SPOX: Herr Anderson, in unserem letzten Interview nach dem Gewinn der Darts-WM 2016 haben Sie gesagt, dass die öffentliche Wahrnehmung zugenommen hat. Wie hat sich das in den letzten 15 Monaten entwickelt? Können Sie noch Essen gehen, ohne angesprochen zu werden?
Gary Anderson: Um ehrlich zu sein, ist es nicht so schlimm. Es fühlt sich nicht so an als ob ich ein Rockstar wäre oder sogar Phil Taylor. Aber die Aufmerksamkeit steigt immer noch weiter. Es macht mir aber nichts aus, weil die meisten Leute sehr freundlich sind. Vor einigen Wochen war ich in Dubai mit Freunden essen und ein paar Leute sind zu mir gekommen und haben gefragt: "Du isst jetzt gerade nicht, könnten wir also bitte ein Foto machen?" Das ist völlig in Ordnung. So lange sie mich nicht stören, wenn ich gerade mit meiner Familie unterwegs bin oder ich noch am Essen bin, bin ich glücklich.
SPOX: Die PDC ist nicht nur in Dubai angekommen, grundsätzlich nimmt die Globalisierung von Darts immer weiter zu und es gibt immer mehr Events. Glauben Sie, dass das der richtige Weg ist oder könnte das auch in einer Übersättigung enden?
Anderson: Ich glaube nicht, dass es eine Übersättigung geben kann. Schauen wir uns doch nur Fußball an, da wird beinahe jede Woche gespielt und das fast das ganze Jahr über. Wenn die Fans das mitmachen, muss es ja in Ordnung sein.
SPOX: Sie sind als aktiver Spieler seit fast zwei Jahrzehnten Teil der Entwicklung von Darts. Hätten Sie erwartet, dass Darts irgendwann so eine große Nummer wird?
Anderson: Ich bin der festen Überzeugung, dass Darts nicht so groß geworden wäre, wenn Barry Hearn und sein Team nicht so einen fantastischen Job machen würden. Nur deshalb wurde daraus eine globale Erfolgsgeschichte. Ich erinnere mich noch daran, wie ich meine Darts in der Nähe vom Lakeside Country Club (Spielort der BDO-WM, Anm. d. Red.) geworfen habe, weil ich sauer darüber war, dass ich in der ersten Runde ausgeschieden bin. Wie sich die Zeiten geändert haben!
SPOX: Die Entwicklung ist wirklich beeindruckend und andere Spieler wie Michael van Gerwen oder auch Max Hopp haben sich darfür ausgesprochen, Darts olympisch zu machen. Wie stehen Sie dazu?
Anderson: Wenn Sport- und Bogenschießen Teil der Olympischen Spiele sind, gibt es keinen Grund, warum Darts das nicht sein könnte. Ob das jemals passieren wird, steht auf einem anderen Papier.
SPOX: Mittlerweile gibt es zahlreiche Fußballfans wie Toni Kroos, die große Darts-Fans sind. Kann man diese beiden Sportarten irgendwie miteinander vergleichen?
Anderson: Bei den beiden Sportarten ansich gibt es nicht viele Gemeinsamkeiten. Aber man muss sich bei jeder Sportart dafür einsetzen und den Fokus darauf legen, um erfolgreich zu sein.
SPOX: Sie haben es geschafft und sind mittlerweile sogar zweifacher Weltmeister. Auf Ihrem Weg in die Spitze hatten Sie aber mit ein paar körperlichen Schwierigkeiten zu kämpfen. Haben Sie irgendwann daran gezweifelt, dass Sie den Durchbruch schaffen?
Anderson: Nein, ich habe nie daran gezweifelt, dass ich es in die Spitze schaffe. Ich wusste, dass ich die Fähigkeiten mitbringe, aber auf dem Weg nach oben gibt es immer Hochs und Tiefs. Bei mir war es im Grunde ganz einfach: Ich musste nur mental etwas stärker werden und an meiner Konstanz arbeiten.
SPOX: Wie arbeitet man daran? Sie haben in Interviews immer wieder betont, dass Sie nicht besonders gerne und viel trainieren.
Anderson: Ich trainiere wirklich nicht zu viel. Das hängt grundsätzlich einfach vom Spieler ab. Phil Taylor war ein absoluter Freak und konnte jeden Tag und auch jede Nacht trainieren. Dafür ist er einfach der Typ. Aber ich muss auch mal vom Board wegbleiben. Wenn ich dann wieder zurückkehre, genieße ich es mehr. Und ich muss Darts genießen, damit ich gewinne. Im Herzen bin ich einfach nur ein Pub-Spieler.
SPOX: Der Spaß spielt für Sie eine große Rolle. In einem Interview sagten Sie, dass es gute und schlechte Tage im Leben eines Darts-Spielers gibt. Welcher Teil gehört zu den schlechten Tagen?
Anderson: Manchmal belastet mich das ständige Reisen, weil man viel von daheim und der Familie weg ist. Den Rest liebe ich wirklich. Ich empfinde es als Privileg, dass ich diesen Job ausüben darf.
SPOX: Viele Spieler haben zwar vereinzelt Highlights, stürzen dann aber wieder in der Rangliste ab. Wie haben Sie es geschafft, so lange an der Spitze zu bleiben?
Anderson: Ich versuche einfach immer, Darts zu genießen. So lange ich Spaß habe, passt alles und ich gewinne meine Matches.
SPOX: Setzen Sie sich selbst immer wieder neue Ziele oder hemmt Sie das mehr?
Anderson: Ich mag es nicht besonders, wenn ich mir Ziele setze. Ich werde einfach so lange Darts spielen, bis es mir keinen Spaß mehr macht. Mir gefällt der Gedanke, an verschiedenen Stränden zu liegen. Ich werde zu alt dafür, um zu allen PDC-Events zu reisen.
SPOX: Nachdem Sie die WM 2015 und 2016 gewinnen konnten, hatten Sie 2017 gegen van Gerwen das Nachsehen. Kann das jetzt auch eine Art Vorteil sein, weil Sie nicht mehr der Gejagte sind?
Anderson: Ich weiß nicht, ob die Rolle als Gejagter belastend ist. Vielmehr geht es um die zahlreichen Anfragen von Medien und PR. Als Weltmeister hat man mehr Verpflichtungen, was wirklich eine Ablenkung sein kann. Vielleicht bin ich einen Ticken hungriger, weil ich will, dass Michael mit seinen Füßen auf dem Boden bleibt und er merkt, dass es kein Selbstläufer wird.
SPOX: Sie sprechen Michael van Gerwen an. Was ist seine größte Stärke? Und worin sind Sie besser?
Anderson: Michael ist einfach ein sensationeller All-Rounder. An einem guten Tag kann er dich mit seinem Scoring und Checkout verprügeln, gleichzeitig ist er auch mental stark. Ich glaube aber, dass - wenn wir beide unser A-Game auspacken, ich ein bisschen besser sein kann. Und das weiß er.
SPOX: Bei jedem Turnier zählt neben Michael van Gerwen und Ihnen auch Peter Wright zum engen Favoritenkreis. Glauben Sie, dass er sein Ziel erreichen wird und eines Tages die Nummer eins der Welt sein kann?
Anderson: Er muss noch einiges leisten, um Michael zu überholen. Aber das weiß man nie, er spielt sehr gut und gewinnt immer mehr Titel. Ich glaube, dass er irgendwann die WM gewinnen muss, um an Michael vorbeizuziehen und wenn ihm das gelingt, hat er es verdient, die Nummer eins zu sein.
SPOX: Jahrzehntelang war Phil Taylor die unangefochtene Nummer eins. Nun neigt sich seine Karriere dem Ende entgegen - wie bewerten Sie seine Entscheidung, nach der WM aufzuhören?
Anderson: Phil kann tun, was immer er will. Er hat alles für Darts gemacht, er hat den Sport für uns alle geformt und wir stehen alle in seiner Schuld. Niemand wird jemals erreichen, was dieser Kerl erreicht hat. Der Beste aller Zeiten. Wenn er das Verlangen danach hätte, würde er auch mit 80 noch Darts-Matches gewinnen.