"Wenn Dallas das nächste Spiel gewinnt und mit einer 3-2-Führung nach Miami fährt, dann sind die Mavericks in einer hervorragenden Position", erklärt Earvin "Magic" Johnson.
Der Grund: Viele Beobachter glauben, dass Miami einen solchen Rückstand vor den eigenen Fans nicht drehen kann. "Die Heat haben die schlimmsten Fans der Liga", schimpft Charles Barkley. Und spart ebenfalls nicht mit Kritik an den Spielern. "Die sind eine Truppe von Jammerlappen, die nicht mit Fehlern klarkommen. Selbst wenn sie in dieser Situation gegen die Washington Generals spielen würden, würde ich nicht auf Miami setzen."
Siege nur nach Niederlagen?
Die meisten Experten sind sich allerdings auch einig, dass die Mavericks ebenfalls ein Problem haben. Ein großes Problem sogar. Und das ist ausgerechnet ihr Erfolg in Spiel 4.
"Entscheidend ist, wie Dallas auf den letzten Sieg reagiert", sagt NBA-Experte Bruce Bowen bei "ESPN". "Die Statement-Games kamen bisher immer nur nach bitteren Niederlagen. Nach Siegen kam hingegen wenig. Das müssen die Mavericks jetzt unbedingt abstellen."
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Denn glaubt man dem ungeschriebenen Gesetz dieser Finals, sind eigentlich die Heat wieder mit einem Sieg dran. "Und ich glaube nicht, dass die Mavericks jetzt plötzlich explodieren", meint "ESPN"-Reporter Marc Stein. Und sein Kollege Jeff Caplan fragt: "Warum sollte Dallas damit ausgerechnet jetzt anfangen... gegen eine Heat-Defense, die nach einer aufrüttelnden Niederlage wie wild auf dem Platz herumwirbeln wird?"
Die Legende des Dirk N., Teil X
Für die Fans in Dallas ist die Antwort klar. Sie heißt: Dirk Nowitzki. Und der Mavs-Superstar ließ keinen Zweifel daran, dass er in Spiel 5 topfit ist. Schon am Mittwoch fuhr er in die American Airlines Arena, um am leichten Training seines Teams teilzunehmen. Zwar ohne Rennen und ohne Körperkontakt, dafür aber mit einem klaren Ziel. "Heute Abend komme ich zurück, werde meinen Körper wieder ans Schwitzen gewöhnen und dann bin ich bereit!"
Nowitzkis Nehmerqualitäten haben ihn in Dallas endgültig zur Legende gemacht. "Es ist unsere Version der Willis-Reed-Story. Wenn er Spiel 4 nicht durchsteht, wenn er nicht so zurückkommt, wie er es getan hat, dann gewinnen wir dieses Spiel niemals. Ich kann noch immer nicht glauben, dass er im Schlussviertel eines so physischen Spiels überhaupt noch stehen konnte. Hut ab. Nur wegen ihm steht es jetzt 2-2", sagte Mavericks-General-Manager Donnie Nelson in Anlehnung an einen der größten Momente der NBA-Geschichte.
Es war Spiel 7 der NBA-Finals 1970. Knicks gegen Lakers, Spiel 7. Willis Reed hatte das vorangegangene Spiel mit einer schweren Oberschenkelverletzung verpasst und sein Einsatz galt auch für das große Finale als unwahrscheinlich. Dennoch humpelte er unter tosendem Applaus auf den Platz, traf die ersten zwei Würfe für die Knicks und inspirierte seine Teamkollegen zu einer Gala-Vorstellung bei New Yorks erstem Titelgewinn.
Inspiration. Das ist es, was Nowitzki (neben seinen entscheidenden Punkten) für die Mavericks so unverzichtbar macht. Er muss es nicht einmal selbst sein, der Dallas zum Sieg führt, er kann auch anderen das Feld überlassen. Was zählt, ist, dass er trotzdem da ist und seine Teamkollegen inspiriert. "Wenn er will, dass ich reinkomme, komme ich rein. Mit ihm will man jede Nacht in den Krieg ziehen", sagt etwa Tyson Chandler, der mit seiner starken Leistung das Mavs-Comeback in Spiel 4 überhaupt erst möglich machte. Und: "Als ich Dirk sah, wusste ich, dass ich einen großen Abend haben muss."
Schenkt Miami den Mavericks den Titel?
Doch abseits des Dirk-Nowitzki-Hypes findet eine ganz andere Diskussion statt. Denn sind es überhaupt die guten Abende der Mavericks, die ihnen die dramatischen Siege bescheren - oder schenken ihnen die Heat durch ihre eigene Unfähigkeit den Titel?
"Die Heat werfen es selbst weg", sagt Heat-Experte Tom Haberstroh. "Das alles hätte ein Sweep der Heat sein müssen - wären sie nicht zweimal so kolossal eingebrochen. Und daran sind sie selbst schuld." Gleicher Meinung ist auch Heat-Blogger Mark Haubner: "Miami ist das bessere Team uns sollte mindestens 3-1 führen. Natürlich gebührt den Comeback-Fähigkeiten der Mavs ein gewisses Lob, aber viel entscheidender ist, dass sich die Heat unerklärlicherweise in ihren Krisen-Status vom November zurückentwickeln."
Stevenson: "LeBron hat sich abgemeldet"
Festgemacht wird diese Krise besonders an einem Mann: LeBron James - und seinen Einbrüchen im Schlussviertel. Seine Wurfquote in der Crunchtime: 3 von 12 aus dem Feld.
"Wenn LeBron keinen Weg findet, im entscheidenden Moment mehr zur Offensive beizutragen, dann werden es die Heat schwer haben, zwei der nächsten drei Spiele zu gewinnen", schreibt der "Miami Herald". "Er war einfach nicht im Angriffsmodus", lästert Mavs-Guard DeShawn Stevenson. "Er hat sich abgemeldet, war in Gedanken woanders."
Wade als Grund für LeBrons Krise
Der sportliche Hintergrund für LeBrons Abwesenheit fällt einem erst auf den zweiten Blick ins Auge: Dwyane Wade. So gut sich LeBron und er auch verstehen, so hervorragend sie als Einzelspieler auch sind und so viele Punkte sie auch erzielen: Wenn es hart auf hart kommt, harmonieren ihre Spielstile einfach nicht miteinander. "Sie sind wie zwei Quadrate, die krampfhaft versuchen zu einem Kreis zu werden", analysiert Heat-Experte Dan Le Betard vom "Miami Herald".
Sie seien sich zu ähnlich, würden den Ball zu lange halten, um Spielzüge zu kreieren, heißt es. Und während das bei offenen, unbedrängten Spielen mit viel Raum für das Kreativ-Duo noch durch ihre überragenden individuellen Fähigkeiten und den generellen Erfolg während der Regular Season überdeckt wurde, wird es in engen Situationen zum Problem. "Die Heat würden schon lange die Trophäe in der Hand halten, gäbe es da nicht diesen kleinen Defekt", analysiert Le Betard. "LeBron und Dwyane ergänzen sich einfach nicht."
Ausgerechnet Wade glaubt jedoch an das Comeback des Lebron James. "Er glaubt, dass er mich im Stich gelassen hat", sagt Wade. "Aber er wird seine Antwort auf dem Platz geben. Da mache ich mir überhaupt keine Sorgen. Er wird etwas Erstaunliches vollbringen und das wird uns am Ende den Titel bringen."
Knapp, knapper, Statistik-Duell!
Einen Freifahrtsschein für die Mavericks gibt es also noch lange nicht. Selbst wenn Small Forward Shawn Marion nach einem Tritt gegen die Wade in Spiel 4 wieder fit ist. Nicht auf dem Platz stehen wird hingegen aller Voraussicht nach Backup-Center Brendan Haywood. Der trainierte zwar am Mittwoch, doch seine Hüftverletzung macht seinen Einsatz unwahrscheinlich.
Die einzige Vorhersage lautet daher: Es wird spannend. Mal wieder. Die margin of victory (also die Anzahl der Punkte, die der Sieger einer Partie am Ende mehr auf dem Konto hatte) beträgt nach vier Spiele insgesamt nur 15 Zähler - der geringste Abstand aller Zeiten. Drei der Spiele entschieden sich erst mit dem allerletzten Ballbesitz.
Too close to call, nennen das die Amerikaner. Zu eng, um Vorhersagen zu treffen.
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