Am 3. April wird Tommy Haas 35 Jahre alt. Aber er steht aktuell wieder in den Top 20 der Welt. Wie er nach seinen zahlreichen Verletzungen immer wieder zurückgekommen ist. Wie er dank eines berühmten Selbstgesprächs zur YouTube-Sensation wurde. Wie man einen Schläger gekonnt zerstört. Oder wie ihn ein NBA-Star einmal nass machte. Tommy Haas erzählt im SPOX-Interview aus seiner Karriere.
SPOX: Wenn wir über Ihre Karriere sprechen, darf ein Moment nicht fehlen. Das größte YouTube-Highlight von Ihnen ist Ihr Selbstgespräch beim Match gegen Nikolai Davydenko bei den Australian Open Open 2007. Gefällt Ihnen das Video?
Haas: Mir gefällt es gut, es ist ein geiles, witziges Video. Ich weiß noch, wie es damals war. Meine jetzige Verlobte war damals zum ersten Mal dabei. Und wie es so ist, wenn man ein neues Mädel dabei hat, das man mag, will man besonders geiles Tennis spielen. Ich lag dann 1:2-Sätze hinten und dachte mir, es kann doch nicht sein, was ich hier für einen Scheiß spiele. Ich habe dann einfach vor mich hin gelabert. Das passiert mir ab und zu. (lacht) Ich hatte noch nie ein Problem damit, Emotionen zu zeigen. Ich bin ein Fan von Federer und Nadal, die immer cool bleiben und ihr Pokerface auflegen, aber mehr identifizieren kann ich mich mit Murray. Weil er mehr zeigt, wie er sich fühlt. Weil er auch mal seine Box anschreit. Tennis ist ein brutaler Sport, der einen verrückt machen kann. Das muss raus! Ich habe schon immer ein bisschen mehr erzählt als ich vielleicht sollte, aber so bin ich halt. So war ich auch schon als Kind. Ich schreie auch beim Tischtennis herum, dann fühle ich mich besser. Das Gute an dem Video ist, dass ich am Ende wieder positiv bin und das Match noch gewinne.
SPOX: Selbstgespräche sind eine Variante, gepflegtes Schlägerzerhacken eine andere. Wie ist eigentlich Ihre Beziehung zum Schlägerwerfen?
Haas: Hier und da habe ich auch immer wieder einen zerstört. Ich habe natürlich auch Schläger in der Tasche, die ich lieber mag als andere. Da musst du dann vorsichtig sein. Dass du, wenn du ihn schmeißt, so schmeißt, dass er nicht kaputt geht. Aber dann wirfst du ihn trotzdem so dumm gegen den Pfosten, dass er kaputt geht und du denkst dir: 'Mein Gott, lass es halt sein.' Das kennen wir alle. (lacht) Wenn du den Schläger schmeißt, dann musst du es auf jeden Fall mit Autorität machen. So wie Safin es gemacht hat. Oder schreien, das ist auch gut. Ich fand es cool, wenn Boris früher ins Handtuch rein gebrüllt hat, weil ich wusste, dass er sich damit motiviert. Ich will Emotionen sehen. Ein Beispiel: Del Potro ist ein überragender Spieler, wenn er es trifft, ist es unfassbar. Aber trotzdem würde ich mir nicht unbedingt ein Match von ihm anschauen wollen, weil es immer das gleiche ist. Handtuch holen, Handtuch zurückgeben, da sind keine Emotionen drin, da wird nicht geflucht, da ist mir ein Murray wie gesagt lieber.
SPOX: Apropos Murray. Wie sehen Sie die Kräfteverhältnisse der Top 4, jetzt da Nadal wieder so unglaublich zurückgekommen ist?
Haas: Djokovic ist in den letzten zwei Jahren der dominante Spieler, das muss man klar sagen. Ich denke aber, dass Murray in diesem Jahr noch Großes erreichen wird und die nächste Nummer eins nach Djokovic werden kann. Dann hast du Nadal, der schon wieder einen extrem guten Eindruck macht. Und Federer darfst du nie abschreiben. Roger kann immer noch jeden schlagen und er ist vor allem immer noch so hungrig, mehr zu gewinnen. Es wird spannend zu beobachten sein, wie das Jahr bei den Top 4 verläuft. Grundsätzlich ist es schon phänomenal, was diese Jungs leisten. Die geben es sich fünf, sechs Stunden lang, links, rechts, und im fünften Satz sind sie immer noch genauso gut wie im ersten. Das ist Wahnsinn und eine Sache, die ich nicht begreifen kann. Ich würde das in der Art einfach nicht mehr packen.
SPOX: Sie sind mit 13 Jahren in die Academy von Nick Bollettieri gegangen und dann 1996 auf die Tour gekommen. Sie haben zum Beispiel im Viertelfinale von Indianapolis gegen Pete Sampras gespielt, oder in der ersten Runde der US Open gegen Michael Stich. Was waren für Sie die besonderen Momente als Jungspund auf der großen Bühne?
Haas: Sie haben sie gerade genannt. Wobei es eigentlich noch früher losging. Ich weiß noch, wie ich als 15-Jähriger ein Satellite-Turnier auf Hawaii gespielt habe, das ist bis heute einer meiner schönsten Trips gewesen. Ich habe meine ersten drei ATP-Punkte gesammelt und mich zum ersten Mal auf der Weltrangliste gesehen. Da war ich wie über dem Mond! Gleichzeitig habe ich aber auch gemerkt, dass körperlich und spielerisch noch einiges fehlt, um bei den Herren mitzuspielen. Der erste wirkliche Durchbruch war Indianapolis, als ich zum ersten Mal drei Matches in Folge gewonnen habe. Gegen Dick Norman, Renzo Furlan und Mark Woodforde, der damals ein starker Spieler war. Dann gegen Pete, eines meiner Idole, das ich in der Akademie schon hatte trainieren sehen, auf dem Centre Court zu spielen, war natürlich ein Riesenschritt für mich. Auch wenn Pete für mich noch zu stark war. Das Match gegen Michael war dann noch einmal eine super Erfahrung für mich, da habe ich mich sehr ordentlich geschlagen und in vier Sätzen verloren, das war für mich ein guter Erfolg.
SPOX: 1999 ging so richtig die Post ab. Bei den Australian Open erreichten Sie das Halbfinale und in Memphis folgte der erste ATP-Titel. Endlich?
Haas: Ja, absolut. Ich stand schon vorher in ein paar Finals und hatte in Lyon gegen Alex Corretja sogar schon einen Matchball, ehe ich es noch verloren habe. In Memphis war es dann endlich soweit, und dann auch noch gegen Jim Courier. Auch ihn kannte ich aus der Academy, dieser Sieg hat mir sehr viel bedeutet. Ende des Jahres stand ich zum ersten Mal in den Top 10 und hatte ein weiteres Ziel erreicht. 14 Jahre ist das jetzt auch schon wieder her, echt unglaublich.
SPOX: Ein Jahr später kam eines der sicher größten Karriere-Highlights. Olympia in Sydney. Silbermedaille.
Haas: Das war ein unmenschliches Erlebnis. Ich hatte im Vorfeld mal wieder Verletzungsprobleme und wusste gar nicht, ob ich es schaffen würde. Aber es war Olympia, da musste ich einfach dabei sein. Im Halbfinale schlage ich dann Federer und habe die Medaille sicher. Wahnsinn. Dieses Halbfinale zu gewinnen ist so wichtig, weil niemand das Match um Bronze haben will. Und dann noch Roger. Heute bedeutet mir der Sieg noch viel mehr, nachdem wir wissen, was Roger alles erreicht hat. Ich habe dann auch ein gutes Match gegen Kafelnikov gespielt, aber knapp in fünf Sätzen den Kürzeren gezogen. Dennoch natürlich eines meiner absoluten Highlights.
SPOX: Wenn wir schon beim Thema Olympia sind. Im vergangenen Jahr gab es deshalb großen Wirbel. Es gab Spieler, die wollten nicht bei den Olympischen Spielen für Deutschland spielen, Sie hätten nichts lieber gemacht, durften aber nicht. Mit etwas Abstand: Wie sehr hat es Sie getroffen?
Haas: Die Sache war die: Ich war hungrig darauf zu spielen. Ich hatte gerade das Turnier in Halle gewonnen, auf Rasen, gegen Federer im Finale. Ich hatte mir sozusagen die Bestätigung geholt und dachte mir: 'Nominiert mich! Ich bin heiß, ich bin top drauf, ich kann vielleicht eine Medaille holen!' Ich habe immerhin 15 Jahre lang Deutschland auf der Tour repräsentiert und auch jahrelang Davis Cup gespielt. Von DTB-Seite wäre es auch kein Problem gewesen, aber der DOSB wollte keine Ausnahme machen. Ich war sehr schockiert. Es hat mich einige Tage wirklich genervt und ich habe überlegt, ob ich meine Anwälte einschalten soll. So hatte es Rainer Schüttler vier Jahre zuvor auch gemacht und ist noch nominiert worden. Ich habe es aber dann gelassen. Wenn diese Leute es nicht wollen, dann muss ich auch nicht dafür fighten. Es war eine Situation, die ich nullkommanull nachvollziehen konnte und sehr frustrierend war. Aber okay, es interessiert mich jetzt nicht mehr. Es gibt immer wieder Momente im Leben, in denen einem die Worte fehlen. Das war so einer.
Seite 2: Haas über eine verpasste Chance, Comebacks und das Duell mit dem NBA-Star
SPOX: Wir waren vorhin im Jahr 2000 stehen geblieben. Wir müssen zwingend über die Aussie Open 2002 sprechen, denn das war Ihre größte Chance auf einen Grand-Slam-Erfolg. Todd Martin in Fünf geschlagen, dann Federer 8:6 im Fünften niedergerungen, dann Marcelo Rios aus dem Weg geräumt und im Halbfinale gegen Marat Safin mit 2:1-Sätzen vorne gelegen...
Haas: ... bis der verdammte Regen kam. Ich war der bessere Spieler, konnte aber mit der Regenpause gar nicht umgehen. Das ist eigentlich meine ganze Karriere lang so geblieben, mit der Warterei habe ich oft Schwierigkeiten gehabt. Ich weiß auch nicht warum. Ich weiß noch, dass ich in der Pause auf der Massagebank gelegen bin und irgendwie hat sich das für meinen Körper angefühlt, als ob es schon nach dem Match und Zeit zum Relaxen wäre. Ich wollte noch mal Vollgas geben, aber ich konnte den Gang nicht mehr einlegen. Während Safin sein Level steigerte, hatte ich gar keines mehr. Es war gar kein Match mehr nach der Regenpause.
SPOX: 0:6, 2:6 in den Sätzen 4 und 5. Und so hieß der Champion am Ende Thomas Johansson.
Haas: Es gibt diese Matches, nach denen man sich denkt: 'Mensch, hätte ich das nur gewonnen.' Das gehört definitiv dazu. Wenn ich da den Grand-Slam-Titel hole, hätte meine Karriere ganz anders einschlagen können.
SPOX: Wie gehen Sie damit um, dass ein Grand-Slam-Titel ja jetzt im Grunde nicht mehr möglich ist?
Haas: Ich bin schon Realist. Und die Realität ist, dass ich 35 Jahre alt werde. Ein Grand-Slam-Turnier zu gewinnen, bei dem es über drei Gewinnsätze geht, bei dem du unter Umständen Runde für Runde vier oder fünf Stunden auf dem Platz fighten musst, bei dem du gegen zwei, drei der Jungs wie Federer, Djokovic, Murray und Nadal gewinnen musst... Relativ schwierig. (lacht) Dieser Zug ist wohl für mich leider abgefahren, da müssen wir die Kirche auch im Dorf lassen. Sportpsychologen werden jetzt vielleicht die Hände über dem Kopf zusammenschlagen und sagen, dass man so nicht denken darf. Aber ich sage ja nicht, dass ich nicht positiv bin. Es gibt viele andere große Turniere, bei denen ich noch weit kommen kann und möchte. Ich würde noch einmal gerne gegen einen der Großen auf einem großen Platz spielen. Und ich glaube schon, dass ich den einen oder anderen der Top-Jungs über zwei Gewinnsätze auch mal schlagen kann. Das glaube ich absolut und das will ich auch erreichen.
SPOX: Kotzen Niederlagen auf gut deutsch gesagt noch genauso an wie früher?
Haas: Oh ja. Ich bin immer noch extrem motiviert, Matches zu gewinnen. Wenn ich ein Match verliere, bei dem ich eine Chance hatte, bin ich hinterher immer noch genauso enttäuscht und wild wie vor sechs oder zehn Jahren. So was macht mich fertig. Ich brauche dann wirklich ein paar Tage, um mich wieder auf das nächste Turnier konzentrieren zu können.
SPOX: Wir haben also geklärt, dass es mit dem Grand-Slam-Sieg wohl nichts mehr wird. Haben denn Ihre ganzen Comebacks nach den zig Verletzungen nicht einen ähnlichen Stellenwert wie ein großer Triumph?
Haas: Ich stehe jetzt wieder in den Top 20 der Welt. Vor einem Jahr hatte ich nicht das Gefühl, dass das jemals wieder passieren würde. Nach meiner Hüft-Operation hat als Folge mein Knie permanent Probleme gemacht. Ich wollte schon das Handtuch werfen, weil ich keine Chance hatte, rauszugehen und zu trainieren. Aber man gibt irgendwie nie auf, bekommt viel Unterstützung durch seine Familie und Freunde, die alle an einen glauben und irgendwie geht es dann wieder. Ich will mich aber nicht so gerne in meinen Comebacks sonnen. Wenn ich den Schläger wirklich an die Wand gehängt habe und darüber nachdenke, was ich alles erreicht habe, wird es aber sicher ein Punkt sein, der mich mit dem meisten Stolz erfüllt. Ich denke, dass ich in dieser Hinsicht vielleicht auch einmal am meisten zurückgeben kann. An Kinder, die auch nicht die perfekte Karriere haben. Ich merke das auch im Kontakt mit meinen Fans, dass sie diese Comebacks anerkennen und mich sogar als Inspiration sehen. Das macht mich stolz.
SPOX: Wie oft lagen Sie denn abends im Bett und dachten ans Aufhören?
Haas: Nach den ersten Schulter-Operationen hatte ich den Gedanken eigentlich noch gar nicht. Da war ich ja erst 24, 25 Jahre alt und wusste, dass ich noch mindestens vier, fünf gute Jahre vor mir habe, wenn wir das mit der Schulter in den Griff bekommen. Richtig schwierig war es nach der Hüft-OP. Ich wusste, dass ich mindestens ein Jahr benötigen würde, um zurückzukommen. Ich hatte kein Gefühl mehr im rechten Bein, es waren keine Muskeln mehr da, ich konnte mich ja kaum mehr bewegen zwischenzeitlich. Und ich war eben schon in einem Alter, in dem man ans Aufhören denkt. Ich bin dann aber Vater geworden und habe mir vorgestellt, wie geil es doch wäre, wenn meine Tochter mich noch spielen sehen könnte. Wenn sie begreift, was ihr Vater so lange gemacht hat. So habe ich wieder die Motivation gefunden. Wir haben jetzt schon ein paar schöne Fotos, wie sie zuschaut.
SPOX: Aber der Weg zurück war immens steinig. Es hat extrem lange gedauert, bis sich wieder Erfolg eingestellt hat.
Haas: Richtig. Es war fast ein Jahr später, ehe es wieder klick gemacht hat. Mit dem Halle-Sieg als wahnsinnigen Höhepunkt. Man muss sich das mal vorstellen: Ein Jahr vorher hatte ich eigentlich keinen Bock mehr, weil ich nicht trainieren konnte und auch gegen Spieler verloren habe, die ich vom eigenen Anspruch her einfach schlagen muss. Aber ich bin dran geblieben, habe versucht, alles Negative wegzublocken und plötzlich gewinne ich in Halle. Gegen Roger im Finale. Am Vatertag. Mein Vater war da, mein Schwiegervater auch - es hatte was von einem Märchen. Es gibt wenige perfekte Momente im Leben, aber in dieser Woche hat einfach alles gepasst. Ich habe auch jeden wichtigen Punkt gut gespielt. Es war eine große Genugtuung, weil ich mir sagen konnte: 'Siehst du, deshalb bleibt man am Ball. Deshalb gibt man nie auf.' Selbst wenn ich nichts mehr gewinnen würde, habe ich etwas geschafft, das viele nicht mehr erwartet hätten. Darauf kann ich immer zurückblicken. Aber ich fühle mich wohl im Moment und will auf jeden Fall noch einmal eine Trophäe hochhalten. Ich werde solange spielen, solange ich das Gefühl habe, Matches gewinnen zu können und solange ich noch Spaß habe. Ich will das Profisportler-Dasein solange es geht durchziehen.
SPOX: Letzte Frage: Sie sind auch als großer NBA-Fan bekannt und haben in der Academy schon öfter ein bisschen gezockt. Mit wem hatten Sie das Vergnügen?
Haas: Ich habe über die Jahre unter anderem Chauncey Billups von den Clippers kennengelernt. Wir haben so ein bisschen gespielt und geshootet. Als ich ihn verteidigen sollte, habe ich versucht, ihn zu irritieren und bin hinter der Dreierlinie wie ein kleiner Affe herumgesprungen. Das hat ihn aber null interessiert. Mit welcher Leichtigkeit er hoch- und zurückgesprungen ist und welche Kraft er hatte, um von weit hinter der Dreierlinie die Bälle ganz locker reinzuhauen, war beeindruckend. Wenn ich dann hinter der Dreierlinie stand, bin ich fast nicht zum Korb gekommen mit meinem Wurf, weil ich nicht die Kraft im Handgelenk dazu habe. Dabei bin ich im Grunde kein schlechter Basketballer, zumindest wenn ich keine Hand im Gesicht habe. Ich spiele nach wie vor sehr gerne Basketball, weil es auch ein gutes Warmup fürs Tennis ist. Und ich schaue mir gerne Spiele live an. Das Problem für uns Tennisspieler ist nur, dass wir immer in Europa sind, wenn die Playoffs anfangen. So können wir es nicht wirklich verfolgen. Das muss dann bis nach der Karriere warten.
Die ATP-Weltrangliste: Haas in den Top 20