"Die NBA hat mich verrückt gemacht"

Haruka Gruber
27. Oktober 201112:27
Elias Harris' Team Gonzaga gehört zum erweiterten Kreis der NCAA-TitelfavoritenGetty
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Im ersten Jahr wurde Elias Harris als College-Sensation gefeiert, im zweiten Jahr hingegen lernte er die Schattenseiten kennen. Der deutsche Nationalspieler erlebte die Extreme - und meldet sich zurück als Draft-Kandidat. Sein guter Ruf in den USA ist fast wieder hergestellt. Als Führungsspieler soll der 21-jährige Forward die Gonzaga University in der Mitte November beginnenden Saison ins Final Four führen.

SPOX: Seit Gonzagas Ausscheiden vor sieben Monaten gegen die Brigham Young University in der zweiten Runde der March Madness war von Ihnen nichts mehr zu hören. Die einzige Ausnahme machte nur die Pressemitteilung zu Ihrer EM-Absage. Wie geht es Ihnen?

Elias Harris: Sehr gut. Die ersten sechs Wochen nach dem Aus habe ich zuhause in Deutschland verbracht und den Heimaturlaub genossen. Kurz nach der EM-Absage flog ich in die Staaten und fing wieder langsam an. Erst standen Regeneration und die Arbeit mit dem Physiotherapeuten im Vordergrund, später trainierte ich täglich mit Profis wie Ronny Turiaf, die früher in Gonzaga studiert haben und jeden Sommer für Workouts zurückkehren. Seit Mitte Oktober läuft das reguläre Trainingsprogramm des Teams auf die neue College-Saison - und es fühlt sich super an.

SPOX: In der enttäuschenden Vorsaison litten Sie unter gesundheitlichen Problemen. Was hatten Sie genau?

Harris: Es fing schon vor dem ersten Spiel an. Bei einem Trainingsunfall flog ich über einen Mitspieler und landete auf der Schulter. Ich dachte, die Schmerzen würden schnell verschwinden, aber sie gingen nie weg. Im dritten Spiel gegen San Diego State passierte zusätzlich etwas an der Achillessehne. Genauer: An einer Sehne neben der Achillessehne, deren Namen ich nicht mal kenne und die es laut des Doktors bei einigen Menschen gar nicht gibt. Diese Sehne war gerissen und verheilte nicht richtig.

SPOX: Warum standen Sie trotzdem in 34 der 35 Partien auf dem Court?

Harris: Im Nachhinein wäre eine Pause besser gewesen. Ich war zwischendurch körperlich nur bei 70, 80 Prozent - und das ist für einen Spieler wie mich, der vor allem von der Energie lebt, folgenschwer. Aber ich wollte das Team nicht im Stich lassen. Und zum Ende der Saison näherte ich mich auch wieder den 100 Prozent an.

SPOX: Beim Aus gegen BYU waren Sie mit 18 Punkten und 8 Rebounds bester Mann Ihres Teams. Dennoch bleibt die Kritik, dass nach der sensationellen Premieren-Saison 2009/10 das zweite College-Jahr ein verschenktes war.

Harris: Deswegen habe ich im Sommer die Spiele der letzten zwei Jahre auf DVD angeschaut und gezielt an den Defiziten gearbeitet. Es sprach sich beispielsweise herum, dass ich immer nur links am Gegenspieler vorbeidribble, um zum Korb zu ziehen. Jetzt kann ich es ebenfalls über rechts. Außerdem kommt mein Wurf konstanter und das Ballhandling ist sicherer.

SPOX: Sie verbrachten in der Trainingshalle viel Zeit mit NBA-erfahrenen Alumnis wie Turiaf und Adam Morrison. Was sagen diese Jungs?

Harris: Es waren nicht nur diese beiden. Dazu gehören auch Pistons-Profi Austin Daye oder Jeremy Pargo von Maccabi Tel Aviv. Sie haben meine Entwicklung natürlich verfolgt und mir Mut zugesprochen: Es wäre nicht ungewöhnlich, dass das zweite Jahr häufig schlechter verläuft und dass es im dritten Jahr wieder aufwärts geht. Es tat gut, das zu hören.

SPOX: Im letzten Sommer gaben Sie sich im SPOX-Interview für Ihr erstes Jahr die Note 2. Welche Note bekommt das zweite Jahr?

Harris: Es war definitiv nicht das Jahr, das jeder von mir erwartet hat. Aber zu negativ sollte man es nicht sehen: Meine Statistiken sind nicht so viel schlechter geworden, bei den Freiwürfen habe ich mich sogar deutlich verbessert. Daher gebe ich mir eine 3 bis 4. Ich habe im zweiten Jahr viel mehr über mich selbst gelernt. Wie ich mit Enttäuschungen umgehe. Wie es ist, wenn die Medien wie die Kletten an einem hängen und man sich dadurch unter Druck gesetzt fühlt.

SPOX: Welche Lehren haben Sie für die Zukunft gezogen?

Harris: Dass ich nicht so schnell an mir zweifeln darf und zur Not die Devise verfolgen muss: Augen zu und durch.

SPOX: Wie sehr lenkten die Diskussionen über einen möglichen Sprung in die NBA vom Wesentlichen ab?

Harris: Es war sehr aufschlussreich. Mein großer Traum ist die NBA, ganz klar. Aber die NBA und das Gerede über den Draft haben mich irgendwann verrückt gemacht. In meinem Kopf lief regelrecht ein Kinofilm ab, wie es denn laufen könnte. Für mich war alles neu und ich habe zu sehr darauf geachtet, wie über mich berichtet wird. Der Fehler wird mir kein zweites Mal mehr passieren. Zukünftig denke ich wieder von Schritt zu Schritt.

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SPOX: Wie hat sich die Wahrnehmung am Campus verändert?

Harris: Gott sei Dank überhaupt nicht. An der Universität geht es zu wie in einer Familie. Ich hatte nie das Gefühl, dass ich ein Stück Fleisch wäre, das vor die Meute geworfen wird, wenn es mal nicht so läuft. Die Kommilitonen spüren, dass wir Sportler unter einem großen Druck stehen, und unterstützen uns.

SPOX: Die Vorsaison verlief nicht nur für Sie, sondern für die gesamte Mannschaft enttäuschend. Wie ist die Stimmung in der Kabine?

Harris: Deutlich besser als in meinen ersten beiden Jahren. Früher gab es den einen oder anderen Spieler, der dachte, dass er besser sei als die anderen und mehr Minuten verdient hätte. Wenn sie dennoch auf der Bank saßen, ließen sie ihren Frust raus. Jetzt stimmt die Chemie. Die Freshmen sind sehr gute Basketballer, die auch menschlich reinpassen.

SPOX: Welchen Eindruck macht Ihr deutscher Mitspieler Mathis Mönninghoff, der mit 4,3 Punkten in 13,4 Minuten und 45,8 Prozent getroffenen Dreiern ein ordentliches erstes College-Jahr ablieferte?

Harris: Mit dem ersten Jahr kann er voll zufrieden sein, bedenkt man, dass für ihn alles neu war. Jetzt hat er sich an alles gewöhnt und im Sommer angedeutet, dass er den nächsten Schritt gegangen ist. Vom ihm erwarte ich einiges.

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SPOX: Sie sind im dritten College-Jahr und damit automatisch einer der Erfahrenen. Liegt Ihnen diese Rolle?

Harris: Es ist ein schönes Gefühl, als Führungsspieler voranzugehen und nicht immer folgen zu müssen. Ich weiß um die Verantwortung, dass wir erfahrenen Spieler ein Vorbild für die anderen sein müssen. Das Erreichen des Final Four wird allmählich Zeit. Das schaffen wir jedoch nur, wenn wir als Team alles geben. Das möchte ich vorleben.

SPOX: Ist Ihnen das Erreichen des Final Four so wichtig, weil Sie wissen, dass die kommende Saison Ihre gesamte Karriere definieren könnte?

Harris: Ich muss zugeben: Das dritte Jahr wird sehr, sehr wichtig. Alleine schon dewegen, weil ich ein Jahr älter bin als die anderen Juniors. Nach dieser Saison weiß ich, wohin es geht. NBA, Europa, ein weiteres Jahr bei Gonzaga, alles ist möglich.

SPOX: In der Fachwelt haben Sie bereits an Reputation zurückgewonnen. In einem Ranking von "CBS" gehören Sie zu den Top-20-Draft-Kandidaten. Und Sie wurden auf die Liste von 50 Spielern gesetzt, denen der Gewinn des John-Wooden-Awards als bester College-Basketballer des Jahres zugetraut wird. Wie sehr freut es Sie?

Harris: Ich bekomme es mit, aber ich lese mir nichts durch. Wie gesagt: Den gleichen Fehler begehe ich nicht noch einmal.

SPOX: Vor einem Jahr sagte nicht nur Dirk Bauermann, dass Sie sich als Small Forward spezialisieren müssten, um eine Chance auf die NBA zu haben. Als Power Forward seien Sie zu klein. Wurden Sie bei Gonzaga wie geplant als Small Forwad eingesetzt?

Harris: Anfang der Saison probierten wir es aus, doch weil es für die Mannschaft insgesamt nicht gut lief, entschloss sich Coach Mark Few dazu, dass jeder dort spielen soll, wo er am wertvollsten ist - und für mich war es definitiv die Power-Forward-Position. Das habe ich vollkommen verstanden.

SPOX: Obwohl es Ihre NBA-Pläne gefährdet?

Harris: So dramatisch sehe ich das nicht. In Europa könnte ich auf beiden Positionen spielen. Aber auch für die NBA sehe ich nicht schwarz. Nehmen wir Shawn Marion: Er misst wie ich 2,01 Meter und startet in Dallas als Small Forward, dennoch ist er als Power Forward genauso stark. Bei Corey Maggette ist es ähnlich. Es gibt zwar keine genaue Bezeichnung, aber zu dieser Art von Spielern gehöre ich.

SPOX: Genau diese Art von athletischen Forwards ging der deutschen Nationalmannschaft bei der EM ab. Wie sehr hätte ein fitter Elias Harris helfen können?

Harris: Ich habe auf "ESPN3" alle Spiele live verfolgt und es tat weh zu sehen, dass es nichts mit dem Olympia-Qualifikationsturnier wurde. Unabhängig von meiner Person: Etwas mehr Athletik hätte dem Team nicht geschadet. Alleine die Niederlage gegen Frankreich hat gezeigt, dass der athletische Faktor bei uns nicht so gegeben war.

SPOX: Neben Heiko Schaffartzik war Ihr gleichaltriger Freund Robin Benzing die positive Erscheinung. Haben Sie ihm nach der schwachen WM eine solche Steigerung zugetraut?

Harris: Ich kenne Robin schon ewig und jeden Sommer dachte ich mir: 'Aus dem wird doch nie was!' Und dann kommt er zurück und Jahr für Jahr hat er mich eines Besseren belehrt und sich unglaublich verbessert. Daher traue ich ihm mittlerweile alles zu. (lacht)

SPOX: Für den nächsten Karriereschritt entschloss sich Benzing, zum FC Bayern zu wechseln. War München für Sie eine Option?

Harris: Es gab nie ein Angebot, daher musste ich nicht überlegen. Wenn doch etwas gekommen wäre, hätte ich mir wahrscheinlich schon einige Dinge durch den Kopf gehen lassen. Aber mein Hauptziel bleibt ohne Wenn und Aber die NBA. Dafür habe ich im Sommer geschuftet wie noch nie. Nach dieser Saison sehen wir, was passiert.