der Ehrgeiz so extrem, dass er fast schon schadet. Wie tickt der 21-Jährige?

Heyder: Ich kenne ihn, seit er 14 ist. Er war immer schon so bissig, formulierte für sich große Ziele und wollte immer nach vorne kommen. Manchmal reagierte er deswegen zu stur, manchmal schaute er nicht nach links und rechts. Doch in dem Punkt hat er sich verbessert - ohne die entscheidende Eigenschaft zu verlieren: Er möchte Karriere machen und dafür arbeitet er hart. In dieser Saison zeigte es sich, dass das ein erfolgreicher Ansatz sein kann.

SPOX: Neumann ähnelt Oliver Kahn nicht nur optisch?

Heyder: Der Ehrgeiz kommt nicht von ungefähr. (lacht)

SPOX: Wussten Sie, dass sich Neumann auf die vorläufige NBA-Draft-Liste setzen lässt?

SPOX-Chefreporter Haruka Gruber im Gespräch mit Bamberg-Manager Wolfgang Heyderspox

Heyder: Sein Agent teilte uns das mit. Wenn er in die Liste eingeschrieben wurde, um sich einen Namen zu machen, kann ich damit leben, solange er fokussiert bleibt. Zumal er sich von der Liste streichen ließ, was auf jeden Fall vernünftig war. Er sollte erst einmal in Deutschland bleiben.

SPOX: Neumann ist für die kommende Saison eingeplant. Was passiert mit Finals MVP Gavel? Wie störend ist es, dass die Bayern nicht lockerlassen?

Heyder: Ich bin viel ruhiger, als viele glauben. Anton besitzt einen gültigen Vertrag und wir sehen keinen Anlass, ihn freizugeben. Es wäre, als ob Lionel Messi einfach so von Barcelona zu Real Madrid wechselt. Anton ist für uns ein genauso wichtiger Faktor. Wir machen alles, damit er sich wohl fühlt und er in einer Mannschaft spielt, die wieder Meister werden und in der Euroleague erfolgreicher sein kann.

SPOX: Was auffällt: Ihre Rhetorik gegenüber den FC Bayern nimmt an Schärfe zu. Unter anderem machten Sie öffentlich, dass der Wechsel von Ulms John Bryant nach München angeblich perfekt ist.

Heyder: Es sollte so viel über Basketball geredet und geschrieben werden wie möglich. Und fraglos werten die Bayern unsere Sportart auf. Dies bedeutet nicht gleichzeitig, dass die anderen sich verstecken müssten. Ich werde weiter ehrlich sein und meine Meinung vertreten.

SPOX: Wie nach Dirk Bauermanns Entlassung bei den Bayern, weswegen Sie Uli Hoeneß schlechten Stil vorwarfen.

Heyder: Um das klarzustellen: Die Bayern sind die Sportmarke Nummer eins in Europa und legen die Benchmark fest. Ein Großteil dessen gebührt Uli Hoeneß. Das respektiere ich zutiefst und in vielen Punkten agiert der Verein absolut vorbildhaft. Trotzdem darf ich eine andere Position einnehmen, und das war bei Dirk Bauermann der Fall. Ich sprach mit Uli Hoeneß darüber und das Thema ist jetzt vorbei. Dennoch dürfen sich die Bayern nicht alles herausnehmen.

Hier geht's weiter: "Ich hatte Angst und kein Vertrauen in mich"

SPOX: Zumindest profitiert die gesamte BBL vom Bayern-Einstieg. Wie sehen Sie die Lage? Ist das Ziel, bis 2020 die beste europäische Liga zu stellen, realistisch?

Heyder: Das Zwischenfazit ist positiv: An vielen Standorten funktioniert Basketball sehr gut und es kommen immer mehr Standorte hinzu. Das Thema Basketball läuft und die Bayern sind eine Lokomotive. Aber auch außerhalb Münchens entstanden schöne Arenen, die mithalfen, die besten Zuschauerzahlen aller Zeiten zu erreichen. Damit sind wir ein großes Stück weiter. Das nächste wichtige Ziel muss lauten, die TV-Kommunikation auf allen Ebenen erheblich nach oben zu treiben.

SPOX: Eine Möglichkeit, Bamberg neu zu positionieren, liegt darin, dass die Baskets als Klub für die gesamte Metropolregion Nürnberg aufgebaut wird. Inklusive eines Umzugs. Ist das denkbar?

Heyder: Gute, schwierige Frage. Es schlagen zwei Herzen in meiner Brust. Da ist auf der einen Seite Freak City mit den Fans, der unglaublichen Community und einer in Europa einmaligen Identität. Auf der anderen Seite sehe ich die Begrenztheit. Daher wäre Nürnberg vor allem für die Euroleague ein Thema. Diese Saison bleiben wir komplett in Bamberg. In naher Zukunft wird es von der Euroleague strengere Standards geben und uns bleibt womöglich nichts anderes übrig als umzuziehen. Wenn es soweit ist, werde ich mit all meiner Energie und Kraft versuchen, die Leute in Bamberg auf die Reise mitzunehmen.

SPOX: Sie sprechen von Energie und Kraft. Wie viele Arbeitsstunden reißen Sie pro Woche ab?

Heyder: Häufig über 100. Im Prinzip habe ich keine Wochenenden und freien Tage.

SPOX: Wie verkraftet man ein solches Pensum?

Heyder: Nur wenn man Glück hat und der Job der Traumberuf ist. Hohe Belastung macht mir nichts aus.

SPOX: Wie sieht ein Arbeitstag aus?

Heyder: In der Regel bin ich um 4.30 Uhr im Büro. Die ersten Termine lege ich mir ab 7.30 Uhr. Die Zeit davor ist mir sehr wichtig, weil nur da Ruhe herrscht und ich alles vorbereiten und Mails beantworten kann. Das verschafft mir Luft für den Tag, so dass ich den Themen nicht hinterherlaufe. Das ist mir viel lieber, als zwei Stunden länger zu schlafen.

SPOX: Wie sehr Sie vor Energie strotzen, war in der Playoff-Serie gegen die Bayern ersichtlich. Sie wurden von den TV-Kameras gefilmt, wie Sie wild mit den Armen fuchtelnd, fast wie in Trance die Spiele verfolgten. Was war los?

Heyder: Mittlerweile habe ich mich gut im Griff, in dem Fall konnte ich dennoch nicht anders, als den Flow nach außen zu geben. Die Bewegung kam daher, weil ich im Kopf Karsten Taddas Verteidigung gegen Tyrese Rice mitgespielt habe. Ich sprach mit Karsten vorher darüber, dass er in der Defense die Arme oben haben soll. Dass ich das selbst mitmachte, bekam ich gar nicht mit. Ich bin ausnahmsweise wieder in die alte Trainerrolle zurückgefallen. Chris Fleming sagte nur süffisant: "Kann es sein, dass du ein bisschen angespannt warst?"

SPOX: Sie waren selbst lange Jahre Coach in der 2. Liga und im Elite-Nachwuchsbereich. 2002 gewannen Sie den Preis als Deutschlands Jugendtrainer des Jahres. Verspürten Sie nie das Verlangen, selbst Bamberg zu trainieren? Oder Fleming Ratschläge zu geben?

Heyder: Nein, niemals. Chris Fleming und ich diskutieren natürlich über Tagesaktuelles. Ich habe allerdings das große Glück, dass ich nie den inneren Antrieb verspürt habe, mich einzumischen.

SPOX: Dennoch bleibt die Kritik an der Klubstruktur von Bamberg, wonach der Klub von Ihnen abhängig sei und sich die gesamte Macht bei Ihnen bündelt.

Heyder: Das Wort Macht ist falsch, ich bin ein absoluter Teamplayer. Im sportlichen Bereich werde ich niemals einen Spieler verpflichten, den Chris Fleming nicht möchte. Niemals! Dazu gibt es mit dem Aufsichtsrat oder dem intensiv begleitenden Hauptsponsor Brose Instanzen, die natürlich über Einfluss verfügen. Ich will keine Macht. Ich will Ideen und Konzepte einbringen und mit harter Arbeit das jetzige Niveau halten.

SPOX: Es stimmt, dass Sie das Angebot der Bayern im Winter 2010 ablehnten, weil Sie befürchteten, eben nicht diese Ideen und Konzepte verwirklichen zu können?

Heyder: Ein Grund war, dass sich dank Brose neue Perspektiven in Bamberg ergaben. Ein anderer Grund war, dass die Bayern mir die Kompetenzen nicht so klar darstellen konnten, wie ich es mir erwünscht hätte.

SPOX: Sie sind der Inbegriff der Geradlinigkeit. Entsprechend überraschend liest sich Ihre Vita, die von einer gewissen Orientierungslosigkeit zeugt. Sie studierten Theologie, dann Lehramt mit Geografie und Deutsch, betrieben eine Konzertagentur, bevor Sie hauptberuflich im Basketball landeten. Gab es früher den selbstzweifelnden Heyder?

Heyder: Nach dem Abitur habe ich mir in der Selbstfindungsphase eingebildet, dass ich Theologie studieren müsste. Die zwei Jahre schadeten mir dennoch nicht. Genauso wenig das Lehramtstudium und die Konzertagentur. In der Agentur lernte ich zu organisieren und zu wirtschaften. Parallel arbeitete ich mit großem Enthusiasmus im Basketball, nur ich konnte davon nicht leben, weil es damals keine vollbeschäftigten Jugendtrainer gab. Irgendwann bekam ich zwar Angebote aus der Bundesliga und von zwei Verbänden, ich lehnte jeweils ab.

SPOX: Warum wagten Sie nicht den Sprung zum Bundesliga-Trainer?

Heyder: Ich hatte ein bisschen Angst und kein Vertrauen in meine Fähigkeiten als Trainer.

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SPOX: Waren Sie kein guter Trainer?

Heyder: Sagen wir es so: Ich benötigte eine Zeit, mich als Trainer zu entwickeln - doch die Entwicklung kam zu spät. Ich brachte mir Spielzüge und Trainingsmethodiken weitestgehend selbst bei. Die Schwächen lagen vielmehr in der Menschenführung. Ich war zu streng. Als ich ein besseres Gleichgewicht fand, war ich schon zu alt, als ob ich noch mal hätte losmarschieren können in die Bundesliga.

SPOX: Es bleibt zumindest die Erinnerung daran, Dirk Nowitzki trainiert zu haben.

Heyder: Ich hatte als bayrischer Landestrainer den 78er Jahrgang mit Dirk und Sven Schultze, als sie 14 und 15 waren. Je 40 Lehrgangstage, bevor es zu den deutschen Meisterschaften ging, erst nach Heidelberg, dann nach Duisburg. Wir hatten eine riesen Truppe: Marcus Kirster, ein super Talent, der die Karriere leider nicht durchzog, dazu Roman Gese, Dirk und Sven. Damals war es extrem ungewöhnlich, dass große Spieler werfen konnten. Daher ließen wir immer Dirk oder Sven draußen stehen und den anderen postierten wir unter dem Korb. Wir gewannen beide Titel.

SPOX: Bei all der Basketball-Vergangenheit bleibt eine Seite fast verborgen. Ihre zweite Leidenschaft, das Kabarett. Stimmt es, dass Sie davon träumen, eine eigene Kabarett-Kneipe zu eröffnen?

Heyder: Das wird ein Thema. Ich fing schon im Studium damit an, Kabarettisten über meine Konzertagentur zu betreuen. So lernte ich viele aus der Szene kennen, Dieter Hildebrand, Werner Schneyder, Gerhard Polt, ebenso die Jüngeren wie Willy Astor, Django Asül und Dr. Eckhart von Hirschhausen. Es würde mich reizen, einen eigenen Laden zu besitzen und dem Kabarett eine weitere Heimat zu geben. Aber wenn ich das angehe, dann nur nach dem Motto "Ganz oder gar nicht". So, wie jetzt mit dem Basketball.

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